FDP|
23.08.2005 - 02:00WESTERWELLE-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Stuttgarter Zeitung" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte BÄRBEL KRAUSS:
Frage: Herr Westerwelle, Sie starten jetzt Ihre Wahlkampftour. Warum so spät - die Konkurrenz ist längst unterwegs?
WESTERWELLE: Jetzt beginnt die heiße Phase. Ich habe bereits zahlreiche Wahlkampfveranstaltungen hinter mir, war nicht im Urlaub. Die letzten vier Wochen sind ausreichend und angemessen, um den eigentlichen Wahlkampf erfolgreich zu führen.
Frage: Bisher hat die FDP hauptsächlich Wahlkampf gegen die Union geführt. Warum werben Sie nicht stärker um Wechselwähler von den Grünen?
WESTERWELLE: Die FDP vertritt ihr eigenes Programm. Wir sind davon überzeugt, daß Steuersenkungspolitik das beste Beschäftigungsprogramm ist - das vertreten wir unbeirrt. Da mögen andere ihre Positionen verändern, wir bleiben bei unserem Kurs. Wir sind der Überzeugung, daß Deutschland ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem braucht. Warum sollten wir verschweigen, daß wir in Professor Kirchhof einen hervorragenden Verbündeten im Geiste sehen?
Frage: Aber es gibt ja durchaus auch eine Schnittmenge mit den Grünen. Lohnt es sich nicht, dort zu wildern? Wo ist mehr zu holen: bei bürgerlichen Grünen oder am liberalen Rand der Union?
WESTERWELLE: Gerade weil wir für eine wirtschaftliche Erneuerung stehen, für einen großen Wurf, gehen wir unseren Weg. Der ist außerordentlich attraktiv auch für viele, die beim letzten Mal SPD oder Grüne gewählt haben - oder 2002 vielleicht gar nicht zur Wahl gegangen sind. Die Menschen sehen ja, daß sie bei der letzten Wahl von Rot-Grün hinter die Fichte geführt worden sind. Das läßt sich die Mehrheit kein zweites Mal bieten.
Frage: Welche Schlüsse haben Sie aus den Erfahrungen im Wahlkampf 2002 gezogen?
WESTERWELLE: Wir vertreten im Wahlkampf die ernsten Ziele der FDP. Man kann die Menschen aber nur mit einer ordentlichen Portion Optimismus und Fröhlichkeit gewinnen, nicht mit sauertöpfischem Gebaren. Viele in Deutschland verwechseln Seriosität mit getragener Langeweile. Für manchen Kommentator sind Politiker ja schon unseriös, wenn sie sich trauen, im Fernsehen tatsächlich zu lachen.
Frage: Stichwort Optimismus: das Projekt 18 ist in der Versenkung verschwunden, inzwischen müßten Sie froh sein, wenn die FDP bei dieser Wahl auf neun Prozent kommt. Wo liegt Ihr persönliches Wahlziel?
WESTERWELLE: Mein Wahlziel heißt Schwarz-Gelb statt Rot-Grün. Vor allem wollen wir eine linke Mehrheit im deutschen Bundestag verhindern.
Frage: Für Ihre Partei haben Sie kein Ziel?
WESTERWELLE: Ich habe Ihnen gerade ein großes Ziel genannt, nämlich die letzte rot-grüne Regierung, die es überhaupt noch gibt, abzulösen und zu verhindern, daß eine linke Mehrheit im Parlament zu Stande kommt. Daß ich dabei auf eine möglichst starke FDP setze, ist klar. Der Zulauf, den wir im Augenblick haben, bietet ja auch Anlaß für Optimismus. Die Chancen für Schwarz-Gelb sind sehr gut, aber gelaufen ist das Rennen noch nicht.
Frage: 2002 waren Sie Kanzlerkandidat, heute sind Sie Spitzenkandidat, damals stand Möllemann an Ihrer Seite, heute ein ganzes Team, damals hatten Sie die 18 auf der Schuhsohle, heute nichts mehr - Sie treten mit einem völlig neuen Konzept an?
