Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz.
Frage: Herr Lindner, die FDP hat sich in den bayerischen Landtag gezittert. In Hessen liegen Sie bei 8 Prozent. War es ein Fehler, dass die Liberalen keine Regierungsverantwortung in Berlin übernehmen wollten?
Lindner: Es kann kein Fehler sein, sich nach der Wahl an das zu erinnern, was man vor der Wahl gesagt hat. 2009 hatten wir ein Rekordergebnis, 2010 waren wir in den Umfragen dann bei 2 Prozent und wurden als Umfaller diffamiert. Das hätte sich bei Jamaika wiederholt, denn von der Abschaffung des Soli über ein weltoffenes Gesetz zur Einwanderungssteuerung und globaler Klimaverantwortung bis zur Reform der Bildung hätten wir nichts umgesetzt. Frau Merkel wollte Schwarz-Grün. Trotz harter Kampagnen gegen uns ist in Bayern die FDP erst zum dritten Mal überhaupt zu meinen Lebzeiten in den Landtag gekommen. Gerne hätten wir im Freistaat auch Regierungsverantwortung übernommen, um Bayern mehr Tempo zu geben. CSU und Freie Wähler stehen nur für ein Weiter-so. In Hessen starten wir heute in die Schlussphase des Landtagswahlkampfes mit acht Prozent. Darauf lässt sich aufbauen.
Frage: Warum profitieren die Grünen so stark von der Schwäche der Volksparteien und die FDP nicht?
Lindner: Wir sind viel stärker als vor vier, drei, zwei oder einem Jahr. Die FDP hat sich für einen harten Weg entschieden. In der Folge bekommen wir gegenwärtig keine taktische Unterstützung. Wer uns wählt, ist besonders unabhängig im Denken und Handeln. Die Grünen profitieren vor allem von der momentanen Schwäche der SPD und einer gefühlten Stimmung. Mal sehen, wie das weiter geht.
Frage: Erleben wir wie in anderen Ländern das Ende der Volksparteien?
Lindner: Das Konzept der Volksparteien, es allen recht machen zu wollen, hat mich nie sonderlich überzeugt. Jetzt ist die Zeit von Programmparteien, die einen stärkeren inhaltlichen Anspruch verkörpern. Die FDP setzt auf das Vertrauen in die Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen, auf die Offenheit für neue Technologie und auf Toleranz.
Frage: Die Große Koalition kommt nicht aus der Krise. Stünde die FDP für einen neuen Versuch bereit, ein Jamaika-Bündnis im Bund zu bilden?
Lindner: Das ist eine rückwärtsgewandte Spekulation. Nach der Bundestagswahl hätten CDU und CSU die Möglichkeit gehabt, eine solche Regierung zu bilden. Frau Merkel hätte ein vernünftiges Angebot machen können. Sie wollte es aber eher den Grünen recht machen. Ich glaube indessen nicht, dass die Große Koalition scheitert. Falls doch, würden wir eine befristete Minderheitsregierung konstruktiv begleiten. Auf Bundesebene machen Jamaika-Gespräche Sinn, wenn nach der Ära Merkel neues Denken möglich ist.
Frage: Die Große Koalition im Bund steht schwer unter Druck. Wäre bei einer personellen Erneuerung der Union auf Bundesebene noch ein Versuch denkbar, eine Jamaika-Koalition zu bilden?
Lindner: Es geht doch nicht nur um Personen, sondern auch um Programme. In Wahrheit sind allein die Unterschiede zwischen CSU und Grünen zu groß, sonst gäbe es ja Schwarz-Grün in Bayern. Hinter den Kulissen ist die CSU uns ja auch dankbar, dass wir den Mut hatten, auf eine Regierungsbeteiligung zu verzichten. Die Grünen treten momentan in der Kommunikation nach außen nicht mehr als Verbotspartei auf. Aber die Inhalte sind noch unverändert: die ganze Phalanx von Bevormundung, ideologisch motivierten Verboten des Verbrennungsmotors, von Quoten, von Subventionen, von steuerlichen Mehrbelastungen und Umverteilung von der einen in die andere Tasche, von der Ablehnung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten.
