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14.01.2020 - 10:45KUBICKI-Interview: Die Gesellschaft hat sich angewöhnt, immer nach dem Staat zu rufen, wenn etwas schief geht
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Neuen Westfälischen“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Gunter Held.
Frage: Herr Kubicki, Mallorca oder Dreikönigstreffen – haben Sie sich gut erholt für die anstehenden Wahlkämpfe?
Kubicki: Ja, selbstverständlich. Es war auch nie geplant, dass ich zum Dreikönigstreffen fahre. In 50 Jahren FDP-Mitgliedschaft war ich sechsmal in Stuttgart. Und es war auch wichtiger, mich mal zu erholen und 14 Tage mit meiner Frau zu verbringen, denn ich bin viel unterwegs für die Partei und das Amt des Bundestagsvizepräsidenten. Da ist es ganz gut, wenn man auch mal eine längere Zeit zusammen verbringen kann.
Frage: Haben Sie sich über das mediale Echo gewundert?
Kubicki: Früher war es wichtig mitzuteilen, wer dort ist. Dieses Mal war es offensichtlich wichtig mitzuteilen, wer nicht da ist. Ich fand es spannend, dass daraus eine so große Berichterstattung geworden ist. Das widerlegt aber auch die These, dass die FDP eine One-man-Show sei. Denn wenn das so wäre, müsste man nicht die Frage stellen: Warum war Kubicki nicht da?
Frage: Soziale Medien – Fluch oder Segen?
Kubicki: Beides. Ein Segen deshalb, weil man darüber sehr schnell und gut kommunizieren kann. Das war früher relativ schwierig. Ein Fluch deshalb, weil offensichtlich eine Menge Menschen glauben, dass sie in sozialen Medien ohne jede Hemmung und Begrenzung einfach mal das raushauen können, was ihnen so auf der Seele liegt. Und sie glauben wohl auch, sie dürften Beleidigungen und Verleumdungen streuen, ohne dafür belangt zu werden.
Frage: Ist da eine wie auch immer geartete Kontrolle notwendig?
Kubicki: Ja, und die wird auch schon ausgeübt. Das Bundeskriminalamt baut gerade eine eigene Abteilung mit mehreren hundert Mitarbeitern auf, um Hasskriminalität im Netz zu bekämpfen. Das wird wirken wie bei allen neuen Geschichten. Es braucht ein bisschen Zeit, bis man ordentlich reagieren kann. Ich mache mir aber keine Sorgen darum, dass wir das nicht in den Griff bekommen.
Frage: Wo endet für Sie die Meinungsfreiheit?
Kubicki: Sie endet dort, wo man Strafgesetze verletzt. Ansonsten ist sie ein konstitutiver Pfeiler unserer Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht erklärt, Meinungsfreiheit ist nahezu grenzenlos bis zur Verletzung von Strafgesetzen. Auch wenn mir eine Meinung nicht gefällt – und außer meiner eigenen gefallen mir viele Meinungen nicht – muss ich sie akzeptieren, selbst wenn ich sie eklig finde.
Frage: Welche Aufgaben hat der Journalismus in einer Zeit, in der sich mehr und mehr Menschen nur noch in ihrer eigenen Wolke bewegen?
Kubicki: Der Qualitätsjournalismus hat eine große Aufgabe, nicht nur die der Vermittlung. Ich habe manchmal das Gefühl, dass einige Journalisten glauben, Haltung ersetze Argumentation und ordentliche Berichterstattung und eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Thema. Wir brauchen sowohl öffentlich-rechtliche wie auch private Medien, weil das ein sinnvoller Filter ist, Dinge auch in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Allerdings erlebe ich, dass der Druck, auch der Zeitdruck immer stärker zunimmt und dass die Redaktionen ausgedünnt werden, mit der Folge, dass ein gewisses Maß an Qualität auf der Strecke bleibt. Wir müssen dem entgegensteuern, wenn wir verhindern wollen, dass Menschen sich nur noch in der eigenen kleinen sozialen Blase bewegen.
Frage: Wie sollten die demokratischen Parteien der AfD begegnen?
