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29.01.2020 - 09:30LINDNER-Gastbeitrag: Eine Antwort an Richard Herzinger
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner schrieb für die „Welt“ heute den folgenden Gastbeitrag:
Weltweit sehen wir Tendenzen zu autoritärer Politik. Ein neuer Kollektivismus macht das Individuum klein – er ist völkisch geprägt, aber es gibt in auch als öko-egalitäre Spielart. Rechtspopulisten schüren Ressentiments. Linke Klimaaktivisten wollen das „gewinnbasierte Wirtschaften“, also Privateigentum und Marktwirtschaft, abschaffen. Manche von ihnen wollen Rechtsstaat und Demokratie gleich ganz durch per Los zufällig bestimme Öko-Räte ersetzen.
Richard Herzinger hat am vergangenen Samstag an liberales Selbstbewusstsein und Abwehrbereitschaft appelliert („Die wahre Kraft des Liberalen“, WELT vom 25. Januar). Tatsächlich ist die bürgerliche Mitte Deutschlands bisweilen indifferent. Bei Eingriffen in die Eigentumsfreiheit wie beim Mietendeckel oder bei Eingriffen in die Privatsphäre vorgeblich zur Kriminalitätsbekämpfung gibt es bisweilen ein Nicken auch in der Mitte der Gesellschaft. Für Liberale ist das ein Auftrag. Individuelle Freiheit und Verantwortung, Weltoffenheit und Toleranz, Vernunft und Verhältnismäßigkeit brauchen einen Anwalt.
In zwei Hinsichten muss man Richard Herzinger widersprechen. Zum einen hakt er die von Menschen gefühlte Einschränkung der Meinungspluralität ab. Es warnt davor, „offenkundig absurden“ Positionen die gleiche Aufmerksamkeit entgegen zu bringen wie „rational fundierten“. Wer entscheidet aber, was abwegig ist? Ich habe vielmehr den Eindruck, dass bestimmte technische Fragen in unserem Land emotional entschieden werden – und wer widerspricht, der wird als Stimme im Diskurs marginalisiert. Beispiele finden sich in der Energie- und Klimapolitik.
Zum zweiten wirft Herzinger der FDP vor, keine „Empathie“ für Entrechtete in anderen Teilen der Welt zu haben. Er macht es allein an meinem im Sommer 2017 geäußerten Vorschlag fest, trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim die Suche nach Entspannung mit Russland nicht einzustellen. Seitdem ist viel passiert. Der Autor fragt nicht, wie die heutige Position ist.
Nach der Bundestagswahl 2017 hat die FDP im Deutschen Bundestag jedenfalls bewusst den Vorsitz des Finanzausschusses als auch den Vorsitz des Menschenrechtsausschusses angestrebt – weil wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit für uns untrennbar sind. 2019 ist eine Delegation der FDP-Fraktion unter meiner Führung zuerst nach Hongkong gereist, um dort Flagge für liberale Werte zu zeigen und mit der Opposition zu sprechen. Bei der Führung in Peking wurde dieses Signal gerade nicht als Zeichen eines schwach auftretenden Liberalismus verstanden. Vertreter der Kommunistischen Partei warfen uns stattdessen lautstark vor, wir würden die Einheit Chinas untergraben. Das Gespräch endete schließlich ohne Handschlag und andere diplomatische Rituale.
Herr Herzinger behauptet, mir persönlich sei es wichtiger, in der Krim-Frage mit der russischen Führung ins Gespräch zu kommen, statt Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Tatsächlich war ich in der vergangenen Woche mit einer Delegation in Kiew und erst danach in Moskau. Die Reiseroute war bereits eine politische Botschaft. Genau in den Stunden, als derAutor seine Unterstellungen aufgeschrieben hat, haben wir mit der liberalen Opposition in Moskau gesprochen. Wir besuchten die NGO Memorial, die an Gewaltherrschaft erinnert, und haben Blumen an der inoffiziellen Gedenkstätte für den ermordeten Oppositionspolitiker Boris Nemzov niedergelegt.
Dass die Annexion der Krim völkerrechtswidrig ist, machten wir deutlich. Völlig zurecht gibt es deshalb Sanktionen. „Liberal“ allerdings wäre es nicht, sich deshalb jedem Versuch zu verweigern, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein Vorbild kann der Helsinki-Prozess sein, den mit Hans-Dietrich Genscher ein liberaler Außenminister maßgeblich mitgestaltete. Mit einer unkritischen Sicht auf autoritäre Regime hat ein solcher Ansatz nichts zu tun. Es ist vielmehr ein Vorgehen, das moralische Kriterien mit rationalem Handeln und einem nüchternen Abwägen von Fakten verknüpft - genau das, was Richard Herzinger als die „wahre Kraft des Liberalen“ bezeichnet. So „schwächlich und ausgelaugt“, wie er meint, ist der Liberalismus wohl nur für den, der seine eigene Optik verengt.