Frage: Noch einmal zur Klarstellung: Wäre eine Jamaika-Koalition ohne Angela Merkel und Horst Seehofer möglich?
Lindner: Die Nachfolger von Frau Merkel und Herrn Seehofer machen es leichter, weil dann wie in Schleswig-Holstein neues Denken möglich wird. Aber die Wahlprogramme bleiben doch unverändert. Vor einer neuen Legitimation nach Wahlen sehe ich nicht, wie eine Änderung da möglich sein soll. In Hessen ist die Lage anders. Dort wären wir bereit zu prüfen, ob sich eine Jamaika-Regierung nach dem Modell Schleswig-Holstein bilden lässt. Hessen braucht nach fünf Jahren Stillstand unter Schwarz-Grün einen Aufbruch, aber keinen Linksruck mit Grün-Rot-Rot.
Frage: Die Koalition will in der Gesetzlichen Krankenversicherung zurück zur Parität. Was spricht aus Sicht der FDP dagegen?
Lindner: Die große Koalition hält die Belastbarkeit der Wirtschaft für grenzenlos. Ich melde Zweifel an. Das Mindeste wäre, wenigstens auch den Solidaritätszuschlag abzubauen, um einmal ein Entlastungssignal zu geben. Die Risiken auf den Weltmärkten steigen, die Energiekosten bei uns auch. Für Investitionen in die Digitalisierung und die Binnenkaufkraft der Menschen sollte die Politik etwas tun.
Frage: Thema Brexit: Besser als nichts, heißt es nach dem EU-Gipfel. Es soll eine Verlängerung für die Verhandlungen geben. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Lindner: Das ist alles andere als einen Durchbruch. Ein harter Brexit ohne einen Deal ist nicht abgewendet. Den wünschen wir uns nicht. Aber notwendig ist, dass die Bundesregierung alle Vorbereitungen für diesen Fall trifft. Genau das bemängeln wir. Es gibt keine Priorität in der Regierung dafür. Beispielswiese müsste man die Zollverfahren digitalisieren, um die Bürokratiekosten des Brexit zu senken.
Frage: Erleben wir auch in Brüssel den Herbst der Bundeskanzlerin, nämlich als europäische Krisenkanzlerin?
Lindner: Angela Merkel ist schon längst keine europäische Krisenkanzlerin mehr. Sie verschärft die Krisen wie durch ihre Migrationspolitik. Sie hat Europa gespalten in Nord und Süd in Währungsfragen, indem sie sich öffnet für die Vergemeinschaftung von Finanzen. Wir wollen stattdessen einerseits die Achtung der Fiskalregeln und ein Defizitverfahren gegen Italien. Andererseits empfehlen wir mehr reale Investitionen in Innovation und Infrastruktur aus den Töpfen der EU, um die Wirtschaftskraft in Europa anzunähern.
Frage: Glauben Sie, dass die Bundesregierung Diesel-Fahrverbote noch abwenden kann?
Lindner: Wir reden permanent über Fahrverbote, Entschädigungen und ähnliche Dinge. Ich schlage vor: Erst einmal sollten wir über Grenzwerte und Messverfahren sprechen. In Deutschland unterscheiden sich die Messpunkte von Stadt zu Stadt enorm. Wir brauchen verbindliche Standards. Meine Vermutung ist, dass an vielen Stellen falsch gemessen wird. Aus diesen Fehlern resultieren lästige Fahrverbote. Der Bundesverkehrsminister sollten einheitliche Methoden verbindlich für alle Kommunen vorschreiben. Pflichtnachrüstungen durch alle Hersteller, die manipuliert haben, sind doch eine Selbstverständlichkeit. Die allergrößte der Diesel-Pkw sind aber ohne jeden Gesetzesverstoß in den Verkehr gebracht worden. Da lenkt die Sündenbock-Debatte nur von den Versäumnissen der Bundesregierung und des CSU-Verkehrsministers ab.