Kubicki: Mit einem gewissen Maß an Souveränität und Gelassenheit. Selbst wenn wir 15 Prozent AfD haben, geht davon die Demokratie nicht unter. Ich plädiere dafür, sich argumentativ auseinanderzusetzen und nicht von vornherein zu sagen: Alles was von der AfD kommt, ist deshalb schlecht, weil es von der AfD kommt. Ich komme aus Schleswig-Holstein. Da hat die AfD knapp 6 Prozent. Mehr erreichen die da auch nicht, weil wir uns mit denen inhaltlich auseinandersetzen und dokumentieren, dass nach den ersten Pöbeleien nichts weiter kommt. Wenn man einige Positionen kritisch hinterfragt, stellte man fest: Ende. Rentenkonzepte der AfD – bis heute Null. Frage des Auslandseinsatzes der Bundeswehr – bei der AfD bis heute Null. Innere Sicherheit bei der AfD – bis heute Null, außer: mehr Polizei und Ausländer raus. Das ist es ja nicht. Es fehlt an Konzepten, und es ist das Prinzip der AfD durch Provokation uns dazu zu bringen, uns mit ihnen nicht mehr inhaltlich auseinanderzusetzen, sondern darauf unangemessen zu reagieren.
Frage: Warum gelingt es der FDP nicht, eine große Volkspartei zu werden?
Kubicki (lacht): Ja, diese Frage stelle ich mir auch seit 50 Jahren. Die FDP hat immer noch ein vergleichsweise stereotypes Image, gilt immer noch als Partei der Reichen, der Menschen, die sich nur um ihre Klientel kümmern, was definitiv falsch ist. Wir sind vielmehr die Partei, die Menschen ansprechen will, die es noch zu etwas bringen wollen, die den Leistungsgedanken im Kopf haben. Aber wir sind auch eine Partei der Eigenverantwortung. Die Gesellschaft hat es sich angewöhnt, immer nach dem Staat zu rufen, wenn irgendetwas schief geht. Mir würde es schon reichen, wenn wir das Potential, das wir jetzt haben, ausschöpfen können. Ich bin sicher, dass wir es schaffen können, in diesem Jahr überall über 10 Prozent zu liegen.
Frage: Ziel ist, stärker zu werden als die SPD?
Kubicki: Das wäre mein Lebenstraum. Das passiert wohl schneller, als ich dachte: Die SPD arbeitet massiv daran, einstellig zu werden.
Frage: Sie sind lange im politischen Geschäft und daher sehr erfahren, wenn es um Debattenkultur geht. Bemerken Sie eine Verrohung der Sprache?
Kubicki: Jein. Zunächst: Immer wenn es mir langweilig wird, wenn ich die abgelesenen Reden im Deutschen Bundestag hören muss, höre ich mir zu Hause anschließend Reden aus den Jahren 1969 bis 1971 an. Herbert Wehner, Franz Josef Strauß – da ging es mächtig zur Sache. Vor Kurzem habe ich wieder einen Satz von Herbert Wehner gehört, in dem er den Abgeordneten Wohlrabe als „Übelkrähe“ bezeichnete. Ich müsste heute bei nahezu jedem zweiten Satz einen Ordnungsruf erteilen. Ich glaube, wir müssen uns angewöhnen, wieder härter und pointierter zu argumentieren. Aber immer so, dass deutlich wird, dass ich den Menschen gegenüber nicht als Person diskreditiere, sondern seine Meinung für falsch halte. Wir müssen aber auch aufpassen, dass mit bestimmten Begrifflichkeiten nicht der Versuch unternommen wird, die Grenzen zu verschieben. Das ist es, was die AfD im Deutschen Bundestag macht. Sie weiß, was es im Bundestag bedeutet, wenn man bestimmte Begriffe gebraucht. Und da muss man die Provokation – denn eine solche ist es – auch zurückweisen.
Frage: Sind Begriffe wie Negerkuss und Zigeunerschnitzel noch erlaubt?
Kubicki: Selbstverständlich darf man das sagen. Ich bin mit diesen Begriffen großgeworden und ich habe nie daran gedacht, dass ich damit Menschen diskreditieren könnte. Und ich habe amerikanische Freunde, People of Colour, die den Begriff auch gebrauchen, weil sie den so toll finden. Mit Schaumkuss können die gar nichts anfangen. Und ich kenne keinen Sinti oder Roma, der sich durch den Begriff Zigeunerschnitzel beleidigt fühlt. Ich glaube, wir führen da Scheindebatten. Ich mache Rassismus durch Haltung wahr, weniger durch Begriffe. Man kann auch mit schönen Worten jemanden beleidigen.
