FDP|
01.10.2018 - 11:00LINDNER-Interview: Mit Frau Merkel geht es gewiss nicht mehr
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Alexander Kain:
Frage: Großer Bahnhof für den türkischen Präsidenten. Ist Merkel-Deutschland schwach, weil es sich so viel von Erdogan gefallen lässt, oder klug und besonnen, weil Dinge emotionsfrei und sachlich vorangetrieben werden?
Lindner: Es gibt eine dritte Möglichkeit: Dieser Staatsbesuch war ein kapitaler politischer Fehler. Präsident Erdogan unterlässt keine Provokation, aus der Pressekonferenz mit ihm werden Journalisten abgeführt. Man muss und sollte mit der Türkei sprechen – wir haben daran ein Interesse. Aber die Türkei ist mehr auf bessere Beziehungen angewiesen als Deutschland. Das hätte man Erdogan spüren lassen sollen. Ein Arbeitsbesuch, bei dem Kritisches angesprochen wird, wäre dafür passender gewesen als diese Propaganda-Steilvorlage. Deshalb habe ich im Übrigen nicht am Staatsbankett in Berlin teilgenommen, sondern war lieber in Bayern unterwegs, um im Wahlkampf das Gespräch mit Bürgern zu suchen.
Frage: Wie angeschlagen sind Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Große Koalition?
Lindner: Die Arbeitsweise der GroKo gleicht inzwischen einer Autoimmunerkrankung: Sie kämpft gegen sich selbst. Insbesondere zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer gibt es einen Stellungskrieg, wie ich es trotz meiner Eindrücke in den Jamaika-Sondierungen nicht für möglich gehalten hätte. Ich wünsche mir stattdessen gestalterische Impulse, wie wir sie in Frankreich sehen. Ein funktionierendes Management bei der Einwanderung, Vorfahrt für Digitalisierung, leichteres wirtschaftliches Vorankommen des Mittelstands, Priorität für bessere Bildung, Zukunftssicherung des Sozialstaats – all das erwarte ich von dieser Koalition und diesem Kabinett allerdings nicht mehr.
Frage: Nach Hessen- und Bayern-Wahl folgt am 6. Dezember der CDU-Parteitag. Überlebt Merkel?
Lindner: Das Ergebnis dieser Wahlen wird die weitere Entwicklung Deutschlands prägen – in Bayern wird nicht nur über den Freistaat entschieden, sondern auch über die Stimmung in Deutschland und das Bild der Bundesrepublik in Europa und der Welt. Die Landtagswahl in Bayern ist eine ganz besondere Wahl. Ich empfehle den Bayern, ein Signal zu senden, dass sie ein weltoffenes, wirtschaftlich vernünftiges Land bleiben wollen – und hoffe, dass sich die Unzufriedenheit nicht Bahn bricht, die Rechtspopulisten zu stärken. Für mich ist zweitrangig, was das für die politische Karriere von Frau Merkel bedeutet. Nach den Wahlen in Bayern und Hessen bleibt es für sie weiter gefährlich: Im kommenden Jahr folgt die Europawahl, dann die Evaluierung der Koalition durch die SPD, anschließend weitere Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern.
Frage: Das Bessere ist des Guten Feind: Wer könnte Merkel beerben?
Lindner: Frau Merkel ist im 13. Jahr ihrer Amtszeit festgefahren. Alte Fehlentscheidungen kann sie nicht korrigieren, bei jeder neuen Entscheidung müssen ihr sofort Bedenken kommen: „Warum hat man das nicht vorher schon gemacht?“ Ihr sind Experimentiergeist und Lust auf das Neue verloren gegangen. Die GroKo sticht nur durch wechselseitige Verletzungen hervor. Deshalb glaube ich, dass jeder, der die Dinge mit frischem Denken angeht, in jeder Hinsicht besser ist als Frau Merkel. Ich wäre bereit, die große Erfahrung von Frau Merkel, die leider mit erheblicher politischer Erschöpfung verbunden ist, einzutauschen in Pioniergeist und Tatendurst. Und da wäre nahezu jeder und jede besser als Frau Merkel.
Frage: An Neuwahlen können – wegen der miserablen Umfragewerte – weder Union noch SPD ein Interesse haben. Könnte Jamaika in Berlin jetzt doch noch eine Option zur Ablösung der Großen Koalition sein?