LINDNER-Interview: Jamaika erst nach Ära Merkel möglich
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz.
Frage: Herr Lindner, die FDP hat sich in den bayerischen Landtag gezittert. In Hessen liegen Sie bei 8 Prozent. War es ein Fehler, dass die Liberalen keine Regierungsverantwortung in Berlin übernehmen wollten?
Lindner: Es kann kein Fehler sein, sich nach der Wahl an das zu erinnern, was man vor der Wahl gesagt hat. 2009 hatten wir ein Rekordergebnis, 2010 waren wir in den Umfragen dann bei 2 Prozent und wurden als Umfaller diffamiert. Das hätte sich bei Jamaika wiederholt, denn von der Abschaffung des Soli über ein weltoffenes Gesetz zur Einwanderungssteuerung und globaler Klimaverantwortung bis zur Reform der Bildung hätten wir nichts umgesetzt. Frau Merkel wollte Schwarz-Grün. Trotz harter Kampagnen gegen uns ist in Bayern die FDP erst zum dritten Mal überhaupt zu meinen Lebzeiten in den Landtag gekommen. Gerne hätten wir im Freistaat auch Regierungsverantwortung übernommen, um Bayern mehr Tempo zu geben. CSU und Freie Wähler stehen nur für ein Weiter-so. In Hessen starten wir heute in die Schlussphase des Landtagswahlkampfes mit acht Prozent. Darauf lässt sich aufbauen.
Frage: Warum profitieren die Grünen so stark von der Schwäche der Volksparteien und die FDP nicht?
Lindner: Wir sind viel stärker als vor vier, drei, zwei oder einem Jahr. Die FDP hat sich für einen harten Weg entschieden. In der Folge bekommen wir gegenwärtig keine taktische Unterstützung. Wer uns wählt, ist besonders unabhängig im Denken und Handeln. Die Grünen profitieren vor allem von der momentanen Schwäche der SPD und einer gefühlten Stimmung. Mal sehen, wie das weiter geht.
Frage: Erleben wir wie in anderen Ländern das Ende der Volksparteien?
Lindner: Das Konzept der Volksparteien, es allen recht machen zu wollen, hat mich nie sonderlich überzeugt. Jetzt ist die Zeit von Programmparteien, die einen stärkeren inhaltlichen Anspruch verkörpern. Die FDP setzt auf das Vertrauen in die Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen, auf die Offenheit für neue Technologie und auf Toleranz.
Frage: Die Große Koalition kommt nicht aus der Krise. Stünde die FDP für einen neuen Versuch bereit, ein Jamaika-Bündnis im Bund zu bilden?
Lindner: Das ist eine rückwärtsgewandte Spekulation. Nach der Bundestagswahl hätten CDU und CSU die Möglichkeit gehabt, eine solche Regierung zu bilden. Frau Merkel hätte ein vernünftiges Angebot machen können. Sie wollte es aber eher den Grünen recht machen. Ich glaube indessen nicht, dass die Große Koalition scheitert. Falls doch, würden wir eine befristete Minderheitsregierung konstruktiv begleiten. Auf Bundesebene machen Jamaika-Gespräche Sinn, wenn nach der Ära Merkel neues Denken möglich ist.
Frage: Die Große Koalition im Bund steht schwer unter Druck. Wäre bei einer personellen Erneuerung der Union auf Bundesebene noch ein Versuch denkbar, eine Jamaika-Koalition zu bilden?
Lindner: Es geht doch nicht nur um Personen, sondern auch um Programme. In Wahrheit sind allein die Unterschiede zwischen CSU und Grünen zu groß, sonst gäbe es ja Schwarz-Grün in Bayern. Hinter den Kulissen ist die CSU uns ja auch dankbar, dass wir den Mut hatten, auf eine Regierungsbeteiligung zu verzichten. Die Grünen treten momentan in der Kommunikation nach außen nicht mehr als Verbotspartei auf. Aber die Inhalte sind noch unverändert: die ganze Phalanx von Bevormundung, ideologisch motivierten Verboten des Verbrennungsmotors, von Quoten, von Subventionen, von steuerlichen Mehrbelastungen und Umverteilung von der einen in die andere Tasche, von der Ablehnung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten.