Frage: Es gibt Bayernwitze, es gibt Ostfriesenwitze – wie ist es mit Judenwitzen?
Kubicki: Das ist nicht ganz so einfach. Ich bin mit einigen Menschen jüdischen Glaubens befreundet. Die dürfen Judenwitze machen. Wir müssen damit sorgfältig umgehen, weil wir mit unserer Geschichte eine besondere Verantwortung haben. Niemand von uns ist persönlich verantwortlich dafür, was während der Nazidiktatur geschehen ist. Aber für uns resultiert daraus eine besondere Verantwortung im Umgang mit Menschen, deren Familien verfolgt und ermordet worden sind.
Frage: Sie sind bekannt als jemand, der ein offenes Wort führt und sich auch nicht scheut anzuecken oder zu provozieren. Waren Sie eigentlich schon immer so oder haben Sie beim Durchlaufen der Partei-Tretmühle schon mal den Mund gehalten, obwohl es Ihnen gegen den Strich ging?
Kubicki: Es fällt mir schwer, den Mund zu halten. Ich finde es auch ziemlich komisch, wenn man sagt: Teamplayer ist der, der seinen Mund hält. Ich glaube, ein Teamplayer ist der, der seiner Partei sagt: Leute, ihr müsst mal aus dem Kreuz kommen, damit wir die Wahl gewinnen können.
Frage: Sie sind selbst schon Opfer einer Intrige gewesen. Hat sich dadurch ihr Blick auf die Menschen verändert?
Kubicki: Zunächst hat es mir gezeigt, dass meine Selbsteinschätzung – ich werde mit allem alleine fertig – in manchen Situationen nicht stimmte. Sie brauchen dabei wahre Freunde, die Ihnen zur Seite stehen. Niemand kann eine Intrige allein bewältigen. Mir ist nach dem Tod von Jürgen Möllemann klargeworden, dass nichts es rechtfertigt, jemanden so in die Enge zu treiben, dass er glaubt, er muss seinem Leben ein Ende setzen. Das hat mein Verhältnis zu denen, die ich vorher immer sehr polemisch angegriffen habe, verändert. Immer, wenn es an die Grenzen geht, bin ich einer derjenigen, die sich zurückhalten.
KUBICKI-Interview: Die Gesellschaft hat sich angewöhnt, immer nach dem Staat zu rufen, wenn etwas schief geht
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Neuen Westfälischen“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Gunter Held.
Frage: Herr Kubicki, Mallorca oder Dreikönigstreffen – haben Sie sich gut erholt für die anstehenden Wahlkämpfe?
Kubicki: Ja, selbstverständlich. Es war auch nie geplant, dass ich zum Dreikönigstreffen fahre. In 50 Jahren FDP-Mitgliedschaft war ich sechsmal in Stuttgart. Und es war auch wichtiger, mich mal zu erholen und 14 Tage mit meiner Frau zu verbringen, denn ich bin viel unterwegs für die Partei und das Amt des Bundestagsvizepräsidenten. Da ist es ganz gut, wenn man auch mal eine längere Zeit zusammen verbringen kann.
Frage: Haben Sie sich über das mediale Echo gewundert?
Kubicki: Früher war es wichtig mitzuteilen, wer dort ist. Dieses Mal war es offensichtlich wichtig mitzuteilen, wer nicht da ist. Ich fand es spannend, dass daraus eine so große Berichterstattung geworden ist. Das widerlegt aber auch die These, dass die FDP eine One-man-Show sei. Denn wenn das so wäre, müsste man nicht die Frage stellen: Warum war Kubicki nicht da?
Frage: Soziale Medien – Fluch oder Segen?
Kubicki: Beides. Ein Segen deshalb, weil man darüber sehr schnell und gut kommunizieren kann. Das war früher relativ schwierig. Ein Fluch deshalb, weil offensichtlich eine Menge Menschen glauben, dass sie in sozialen Medien ohne jede Hemmung und Begrenzung einfach mal das raushauen können, was ihnen so auf der Seele liegt. Und sie glauben wohl auch, sie dürften Beleidigungen und Verleumdungen streuen, ohne dafür belangt zu werden.
Frage: Ist da eine wie auch immer geartete Kontrolle notwendig?
