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01.10.2018 - 16:15KUBICKI-Interview: Ich war der Quartalsirre aus dem Norden
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Südwest Presse“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Stefan Kegel und Claus Liesegang.
Frage: Herr Kubicki, Freiheit ist der Wert, den Ihre Partei ganz besonders hoch hält. Was bedeutet er Ihnen persönlich?
Kubicki: Freiheit bedeutet für mich, mein Leben so gestalten zu können, wie ich das möchte. Kommen Sie mal an die Ostsee, dann merken Sie schnell, was Freiheit ist. Wenn Sie draußen auf dem Wasser sind und nur noch mit sich selbst, ihren Freunden und dem Wetter zu tun haben.
Frage: Sie sind jetzt 66 Jahre alt. Andere Leute in Ihrem Alter beschäftigen sich mit dem Gedanken an den Ruhestand. Ist das bei Ihnen auch so?
Kubicki: Das Alter ist ja nicht etwas, was sich im Kopf abspielt, sondern etwas, das Sie nur physisch merken. Ich habe beschlossen, dass ich mich langsam aus meiner Kanzlei rausschleiche, und es ist auch klar, dass ich höchstens noch für eine Legislaturperiode im Bundestag antrete, wenn überhaupt. Das hat auch mit meiner Frau zu tun. Die ist sowieso schon auf der Zinne, weil das zwischen uns anders geplant war. Wenn ich ausgestiegen bin, werden wir all das tun, was wir uns vorgenommen haben: vor allem viel reisen.
Frage: Haben Sie sich in Berlin eine ruhige Ecke zum Leben gesucht, um dem Stress des Alltags zu entfliehen? In Strande bei Kiel, wo Ihr Haus steht, ist es ja eher beschaulich.
Kubicki: Als kurz vor den Jamaika-Sondierungen im „Spiegel" stand, dass ich eine Wohnung in Berlin suche, habe ich lauter Angebote bekommen. Und ich muss sagen: Teure Wohnungen können Sie in Berlin noch immer locker kriegen. Im höheren Preissegment gibt es keinen Wohnungsmangel. Meine Frau hat sich dann 26 Wohnungen angeschaut – nach den Kriterien, die mir wichtig sind.
Frage: Und welche sind das?
Kubicki: In der Nähe müssen Restaurants sein, damit ich abends noch irgendwo hingehen kann. Dann schrieb sie mir mitten in den Verhandlungen, dass sie eine Wohnung gefunden hat. Der Preis war mir in diesem Moment egal. Ich fragte nur: Sind die anderen Kriterien erfüllt? Sie schrieb zurück: Gegenüber ist eine Bar, die hat 24 Stunden am Tag geöffnet. Da war die Sache klar. Wir wohnen jetzt im Zentrum. Und trotzdem ist die Wohnung unglaublich ruhig. Wir können mit offenem Fenster schlafen. Sie ist zu unserem zweiten Zuhause geworden.
Frage: In Ihrem Leben hatten Sie nie ein Regierungsamt inne, 2009 haben Sie eines ausgeschlagen, um Anwalt bleiben zu können. Ist Opposition so viel besser als in einer Regierung etwas zu bewegen?
Kubicki: Ein Regierungsamt habe ich abgelehnt, um meine ökonomische Unabhängigkeit zu behalten, denn dann hätte ich nicht mehr als Anwalt arbeiten können. Diese Unabhängigkeit war für mich immer extrem wichtig. Dadurch kann ich meine Meinung so äußern, wie ich will. Da kann niemand kommen und sagen: Deine Karriere hier ist vorbei. Entscheidend war für mich auch, meine argumentative Freiheit im Parlament zu behalten. In einem Regierungsamt ist man eng begrenzt, was man tun und sagen kann. Ich bin mit Leib und Seele Parlamentarier. Und es gibt kaum etwas Einflussreicheres, als Vorsitzender einer Regierungsfraktion zu sein.