LINDNER-Gastbeitrag: Eine Antwort an Richard Herzinger
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner schrieb für die „Welt“ heute den folgenden Gastbeitrag:
Weltweit sehen wir Tendenzen zu autoritärer Politik. Ein neuer Kollektivismus macht das Individuum klein – er ist völkisch geprägt, aber es gibt in auch als öko-egalitäre Spielart. Rechtspopulisten schüren Ressentiments. Linke Klimaaktivisten wollen das „gewinnbasierte Wirtschaften“, also Privateigentum und Marktwirtschaft, abschaffen. Manche von ihnen wollen Rechtsstaat und Demokratie gleich ganz durch per Los zufällig bestimme Öko-Räte ersetzen.
Richard Herzinger hat am vergangenen Samstag an liberales Selbstbewusstsein und Abwehrbereitschaft appelliert („Die wahre Kraft des Liberalen“, WELT vom 25. Januar). Tatsächlich ist die bürgerliche Mitte Deutschlands bisweilen indifferent. Bei Eingriffen in die Eigentumsfreiheit wie beim Mietendeckel oder bei Eingriffen in die Privatsphäre vorgeblich zur Kriminalitätsbekämpfung gibt es bisweilen ein Nicken auch in der Mitte der Gesellschaft. Für Liberale ist das ein Auftrag. Individuelle Freiheit und Verantwortung, Weltoffenheit und Toleranz, Vernunft und Verhältnismäßigkeit brauchen einen Anwalt.
In zwei Hinsichten muss man Richard Herzinger widersprechen. Zum einen hakt er die von Menschen gefühlte Einschränkung der Meinungspluralität ab. Es warnt davor, „offenkundig absurden“ Positionen die gleiche Aufmerksamkeit entgegen zu bringen wie „rational fundierten“. Wer entscheidet aber, was abwegig ist? Ich habe vielmehr den Eindruck, dass bestimmte technische Fragen in unserem Land emotional entschieden werden – und wer widerspricht, der wird als Stimme im Diskurs marginalisiert. Beispiele finden sich in der Energie- und Klimapolitik.
Zum zweiten wirft Herzinger der FDP vor, keine „Empathie“ für Entrechtete in anderen Teilen der Welt zu haben. Er macht es allein an meinem im Sommer 2017 geäußerten Vorschlag fest, trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim die Suche nach Entspannung mit Russland nicht einzustellen. Seitdem ist viel passiert. Der Autor fragt nicht, wie die heutige Position ist.
Nach der Bundestagswahl 2017 hat die FDP im Deutschen Bundestag jedenfalls bewusst den Vorsitz des Finanzausschusses als auch den Vorsitz des Menschenrechtsausschusses angestrebt – weil wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit für uns untrennbar sind. 2019 ist eine Delegation der FDP-Fraktion unter meiner Führung zuerst nach Hongkong gereist, um dort Flagge für liberale Werte zu zeigen und mit der Opposition zu sprechen. Bei der Führung in Peking wurde dieses Signal gerade nicht als Zeichen eines schwach auftretenden Liberalismus verstanden. Vertreter der Kommunistischen Partei warfen uns stattdessen lautstark vor, wir würden die Einheit Chinas untergraben. Das Gespräch endete schließlich ohne Handschlag und andere diplomatische Rituale.
Herr Herzinger behauptet, mir persönlich sei es wichtiger, in der Krim-Frage mit der russischen Führung ins Gespräch zu kommen, statt Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Tatsächlich war ich in der vergangenen Woche mit einer Delegation in Kiew und erst danach in Moskau. Die Reiseroute war bereits eine politische Botschaft. Genau in den Stunden, als derAutor seine Unterstellungen aufgeschrieben hat, haben wir mit der liberalen Opposition in Moskau gesprochen. Wir besuchten die NGO Memorial, die an Gewaltherrschaft erinnert, und haben Blumen an der inoffiziellen Gedenkstätte für den ermordeten Oppositionspolitiker Boris Nemzov niedergelegt.
Dass die Annexion der Krim völkerrechtswidrig ist, machten wir deutlich. Völlig zurecht gibt es deshalb Sanktionen. „Liberal“ allerdings wäre es nicht, sich deshalb jedem Versuch zu verweigern, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein Vorbild kann der Helsinki-Prozess sein, den mit Hans-Dietrich Genscher ein liberaler Außenminister maßgeblich mitgestaltete. Mit einer unkritischen Sicht auf autoritäre Regime hat ein solcher Ansatz nichts zu tun. Es ist vielmehr ein Vorgehen, das moralische Kriterien mit rationalem Handeln und einem nüchternen Abwägen von Fakten verknüpft - genau das, was Richard Herzinger als die „wahre Kraft des Liberalen“ bezeichnet. So „schwächlich und ausgelaugt“, wie er meint, ist der Liberalismus wohl nur für den, der seine eigene Optik verengt.