FDP|
24.11.2020 - 12:02STAMP-Interview: Dann muss umfassend geöffnet werden
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Dr. Joachim Stamp gab der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe) folgendes Interview. Die Fragen stellte Reiner Burger:
Frage: Herr Stamp, in Nordrhein-Westfalen regiert die FDP im derzeit einzigen schwarz-gelben Bündnis. Sie sind stellvertretender Ministerpräsident. In Berlin tritt Ihr Bundesvorsitzender Christian Lindner als scharfer Kritiker des Corona-Kurses auf. Wie lange geht dieser Spagat noch gut?
Antwort: Es ist kein Spagat. Wir sagen nur: Wir hätten einen anderen Weg gewollt. Dennoch war und ist uns in NRW wichtig, dass die Länder einen gemeinsamen Weg beim Kampf gegen die Pandemie beschreiten. Wir dringen jedoch erfolgreich auf Differenzierungen. Wir waren beispielsweise immer der Auffassung: Es ist essentiell, dass an den Schulen so lange wie möglich Präsenzunterricht stattfindet, um Kindern keine Bildungschancen zu nehmen. Schon vor drei Wochen wollten manche in Bund und Ländern wieder einen Komplett-Lockdown inklusive Schulen und Kitas. Vor einer Woche gab es dann das Papier aus dem Kanzleramt ...
Frage: ... gegen das Sie heftig protestierten, weil der Bund in den Beschlussvorschlag eine Halbierung der Klassen geschrieben hatte ...
Antwort: Solche pauschalen Vorgaben sind nicht umsetzbar, allein schon, weil es nicht genügend Lehrer dafür gibt. Zudem geht aus Studien hervor, dass es zwar auch in Schulen Infektionen gibt, sie aber keine Pandemie-Treiber sind.
Frage: Für die Bund-Länder-Runde am Mittwoch zeichnet sich aber ab, dass es zumindest in der Oberstufe doch zu Wechsel- oder Hybridunterricht kommen soll. Muss die FDP die Kröte jetzt schlucken?
Antwort: Pauschal die Klassen zu teilen bleibt eine naive, dysfunktionale Idee. Natürlich wünscht sich die FDP, dass noch viel stärker digitale Elemente genutzt werden. Man kann zudem, je nach Infektionslage, bei älteren Schülern eine Mischung aus Präsenzunterricht und Selbstlernphasen ermöglichen. Wir haben aber im ersten Lockdown im Frühjahr die Erfahrung gemacht, dass viele Kinder und Jugendliche gerade aus bildungsschwachen Familien den Anschluss verloren haben. Mit ihnen arbeiten wir jetzt mühsam daran, dies aufzuholen.
Frage: Schon dem Teil-Lockdown haben Sie und Ihre FDP-Fraktion nur noch mit Bauchschmerzen zugestimmt. Im Landtag sagten Sie, die pauschale Schließung von Gastronomie und Kulturbetrieben sei "nur zu rechtfertigen, wenn es bei der zeitlichen Begrenzung bis zum 30. November bleibt". Nun steht eine Verlängerung an. Verweigert die FDP Ministerpräsident Armin Laschet die Gefolgschaft?
Antwort: Nein. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass wir unserer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden, und wollen pragmatische Lösungen. Und da ist die FDP - siehe etwa beim Thema Schule - eine unverzichtbare Antreiberin. Jetzt brauchen wir einen längerfristigen Plan mit nachvollziehbaren Kriterien sowie eine konkrete Exitstrategie. Es muss für die Bürgerinnen und Bürger klar erkennbar sein, wo die Entwicklung hingeht. Wichtig ist aus Sicht der FDP, dass in der Beschlussvorlage für Mittwoch vorgesehen ist, dass es zu regionalen Differenzierungen kommen kann. Dort, wo die Infektionszahlen deutlich runtergehen, sind Öffnungen möglich. Wir brauchen darüber hinaus weiter massive Unterstützung für Branchen, falls sie nun weiter geschlossen bleiben. Im Zuge der Pandemiebekämpfung dürfen nicht Tausende von Existenzen zerstört werden.