Frage: Sie sind 1970, zur Zeit der rot-gelben Koalition Willy Brandts, in die FDP eingetreten, als die großen Fragen der Welt verhandelt wurden. Wie hat sich Politik seither verändert?
Kubicki: Vor allem hat sich die Geschwindigkeit verändert. Man hatte damals viel mehr Zeit, mal über ein Problem nachzudenken. Heute hat man als Politiker 30 Sekunden, um auf irgendetwas zu reagieren. Das führt manchmal auch zu falschen Einschätzungen und falschen Entscheidungen, was bedauerlich ist. Wenn ich in Berlin bin, denke ich immer, hier hyperventiliert alles. Und jedes Wort wird semantisch hin- und hergewogen, was man damit wirklich meinen könnte. Dadurch vermittelt Politik den Eindruck, sie sei sehr kurzatmig, wenig durchdacht.
Frage: Nach der Wahl von Ralph Brinkhaus zum Unions-Fraktionschef rüttelt es im Moment vor allem CDU und CSU durch. Welche Auswirkungen hat diese Wahl?
Kubicki: Solch ein Ereignis destabilisiert die Große Koalition auf jeden Fall. Angela Merkel war über 13 Jahre persönliche Niederlagen nicht gewohnt – jetzt musste sie in dieser Woche gleich zwei einstecken. Nachdem sie Fehler im Umgang mit der Personalie Maaßen eingestehen musste, bricht nun ihr parlamentarischer Stabilitätsanker weg. Für das Selbstbewusstsein des Parlaments ist der Wechsel zu Ralph Brinkhaus ein gutes Zeichen. Für die Regierung Merkel allerdings nicht.
Frage: Wird sich die Kanzlerin noch bis zum Ende der Legislaturperiode halten können?
Kubicki: Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin auf die Erosion ihrer Macht reagiert. Sie hat den Zeitpunkt verpasst, um mit Würde abzudanken. Wenn führende Kräfte der Union jetzt davon sprechen, die Kanzlerin sei gestärkt, um den Übergang zu moderieren, erklären sie gleichzeitig, dass die Zeit der Kanzlerin Merkel sich dem Ende nähert.
Frage: Sie plädieren für den Einsatz des Verstandes auch in emotionalisierten Debatten. Ist das auch sinnvoll, um einer Partei zu begegnen, die so sehr den Bauch anspricht wie die AfD?
Kubicki: Man muss beides machen. Mir ist das klargeworden, als ich mit meiner Frau in ein Parkhaus gefahren bin und auf einem Frauenparkplatz geparkt habe. Sie hat mich richtiggehend zusammengefaltet, weil dieser Parkplatz für jene Frauen reserviert ist, die Angst im Parkhaus haben. Da ist es unerheblich, dass die Gefahr, auf dem Weg zum Parkhaus einen Unfall zu haben, weitaus größer ist, als im Parkhaus überfallen zu werden. Die Sorge ist trotzdem da. Was ich sagen will, ist Folgendes: Wir müssen uns überlegen, ob wir in unserer politischen Ansprache nicht auch emotionaler sein müssen.
Frage: Was meinen Sie damit?
Kubicki: Damit meine ich nicht, polemischer zu werden. Sondern auch mit Stolz zu operieren und zu sagen: Wenn wir gemeinsam die Ärmel aufkrempeln und anpacken, kriegen wir das gemeinsam hin. Auch in meiner Partei gibt es eine gewisse Aversion dagegen, den Bauch und das Herz anzusprechen. Das lässt uns manchmal kaltherzig erscheinen. Ich glaube aber, dass wir in der politischen Kommunikation emotionaler werden müssen, auch um der AfD etwas entgegensetzen zu können. Das heißt aber nicht, dass man andere gleich beleidigen muss, wie es im „Kampf gegen Rechts" gelegentlich geschieht.