Lindner: Mir fehlt die Fantasie, wie das – mit diesen Akteuren und den Wahlprogrammen des Jahres 2017 – gelingen soll. Erst nach der politischen und personellen Erneuerung machen Gespräche Sinn. Mit Frau Merkel geht es gewiss nicht mehr. Immerhin: Die personelle Erneuerung bei CDU und Grünen hat begonnen, Herr Brinkhaus saß im vergangenen Jahr bei den Verhandlungen nicht am Tisch, und die Grünen haben bereits eine neue Führung. Es passiert also etwas. Aber bevor diese Prozesse nicht abgeschlossen sind, bevor es neue programmatische Ideen gibt, macht eine Wiederauflage keinen Sinn. Nach der nächsten Bundestagswahl wird man dazu mehr sagen können.
Frage: Die FDP sei in Berlin vor der Jamaika-Verantwortung geflohen, deshalb habe sie auch in Bayern nichts im Landtag verloren, sagt die CSU. Klingt erstmal logisch, oder?
Lindner: Hinter den Kulissen spricht die CSU ganz anders. Da wird uns auf die Schulter geklopft und es werden Lorbeerkränze aus Dankbarkeit dafür geflochten, dass wir die Partei vor Jamaika bewahrt haben – in dem Wissen, dass beispielsweise die Agrar- und Energiepolitik von Jamaika für Bayern eine Katastrophe gewesen wäre. Wenn man intern anders spricht, als an den Wahlkampfständen, ist das eine Charakterfrage.
Frage: Es wird spekuliert, dass Horst Seehofer nach der Landtagswahl als CSU-Chef gehen muss. Wer wäre Ihnen als neuer Kollege am Tisch der Parteivorsitzenden am liebsten? Markus Söder, Alexander Dobrindt oder Manfred Weber?
Lindner: Ich kann mit allen leben. Der Gesprächskontakt zwischen Parteien hängt nicht an einzelnen Personen. Schwerer wiegt, dass wir mit der CSU Konflikte haben, etwa bei Kuschelei mit Herrn Orban. Außerdem spricht die CSU mehr über Marktwirtschaft als sie tut.
Frage: Aus dem Finanzministerium von Minister Olaf Scholz (SPD) gibt es offenbar einen neuen Angriff auf das Ehegattensplitting. Müssen sich Paare und Familien Sorgen machen? Oder wäre das die Chance, sogar zu einem Familiensplitting zu kommen?
Lindner: Ich wäre offen für ein Familiensplitting, weil es bedeuten würde, mehr für Familien zu tun. Die Entlastung konzentriert sich aber massiv auf Topverdiener mit vielen Kindern. Das hätte eine enorme Umverteilungswirkung. Ich würde eine Entlastung gerne breiter in der Gesellschaft verteilen. Beim Ehegattensplitting indes ist ganz klar zu sagen: Es kann nicht sein, dass Ehepaare, die füreinander Verantwortung übernommen haben und die eine klare Arbeitsteilung besprechen, steuerlich bestraft werden. Deshalb ist ein Angriff auf das Ehegattensplitting politisch und in der Sache falsch. Das wäre nichts anderes als eine Steuererhöhung. Herr Scholz sollte lieber mal Vorschläge machen, wie wir auf den Solidaritätszuschlag verzichten. Das könnte der Bund alleine beschließen und es wäre auch notwendig, weil wir im nächsten Jahr Vizeweltmeister bei den Steuern sein werden, nachdem Herr Trump und Herr Macron in ihren Ländern die Steuern gesenkt haben.
Frage: Der Staat nimmt Steuern ein wie nie zuvor – und schafft es trotzdem nicht, den Solidaritätszuschlag schnell und ganz aufzugeben.
Lindner: Ja, Union, SPD und Grüne wollen keine Entlastungen der Bürger, sie wollen das Geld lieber selbst ausgeben – für Subventionen, Progrämmchen oder wie die GroKo gar für mehr Geld für die Parteien selbst. Insbesondere die CSU redet gerne von Steuerentlastungen, beschließt sie aber nicht. Viermal ist die CSU mit der Forderung von Steuerentlastungen in den Wahlkampf gegangen. Nichts ist passiert.
Frage: Bei der letzten Bundestagswahl hat die CSU es in ihrem „Bayernplan“ sogar garantiert.