WESTERWELLE: Unter meinen Schuhen steht nur noch: 42,5. Die Lage ist bei jeder Bundestagswahl anders. Beim letzten Mal kam die Union aus einer ihrer schwersten Krisen, der Spendenaffäre. Die SPD sprach damals noch von wirtschaftlicher Erneuerung bis hin zu Steuersenkungen, dementsprechend sind wir ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gegangen. Diesmal ist klar, daß die Zeit von Rot-Grün auf keinen Fall verlängert werden darf. Deshalb gibt es auch keine Bereitschaft von Seiten der FDP, uns an absurden Debatten über eine Ampelkoalition auch nur theoretisch zu beteiligen. Wir wollen, daß Angela Merkel die nächste Kanzlerin wird, unterstützt von einer starken FDP.
Frage: Fürchten Sie die Fünfprozenthürde?
WESTERWELLE: Eigentlich fragen mich die meisten, warum wir noch nicht bei zehn Prozent liegen.
Frage:
warum liegen Sie in den Umfragen nicht bei zehn Prozent?
WESTERWELLE: Was nicht ist, kann ja noch werden.
Frage: Sie streben ein zweistelliges Ergebnis an?
WESTERWELLE: Mein Optimismus ist groß. Natürlich habe ich unverändert ehrgeizige Ziele. Da wir mit einer Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen, haben wir im Vergleich mit 2002 eine völlig veränderte Ausgangslage. Tatsache ist: die Menschen wollen sich definitiv von Rot-Grün verabschieden. Schröder und Fischer befinden sich auf einer Abschiedstournee. Daß wir mit unseren ehrgeizigen Zielen auch vorangekommen sind, kann niemand ernsthaft bestreiten. Seit ich die Partei führe, haben wir es geschafft, die Zahl der Parlamente, in denen wir vertreten sind, zu verdreifachen.
Frage: Träumen Sie gelegentlich von Lafontaine?
WESTERWELLE: Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Das sollten Sie mir weder politisch noch in jeder anderen Hinsicht unterstellen.
Frage: Wenn Lafontaine erfolgreich ist, bleibt die FDP in der Opposition. Wäre eine große Koalition ein Albtraum für Sie?
WESTERWELLE: Die Gefahr einer linken Mehrheit im Bundestag ist noch nicht gebannt. Wenn es eine Mehrheit von SPD, Grünen und PDS gibt, dann werden die auch zusammen regieren. Sie werden Herrn Schröder verabschieden, und vielleicht nennen Sie das Ganze dann nicht mehr rot-grünes Projekt, sondern skandinavisches Modell. Aber wenn die SPD sich entscheiden muß zwischen der Juniorpartnerschaft bei der Union und dem Kanzleramt, dann wird sie sich für die Macht und das Kanzleramt entscheiden. Lafontaine will ja in Wahrheit sowieso nicht die PDS, sondern eines Tages wieder die SPD führen.
Frage: Eine große Koalition ist doch so wahrscheinlich wie eine Linkskoalition.
WESTERWELLE: Einspruch! Die Sache ist sehr einfach: Wenn es eine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag gibt, und sei sie noch so knapp, dann gibt es auch eine schwarz-gelbe Regierung. Wenn es keine schwarz-gelbe Mehrheit gäbe, dann hätte die Linke eine Mehrheit und dann ist meine feste Überzeugung, daß die Linken auch regieren wollen.
Frage: Können Sie sich erklären, weshalb so viele Wähler eine große Koalition befürworten?
WESTERWELLE: Wer von einer großen Koalition träumt, kann sehr schnell in der bitteren Realität einer linken Regierung aufwachen. Das würde bedeuten, daß sich die Zahl der Arbeitslosen nicht halbieren läßt, sondern daß sie sich verdoppeln würde. Wo große Koalitionen übrigens regiert haben, nämlich zuletzt über viele Jahre in Berlin, hatten wir am Ende fast einen Staatsbankrott.