Frage: Sie entspannen sich gern bei Kriegsfilmen. Ist das nur eine Marotte oder ziehen Sie daraus auch Lehren für die Politik?
Kubicki: Mein Tagesablauf ist sehr stressig. Wenn ich nach Hause komme, brauche ich immer eine gewisse Zeit, um meinen Adrenalinspiegel nach unten zu fahren. Wenn ich Kriegsfilme sehe, spiele ich immer mit.
Frage: Als Guter oder als Böser?
Kubicki: Immer auf der Seite der Guten. Das Entscheidende ist: Ich bin danach so erschöpft, dass ich wie ein nasser Sack schlafe. Und mir wird bei Kriegsfilmen immer wieder klar: Dankenswerterweise ist das nicht Wirklichkeit, aber Du musst alles dafür tun, dass Krieg nicht wieder passiert. Einer meiner Beweggründe, 1970 politisch tätig zu werden, war, dazu beizutragen, dass nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgeht. Es gibt nichts, was das rechtfertigt. Außer zur Selbstverteidigung gegen Angriffe von anderen.
Frage: Manchmal hört man in der FDP auch den Satz „Ach, der Kubicki wieder". Haben Sie Angst, das Freiheits-Maskottchen der FDP zu werden?
Kubicki: Ich war 20 Jahre lang in der FDP der Quartalsirre aus dem Norden. Dann wurde ich zum Markenzeichen, alle haben mit mir geworben. Es gibt halt unterschiedliche Meinungen, und wo, wenn nicht bei der FDP, sollen diese Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden? Man hat als Gewählter auch eine Funktion zu erfüllen, nicht für sich selbst, sondern für die Menschen im Land. Vielleicht sollten diejenigen, die hinter vorgehaltener Hand lästern, das mal öffentlich tun. Dann würden sie auch wahrgenommen.
Frage: Wo sehen Sie Deutschland in einem Jahr?
Kubicki: Ich sehe momentan, dass die Debatte um die AfD und Rechtsextreme uns nach den Wahlen in Bayern und Hessen noch weiter beschäftigen wird. Und zwar deshalb, weil die Sozialdemokratie dort abschmiert und sich jetzt auf ihre geschichtliche Errungenschaft zurückzieht, gegen die Nazis gekämpft zu haben. Das soll die Partei zusammenhalten. Das nützt der SPD aber nur kurzfristig und rückt wieder nur die AfD ins Scheinwerferlicht.
Frage: Und wirtschaftlich?
Kubicki: Wir kommen in eine Phase, in der unsere dauerhaft prosperierende Wirtschaft abschmelzen wird, weil wir es versäumt haben, uns auf die Digitalisierung vorzubereiten. Bis heute ist es so, dass ich auf der Fahrt von Berlin nach Kiel 80 Kilometer kein Handynetz habe. Im Baltikum wird der halbe Unterricht digital gehalten, in Südostasien haben sie überall WLAN, Moskau verfügt über ein 5G-Netz. Und wir haben nicht mal in den Liegenschaften des Bundestages überall WLAN.
Frage: Warum ist das so problematisch?
Kubicki: Jeden Tag, den wir gegenüber den anderen bei der Digitalisierung verlieren, holen wir nicht mehr auf. Das macht mir Sorge. Wir haben uns an unseren Wohlstand gewöhnt. Und der kann schnell vorbei sein. Nokia war von heute auf morgen weg, weil es den Smartphone-Trend verpasste. Unserer Automobilindustrie kann das genauso gehen. Oder Beschäftigten in einigen Berufszweigen. Wie erklärt man ihnen, dass ihre Kenntnisse in diesem Bereich nicht mehr gebraucht werden? Und wo bietet man ihnen neue Jobs an? Wenn ein Bruch kommt und wir kein Geld mehr haben, ihn mit Sozialausgaben zu übertünchen, möchte ich mir die gesellschaftliche Diskussion gar nicht vorstellen.