Lindner: Und danach kam: Nichts. Vor der letzten Bundestagswahl hat Herr Seehofer die größte Steuerentlastung in der Geschichte der Bundesrepublik versprochen. Nichts. Schlimmer noch: Die CSU hat uns bei den Jamaika-Verhandlungen mit diesen Forderungen völlig allein gelassen. Hätte uns die CSU vehement unterstützt, hätte sich vielleicht etwas bewegt. Da gab es keine Unterstützung. Dagegen war die CSU bei der Einwanderungspolitik bereit, sehr weit in Richtung Grüne umzufallen. Das war mit uns unmöglich.
Frage: Die CSU behauptet, die FDP hätte die komplette Abschaffung des gesamten Solidaritätszuschlags bekommen, wenn sie Jamaika mitgemacht hätte.
Lindner: Wenn es so gewesen wäre, säße ich hier vielleicht als Finanzminister. Das, was die GroKo jetzt beim Soli macht, entspricht exakt dem Schlussangebot von CDU und CSU an uns. Wer etwas anderes behauptet, sagt die Unwahrheit.
Frage: Die FDP steht für die bürgerlich-liberalen Menschen in der Gesellschaft. Nun greift die extreme Linke das Bürgerliche an, die extreme Rechte, wie die AfD, das Liberale. Hat die FDP noch Zukunft?
Lindner: Im Gegenteil. Jetzt wird umso deutlicher, dass es eine liberale Kraft geben muss, die einerseits Toleranz, Liberalität und Weltoffenheit unserer Gesellschaft verteidigt, und andererseits über Regeln und Steuerung der Einwanderung wieder Vertrauen in den Staat herstellt, die einerseits die Kräfte der Selbstverantwortung entfesseln will, die andererseits aber auch für die notwendigen Chancen des Einzelnen etwa durch Bildung sorgt. Diese Position der vernünftigen Mitte – für den Klimaschutz sein, aber die unverhältnismäßigen Dieselfahrverbote ablehnen, für Bürger Bürgerrechte sein, aber den übertriebenen Bürokratismus der Datenschutzgrundverordnung in Zweifel ziehen – ist doch genau das, was Millionen Menschen in diesem Land eigentlich wollen. Dann sollen sie es doch gerne wählen.
Frage: Gleichwohl: Sie haben ein gutes Wahlergebnis beim Wiedereinzug in den Bundestag im vergangenen Jahr erhalten, weil viele Wähler Sie in der Regierung haben wollten. Und dann haben Sie sich dem verweigert. Glauben Sie nicht, dass da Verletzungen bei Ihren Wählern geblieben sind?
Lindner: Unsere ordentlichen Umfragen sprechen eine ganz andere Sprache. Wir haben im vergangenen Jahr zwei neue Landesregierungen gebildet, regieren nun in drei Ländern. Und zwar mit CDU, SPD oder Grünen. Wir wollen regieren. Wir lassen uns nur nicht mehr hinters Licht führen. Über Jahrzehnte wurde der FDP vorgeworfen, sie sei die Umfallerpartei. Und jetzt, wenn wir uns – anders als die CSU – nach der Wahl an das erinnern, was wir vor der Wahl versprochen haben, da heißt es, wir seien feige. Ehrlich: Diesen Vorwurf habe ich lieber. Ich lasse mir lieber Prinzipienfestigkeit und Worthalten vorwerfen als das Gegenteil. Wer eine Partei sucht, die um jeden Preis regieren will, der ist bei anderen gut aufgehoben. Wir regieren dann, wenn man etwas Gutes umsetzen kann. Wenn nicht, dann ist es besser, einer Regierung aus der Opposition heraus Beine zu machen.
Frage: Und das gelingt Ihnen gut?
Lindner: Ja, wir machen durch Gesetzentwürfe Druck beim Solidaritätszuschlag. Nächste Sitzungswoche bringen wir Eckpunkte eines Einwanderungsgesetzes in den Bundestag ein. Wir klagen gegen die Selbstbedienung der GroKo beim Parteiengesetz. Die FDP hat ihren Platz in der Mitte des Bundestags gefunden, um der Mitte des Landes eine Stimme zu geben. Es braucht Zeit, bis sich das über die Medien mehr Menschen vermittelt. Aber wir haben starke Nerven.