Frage: Exitstrategie - bezieht sich das auch auf Gastronomie und Kultur? Kann es dort im Januar wieder losgehen?
Antwort: Es ist jedenfalls nicht vermittelbar, dass in Kreisen mit einer stark sinkenden Wocheninzidenz weiterhin die Beschränkungen des November-Lockdowns gelten. Viele Experten sagen: Wo Hygienekonzepte konsequent angewendet werden, kommt es nicht zu wesentlichen Infektionsgeschehen. Ganz entscheidend ist die Ertüchtigung der Gesundheitsämter. Überall in Deutschland sind sie personell und digital nicht ausreichend ausgestattet, so dass etwa Schul- oder Kitaleitungen oft gezwungen sind, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie in Quarantäne gehen. Das ist ein Verantwortungsdruck, den diese Einrichtungen nicht leisten können. Die Gesundheitsämter müssen wieder so stabil und entscheidungsfähig werden, dass wir in der Lage sind, mit der Pandemie klarzukommen, bis es zu Impfungen in großem Umfang kommt, also noch monatelang.
Frage: Christian Lindner hat darauf hingewiesen, dass Deutschland auf Dauer nicht in der Lage sein wird, mit Schulden ausgefallene Wertschöpfung zu ersetzen. Deshalb gelte es, eine Möglichkeit der dauerhaften, modifizierten Öffnung der Wirtschaft zu finden. Wie könnte ein Konzept aussehen?
Antwort: Es gibt kein Patentrezept im Umgang mit dieser Krise, aber wir müssen aufzeigen, wie es weitergehen kann. Zum Glück haben wir im Vergleich zur Diskussionslage vor drei oder vier Wochen jetzt eine gute Perspektive, weil uns die Wissenschaft signalisiert, dass es relativ schnell mit den Impfungen losgehen kann. Wenn es gelingt, kurzfristig zumindest die besonders gefährdeten Gruppen in Kliniken und Pflegeheimen und das Personal zu impfen und damit die Stabilität des Gesundheitsbereichs zu sichern, dann haben wir eine andere Souveränität im Umgang mit Corona. Und dann muss umfassend geöffnet werden.
Frage: Sie sagten kürzlich: "Dieses Konstrukt aus Ministerpräsidentenkonferenz und Bundeskanzleramt kann keine Dauerlösung sein." Verfassungsrechtlich hat dieses Format tatsächlich als solches keinerlei Kompetenz. Warum hat die FDP nicht schon viel früher auf eine intensive Parlamentsbeteiligung gedrungen?
Antwort: Das haben wir doch! Und es ist ja jetzt eine viel stärkere Parlamentsbeteiligung erreicht worden. Es ist ein sehr positives Zeichen, dass der nordrhein-westfälische Landtag unmittelbar vor der am Mittwoch terminierten Ministerpräsidentenkonferenz über den Kurs von NRW debattiert. Das geht auch auf die Intervention der FDP zurück.
Frage: Das heißt, der Landtag setzt jetzt Leitplanken, an denen sich Ministerpräsident Laschet in der Runde mit der Kanzlerin dann entlanghangeln muss?
Antwort: Wenn es darum geht, bundesweit zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen, kann man nicht vorab in allen 16 Landtagen alle Details festzurren. Aber was den großen Rahmen angeht, braucht es eine Beteiligung der Volksvertreter. Die Rückkoppelung an die Parlamente und damit an den Souverän stiftet ein Mehr an Legitimation. Und die ist umso wichtiger, wenn wir jetzt - dank der bald beginnenden Impfungen - in eine völlig neue Pandemie-Phase und eine neue Ebene der Diskussion eintreten. Bei aller weiterhin gebotenen Vorsicht gilt es, neu zwischen Chancen und Risiken, Grundrechtseinschränkungen und Öffnungen abzuwägen. Als Liberaler plädiere ich selbstverständlich stets für so viel Freiheit wie möglich.
STAMP-Interview: Dann muss umfassend geöffnet werden
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Dr. Joachim Stamp gab der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe) folgendes Interview. Die Fragen stellte Reiner Burger:
Frage: Herr Stamp, in Nordrhein-Westfalen regiert die FDP im derzeit einzigen schwarz-gelben Bündnis. Sie sind stellvertretender Ministerpräsident. In Berlin tritt Ihr Bundesvorsitzender Christian Lindner als scharfer Kritiker des Corona-Kurses auf. Wie lange geht dieser Spagat noch gut?
Antwort: Es ist kein Spagat. Wir sagen nur: Wir hätten einen anderen Weg gewollt. Dennoch war und ist uns in NRW wichtig, dass die Länder einen gemeinsamen Weg beim Kampf gegen die Pandemie beschreiten. Wir dringen jedoch erfolgreich auf Differenzierungen. Wir waren beispielsweise immer der Auffassung: Es ist essentiell, dass an den Schulen so lange wie möglich Präsenzunterricht stattfindet, um Kindern keine Bildungschancen zu nehmen. Schon vor drei Wochen wollten manche in Bund und Ländern wieder einen Komplett-Lockdown inklusive Schulen und Kitas. Vor einer Woche gab es dann das Papier aus dem Kanzleramt ...
Frage: ... gegen das Sie heftig protestierten, weil der Bund in den Beschlussvorschlag eine Halbierung der Klassen geschrieben hatte ...
Antwort: Solche pauschalen Vorgaben sind nicht umsetzbar, allein schon, weil es nicht genügend Lehrer dafür gibt. Zudem geht aus Studien hervor, dass es zwar auch in Schulen Infektionen gibt, sie aber keine Pandemie-Treiber sind.
Frage: Für die Bund-Länder-Runde am Mittwoch zeichnet sich aber ab, dass es zumindest in der Oberstufe doch zu Wechsel- oder Hybridunterricht kommen soll. Muss die FDP die Kröte jetzt schlucken?
Antwort: Pauschal die Klassen zu teilen bleibt eine naive, dysfunktionale Idee. Natürlich wünscht sich die FDP, dass noch viel stärker digitale Elemente genutzt werden. Man kann zudem, je nach Infektionslage, bei älteren Schülern eine Mischung aus Präsenzunterricht und Selbstlernphasen ermöglichen. Wir haben aber im ersten Lockdown im Frühjahr die Erfahrung gemacht, dass viele Kinder und Jugendliche gerade aus bildungsschwachen Familien den Anschluss verloren haben. Mit ihnen arbeiten wir jetzt mühsam daran, dies aufzuholen.
Frage: Schon dem Teil-Lockdown haben Sie und Ihre FDP-Fraktion nur noch mit Bauchschmerzen zugestimmt. Im Landtag sagten Sie, die pauschale Schließung von Gastronomie und Kulturbetrieben sei "nur zu rechtfertigen, wenn es bei der zeitlichen Begrenzung bis zum 30. November bleibt". Nun steht eine Verlängerung an. Verweigert die FDP Ministerpräsident Armin Laschet die Gefolgschaft?
Antwort: Nein. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass wir unserer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden, und wollen pragmatische Lösungen. Und da ist die FDP - siehe etwa beim Thema Schule - eine unverzichtbare Antreiberin. Jetzt brauchen wir einen längerfristigen Plan mit nachvollziehbaren Kriterien sowie eine konkrete Exitstrategie. Es muss für die Bürgerinnen und Bürger klar erkennbar sein, wo die Entwicklung hingeht. Wichtig ist aus Sicht der FDP, dass in der Beschlussvorlage für Mittwoch vorgesehen ist, dass es zu regionalen Differenzierungen kommen kann. Dort, wo die Infektionszahlen deutlich runtergehen, sind Öffnungen möglich. Wir brauchen darüber hinaus weiter massive Unterstützung für Branchen, falls sie nun weiter geschlossen bleiben. Im Zuge der Pandemiebekämpfung dürfen nicht Tausende von Existenzen zerstört werden.
Frage: Exitstrategie - bezieht sich das auch auf Gastronomie und Kultur? Kann es dort im Januar wieder losgehen?
Antwort: Es ist jedenfalls nicht vermittelbar, dass in Kreisen mit einer stark sinkenden Wocheninzidenz weiterhin die Beschränkungen des November-Lockdowns gelten. Viele Experten sagen: Wo Hygienekonzepte konsequent angewendet werden, kommt es nicht zu wesentlichen Infektionsgeschehen. Ganz entscheidend ist die Ertüchtigung der Gesundheitsämter. Überall in Deutschland sind sie personell und digital nicht ausreichend ausgestattet, so dass etwa Schul- oder Kitaleitungen oft gezwungen sind, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie in Quarantäne gehen. Das ist ein Verantwortungsdruck, den diese Einrichtungen nicht leisten können. Die Gesundheitsämter müssen wieder so stabil und entscheidungsfähig werden, dass wir in der Lage sind, mit der Pandemie klarzukommen, bis es zu Impfungen in großem Umfang kommt, also noch monatelang.
Frage: Christian Lindner hat darauf hingewiesen, dass Deutschland auf Dauer nicht in der Lage sein wird, mit Schulden ausgefallene Wertschöpfung zu ersetzen. Deshalb gelte es, eine Möglichkeit der dauerhaften, modifizierten Öffnung der Wirtschaft zu finden. Wie könnte ein Konzept aussehen?
Antwort: Es gibt kein Patentrezept im Umgang mit dieser Krise, aber wir müssen aufzeigen, wie es weitergehen kann. Zum Glück haben wir im Vergleich zur Diskussionslage vor drei oder vier Wochen jetzt eine gute Perspektive, weil uns die Wissenschaft signalisiert, dass es relativ schnell mit den Impfungen losgehen kann. Wenn es gelingt, kurzfristig zumindest die besonders gefährdeten Gruppen in Kliniken und Pflegeheimen und das Personal zu impfen und damit die Stabilität des Gesundheitsbereichs zu sichern, dann haben wir eine andere Souveränität im Umgang mit Corona. Und dann muss umfassend geöffnet werden.
Frage: Sie sagten kürzlich: "Dieses Konstrukt aus Ministerpräsidentenkonferenz und Bundeskanzleramt kann keine Dauerlösung sein." Verfassungsrechtlich hat dieses Format tatsächlich als solches keinerlei Kompetenz. Warum hat die FDP nicht schon viel früher auf eine intensive Parlamentsbeteiligung gedrungen?
Antwort: Das haben wir doch! Und es ist ja jetzt eine viel stärkere Parlamentsbeteiligung erreicht worden. Es ist ein sehr positives Zeichen, dass der nordrhein-westfälische Landtag unmittelbar vor der am Mittwoch terminierten Ministerpräsidentenkonferenz über den Kurs von NRW debattiert. Das geht auch auf die Intervention der FDP zurück.
Frage: Das heißt, der Landtag setzt jetzt Leitplanken, an denen sich Ministerpräsident Laschet in der Runde mit der Kanzlerin dann entlanghangeln muss?
Antwort: Wenn es darum geht, bundesweit zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen, kann man nicht vorab in allen 16 Landtagen alle Details festzurren. Aber was den großen Rahmen angeht, braucht es eine Beteiligung der Volksvertreter. Die Rückkoppelung an die Parlamente und damit an den Souverän stiftet ein Mehr an Legitimation. Und die ist umso wichtiger, wenn wir jetzt - dank der bald beginnenden Impfungen - in eine völlig neue Pandemie-Phase und eine neue Ebene der Diskussion eintreten. Bei aller weiterhin gebotenen Vorsicht gilt es, neu zwischen Chancen und Risiken, Grundrechtseinschränkungen und Öffnungen abzuwägen. Als Liberaler plädiere ich selbstverständlich stets für so viel Freiheit wie möglich.