KUBICKI-Interview: Ich war der Quartalsirre aus dem Norden
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Südwest Presse“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Stefan Kegel und Claus Liesegang.
Frage: Herr Kubicki, Freiheit ist der Wert, den Ihre Partei ganz besonders hoch hält. Was bedeutet er Ihnen persönlich?
Kubicki: Freiheit bedeutet für mich, mein Leben so gestalten zu können, wie ich das möchte. Kommen Sie mal an die Ostsee, dann merken Sie schnell, was Freiheit ist. Wenn Sie draußen auf dem Wasser sind und nur noch mit sich selbst, ihren Freunden und dem Wetter zu tun haben.
Frage: Sie sind jetzt 66 Jahre alt. Andere Leute in Ihrem Alter beschäftigen sich mit dem Gedanken an den Ruhestand. Ist das bei Ihnen auch so?
Kubicki: Das Alter ist ja nicht etwas, was sich im Kopf abspielt, sondern etwas, das Sie nur physisch merken. Ich habe beschlossen, dass ich mich langsam aus meiner Kanzlei rausschleiche, und es ist auch klar, dass ich höchstens noch für eine Legislaturperiode im Bundestag antrete, wenn überhaupt. Das hat auch mit meiner Frau zu tun. Die ist sowieso schon auf der Zinne, weil das zwischen uns anders geplant war. Wenn ich ausgestiegen bin, werden wir all das tun, was wir uns vorgenommen haben: vor allem viel reisen.
Frage: Haben Sie sich in Berlin eine ruhige Ecke zum Leben gesucht, um dem Stress des Alltags zu entfliehen? In Strande bei Kiel, wo Ihr Haus steht, ist es ja eher beschaulich.
Kubicki: Als kurz vor den Jamaika-Sondierungen im „Spiegel" stand, dass ich eine Wohnung in Berlin suche, habe ich lauter Angebote bekommen. Und ich muss sagen: Teure Wohnungen können Sie in Berlin noch immer locker kriegen. Im höheren Preissegment gibt es keinen Wohnungsmangel. Meine Frau hat sich dann 26 Wohnungen angeschaut – nach den Kriterien, die mir wichtig sind.
Frage: Und welche sind das?
Kubicki: In der Nähe müssen Restaurants sein, damit ich abends noch irgendwo hingehen kann. Dann schrieb sie mir mitten in den Verhandlungen, dass sie eine Wohnung gefunden hat. Der Preis war mir in diesem Moment egal. Ich fragte nur: Sind die anderen Kriterien erfüllt? Sie schrieb zurück: Gegenüber ist eine Bar, die hat 24 Stunden am Tag geöffnet. Da war die Sache klar. Wir wohnen jetzt im Zentrum. Und trotzdem ist die Wohnung unglaublich ruhig. Wir können mit offenem Fenster schlafen. Sie ist zu unserem zweiten Zuhause geworden.
Frage: In Ihrem Leben hatten Sie nie ein Regierungsamt inne, 2009 haben Sie eines ausgeschlagen, um Anwalt bleiben zu können. Ist Opposition so viel besser als in einer Regierung etwas zu bewegen?
Kubicki: Ein Regierungsamt habe ich abgelehnt, um meine ökonomische Unabhängigkeit zu behalten, denn dann hätte ich nicht mehr als Anwalt arbeiten können. Diese Unabhängigkeit war für mich immer extrem wichtig. Dadurch kann ich meine Meinung so äußern, wie ich will. Da kann niemand kommen und sagen: Deine Karriere hier ist vorbei. Entscheidend war für mich auch, meine argumentative Freiheit im Parlament zu behalten. In einem Regierungsamt ist man eng begrenzt, was man tun und sagen kann. Ich bin mit Leib und Seele Parlamentarier. Und es gibt kaum etwas Einflussreicheres, als Vorsitzender einer Regierungsfraktion zu sein.
