FDP|
15.03.2019 - 18:30BEER-Gastbeitrag: Man hört geradezu, wie Ludwig Erhard im Grab rotiert
Die Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, FDP-Generalsekretärin Nicola Beer, schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) tut so, als wären die kapitalstärksten Unternehmen der Welt deshalb stark, weil sie in einem staatlichen Schutzraum herangezogen wurden. Das Gegenteil ist der Fall. Marktmächtige Unternehmen brauchen keinen besonderen Schutz und keine Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht. Künstliche Riesen schaden uns allen.
Unternehmen werden dann zu Champions und bleiben nur dann erfolgreich, wenn sie sich im Wettbewerb mit Konkurrenten um die besten Angebote für ihre Kunden bemühen müssen. Die vielen mittelständischen Weltmarktführer aus Deutschland, unsere „hidden champions“, sind dafür das beste Beispiel. Es überrascht daher, wenn Minister Altmaier fordert, dass der Staat umso mehr aktiv in die freie Marktwirtschaft eingreifen sollte, je größer die beteiligten Unternehmen sind.
Mut beweist EU-Kommissarin Margrethe Vestager, sie setzt das Recht durch und lässt sich nicht von politischem Querfeuer aus Paris und Berlin beirren. Ihre Entscheidung, die Mega-Fusion zwischen Siemens und Alstom zu verbieten, ist nicht nur richtig, sie ist auch gut für Europa. Leider wird diese Sicht von der Großen Koalition in Berlin nicht geteilt. Statt sich für Wettbewerb einzusetzen, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Rahmen seines Vorschlages zur nationalen Industriestrategie die Kompetenz der EU-Kommission zum Verbot derartiger Fusionen in Frage gestellt und möchte politische Überlegungen an Stelle des Wettbewerbsrechts setzen.
Die Tatsache, dass sich Altmaier in der Präambel des deutsch-französischen Manifests für eine gemeinsame Industriepolitik auf Ludwig Erhard beruft und seine Vorschläge als marktwirtschaftlich bezeichnet, scheint gerade zu bigott. Bei der Frage nach den richtigen Rahmenbedingungen zur Schaffung europäischer Champions liegt der Minister grundfalsch.
Fusionsverbote der EU-Kommission sind selten – und das ist auch gut so. So wie der Staat nicht willkürlich Unternehmen steuern sollte, müssen auch Fusionsverbote, die erhebliche Eingriffe in die freie marktwirtschaftliche Betätigung darstellen, hohen Hürden gerecht werden. Im Fall Siemens/Alstom scheint dies der Fall zu sein; und es zeigt sich damit, dass unser europäisches Kartellrecht funktioniert.
Anders als vielfach kolportiert, hat die Kommission in ihrer Untersuchung sehr wohl den globalen Markt im Blick gehabt und nicht nur den europäischen Markt untersucht. Der relevante Markt, den die Kommission in ihrer Entscheidung zugrunde legt, ist der Weltmarkt mit Ausnahme von Südkorea, Japan und China. Alle diese drei Länder lassen in diesem Bereich keinen Wettbewerb durch ausländische Produzenten zu. Das heißt, dass auch ein gemeinsamer europäischer Champion in diesen Ländern ohnehin keine Ultra-high-speed-Züge verkaufen könnte. Die Stärke der chinesischen Unternehmen im eigenen Land liegt jedoch daran, dass eine internationale Ausschreibung mit einem fairen Bieterverfahren, in dem europäische Anbieter zum Zuge kommen könnten, dort nicht stattfindet. Dass der europäische Markt dennoch von zentraler Bedeutung ist, lässt sich schwer leugnen, denn hier hätten die jeweiligen Bahngesellschaften – und damit im Endeffekt die Bahnfahrer – die überhöhten Preise eines dominanten Unternehmens zahlen müssen.
„Size matters", schreibt Herr Altmaier in seinem Papier und tut dabei so, als wären die kapitalstärksten Unternehmen der Welt deshalb stark, weil sie in einem staatlichen Schutzraum herangezogen wurden. Das Gegenteil ist der Fall. Google, Facebook und Amazon wurden groß, weil sie innovativ waren und neue Lösungen angeboten haben, die auf bestehende oder neue Bedürfnisse von Verbrauchern reagiert haben. Hier kann man das Beispiel der digitalen Giganten nutzen, um zu zeigen, dass Größe in der Tat relevant ist, jedoch genau andersherum, als der Minister suggeriert.