Kubicki: Ja, und die wird auch schon ausgeübt. Das Bundeskriminalamt baut gerade eine eigene Abteilung mit mehreren hundert Mitarbeitern auf, um Hasskriminalität im Netz zu bekämpfen. Das wird wirken wie bei allen neuen Geschichten. Es braucht ein bisschen Zeit, bis man ordentlich reagieren kann. Ich mache mir aber keine Sorgen darum, dass wir das nicht in den Griff bekommen.
Frage: Wo endet für Sie die Meinungsfreiheit?
Kubicki: Sie endet dort, wo man Strafgesetze verletzt. Ansonsten ist sie ein konstitutiver Pfeiler unserer Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht erklärt, Meinungsfreiheit ist nahezu grenzenlos bis zur Verletzung von Strafgesetzen. Auch wenn mir eine Meinung nicht gefällt – und außer meiner eigenen gefallen mir viele Meinungen nicht – muss ich sie akzeptieren, selbst wenn ich sie eklig finde.
Frage: Welche Aufgaben hat der Journalismus in einer Zeit, in der sich mehr und mehr Menschen nur noch in ihrer eigenen Wolke bewegen?
Kubicki: Der Qualitätsjournalismus hat eine große Aufgabe, nicht nur die der Vermittlung. Ich habe manchmal das Gefühl, dass einige Journalisten glauben, Haltung ersetze Argumentation und ordentliche Berichterstattung und eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Thema. Wir brauchen sowohl öffentlich-rechtliche wie auch private Medien, weil das ein sinnvoller Filter ist, Dinge auch in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Allerdings erlebe ich, dass der Druck, auch der Zeitdruck immer stärker zunimmt und dass die Redaktionen ausgedünnt werden, mit der Folge, dass ein gewisses Maß an Qualität auf der Strecke bleibt. Wir müssen dem entgegensteuern, wenn wir verhindern wollen, dass Menschen sich nur noch in der eigenen kleinen sozialen Blase bewegen.
Frage: Wie sollten die demokratischen Parteien der AfD begegnen?
Kubicki: Mit einem gewissen Maß an Souveränität und Gelassenheit. Selbst wenn wir 15 Prozent AfD haben, geht davon die Demokratie nicht unter. Ich plädiere dafür, sich argumentativ auseinanderzusetzen und nicht von vornherein zu sagen: Alles was von der AfD kommt, ist deshalb schlecht, weil es von der AfD kommt. Ich komme aus Schleswig-Holstein. Da hat die AfD knapp 6 Prozent. Mehr erreichen die da auch nicht, weil wir uns mit denen inhaltlich auseinandersetzen und dokumentieren, dass nach den ersten Pöbeleien nichts weiter kommt. Wenn man einige Positionen kritisch hinterfragt, stellte man fest: Ende. Rentenkonzepte der AfD – bis heute Null. Frage des Auslandseinsatzes der Bundeswehr – bei der AfD bis heute Null. Innere Sicherheit bei der AfD – bis heute Null, außer: mehr Polizei und Ausländer raus. Das ist es ja nicht. Es fehlt an Konzepten, und es ist das Prinzip der AfD durch Provokation uns dazu zu bringen, uns mit ihnen nicht mehr inhaltlich auseinanderzusetzen, sondern darauf unangemessen zu reagieren.
Frage: Warum gelingt es der FDP nicht, eine große Volkspartei zu werden?
Kubicki (lacht): Ja, diese Frage stelle ich mir auch seit 50 Jahren. Die FDP hat immer noch ein vergleichsweise stereotypes Image, gilt immer noch als Partei der Reichen, der Menschen, die sich nur um ihre Klientel kümmern, was definitiv falsch ist. Wir sind vielmehr die Partei, die Menschen ansprechen will, die es noch zu etwas bringen wollen, die den Leistungsgedanken im Kopf haben. Aber wir sind auch eine Partei der Eigenverantwortung. Die Gesellschaft hat es sich angewöhnt, immer nach dem Staat zu rufen, wenn irgendetwas schief geht. Mir würde es schon reichen, wenn wir das Potential, das wir jetzt haben, ausschöpfen können. Ich bin sicher, dass wir es schaffen können, in diesem Jahr überall über 10 Prozent zu liegen.
Frage: Ziel ist, stärker zu werden als die SPD?
Kubicki: Das wäre mein Lebenstraum. Das passiert wohl schneller, als ich dachte: Die SPD arbeitet massiv daran, einstellig zu werden.
