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13.08.2018 - 11:00BAUM/KUHLE-Gastbeitrag: Plädoyer für eine neue Einbürgerungskultur
Der Bundesinnenminister a.D. Gerhart Baum und das FDP-Bundesvorstandsmitglied Konstantin Kuhle schrieben für die „Welt“ (Samstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag.
Nach der bayerischen Landtagswahl möchte die große Koalition einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vorlegen. Damit könnte Deutschland besser zwischen Flucht und Arbeitsmigration unterscheiden und gleichzeitig den demografischen Wandel sowie den Mangel an Fachkräften bekämpfen.
Doch die Hoffnungen an ein solches Gesetz gehen weit darüber hinaus – es soll einen Beitrag dazu leisten, die hitzige gesellschaftliche Debatte über Flucht und Migration zu befrieden.
Seit der Flüchtlingskrise ist eine sachliche Diskussion über das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in Deutschland schwer möglich. Zuletzt warfen der Rücktritt Mesut Özils aus der Fußball-Nationalmannschaft und die Debatte über Alltagsrassismus kritische Fragen auf.
Die Zuwanderungsdebatte wird durch Themen wie Abschiebungen und islamistische Gefährder bestimmt. Doch wer kümmert sich um die migrantische Mitte in unserem Land? Wer diskutiert über die Millionen Menschen, deren Eltern und Großeltern nach Deutschland eingewandert sind und die heute ein wertvoller und gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft sind?
Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund sowie die hier lebenden Ausländer sind gleichermaßen verunsichert. Bei der Aufregung und Aggressivität der Diskussionen vergessen wir immer mehr, dass Deutschland schon seit vielen Jahrzehnten durch Zuwanderung geprägt ist.
Damit ein Einwanderungsgesetz helfen kann, Brücken zu schlagen, muss es an gemeinsame Werte der aufnehmenden Gesellschaft und der großen Mehrheit der Zuwanderer und ihrer Nachkommen anknüpfen. Mit Grundrechten wie der Religionsfreiheit, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit enthält unser Grundgesetz die entscheidenden Gebote für das Zusammenleben.
Diese beste Verfassung, die es auf deutschem Boden jemals gegeben hat, ist das beste Leitmotiv für gesteuerte Zuwanderung. Das stärkste Bekenntnis zur Werteordnung des Grundgesetzes ist die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft. Deswegen braucht Deutschland eine neue Einbürgerungskultur, wie es sie in klassischen Einwanderungsländern gibt.
Im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert suchten Millionen deutscher Auswanderer in den USA und in Kanada eine neue Lebensperspektive. Heute sind die Nachkommen deutscher Einwanderer in Nordamerika ein so selbstverständlicher Teil der Gesellschaft, dass sie kaum als homogene Gruppe erkennbar sind.
Die geografischen und historischen Besonderheiten Nordamerikas haben die Einwanderernationen USA und Kanada in einer Weise geformt, wie es auf dem alten Kontinent Europa kaum möglich sein wird. Und doch sollte, wer in Deutschland ein Einwanderungsgesetz fordert, den Blick in Weltregionen wagen, in denen Einwanderung schon länger ein selbstverständlicher Teil von Gesellschaft und Politik ist.
Wer als Kind in den Vereinigten Staaten von Amerika geboren wird, besitzt automatisch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Auch in Deutschland ist diese Möglichkeit für Kinder, die nach dem 1. Januar 2000 als Kinder von Ausländern geboren werden, vereinfacht worden.
Neben der Staatsangehörigkeit ab Geburt kann man sich sowohl in den USA als auch hierzulande einbürgern lassen. Doch während die Einbürgerung in Amerika als feierlicher Akt zelebriert wird, tut sich Deutschland mit dem Wert der Einbürgerung weiterhin schwer.
Dies erkennt man schon daran, dass viele Nachkommen von Menschen, die als Arbeitsmigranten nach Deutschland gekommen sind, weiterhin an der Staatsbürgerschaft ihrer Vorfahren festhalten. Laut des letzten Migrationsberichts des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge weisen insbesondere Staatsangehörige aus den ehemaligen Anwerbeländern sogenannter Gastarbeiter einen überdurchschnittlich hohen Anteil an bereits in Deutschland geborenen Personen auf. So waren zum Ende des Jahres 2015 29,2 Prozent der Türken, 26,3 Prozent der Italiener und 22,0 Prozent der Griechen in Deutschland im Inland geboren.
Deutsche Staatsbürgerschaft ist die attraktivste der Welt
Der Quality of Nationality Index bewertet jedes Jahr die Attraktivität von Staatsbürgerschaften nach Kriterien wie etwa politischer und wirtschaftlicher Stabilität oder Reise- und Niederlassungsfreiheit. Die deutsche Staatsbürgerschaft schneidet regelmäßig als eine der attraktivsten, wenn nicht sogar als die attraktivste Staatsbürgerschaft weltweit ab.
Trotzdem entscheiden sich offenbar sogar Menschen gegen diese Staatsbürgerschaft, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbringen. Schätzungen zufolge erfüllen sogar 50 bis 75 Prozent der in Deutschland lebenden Ausländer die Voraussetzungen einer Einbürgerung.
Wenn Deutschland mit einem Einwanderungsgesetz klarere Kriterien für Arbeitsmigration aufstellt und diese offensiv in der Welt kommuniziert, muss damit auch eine neue Einbürgerungskultur einhergehen. