FDP|
31.05.2020 - 10:00SOLMS-Gastbeitrag: Was aus dem EZB-Urteil folgt
Das FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Hermann Otto Solms schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (heutige Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
In der Politik geht es immer um Macht. Wer Macht hat, versucht diese auszudehnen. Um dem vorzubeugen, verfügt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung über ein feingesponnenes Netz, das die Macht kontrolliert und Machtmissbrauch verhindert.
In der Corona-Krise kann beobachtet werden, wie staatliche Stellen ihre Macht ausdehnen. Sie müssen dies tun, um handlungsfähig zu bleiben und die Auswirkungen der Krise zu begrenzen. Wo aber der Deutsche Bundestag der Regierung in der Corona-Krise zusätzliche Macht zugebilligt hat, ist dies in dem Wissen geschehen, dass dies nur vorübergehend ist. Gleiches muss auch in Europa gelten.
In der Finanzkrise 2008/2009 haben Mario Draghi und die Europäische Zentralbank mit der „whatever it takes“-Politik in einem beispiellosen Parforceritt die Gefahren für den Finanzmarkt bezwungen. Die Niedrigzinspolitik ist weit über die eigentliche Krise hinaus geblieben und wurde um ein Anleihekaufprogramm erweitert. So sollten die vermeintlich drohende Deflation bekämpft und die Wirtschaft angekurbelt werden. Aus Geldpolitik ist Wirtschaftspolitik geworden.
Nach dem Vorbild der Bundesbank ist die Europäische Zentralbank unabhängig. Das galt aber auch immer unter einer Bedingung: Ihre einzige Aufgabe ist die Stabilisierung des Geldwertes in der Eurozone. Darauf hat gerade die FDP immer bestanden. Sie soll mit ihren Instrumenten eben keine Wirtschafts- und Konjunkturpolitik machen und ist kein Instrument der Staatsfinanzierung. Diese Aufgaben bleiben den Nationalstaaten und ihren Parlamenten vorbehalten. Doch genau in diese Bereiche hat die EZB mit dem Anleihekaufprogramm eingegriffen.
Es obläge eigentlich dem Europäischen Gerichtshof, die Europäische Zentralbank auf die Einhaltung ihrer Kernaufgabe der Geldwertstabilisierung zu beschränken. Doch hier hat er seine Aufgabe vernachlässigt. Der EuGH zeigt seit Jahren eine Tendenz, einseitig zum Schutz europäischer Institutionen zu urteilen. Er überwacht nicht verlässlich die Grenzen der Zuständigkeit europäischer Institutionen und die Abgrenzung zu den Zuständigkeiten der Nationalstaaten. So musste das Bundesverfassungsgericht auf Basis des Grundgesetzes einschreiten und erstmals eine Entscheidung abweichend vom EuGH fällen.
In der Frage der Verhältnismäßigkeit des Anleihekaufprogramms ist das Bundesverfassungsgericht zu dem Urteil gekommen, dass die EZB wirtschaftspolitische Nebeneffekte ihrer Geldpolitik nicht beachtet und ihre Markteingriffe nicht ausreichend begründet hat. Zu diesem Urteil kamen übrigens auch das dänische und das tschechische Verfassungsgericht. Die EZB hat mit ihrem Handeln wirtschaftliche Folgen für die Haushalte ihrer Mitgliedstaaten und zahlreiche Wirtschaftssektoren provoziert, die außerhalb ihrer Zuständigkeit liegen. Im Gegensatz zu ihrer Absicht hat sie es den Schuldnerländern mit dem Anleihekaufprogramm erleichtert, ihre Verschuldungspolitik in unangemessener Weise fortzusetzen. Aber auch dem Bundestag und der Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht richtigerweise vorgeworfen, ihrer Subsidiaritätskontrolle nicht ausreichend nachgekommen zu sein. Diese Mahnung an EZB und nationalstaatliche Organe hätte eigentlich durch den EuGH erfolgen müssen.
Doch wie kann in Zukunft sichergestellt werden, dass Kompetenzen und Zuständigkeiten überwacht und eingehalten werden? Zum einen sind die nationalen Parlamente in der Verantwortung, die geforderte Subsidiaritätskontrolle zu leisten. Sie müssen verlässliche Strukturen aufbauen, die die Einhaltung der Kompetenzverteilung und des Subsidiaritätsprinzips überwachen. Nur so kann ein echter Frühwarnmechanismus zur Einhaltung der Kompetenzen entstehen. Auch abseits dieser Strukturen müssen die nationalen Parlamente sich stärker mit den Zielen und Inhalten europäischer Initiativen beschäftigen. Sie müssen ihre Positionen frühzeitig in den europäischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess einbringen.
Auf europäischer Ebene könnte beim EuGH ein zweiter Senat eingerichtet werden. Seine Zuständigkeiten sollten ähnlich gelagert sein wie beim Bundesverfassungsgericht: die Überwachung der Einhaltung der in den europäischen Verträgen festgelegten Zuständigkeiten zwischen den Nationalstaaten auf der einen Seite und der Europäischen Union auf der anderen. Zu deren Einhaltung haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet. Dem Subsidiaritätsprinzip folgend, würde der zweite Senat beurteilen, welche Aufgaben auf europäischer Ebene zu erfüllen sind und an welchen Stellen die Mitgliedstaaten, Regionen oder Kommunen zuständig sind. Ebenso denkbar wäre eine kombinierte Institution aus den Verfassungsgerichten der Nationalstaaten und dem EuGH.
So oder so: Ziel muss es sein, die europäische Rechtsordnung zu stärken und für alle Seiten verlässlicher zu machen. Diese Kontrollmechanismen sind die Basis dafür. Sie stärken die Gewaltenteilung auf europäischer Ebene. Sie schützen vor Machtmissbrauch und nehmen auch die nationalen Parlamente mehr in die Pflicht. Schließlich erwächst durch die sichere Regelung und Überwachung der Zuständigkeiten auch größeres Vertrauen in Europa.
SOLMS-Gastbeitrag: Was aus dem EZB-Urteil folgt
Das FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Hermann Otto Solms schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (heutige Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
In der Politik geht es immer um Macht. Wer Macht hat, versucht diese auszudehnen. Um dem vorzubeugen, verfügt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung über ein feingesponnenes Netz, das die Macht kontrolliert und Machtmissbrauch verhindert.
In der Corona-Krise kann beobachtet werden, wie staatliche Stellen ihre Macht ausdehnen. Sie müssen dies tun, um handlungsfähig zu bleiben und die Auswirkungen der Krise zu begrenzen. Wo aber der Deutsche Bundestag der Regierung in der Corona-Krise zusätzliche Macht zugebilligt hat, ist dies in dem Wissen geschehen, dass dies nur vorübergehend ist. Gleiches muss auch in Europa gelten.
In der Finanzkrise 2008/2009 haben Mario Draghi und die Europäische Zentralbank mit der „whatever it takes“-Politik in einem beispiellosen Parforceritt die Gefahren für den Finanzmarkt bezwungen. Die Niedrigzinspolitik ist weit über die eigentliche Krise hinaus geblieben und wurde um ein Anleihekaufprogramm erweitert. So sollten die vermeintlich drohende Deflation bekämpft und die Wirtschaft angekurbelt werden. Aus Geldpolitik ist Wirtschaftspolitik geworden.
Nach dem Vorbild der Bundesbank ist die Europäische Zentralbank unabhängig. Das galt aber auch immer unter einer Bedingung: Ihre einzige Aufgabe ist die Stabilisierung des Geldwertes in der Eurozone. Darauf hat gerade die FDP immer bestanden. Sie soll mit ihren Instrumenten eben keine Wirtschafts- und Konjunkturpolitik machen und ist kein Instrument der Staatsfinanzierung. Diese Aufgaben bleiben den Nationalstaaten und ihren Parlamenten vorbehalten. Doch genau in diese Bereiche hat die EZB mit dem Anleihekaufprogramm eingegriffen.