Frage: Sie sind 1970, zur Zeit der rot-gelben Koalition Willy Brandts, in die FDP eingetreten, als die großen Fragen der Welt verhandelt wurden. Wie hat sich Politik seither verändert?
Kubicki: Vor allem hat sich die Geschwindigkeit verändert. Man hatte damals viel mehr Zeit, mal über ein Problem nachzudenken. Heute hat man als Politiker 30 Sekunden, um auf irgendetwas zu reagieren. Das führt manchmal auch zu falschen Einschätzungen und falschen Entscheidungen, was bedauerlich ist. Wenn ich in Berlin bin, denke ich immer, hier hyperventiliert alles. Und jedes Wort wird semantisch hin- und hergewogen, was man damit wirklich meinen könnte. Dadurch vermittelt Politik den Eindruck, sie sei sehr kurzatmig, wenig durchdacht.
Frage: Nach der Wahl von Ralph Brinkhaus zum Unions-Fraktionschef rüttelt es im Moment vor allem CDU und CSU durch. Welche Auswirkungen hat diese Wahl?
Kubicki: Solch ein Ereignis destabilisiert die Große Koalition auf jeden Fall. Angela Merkel war über 13 Jahre persönliche Niederlagen nicht gewohnt – jetzt musste sie in dieser Woche gleich zwei einstecken. Nachdem sie Fehler im Umgang mit der Personalie Maaßen eingestehen musste, bricht nun ihr parlamentarischer Stabilitätsanker weg. Für das Selbstbewusstsein des Parlaments ist der Wechsel zu Ralph Brinkhaus ein gutes Zeichen. Für die Regierung Merkel allerdings nicht.
Frage: Wird sich die Kanzlerin noch bis zum Ende der Legislaturperiode halten können?
Kubicki: Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin auf die Erosion ihrer Macht reagiert. Sie hat den Zeitpunkt verpasst, um mit Würde abzudanken. Wenn führende Kräfte der Union jetzt davon sprechen, die Kanzlerin sei gestärkt, um den Übergang zu moderieren, erklären sie gleichzeitig, dass die Zeit der Kanzlerin Merkel sich dem Ende nähert.
Frage: Sie plädieren für den Einsatz des Verstandes auch in emotionalisierten Debatten. Ist das auch sinnvoll, um einer Partei zu begegnen, die so sehr den Bauch anspricht wie die AfD?
Kubicki: Man muss beides machen. Mir ist das klargeworden, als ich mit meiner Frau in ein Parkhaus gefahren bin und auf einem Frauenparkplatz geparkt habe. Sie hat mich richtiggehend zusammengefaltet, weil dieser Parkplatz für jene Frauen reserviert ist, die Angst im Parkhaus haben. Da ist es unerheblich, dass die Gefahr, auf dem Weg zum Parkhaus einen Unfall zu haben, weitaus größer ist, als im Parkhaus überfallen zu werden. Die Sorge ist trotzdem da. Was ich sagen will, ist Folgendes: Wir müssen uns überlegen, ob wir in unserer politischen Ansprache nicht auch emotionaler sein müssen.
Frage: Was meinen Sie damit?
Kubicki: Damit meine ich nicht, polemischer zu werden. Sondern auch mit Stolz zu operieren und zu sagen: Wenn wir gemeinsam die Ärmel aufkrempeln und anpacken, kriegen wir das gemeinsam hin. Auch in meiner Partei gibt es eine gewisse Aversion dagegen, den Bauch und das Herz anzusprechen. Das lässt uns manchmal kaltherzig erscheinen. Ich glaube aber, dass wir in der politischen Kommunikation emotionaler werden müssen, auch um der AfD etwas entgegensetzen zu können. Das heißt aber nicht, dass man andere gleich beleidigen muss, wie es im „Kampf gegen Rechts" gelegentlich geschieht.