LINDNER-Interview: Mit Frau Merkel geht es gewiss nicht mehr
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Alexander Kain:
Frage: Großer Bahnhof für den türkischen Präsidenten. Ist Merkel-Deutschland schwach, weil es sich so viel von Erdogan gefallen lässt, oder klug und besonnen, weil Dinge emotionsfrei und sachlich vorangetrieben werden?
Lindner: Es gibt eine dritte Möglichkeit: Dieser Staatsbesuch war ein kapitaler politischer Fehler. Präsident Erdogan unterlässt keine Provokation, aus der Pressekonferenz mit ihm werden Journalisten abgeführt. Man muss und sollte mit der Türkei sprechen – wir haben daran ein Interesse. Aber die Türkei ist mehr auf bessere Beziehungen angewiesen als Deutschland. Das hätte man Erdogan spüren lassen sollen. Ein Arbeitsbesuch, bei dem Kritisches angesprochen wird, wäre dafür passender gewesen als diese Propaganda-Steilvorlage. Deshalb habe ich im Übrigen nicht am Staatsbankett in Berlin teilgenommen, sondern war lieber in Bayern unterwegs, um im Wahlkampf das Gespräch mit Bürgern zu suchen.
Frage: Wie angeschlagen sind Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Große Koalition?
Lindner: Die Arbeitsweise der GroKo gleicht inzwischen einer Autoimmunerkrankung: Sie kämpft gegen sich selbst. Insbesondere zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer gibt es einen Stellungskrieg, wie ich es trotz meiner Eindrücke in den Jamaika-Sondierungen nicht für möglich gehalten hätte. Ich wünsche mir stattdessen gestalterische Impulse, wie wir sie in Frankreich sehen. Ein funktionierendes Management bei der Einwanderung, Vorfahrt für Digitalisierung, leichteres wirtschaftliches Vorankommen des Mittelstands, Priorität für bessere Bildung, Zukunftssicherung des Sozialstaats – all das erwarte ich von dieser Koalition und diesem Kabinett allerdings nicht mehr.
Frage: Nach Hessen- und Bayern-Wahl folgt am 6. Dezember der CDU-Parteitag. Überlebt Merkel?
Lindner: Das Ergebnis dieser Wahlen wird die weitere Entwicklung Deutschlands prägen – in Bayern wird nicht nur über den Freistaat entschieden, sondern auch über die Stimmung in Deutschland und das Bild der Bundesrepublik in Europa und der Welt. Die Landtagswahl in Bayern ist eine ganz besondere Wahl. Ich empfehle den Bayern, ein Signal zu senden, dass sie ein weltoffenes, wirtschaftlich vernünftiges Land bleiben wollen – und hoffe, dass sich die Unzufriedenheit nicht Bahn bricht, die Rechtspopulisten zu stärken. Für mich ist zweitrangig, was das für die politische Karriere von Frau Merkel bedeutet. Nach den Wahlen in Bayern und Hessen bleibt es für sie weiter gefährlich: Im kommenden Jahr folgt die Europawahl, dann die Evaluierung der Koalition durch die SPD, anschließend weitere Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern.
Frage: Das Bessere ist des Guten Feind: Wer könnte Merkel beerben?
Lindner: Frau Merkel ist im 13. Jahr ihrer Amtszeit festgefahren. Alte Fehlentscheidungen kann sie nicht korrigieren, bei jeder neuen Entscheidung müssen ihr sofort Bedenken kommen: „Warum hat man das nicht vorher schon gemacht?“ Ihr sind Experimentiergeist und Lust auf das Neue verloren gegangen. Die GroKo sticht nur durch wechselseitige Verletzungen hervor. Deshalb glaube ich, dass jeder, der die Dinge mit frischem Denken angeht, in jeder Hinsicht besser ist als Frau Merkel. Ich wäre bereit, die große Erfahrung von Frau Merkel, die leider mit erheblicher politischer Erschöpfung verbunden ist, einzutauschen in Pioniergeist und Tatendurst. Und da wäre nahezu jeder und jede besser als Frau Merkel.
Frage: An Neuwahlen können – wegen der miserablen Umfragewerte – weder Union noch SPD ein Interesse haben. Könnte Jamaika in Berlin jetzt doch noch eine Option zur Ablösung der Großen Koalition sein?