Frage: Sie sind lange im politischen Geschäft und daher sehr erfahren, wenn es um Debattenkultur geht. Bemerken Sie eine Verrohung der Sprache?
Kubicki: Jein. Zunächst: Immer wenn es mir langweilig wird, wenn ich die abgelesenen Reden im Deutschen Bundestag hören muss, höre ich mir zu Hause anschließend Reden aus den Jahren 1969 bis 1971 an. Herbert Wehner, Franz Josef Strauß – da ging es mächtig zur Sache. Vor Kurzem habe ich wieder einen Satz von Herbert Wehner gehört, in dem er den Abgeordneten Wohlrabe als „Übelkrähe“ bezeichnete. Ich müsste heute bei nahezu jedem zweiten Satz einen Ordnungsruf erteilen. Ich glaube, wir müssen uns angewöhnen, wieder härter und pointierter zu argumentieren. Aber immer so, dass deutlich wird, dass ich den Menschen gegenüber nicht als Person diskreditiere, sondern seine Meinung für falsch halte. Wir müssen aber auch aufpassen, dass mit bestimmten Begrifflichkeiten nicht der Versuch unternommen wird, die Grenzen zu verschieben. Das ist es, was die AfD im Deutschen Bundestag macht. Sie weiß, was es im Bundestag bedeutet, wenn man bestimmte Begriffe gebraucht. Und da muss man die Provokation – denn eine solche ist es – auch zurückweisen.
Frage: Sind Begriffe wie Negerkuss und Zigeunerschnitzel noch erlaubt?
Kubicki: Selbstverständlich darf man das sagen. Ich bin mit diesen Begriffen großgeworden und ich habe nie daran gedacht, dass ich damit Menschen diskreditieren könnte. Und ich habe amerikanische Freunde, People of Colour, die den Begriff auch gebrauchen, weil sie den so toll finden. Mit Schaumkuss können die gar nichts anfangen. Und ich kenne keinen Sinti oder Roma, der sich durch den Begriff Zigeunerschnitzel beleidigt fühlt. Ich glaube, wir führen da Scheindebatten. Ich mache Rassismus durch Haltung wahr, weniger durch Begriffe. Man kann auch mit schönen Worten jemanden beleidigen.
Frage: Es gibt Bayernwitze, es gibt Ostfriesenwitze – wie ist es mit Judenwitzen?
Kubicki: Das ist nicht ganz so einfach. Ich bin mit einigen Menschen jüdischen Glaubens befreundet. Die dürfen Judenwitze machen. Wir müssen damit sorgfältig umgehen, weil wir mit unserer Geschichte eine besondere Verantwortung haben. Niemand von uns ist persönlich verantwortlich dafür, was während der Nazidiktatur geschehen ist. Aber für uns resultiert daraus eine besondere Verantwortung im Umgang mit Menschen, deren Familien verfolgt und ermordet worden sind.
Frage: Sie sind bekannt als jemand, der ein offenes Wort führt und sich auch nicht scheut anzuecken oder zu provozieren. Waren Sie eigentlich schon immer so oder haben Sie beim Durchlaufen der Partei-Tretmühle schon mal den Mund gehalten, obwohl es Ihnen gegen den Strich ging?
Kubicki: Es fällt mir schwer, den Mund zu halten. Ich finde es auch ziemlich komisch, wenn man sagt: Teamplayer ist der, der seinen Mund hält. Ich glaube, ein Teamplayer ist der, der seiner Partei sagt: Leute, ihr müsst mal aus dem Kreuz kommen, damit wir die Wahl gewinnen können.
Frage: Sie sind selbst schon Opfer einer Intrige gewesen. Hat sich dadurch ihr Blick auf die Menschen verändert?
Kubicki: Zunächst hat es mir gezeigt, dass meine Selbsteinschätzung – ich werde mit allem alleine fertig – in manchen Situationen nicht stimmte. Sie brauchen dabei wahre Freunde, die Ihnen zur Seite stehen. Niemand kann eine Intrige allein bewältigen. Mir ist nach dem Tod von Jürgen Möllemann klargeworden, dass nichts es rechtfertigt, jemanden so in die Enge zu treiben, dass er glaubt, er muss seinem Leben ein Ende setzen. Das hat mein Verhältnis zu denen, die ich vorher immer sehr polemisch angegriffen habe, verändert. Immer, wenn es an die Grenzen geht, bin ich einer derjenigen, die sich zurückhalten.