Je größer ein Unternehmen ist und über je mehr Marktmacht es verfügt, umso genauer muss der Staat (und damit im Rahmen der bestehenden Kompetenzordnung auch die europäischen Wettbewerbshüter) wachsam bleiben, dass effektiver Wettbewerb nicht behindert wird. Das Altmaier-Diktum zur Relevanz von Größe sollte daher in sein Gegenteil verkehrt werden: Marktmächtige Unternehmen brauchen keinen besonderen Schutz und keine Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht, sondern im Gegenteil: Je mächtiger ein Unternehmen wird, desto mehr muss auf den Schutz kleinerer Marktteilnehmer geachtet werden. Mit Blick auf die Dominanz einzelner digitaler Unternehmen sollten wir viel eher darüber diskutieren, wie sich „predatory mergers" verhindern lassen, bei denen es nur darum geht, potentielle zukünftige Wettbewerber frühzeitig aufzukaufen um das eigene Geschäft zu schützen, statt tatsächlich durch Fusionen ökonomischen Mehrwert zu generieren.
Was Deutschland braucht, ist eine marktwirtschaftliche Erneuerung, die nicht einzelne Unternehmen fördert, sondern die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa verbessert. Anstatt Strukturen zu zementieren, sollte man konkret Chancen und Freiraum schaffen, durch steuerliche Entlastung und eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts, durch Digitalisierung und Vereinfachung bürokratischer Verfahren. In Zeiten des aufkeimenden Protektionismus können wir Unternehmen unterstützen, indem wir eine Offensive für den Freihandel starten. Der Abbau von Handelshemmnissen, die Harmonisierung von Standards und Regelungen und der Abbau von handelsverzerrenden Subventionen weltweit kann nur multilateral gelingen. Nur so können faire Wettbewerbs- und Investitionsbedingungen weltweit erreicht werden.
In Zeiten eines Vertrauensverlustes in Politik und Staatlichkeit und vor dem Hintergrund einer Finanzkrise in der global players, die „too big to fail" waren, mit Steuergeldern gerettet werden mussten, staatlich geförderte Monopolisten zu fordern, ist nicht nur inhaltlich falsch, es weckt auch Erwartungen, die nur enttäuscht werden können. Der Vorschlag von Minister Altmaier ist damit in hohem Grade leichtsinnig. Man hört geradezu, wie Ludwig Erhard im Grabe rotiert. Vielleicht liegt es am besonderen Biotop der Großen Koalition, dass der Blick aufs Wesentliche verloren geht und Größe und Macht plötzlich als relevante Koordinaten der Ordnungspolitik erscheinen.
BEER-Gastbeitrag: Man hört geradezu, wie Ludwig Erhard im Grab rotiert
Die Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, FDP-Generalsekretärin Nicola Beer, schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) tut so, als wären die kapitalstärksten Unternehmen der Welt deshalb stark, weil sie in einem staatlichen Schutzraum herangezogen wurden. Das Gegenteil ist der Fall. Marktmächtige Unternehmen brauchen keinen besonderen Schutz und keine Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht. Künstliche Riesen schaden uns allen.
Unternehmen werden dann zu Champions und bleiben nur dann erfolgreich, wenn sie sich im Wettbewerb mit Konkurrenten um die besten Angebote für ihre Kunden bemühen müssen. Die vielen mittelständischen Weltmarktführer aus Deutschland, unsere „hidden champions“, sind dafür das beste Beispiel. Es überrascht daher, wenn Minister Altmaier fordert, dass der Staat umso mehr aktiv in die freie Marktwirtschaft eingreifen sollte, je größer die beteiligten Unternehmen sind.
Mut beweist EU-Kommissarin Margrethe Vestager, sie setzt das Recht durch und lässt sich nicht von politischem Querfeuer aus Paris und Berlin beirren. Ihre Entscheidung, die Mega-Fusion zwischen Siemens und Alstom zu verbieten, ist nicht nur richtig, sie ist auch gut für Europa. Leider wird diese Sicht von der Großen Koalition in Berlin nicht geteilt. Statt sich für Wettbewerb einzusetzen, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Rahmen seines Vorschlages zur nationalen Industriestrategie die Kompetenz der EU-Kommission zum Verbot derartiger Fusionen in Frage gestellt und möchte politische Überlegungen an Stelle des Wettbewerbsrechts setzen.
Die Tatsache, dass sich Altmaier in der Präambel des deutsch-französischen Manifests für eine gemeinsame Industriepolitik auf Ludwig Erhard beruft und seine Vorschläge als marktwirtschaftlich bezeichnet, scheint gerade zu bigott. Bei der Frage nach den richtigen Rahmenbedingungen zur Schaffung europäischer Champions liegt der Minister grundfalsch.