Frage: Sie entspannen sich gern bei Kriegsfilmen. Ist das nur eine Marotte oder ziehen Sie daraus auch Lehren für die Politik?
Kubicki: Mein Tagesablauf ist sehr stressig. Wenn ich nach Hause komme, brauche ich immer eine gewisse Zeit, um meinen Adrenalinspiegel nach unten zu fahren. Wenn ich Kriegsfilme sehe, spiele ich immer mit.
Frage: Als Guter oder als Böser?
Kubicki: Immer auf der Seite der Guten. Das Entscheidende ist: Ich bin danach so erschöpft, dass ich wie ein nasser Sack schlafe. Und mir wird bei Kriegsfilmen immer wieder klar: Dankenswerterweise ist das nicht Wirklichkeit, aber Du musst alles dafür tun, dass Krieg nicht wieder passiert. Einer meiner Beweggründe, 1970 politisch tätig zu werden, war, dazu beizutragen, dass nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgeht. Es gibt nichts, was das rechtfertigt. Außer zur Selbstverteidigung gegen Angriffe von anderen.
Frage: Manchmal hört man in der FDP auch den Satz „Ach, der Kubicki wieder". Haben Sie Angst, das Freiheits-Maskottchen der FDP zu werden?
Kubicki: Ich war 20 Jahre lang in der FDP der Quartalsirre aus dem Norden. Dann wurde ich zum Markenzeichen, alle haben mit mir geworben. Es gibt halt unterschiedliche Meinungen, und wo, wenn nicht bei der FDP, sollen diese Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden? Man hat als Gewählter auch eine Funktion zu erfüllen, nicht für sich selbst, sondern für die Menschen im Land. Vielleicht sollten diejenigen, die hinter vorgehaltener Hand lästern, das mal öffentlich tun. Dann würden sie auch wahrgenommen.
Frage: Wo sehen Sie Deutschland in einem Jahr?
Kubicki: Ich sehe momentan, dass die Debatte um die AfD und Rechtsextreme uns nach den Wahlen in Bayern und Hessen noch weiter beschäftigen wird. Und zwar deshalb, weil die Sozialdemokratie dort abschmiert und sich jetzt auf ihre geschichtliche Errungenschaft zurückzieht, gegen die Nazis gekämpft zu haben. Das soll die Partei zusammenhalten. Das nützt der SPD aber nur kurzfristig und rückt wieder nur die AfD ins Scheinwerferlicht.
Frage: Und wirtschaftlich?
Kubicki: Wir kommen in eine Phase, in der unsere dauerhaft prosperierende Wirtschaft abschmelzen wird, weil wir es versäumt haben, uns auf die Digitalisierung vorzubereiten. Bis heute ist es so, dass ich auf der Fahrt von Berlin nach Kiel 80 Kilometer kein Handynetz habe. Im Baltikum wird der halbe Unterricht digital gehalten, in Südostasien haben sie überall WLAN, Moskau verfügt über ein 5G-Netz. Und wir haben nicht mal in den Liegenschaften des Bundestages überall WLAN.
Frage: Warum ist das so problematisch?
Kubicki: Jeden Tag, den wir gegenüber den anderen bei der Digitalisierung verlieren, holen wir nicht mehr auf. Das macht mir Sorge. Wir haben uns an unseren Wohlstand gewöhnt. Und der kann schnell vorbei sein. Nokia war von heute auf morgen weg, weil es den Smartphone-Trend verpasste. Unserer Automobilindustrie kann das genauso gehen. Oder Beschäftigten in einigen Berufszweigen. Wie erklärt man ihnen, dass ihre Kenntnisse in diesem Bereich nicht mehr gebraucht werden? Und wo bietet man ihnen neue Jobs an? Wenn ein Bruch kommt und wir kein Geld mehr haben, ihn mit Sozialausgaben zu übertünchen, möchte ich mir die gesellschaftliche Diskussion gar nicht vorstellen.