Frage: Ist das Ihr wichtigstes Argument gegen die große Koalition?
WESTERWELLE: Große Fortschritte sind in Deutschland immer mit knappen Mehrheiten beschlossen worden. Ein echter Politikwechsel ist eine Richtungsentscheidung, ein echter Neuanfang mit einschneidenden Veränderungen. Das läßt sich nicht im Konsens bewältigen.
Frage: Angela Merkel hat die Ankündigung einer Mehrwertsteuererhöhung als Symbol für mehr Ehrlichkeit in der Politik bezeichnet. Von diesem hohen Sockel werden Sie die Union doch nie wieder herunterholen.
WESTERWELLE: Mit Professor Kirchhof im Kompetenzteam der Union haben wir einen exzellenten Verbündeten, der unseren steuerpolitischen Kurs der Vernunft unterstützt. Wir haben ein durchgerechnetes Konzept, wie man die Steuern in Deutschland senken kann, und zwar für alle. Wir finanzieren das durch Subventionsabbau und die Abschaffung aller steuerlichen Ausnahmetatbestände und durch Bürokratieabbau gegen. Die Chancen der FDP, sich durchzusetzen, sind mit Paul Kirchhof gestiegen. Zumal in der Union auch nicht alle mit wehenden Fahnen hinter der Mehrwertsteuererhöhung stehen. Ich bin optimistisch, es wird uns gelingen, Steuersenkungen und Steuervereinfachungen durchzusetzen und eine Mehrwertsteuererhöhung zu verhindern. Das ist unser Ziel. Ich sehen keinen Aufschrei der Empörung durch Deutschland gehen, wenn die Union am Ende der Koalitionsverhandlungen unseretwegen auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichtet.
Frage: Kirchhoff hat sich schon mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer arrangiert und wird im Übrigen mit seinen steuerpolitischen Visionen gedeckelt und bremst.
WESTERWELLE: Hamburgs Finanzsenator Uldall sagt heute, daß die Union sich in Koalitionsverhandlungen noch ein gutes Stück auf die FDP zu bewegen müsse und werde. Das sind ermutigende Signale.
Frage: Die FDP setzt sich für die radikalsten Reformen ein. Bis jetzt zahlt sich dies nicht in Stimmengewinnen aus. Muß man daraus nicht schließen, daß es mit der Veränderungsbereitschaft der Bürger doch nicht so weit her ist?
WESTERWELLE: Radikal ist unser Programm nur in dem Sinne, daß es das Übel an der Wurzel bekämpft und nicht an den Symptomen herumdoktert. Radikal im Sinne von extrem ist es nicht, wenn man es damit vergleicht, was europäische Nachbarländer gemacht haben - und die haben heute zum Teil um die Hälfte weniger Arbeitslosigkeit als wir.
Frage: Ist es in Zeiten des alltäglichen Terrors, wie wir ihn in London erlebt haben, nicht schwierig für Sie, das Thema Bürgerrechte im Wahlkampf auszuspielen?
WESTERWELLE: Im Gegenteil. Es geht genau jetzt um das richtige Verhältnis zwischen Bürgersicherheit und Bürgerfreiheit. Die faktische Abschaffung des Bankgeheimnisses ist ja ein Verlust an Freiheit, aber kein Gewinn an Sicherheit. Man kann die Freiheit und den Rechtsstaat nicht schützen, indem man beides aufgibt.
Frage: Aber bei innerer Sicherheit sind Sie doch von Beckstein so weit entfernt wie von Merkel bei der Mehrwertsteuer. Wie wollen Sie diese Kluft überbrücken?
WESTERWELLE: Ich verstehe ja, daß besonders zugehört wird, wenn die Parteien, die zusammen regieren wollen, auf ihre Unterschiede abgeklopft werden. Aber die Differenzen können doch nicht verwischen, daß es weit mehr Gemeinsamkeiten gibt. Morgen werden die Spitzen von CDU, CSU und FDP zusammentreffen und noch einmal glasklar machen, daß wir miteinander regieren wollen.