Frage: Noch einmal zur Klarstellung: Wäre eine Jamaika-Koalition ohne Angela Merkel und Horst Seehofer möglich?
Lindner: Die Nachfolger von Frau Merkel und Herrn Seehofer machen es leichter, weil dann wie in Schleswig-Holstein neues Denken möglich wird. Aber die Wahlprogramme bleiben doch unverändert. Vor einer neuen Legitimation nach Wahlen sehe ich nicht, wie eine Änderung da möglich sein soll. In Hessen ist die Lage anders. Dort wären wir bereit zu prüfen, ob sich eine Jamaika-Regierung nach dem Modell Schleswig-Holstein bilden lässt. Hessen braucht nach fünf Jahren Stillstand unter Schwarz-Grün einen Aufbruch, aber keinen Linksruck mit Grün-Rot-Rot.
Frage: Die Koalition will in der Gesetzlichen Krankenversicherung zurück zur Parität. Was spricht aus Sicht der FDP dagegen?
Lindner: Die große Koalition hält die Belastbarkeit der Wirtschaft für grenzenlos. Ich melde Zweifel an. Das Mindeste wäre, wenigstens auch den Solidaritätszuschlag abzubauen, um einmal ein Entlastungssignal zu geben. Die Risiken auf den Weltmärkten steigen, die Energiekosten bei uns auch. Für Investitionen in die Digitalisierung und die Binnenkaufkraft der Menschen sollte die Politik etwas tun.
Frage: Thema Brexit: Besser als nichts, heißt es nach dem EU-Gipfel. Es soll eine Verlängerung für die Verhandlungen geben. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Lindner: Das ist alles andere als einen Durchbruch. Ein harter Brexit ohne einen Deal ist nicht abgewendet. Den wünschen wir uns nicht. Aber notwendig ist, dass die Bundesregierung alle Vorbereitungen für diesen Fall trifft. Genau das bemängeln wir. Es gibt keine Priorität in der Regierung dafür. Beispielswiese müsste man die Zollverfahren digitalisieren, um die Bürokratiekosten des Brexit zu senken.
Frage: Erleben wir auch in Brüssel den Herbst der Bundeskanzlerin, nämlich als europäische Krisenkanzlerin?
Lindner: Angela Merkel ist schon längst keine europäische Krisenkanzlerin mehr. Sie verschärft die Krisen wie durch ihre Migrationspolitik. Sie hat Europa gespalten in Nord und Süd in Währungsfragen, indem sie sich öffnet für die Vergemeinschaftung von Finanzen. Wir wollen stattdessen einerseits die Achtung der Fiskalregeln und ein Defizitverfahren gegen Italien. Andererseits empfehlen wir mehr reale Investitionen in Innovation und Infrastruktur aus den Töpfen der EU, um die Wirtschaftskraft in Europa anzunähern.
Frage: Glauben Sie, dass die Bundesregierung Diesel-Fahrverbote noch abwenden kann?
Lindner: Wir reden permanent über Fahrverbote, Entschädigungen und ähnliche Dinge. Ich schlage vor: Erst einmal sollten wir über Grenzwerte und Messverfahren sprechen. In Deutschland unterscheiden sich die Messpunkte von Stadt zu Stadt enorm. Wir brauchen verbindliche Standards. Meine Vermutung ist, dass an vielen Stellen falsch gemessen wird. Aus diesen Fehlern resultieren lästige Fahrverbote. Der Bundesverkehrsminister sollten einheitliche Methoden verbindlich für alle Kommunen vorschreiben. Pflichtnachrüstungen durch alle Hersteller, die manipuliert haben, sind doch eine Selbstverständlichkeit. Die allergrößte der Diesel-Pkw sind aber ohne jeden Gesetzesverstoß in den Verkehr gebracht worden. Da lenkt die Sündenbock-Debatte nur von den Versäumnissen der Bundesregierung und des CSU-Verkehrsministers ab.