Lindner: Mir fehlt die Fantasie, wie das – mit diesen Akteuren und den Wahlprogrammen des Jahres 2017 – gelingen soll. Erst nach der politischen und personellen Erneuerung machen Gespräche Sinn. Mit Frau Merkel geht es gewiss nicht mehr. Immerhin: Die personelle Erneuerung bei CDU und Grünen hat begonnen, Herr Brinkhaus saß im vergangenen Jahr bei den Verhandlungen nicht am Tisch, und die Grünen haben bereits eine neue Führung. Es passiert also etwas. Aber bevor diese Prozesse nicht abgeschlossen sind, bevor es neue programmatische Ideen gibt, macht eine Wiederauflage keinen Sinn. Nach der nächsten Bundestagswahl wird man dazu mehr sagen können.
Frage: Die FDP sei in Berlin vor der Jamaika-Verantwortung geflohen, deshalb habe sie auch in Bayern nichts im Landtag verloren, sagt die CSU. Klingt erstmal logisch, oder?
Lindner: Hinter den Kulissen spricht die CSU ganz anders. Da wird uns auf die Schulter geklopft und es werden Lorbeerkränze aus Dankbarkeit dafür geflochten, dass wir die Partei vor Jamaika bewahrt haben – in dem Wissen, dass beispielsweise die Agrar- und Energiepolitik von Jamaika für Bayern eine Katastrophe gewesen wäre. Wenn man intern anders spricht, als an den Wahlkampfständen, ist das eine Charakterfrage.
Frage: Es wird spekuliert, dass Horst Seehofer nach der Landtagswahl als CSU-Chef gehen muss. Wer wäre Ihnen als neuer Kollege am Tisch der Parteivorsitzenden am liebsten? Markus Söder, Alexander Dobrindt oder Manfred Weber?
Lindner: Ich kann mit allen leben. Der Gesprächskontakt zwischen Parteien hängt nicht an einzelnen Personen. Schwerer wiegt, dass wir mit der CSU Konflikte haben, etwa bei Kuschelei mit Herrn Orban. Außerdem spricht die CSU mehr über Marktwirtschaft als sie tut.
Frage: Aus dem Finanzministerium von Minister Olaf Scholz (SPD) gibt es offenbar einen neuen Angriff auf das Ehegattensplitting. Müssen sich Paare und Familien Sorgen machen? Oder wäre das die Chance, sogar zu einem Familiensplitting zu kommen?
Lindner: Ich wäre offen für ein Familiensplitting, weil es bedeuten würde, mehr für Familien zu tun. Die Entlastung konzentriert sich aber massiv auf Topverdiener mit vielen Kindern. Das hätte eine enorme Umverteilungswirkung. Ich würde eine Entlastung gerne breiter in der Gesellschaft verteilen. Beim Ehegattensplitting indes ist ganz klar zu sagen: Es kann nicht sein, dass Ehepaare, die füreinander Verantwortung übernommen haben und die eine klare Arbeitsteilung besprechen, steuerlich bestraft werden. Deshalb ist ein Angriff auf das Ehegattensplitting politisch und in der Sache falsch. Das wäre nichts anderes als eine Steuererhöhung. Herr Scholz sollte lieber mal Vorschläge machen, wie wir auf den Solidaritätszuschlag verzichten. Das könnte der Bund alleine beschließen und es wäre auch notwendig, weil wir im nächsten Jahr Vizeweltmeister bei den Steuern sein werden, nachdem Herr Trump und Herr Macron in ihren Ländern die Steuern gesenkt haben.
Frage: Der Staat nimmt Steuern ein wie nie zuvor – und schafft es trotzdem nicht, den Solidaritätszuschlag schnell und ganz aufzugeben.
Lindner: Ja, Union, SPD und Grüne wollen keine Entlastungen der Bürger, sie wollen das Geld lieber selbst ausgeben – für Subventionen, Progrämmchen oder wie die GroKo gar für mehr Geld für die Parteien selbst. Insbesondere die CSU redet gerne von Steuerentlastungen, beschließt sie aber nicht. Viermal ist die CSU mit der Forderung von Steuerentlastungen in den Wahlkampf gegangen. Nichts ist passiert.
Frage: Bei der letzten Bundestagswahl hat die CSU es in ihrem „Bayernplan“ sogar garantiert.