Frage: Dringen Sie auf eine formelle, gegenseitige Koalitionsaussage?
WESTERWELLE: Diese Botschaft ist doch allein durch die Begegnung im Wahlkampf gesetzt. Das ist an Klarheit nicht zu überbieten.
Frage: Wir haben also einen Wechselgipfel statt einer Koalitionsaussage?
WESTERWELLE: Wir würden uns im Wahlkampf nicht treffen, ohne vorzubereiten, wie wir nach einer gewonnenen Wahl schnell mit einer neuen Regierung in die Gänge kommen. Damit Schwung entsteht und der Schwung genutzt wird.
Frage: Werden Sie in der Dreierrunde auch über die Aufgaben im Kabinett sprechen?
WESTERWELLE: Nein. Das Treffen wird keine Koalitionsverhandlungen vorwegnehmen.
Frage: Den Finanzminister Kirchhof brauchen Sie als Unterstützung, Beckstein soll Innen- und Stoiber oder Schäuble Außenminister werden. Was bleibt da für die FDP?
WESTERWELLE: Das Fell des Bären wird verteilt, wenn er erlegt worden ist. Was aus Angela Merkel wird, aus Gerhard Schröder, Joseph Fischer und auch aus meiner Person ist absolut nicht im Mittelpunkt dieses Wahlkampfs, sondern die Frage: Was wird aus Deutschland?
Frage: Die Menschen interessiert schon, welche Gesichter diesen Politikwechsel vertreten.
WESTERWELLE: Das Kompetenzteam der Union ist vorgestellt, unseres ebenfalls. Die Frage, welches Ministerium hätten Sie denn gerne, habe ich derzeit nicht die Absicht zu beantworten.
Frage: Die Gemeinsamkeiten mit der Union sind nicht unendlich. Beispiel: der Iran und sein Atomprogramm. Ist es klug, wenn Ihr potenzieller Kandidat für das Außenministerium vor dem Spitzentreffen Differenzen mit der Union in dieser Frage aufzeigt?
WESTERWELLE: Wolfgang Gerhardt hat als Fraktionsvorsitzender das getan, was seines Amtes ist: die Haltung der Bundestagsfraktion zu vertreten. Sie deckt sich mit meiner. Für uns ist das Militärische im Hinblick auf Teheran keine Option. Es geht um diplomatische und friedliche Lösungen. Wir unterstützen ausdrücklich die europäische Initiative, die in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten erfolgt ist.
Frage: Ist es klug, wenn die FDP jetzt erkennen läßt, daß sie sich bei einem Scheitern der Diplomatie mit einer Atombombe in der Hand des Mullahregimes abfindet?
WESTERWELLE: Es ist klug, daß unsere Verbündeten und auch die deutsche Öffentlichkeit wissen, daß die FDP für eine Politik der Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen steht und in einer künftigen Regierung auch stehen wird.
Frage: Der nächste Streitpunkt ist der EU-Beitritt der Türkei. Die Union will ihre Vorbehalte dagegen im Wahlkampf zuspitzen.
WESTERWELLE: Alles, was Bürger interessiert, ist Thema im Wahlkampf. Wir als FDP sagen dazu: Die Türkei ist derzeit nicht beitrittsfähig, und die EU ist derzeit auch nicht aufnahmefähig. Wie das in zehn bis 15 Jahren ist, weiß heute keiner. Deshalb kann es nur um ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen gehen. Voraussetzung ist, daß die Türkei alle europäischen Mitgliedstaaten anerkennt, auch Zypern.
Frage: Die FDP hat ein Wechsellexikon, ein Wahlprogramm, einen Leitfaden für den Wahlkampf vorgelegt. Sie haben sicher auch ein 100-Tage-Programm für Schwarz-Gelb. Was muß als Erstes passieren?
WESTERWELLE: Ein niedrigeres, gerechteres und einfacheres Steuersystem ist die Mutter aller Reformen.