Es obläge eigentlich dem Europäischen Gerichtshof, die Europäische Zentralbank auf die Einhaltung ihrer Kernaufgabe der Geldwertstabilisierung zu beschränken. Doch hier hat er seine Aufgabe vernachlässigt. Der EuGH zeigt seit Jahren eine Tendenz, einseitig zum Schutz europäischer Institutionen zu urteilen. Er überwacht nicht verlässlich die Grenzen der Zuständigkeit europäischer Institutionen und die Abgrenzung zu den Zuständigkeiten der Nationalstaaten. So musste das Bundesverfassungsgericht auf Basis des Grundgesetzes einschreiten und erstmals eine Entscheidung abweichend vom EuGH fällen.
In der Frage der Verhältnismäßigkeit des Anleihekaufprogramms ist das Bundesverfassungsgericht zu dem Urteil gekommen, dass die EZB wirtschaftspolitische Nebeneffekte ihrer Geldpolitik nicht beachtet und ihre Markteingriffe nicht ausreichend begründet hat. Zu diesem Urteil kamen übrigens auch das dänische und das tschechische Verfassungsgericht. Die EZB hat mit ihrem Handeln wirtschaftliche Folgen für die Haushalte ihrer Mitgliedstaaten und zahlreiche Wirtschaftssektoren provoziert, die außerhalb ihrer Zuständigkeit liegen. Im Gegensatz zu ihrer Absicht hat sie es den Schuldnerländern mit dem Anleihekaufprogramm erleichtert, ihre Verschuldungspolitik in unangemessener Weise fortzusetzen. Aber auch dem Bundestag und der Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht richtigerweise vorgeworfen, ihrer Subsidiaritätskontrolle nicht ausreichend nachgekommen zu sein. Diese Mahnung an EZB und nationalstaatliche Organe hätte eigentlich durch den EuGH erfolgen müssen.
Doch wie kann in Zukunft sichergestellt werden, dass Kompetenzen und Zuständigkeiten überwacht und eingehalten werden? Zum einen sind die nationalen Parlamente in der Verantwortung, die geforderte Subsidiaritätskontrolle zu leisten. Sie müssen verlässliche Strukturen aufbauen, die die Einhaltung der Kompetenzverteilung und des Subsidiaritätsprinzips überwachen. Nur so kann ein echter Frühwarnmechanismus zur Einhaltung der Kompetenzen entstehen. Auch abseits dieser Strukturen müssen die nationalen Parlamente sich stärker mit den Zielen und Inhalten europäischer Initiativen beschäftigen. Sie müssen ihre Positionen frühzeitig in den europäischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess einbringen.
Auf europäischer Ebene könnte beim EuGH ein zweiter Senat eingerichtet werden. Seine Zuständigkeiten sollten ähnlich gelagert sein wie beim Bundesverfassungsgericht: die Überwachung der Einhaltung der in den europäischen Verträgen festgelegten Zuständigkeiten zwischen den Nationalstaaten auf der einen Seite und der Europäischen Union auf der anderen. Zu deren Einhaltung haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet. Dem Subsidiaritätsprinzip folgend, würde der zweite Senat beurteilen, welche Aufgaben auf europäischer Ebene zu erfüllen sind und an welchen Stellen die Mitgliedstaaten, Regionen oder Kommunen zuständig sind. Ebenso denkbar wäre eine kombinierte Institution aus den Verfassungsgerichten der Nationalstaaten und dem EuGH.
So oder so: Ziel muss es sein, die europäische Rechtsordnung zu stärken und für alle Seiten verlässlicher zu machen. Diese Kontrollmechanismen sind die Basis dafür. Sie stärken die Gewaltenteilung auf europäischer Ebene. Sie schützen vor Machtmissbrauch und nehmen auch die nationalen Parlamente mehr in die Pflicht. Schließlich erwächst durch die sichere Regelung und Überwachung der Zuständigkeiten auch größeres Vertrauen in Europa.