Lindner: Und danach kam: Nichts. Vor der letzten Bundestagswahl hat Herr Seehofer die größte Steuerentlastung in der Geschichte der Bundesrepublik versprochen. Nichts. Schlimmer noch: Die CSU hat uns bei den Jamaika-Verhandlungen mit diesen Forderungen völlig allein gelassen. Hätte uns die CSU vehement unterstützt, hätte sich vielleicht etwas bewegt. Da gab es keine Unterstützung. Dagegen war die CSU bei der Einwanderungspolitik bereit, sehr weit in Richtung Grüne umzufallen. Das war mit uns unmöglich.
Frage: Die CSU behauptet, die FDP hätte die komplette Abschaffung des gesamten Solidaritätszuschlags bekommen, wenn sie Jamaika mitgemacht hätte.
Lindner: Wenn es so gewesen wäre, säße ich hier vielleicht als Finanzminister. Das, was die GroKo jetzt beim Soli macht, entspricht exakt dem Schlussangebot von CDU und CSU an uns. Wer etwas anderes behauptet, sagt die Unwahrheit.
Frage: Die FDP steht für die bürgerlich-liberalen Menschen in der Gesellschaft. Nun greift die extreme Linke das Bürgerliche an, die extreme Rechte, wie die AfD, das Liberale. Hat die FDP noch Zukunft?
Lindner: Im Gegenteil. Jetzt wird umso deutlicher, dass es eine liberale Kraft geben muss, die einerseits Toleranz, Liberalität und Weltoffenheit unserer Gesellschaft verteidigt, und andererseits über Regeln und Steuerung der Einwanderung wieder Vertrauen in den Staat herstellt, die einerseits die Kräfte der Selbstverantwortung entfesseln will, die andererseits aber auch für die notwendigen Chancen des Einzelnen etwa durch Bildung sorgt. Diese Position der vernünftigen Mitte – für den Klimaschutz sein, aber die unverhältnismäßigen Dieselfahrverbote ablehnen, für Bürger Bürgerrechte sein, aber den übertriebenen Bürokratismus der Datenschutzgrundverordnung in Zweifel ziehen – ist doch genau das, was Millionen Menschen in diesem Land eigentlich wollen. Dann sollen sie es doch gerne wählen.
Frage: Gleichwohl: Sie haben ein gutes Wahlergebnis beim Wiedereinzug in den Bundestag im vergangenen Jahr erhalten, weil viele Wähler Sie in der Regierung haben wollten. Und dann haben Sie sich dem verweigert. Glauben Sie nicht, dass da Verletzungen bei Ihren Wählern geblieben sind?
Lindner: Unsere ordentlichen Umfragen sprechen eine ganz andere Sprache. Wir haben im vergangenen Jahr zwei neue Landesregierungen gebildet, regieren nun in drei Ländern. Und zwar mit CDU, SPD oder Grünen. Wir wollen regieren. Wir lassen uns nur nicht mehr hinters Licht führen. Über Jahrzehnte wurde der FDP vorgeworfen, sie sei die Umfallerpartei. Und jetzt, wenn wir uns – anders als die CSU – nach der Wahl an das erinnern, was wir vor der Wahl versprochen haben, da heißt es, wir seien feige. Ehrlich: Diesen Vorwurf habe ich lieber. Ich lasse mir lieber Prinzipienfestigkeit und Worthalten vorwerfen als das Gegenteil. Wer eine Partei sucht, die um jeden Preis regieren will, der ist bei anderen gut aufgehoben. Wir regieren dann, wenn man etwas Gutes umsetzen kann. Wenn nicht, dann ist es besser, einer Regierung aus der Opposition heraus Beine zu machen.
Frage: Und das gelingt Ihnen gut?
Lindner: Ja, wir machen durch Gesetzentwürfe Druck beim Solidaritätszuschlag. Nächste Sitzungswoche bringen wir Eckpunkte eines Einwanderungsgesetzes in den Bundestag ein. Wir klagen gegen die Selbstbedienung der GroKo beim Parteiengesetz. Die FDP hat ihren Platz in der Mitte des Bundestags gefunden, um der Mitte des Landes eine Stimme zu geben. Es braucht Zeit, bis sich das über die Medien mehr Menschen vermittelt. Aber wir haben starke Nerven.