WESTERWELLE-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Stuttgarter Zeitung" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte BÄRBEL KRAUSS:
Frage: Herr Westerwelle, Sie starten jetzt Ihre Wahlkampftour. Warum so spät - die Konkurrenz ist längst unterwegs?
WESTERWELLE: Jetzt beginnt die heiße Phase. Ich habe bereits zahlreiche Wahlkampfveranstaltungen hinter mir, war nicht im Urlaub. Die letzten vier Wochen sind ausreichend und angemessen, um den eigentlichen Wahlkampf erfolgreich zu führen.
Frage: Bisher hat die FDP hauptsächlich Wahlkampf gegen die Union geführt. Warum werben Sie nicht stärker um Wechselwähler von den Grünen?
WESTERWELLE: Die FDP vertritt ihr eigenes Programm. Wir sind davon überzeugt, daß Steuersenkungspolitik das beste Beschäftigungsprogramm ist - das vertreten wir unbeirrt. Da mögen andere ihre Positionen verändern, wir bleiben bei unserem Kurs. Wir sind der Überzeugung, daß Deutschland ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem braucht. Warum sollten wir verschweigen, daß wir in Professor Kirchhof einen hervorragenden Verbündeten im Geiste sehen?
Frage: Aber es gibt ja durchaus auch eine Schnittmenge mit den Grünen. Lohnt es sich nicht, dort zu wildern? Wo ist mehr zu holen: bei bürgerlichen Grünen oder am liberalen Rand der Union?
WESTERWELLE: Gerade weil wir für eine wirtschaftliche Erneuerung stehen, für einen großen Wurf, gehen wir unseren Weg. Der ist außerordentlich attraktiv auch für viele, die beim letzten Mal SPD oder Grüne gewählt haben - oder 2002 vielleicht gar nicht zur Wahl gegangen sind. Die Menschen sehen ja, daß sie bei der letzten Wahl von Rot-Grün hinter die Fichte geführt worden sind. Das läßt sich die Mehrheit kein zweites Mal bieten.
Frage: Welche Schlüsse haben Sie aus den Erfahrungen im Wahlkampf 2002 gezogen?
WESTERWELLE: Wir vertreten im Wahlkampf die ernsten Ziele der FDP. Man kann die Menschen aber nur mit einer ordentlichen Portion Optimismus und Fröhlichkeit gewinnen, nicht mit sauertöpfischem Gebaren. Viele in Deutschland verwechseln Seriosität mit getragener Langeweile. Für manchen Kommentator sind Politiker ja schon unseriös, wenn sie sich trauen, im Fernsehen tatsächlich zu lachen.
Frage: Stichwort Optimismus: das Projekt 18 ist in der Versenkung verschwunden, inzwischen müßten Sie froh sein, wenn die FDP bei dieser Wahl auf neun Prozent kommt. Wo liegt Ihr persönliches Wahlziel?
WESTERWELLE: Mein Wahlziel heißt Schwarz-Gelb statt Rot-Grün. Vor allem wollen wir eine linke Mehrheit im deutschen Bundestag verhindern.
Frage: Für Ihre Partei haben Sie kein Ziel?
WESTERWELLE: Ich habe Ihnen gerade ein großes Ziel genannt, nämlich die letzte rot-grüne Regierung, die es überhaupt noch gibt, abzulösen und zu verhindern, daß eine linke Mehrheit im Parlament zu Stande kommt. Daß ich dabei auf eine möglichst starke FDP setze, ist klar. Der Zulauf, den wir im Augenblick haben, bietet ja auch Anlaß für Optimismus. Die Chancen für Schwarz-Gelb sind sehr gut, aber gelaufen ist das Rennen noch nicht.
Frage: 2002 waren Sie Kanzlerkandidat, heute sind Sie Spitzenkandidat, damals stand Möllemann an Ihrer Seite, heute ein ganzes Team, damals hatten Sie die 18 auf der Schuhsohle, heute nichts mehr - Sie treten mit einem völlig neuen Konzept an?