Fusionsverbote der EU-Kommission sind selten – und das ist auch gut so. So wie der Staat nicht willkürlich Unternehmen steuern sollte, müssen auch Fusionsverbote, die erhebliche Eingriffe in die freie marktwirtschaftliche Betätigung darstellen, hohen Hürden gerecht werden. Im Fall Siemens/Alstom scheint dies der Fall zu sein; und es zeigt sich damit, dass unser europäisches Kartellrecht funktioniert.
Anders als vielfach kolportiert, hat die Kommission in ihrer Untersuchung sehr wohl den globalen Markt im Blick gehabt und nicht nur den europäischen Markt untersucht. Der relevante Markt, den die Kommission in ihrer Entscheidung zugrunde legt, ist der Weltmarkt mit Ausnahme von Südkorea, Japan und China. Alle diese drei Länder lassen in diesem Bereich keinen Wettbewerb durch ausländische Produzenten zu. Das heißt, dass auch ein gemeinsamer europäischer Champion in diesen Ländern ohnehin keine Ultra-high-speed-Züge verkaufen könnte. Die Stärke der chinesischen Unternehmen im eigenen Land liegt jedoch daran, dass eine internationale Ausschreibung mit einem fairen Bieterverfahren, in dem europäische Anbieter zum Zuge kommen könnten, dort nicht stattfindet. Dass der europäische Markt dennoch von zentraler Bedeutung ist, lässt sich schwer leugnen, denn hier hätten die jeweiligen Bahngesellschaften – und damit im Endeffekt die Bahnfahrer – die überhöhten Preise eines dominanten Unternehmens zahlen müssen.
„Size matters", schreibt Herr Altmaier in seinem Papier und tut dabei so, als wären die kapitalstärksten Unternehmen der Welt deshalb stark, weil sie in einem staatlichen Schutzraum herangezogen wurden. Das Gegenteil ist der Fall. Google, Facebook und Amazon wurden groß, weil sie innovativ waren und neue Lösungen angeboten haben, die auf bestehende oder neue Bedürfnisse von Verbrauchern reagiert haben. Hier kann man das Beispiel der digitalen Giganten nutzen, um zu zeigen, dass Größe in der Tat relevant ist, jedoch genau andersherum, als der Minister suggeriert.
Je größer ein Unternehmen ist und über je mehr Marktmacht es verfügt, umso genauer muss der Staat (und damit im Rahmen der bestehenden Kompetenzordnung auch die europäischen Wettbewerbshüter) wachsam bleiben, dass effektiver Wettbewerb nicht behindert wird. Das Altmaier-Diktum zur Relevanz von Größe sollte daher in sein Gegenteil verkehrt werden: Marktmächtige Unternehmen brauchen keinen besonderen Schutz und keine Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht, sondern im Gegenteil: Je mächtiger ein Unternehmen wird, desto mehr muss auf den Schutz kleinerer Marktteilnehmer geachtet werden. Mit Blick auf die Dominanz einzelner digitaler Unternehmen sollten wir viel eher darüber diskutieren, wie sich „predatory mergers" verhindern lassen, bei denen es nur darum geht, potentielle zukünftige Wettbewerber frühzeitig aufzukaufen um das eigene Geschäft zu schützen, statt tatsächlich durch Fusionen ökonomischen Mehrwert zu generieren.
Was Deutschland braucht, ist eine marktwirtschaftliche Erneuerung, die nicht einzelne Unternehmen fördert, sondern die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa verbessert. Anstatt Strukturen zu zementieren, sollte man konkret Chancen und Freiraum schaffen, durch steuerliche Entlastung und eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts, durch Digitalisierung und Vereinfachung bürokratischer Verfahren. In Zeiten des aufkeimenden Protektionismus können wir Unternehmen unterstützen, indem wir eine Offensive für den Freihandel starten. Der Abbau von Handelshemmnissen, die Harmonisierung von Standards und Regelungen und der Abbau von handelsverzerrenden Subventionen weltweit kann nur multilateral gelingen. Nur so können faire Wettbewerbs- und Investitionsbedingungen weltweit erreicht werden.
In Zeiten eines Vertrauensverlustes in Politik und Staatlichkeit und vor dem Hintergrund einer Finanzkrise in der global players, die „too big to fail" waren, mit Steuergeldern gerettet werden mussten, staatlich geförderte Monopolisten zu fordern, ist nicht nur inhaltlich falsch, es weckt auch Erwartungen, die nur enttäuscht werden können. Der Vorschlag von Minister Altmaier ist damit in hohem Grade leichtsinnig. Man hört geradezu, wie Ludwig Erhard im Grabe rotiert. Vielleicht liegt es am besonderen Biotop der Großen Koalition, dass der Blick aufs Wesentliche verloren geht und Größe und Macht plötzlich als relevante Koordinaten der Ordnungspolitik erscheinen.