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27.09.2018 - 10:45LINDNER-Interview: Frau Merkel wirkt konzeptionell erschöpft
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Münchner Merkur“ (Donnerstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Mike Schiehr:
Frage: Herr Lindner, richten Sie sich schon auf vorgezogene Neuwahlen ein?
Lindner: Angesichts des Zustands von CDU, CSU und SPD weiß man nicht, was kommt. Ich schließe nichts aus. Wir wären bereit. Wir wissen, was wir wollen: eine Politik der Mitte und der wirtschaftlichen Erneuerung, mit einer modernen Gesellschaftspolitik, und das alles im europäischen Geist.
Frage: Können sich das die Parteien ein Jahr nach der Bundestagswahl und angesichts der laufenden Wahlkämpfe in Bayern und Hessen überhaupt leisten?
Lindner: Wir haben nicht viel Geld, aber wir gehen sorgfältig damit um. Insofern sind wir voll kampagnenfähig.
Frage: Noch ist es nicht so weit. Sie haben gestern Frau Merkel aufgefordert, die Vertrauensfrage zu stellen – das stößt auf wenig Gegenliebe.
Lindner: Das ist schade, denn das wäre eine Chance, Stabilität herzustellen und der Regierung wieder eine Idee zu geben. Das hat Gerhard Schröder mal anders gemacht. In Angela Merkels Situation würde ich eine Regierungserklärung abgeben zu fünf wesentlichen Projekten, die diese Regierung Umsetzen will: gesteuerte Einwanderungspolitik, Digitalisierung, wirtschaftliche Erneuerung, Bildung und eine Antwort auf Emmanuel Macrons Vorschläge in der Europapolitik. Schröder hat damals eine Agenda 2010 vorgelegt, Angela Merkel könnte eine Agenda 2030 vorlegen. Danach könnte sie fragen, ob sie dafür das Vertrauen des Bundestags hat. Dann wäre wieder Ruhe auf dem Schiff oder es gäbe einen Neuanfang.
Frage: Ist sie dafür im Moment stark genug?
Lindner: Das Problem ist nicht ihre schwindende Machtbasis. Frau Merkel wirkt konzeptionell erschöpft. Inzwischen versucht sie sogar, die Menschen für dumm zu verkaufen – das habe ich in 13 Jahren bei ihr nie erlebt.
Frage: Was meinen Sie?
Lindner: Sie hat am Dienstag gesagt, dass sie den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen würde, aber das sei mit der SPD leider nicht möglich. Das finde ich dreist, denn das Modell der Großen Koalitionen, nur 50 Prozent des Finanzvolumens abzuschmelzen, ist exakt der Vorschlag, den CDU und CSU in den Jamaika-Verhandlungen der FDP aufzwingen wollte. Zu nichts mehr waren die bereit. Der Soli muss aber für alle entfallen, weil wir im internationalen Steuerwettbewerb abgeschlagen sind.
Frage: Sie hatten schon damals das Scheitern der Verhandlungen sehr stark an Merkel festgemacht.
Lindner: Ich habe nichts gegen Frau Merkel. Lassen Sie mich lieber den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck zitieren: „Keine Führung, kein Ziel, kein Vertrauen.“ Aber das ist Vergangenheit. Lassen Sie uns nach vorne schauen.
Frage: Schön. Was heißt denn die Brinkhaus-Wahl für die Unionsfraktion?
Lindner: Ich halte das für ein positives Signal, allerdings eine schlechte Nachricht für Angela Merkel und Horst Seehofer.
Frage: Warum?
Lindner: Es gibt jetzt wieder die Bereitschaft zu eigenständigem Denken. Vielleicht bricht sich das ja in neuen Positionen Bahn. Die aktuelle Politik von Frau Merkel lehnt sich zu stark an die Grünen an. Selbst die CSU macht große Zugeständnisse an die Grünen.
Frage: Wirklich?
Lindner: Zum Beispiel bei den sicheren Herkunftsländern. Wir wissen, dass die Maghrebstaaten sicher sind, deshalb sollten diese Länder auch den entsprechenden gesetzlichen Status bekommen ...
Frage: ... was die CSU ja seit langem fordert.
Lindner: Wir auch. Dazu gibt es einen Antrag von CDU, CSU und SPD im Bundestag. Aber die Unionsfraktion verschiebt die Abstimmung, um die Grünen vor den Wahlen zu schonen. Die sind nämlich dagegen. Dieser Vorgang empört mich. Ich appelliere an die Koalition, diese Frage nicht aus taktischen Gründen zu verschieben. Dadurch treibt man der AfD die Wähler in die Arme. Da macht die FDP nicht mit.
Frage: Herr Dobrindt ist eigentlich nicht als großer Grünen-Freund bekannt.
Lindner: Die Taten sprechen eine andere Sprache.
Frage: Bleiben wir in Bayern: Warum kann die FDP von der Schwäche der CSU nicht profitieren?
Lindner: Das erlebe ich anders. Die Veranstaltungen sind rappelvoll. Und alle Umfragen sehen uns im Landtag. Das wäre auch gut, damit in Bayern wieder Vernunft einkehrt. Statt gezielt in Bildung zu investieren oder Schulden zu tilgen, wird mit der Gießkanne Geld verteilt. Statt mit Orban zu kuscheln und Bürgerrechte zu schleifen, sollte Bayern ein liberales Land bleiben.