WESTERWELLE: Unter meinen Schuhen steht nur noch: 42,5. Die Lage ist bei jeder Bundestagswahl anders. Beim letzten Mal kam die Union aus einer ihrer schwersten Krisen, der Spendenaffäre. Die SPD sprach damals noch von wirtschaftlicher Erneuerung bis hin zu Steuersenkungen, dementsprechend sind wir ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gegangen. Diesmal ist klar, daß die Zeit von Rot-Grün auf keinen Fall verlängert werden darf. Deshalb gibt es auch keine Bereitschaft von Seiten der FDP, uns an absurden Debatten über eine Ampelkoalition auch nur theoretisch zu beteiligen. Wir wollen, daß Angela Merkel die nächste Kanzlerin wird, unterstützt von einer starken FDP.
Frage: Fürchten Sie die Fünfprozenthürde?
WESTERWELLE: Eigentlich fragen mich die meisten, warum wir noch nicht bei zehn Prozent liegen.
Frage: warum liegen Sie in den Umfragen nicht bei zehn Prozent?
WESTERWELLE: Was nicht ist, kann ja noch werden.
Frage: Sie streben ein zweistelliges Ergebnis an?
WESTERWELLE: Mein Optimismus ist groß. Natürlich habe ich unverändert ehrgeizige Ziele. Da wir mit einer Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen, haben wir im Vergleich mit 2002 eine völlig veränderte Ausgangslage. Tatsache ist: die Menschen wollen sich definitiv von Rot-Grün verabschieden. Schröder und Fischer befinden sich auf einer Abschiedstournee. Daß wir mit unseren ehrgeizigen Zielen auch vorangekommen sind, kann niemand ernsthaft bestreiten. Seit ich die Partei führe, haben wir es geschafft, die Zahl der Parlamente, in denen wir vertreten sind, zu verdreifachen.
Frage: Träumen Sie gelegentlich von Lafontaine?
WESTERWELLE: Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Das sollten Sie mir weder politisch noch in jeder anderen Hinsicht unterstellen.
Frage: Wenn Lafontaine erfolgreich ist, bleibt die FDP in der Opposition. Wäre eine große Koalition ein Albtraum für Sie?
WESTERWELLE: Die Gefahr einer linken Mehrheit im Bundestag ist noch nicht gebannt. Wenn es eine Mehrheit von SPD, Grünen und PDS gibt, dann werden die auch zusammen regieren. Sie werden Herrn Schröder verabschieden, und vielleicht nennen Sie das Ganze dann nicht mehr rot-grünes Projekt, sondern skandinavisches Modell. Aber wenn die SPD sich entscheiden muß zwischen der Juniorpartnerschaft bei der Union und dem Kanzleramt, dann wird sie sich für die Macht und das Kanzleramt entscheiden. Lafontaine will ja in Wahrheit sowieso nicht die PDS, sondern eines Tages wieder die SPD führen.
Frage: Eine große Koalition ist doch so wahrscheinlich wie eine Linkskoalition.
WESTERWELLE: Einspruch! Die Sache ist sehr einfach: Wenn es eine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag gibt, und sei sie noch so knapp, dann gibt es auch eine schwarz-gelbe Regierung. Wenn es keine schwarz-gelbe Mehrheit gäbe, dann hätte die Linke eine Mehrheit und dann ist meine feste Überzeugung, daß die Linken auch regieren wollen.
Frage: Können Sie sich erklären, weshalb so viele Wähler eine große Koalition befürworten?
WESTERWELLE: Wer von einer großen Koalition träumt, kann sehr schnell in der bitteren Realität einer linken Regierung aufwachen. Das würde bedeuten, daß sich die Zahl der Arbeitslosen nicht halbieren läßt, sondern daß sie sich verdoppeln würde. Wo große Koalitionen übrigens regiert haben, nämlich zuletzt über viele Jahre in Berlin, hatten wir am Ende fast einen Staatsbankrott.
Frage: Ist das Ihr wichtigstes Argument gegen die große Koalition?
WESTERWELLE: Große Fortschritte sind in Deutschland immer mit knappen Mehrheiten beschlossen worden. Ein echter Politikwechsel ist eine Richtungsentscheidung, ein echter Neuanfang mit einschneidenden Veränderungen. Das läßt sich nicht im Konsens bewältigen.
Frage: Angela Merkel hat die Ankündigung einer Mehrwertsteuererhöhung als Symbol für mehr Ehrlichkeit in der Politik bezeichnet. Von diesem hohen Sockel werden Sie die Union doch nie wieder herunterholen.
WESTERWELLE: Mit Professor Kirchhof im Kompetenzteam der Union haben wir einen exzellenten Verbündeten, der unseren steuerpolitischen Kurs der Vernunft unterstützt. Wir haben ein durchgerechnetes Konzept, wie man die Steuern in Deutschland senken kann, und zwar für alle. Wir finanzieren das durch Subventionsabbau und die Abschaffung aller steuerlichen Ausnahmetatbestände und durch Bürokratieabbau gegen. Die Chancen der FDP, sich durchzusetzen, sind mit Paul Kirchhof gestiegen. Zumal in der Union auch nicht alle mit wehenden Fahnen hinter der Mehrwertsteuererhöhung stehen. Ich bin optimistisch, es wird uns gelingen, Steuersenkungen und Steuervereinfachungen durchzusetzen und eine Mehrwertsteuererhöhung zu verhindern. Das ist unser Ziel. Ich sehen keinen Aufschrei der Empörung durch Deutschland gehen, wenn die Union am Ende der Koalitionsverhandlungen unseretwegen auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichtet.
Frage: Kirchhoff hat sich schon mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer arrangiert und wird im Übrigen mit seinen steuerpolitischen Visionen gedeckelt und bremst.
WESTERWELLE: Hamburgs Finanzsenator Uldall sagt heute, daß die Union sich in Koalitionsverhandlungen noch ein gutes Stück auf die FDP zu bewegen müsse und werde. Das sind ermutigende Signale.
Frage: Die FDP setzt sich für die radikalsten Reformen ein. Bis jetzt zahlt sich dies nicht in Stimmengewinnen aus. Muß man daraus nicht schließen, daß es mit der Veränderungsbereitschaft der Bürger doch nicht so weit her ist?
WESTERWELLE: Radikal ist unser Programm nur in dem Sinne, daß es das Übel an der Wurzel bekämpft und nicht an den Symptomen herumdoktert. Radikal im Sinne von extrem ist es nicht, wenn man es damit vergleicht, was europäische Nachbarländer gemacht haben - und die haben heute zum Teil um die Hälfte weniger Arbeitslosigkeit als wir.
Frage: Ist es in Zeiten des alltäglichen Terrors, wie wir ihn in London erlebt haben, nicht schwierig für Sie, das Thema Bürgerrechte im Wahlkampf auszuspielen?
WESTERWELLE: Im Gegenteil. Es geht genau jetzt um das richtige Verhältnis zwischen Bürgersicherheit und Bürgerfreiheit. Die faktische Abschaffung des Bankgeheimnisses ist ja ein Verlust an Freiheit, aber kein Gewinn an Sicherheit. Man kann die Freiheit und den Rechtsstaat nicht schützen, indem man beides aufgibt.
Frage: Aber bei innerer Sicherheit sind Sie doch von Beckstein so weit entfernt wie von Merkel bei der Mehrwertsteuer. Wie wollen Sie diese Kluft überbrücken?
WESTERWELLE: Ich verstehe ja, daß besonders zugehört wird, wenn die Parteien, die zusammen regieren wollen, auf ihre Unterschiede abgeklopft werden. Aber die Differenzen können doch nicht verwischen, daß es weit mehr Gemeinsamkeiten gibt. Morgen werden die Spitzen von CDU, CSU und FDP zusammentreffen und noch einmal glasklar machen, daß wir miteinander regieren wollen.