LINDNER-Interview: Frau Merkel wirkt konzeptionell erschöpft
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Münchner Merkur“ (Donnerstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Mike Schiehr:
Frage: Herr Lindner, richten Sie sich schon auf vorgezogene Neuwahlen ein?
Lindner: Angesichts des Zustands von CDU, CSU und SPD weiß man nicht, was kommt. Ich schließe nichts aus. Wir wären bereit. Wir wissen, was wir wollen: eine Politik der Mitte und der wirtschaftlichen Erneuerung, mit einer modernen Gesellschaftspolitik, und das alles im europäischen Geist.
Frage: Können sich das die Parteien ein Jahr nach der Bundestagswahl und angesichts der laufenden Wahlkämpfe in Bayern und Hessen überhaupt leisten?
Lindner: Wir haben nicht viel Geld, aber wir gehen sorgfältig damit um. Insofern sind wir voll kampagnenfähig.
Frage: Noch ist es nicht so weit. Sie haben gestern Frau Merkel aufgefordert, die Vertrauensfrage zu stellen – das stößt auf wenig Gegenliebe.
Lindner: Das ist schade, denn das wäre eine Chance, Stabilität herzustellen und der Regierung wieder eine Idee zu geben. Das hat Gerhard Schröder mal anders gemacht. In Angela Merkels Situation würde ich eine Regierungserklärung abgeben zu fünf wesentlichen Projekten, die diese Regierung Umsetzen will: gesteuerte Einwanderungspolitik, Digitalisierung, wirtschaftliche Erneuerung, Bildung und eine Antwort auf Emmanuel Macrons Vorschläge in der Europapolitik. Schröder hat damals eine Agenda 2010 vorgelegt, Angela Merkel könnte eine Agenda 2030 vorlegen. Danach könnte sie fragen, ob sie dafür das Vertrauen des Bundestags hat. Dann wäre wieder Ruhe auf dem Schiff oder es gäbe einen Neuanfang.
Frage: Ist sie dafür im Moment stark genug?
Lindner: Das Problem ist nicht ihre schwindende Machtbasis. Frau Merkel wirkt konzeptionell erschöpft. Inzwischen versucht sie sogar, die Menschen für dumm zu verkaufen – das habe ich in 13 Jahren bei ihr nie erlebt.
Frage: Was meinen Sie?
Lindner: Sie hat am Dienstag gesagt, dass sie den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen würde, aber das sei mit der SPD leider nicht möglich. Das finde ich dreist, denn das Modell der Großen Koalitionen, nur 50 Prozent des Finanzvolumens abzuschmelzen, ist exakt der Vorschlag, den CDU und CSU in den Jamaika-Verhandlungen der FDP aufzwingen wollte. Zu nichts mehr waren die bereit. Der Soli muss aber für alle entfallen, weil wir im internationalen Steuerwettbewerb abgeschlagen sind.
Frage: Sie hatten schon damals das Scheitern der Verhandlungen sehr stark an Merkel festgemacht.
Lindner: Ich habe nichts gegen Frau Merkel. Lassen Sie mich lieber den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck zitieren: „Keine Führung, kein Ziel, kein Vertrauen.“ Aber das ist Vergangenheit. Lassen Sie uns nach vorne schauen.
Frage: Schön. Was heißt denn die Brinkhaus-Wahl für die Unionsfraktion?
Lindner: Ich halte das für ein positives Signal, allerdings eine schlechte Nachricht für Angela Merkel und Horst Seehofer.
Frage: Warum?
Lindner: Es gibt jetzt wieder die Bereitschaft zu eigenständigem Denken. Vielleicht bricht sich das ja in neuen Positionen Bahn. Die aktuelle Politik von Frau Merkel lehnt sich zu stark an die Grünen an. Selbst die CSU macht große Zugeständnisse an die Grünen.
Frage: Wirklich?
Lindner: Zum Beispiel bei den sicheren Herkunftsländern. Wir wissen, dass die Maghrebstaaten sicher sind, deshalb sollten diese Länder auch den entsprechenden gesetzlichen Status bekommen ...
Frage: ... was die CSU ja seit langem fordert.
Lindner: Wir auch. Dazu gibt es einen Antrag von CDU, CSU und SPD im Bundestag. Aber die Unionsfraktion verschiebt die Abstimmung, um die Grünen vor den Wahlen zu schonen. Die sind nämlich dagegen. Dieser Vorgang empört mich. Ich appelliere an die Koalition, diese Frage nicht aus taktischen Gründen zu verschieben. Dadurch treibt man der AfD die Wähler in die Arme. Da macht die FDP nicht mit.
Frage: Herr Dobrindt ist eigentlich nicht als großer Grünen-Freund bekannt.
Lindner: Die Taten sprechen eine andere Sprache.
Frage: Bleiben wir in Bayern: Warum kann die FDP von der Schwäche der CSU nicht profitieren?
Lindner: Das erlebe ich anders. Die Veranstaltungen sind rappelvoll. Und alle Umfragen sehen uns im Landtag. Das wäre auch gut, damit in Bayern wieder Vernunft einkehrt. Statt gezielt in Bildung zu investieren oder Schulden zu tilgen, wird mit der Gießkanne Geld verteilt. Statt mit Orban zu kuscheln und Bürgerrechte zu schleifen, sollte Bayern ein liberales Land bleiben.