Frage: Dringen Sie auf eine formelle, gegenseitige Koalitionsaussage?
WESTERWELLE: Diese Botschaft ist doch allein durch die Begegnung im Wahlkampf gesetzt. Das ist an Klarheit nicht zu überbieten.
Frage: Wir haben also einen Wechselgipfel statt einer Koalitionsaussage?
WESTERWELLE: Wir würden uns im Wahlkampf nicht treffen, ohne vorzubereiten, wie wir nach einer gewonnenen Wahl schnell mit einer neuen Regierung in die Gänge kommen. Damit Schwung entsteht und der Schwung genutzt wird.
Frage: Werden Sie in der Dreierrunde auch über die Aufgaben im Kabinett sprechen?
WESTERWELLE: Nein. Das Treffen wird keine Koalitionsverhandlungen vorwegnehmen.
Frage: Den Finanzminister Kirchhof brauchen Sie als Unterstützung, Beckstein soll Innen- und Stoiber oder Schäuble Außenminister werden. Was bleibt da für die FDP?
WESTERWELLE: Das Fell des Bären wird verteilt, wenn er erlegt worden ist. Was aus Angela Merkel wird, aus Gerhard Schröder, Joseph Fischer und auch aus meiner Person ist absolut nicht im Mittelpunkt dieses Wahlkampfs, sondern die Frage: Was wird aus Deutschland?
Frage: Die Menschen interessiert schon, welche Gesichter diesen Politikwechsel vertreten.
WESTERWELLE: Das Kompetenzteam der Union ist vorgestellt, unseres ebenfalls. Die Frage, welches Ministerium hätten Sie denn gerne, habe ich derzeit nicht die Absicht zu beantworten.
Frage: Die Gemeinsamkeiten mit der Union sind nicht unendlich. Beispiel: der Iran und sein Atomprogramm. Ist es klug, wenn Ihr potenzieller Kandidat für das Außenministerium vor dem Spitzentreffen Differenzen mit der Union in dieser Frage aufzeigt?
WESTERWELLE: Wolfgang Gerhardt hat als Fraktionsvorsitzender das getan, was seines Amtes ist: die Haltung der Bundestagsfraktion zu vertreten. Sie deckt sich mit meiner. Für uns ist das Militärische im Hinblick auf Teheran keine Option. Es geht um diplomatische und friedliche Lösungen. Wir unterstützen ausdrücklich die europäische Initiative, die in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten erfolgt ist.
Frage: Ist es klug, wenn die FDP jetzt erkennen läßt, daß sie sich bei einem Scheitern der Diplomatie mit einer Atombombe in der Hand des Mullahregimes abfindet?
WESTERWELLE: Es ist klug, daß unsere Verbündeten und auch die deutsche Öffentlichkeit wissen, daß die FDP für eine Politik der Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen steht und in einer künftigen Regierung auch stehen wird.
Frage: Der nächste Streitpunkt ist der EU-Beitritt der Türkei. Die Union will ihre Vorbehalte dagegen im Wahlkampf zuspitzen.
WESTERWELLE: Alles, was Bürger interessiert, ist Thema im Wahlkampf. Wir als FDP sagen dazu: Die Türkei ist derzeit nicht beitrittsfähig, und die EU ist derzeit auch nicht aufnahmefähig. Wie das in zehn bis 15 Jahren ist, weiß heute keiner. Deshalb kann es nur um ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen gehen. Voraussetzung ist, daß die Türkei alle europäischen Mitgliedstaaten anerkennt, auch Zypern.
Frage: Die FDP hat ein Wechsellexikon, ein Wahlprogramm, einen Leitfaden für den Wahlkampf vorgelegt. Sie haben sicher auch ein 100-Tage-Programm für Schwarz-Gelb. Was muß als Erstes passieren?
WESTERWELLE: Ein niedrigeres, gerechteres und einfacheres Steuersystem ist die Mutter aller Reformen.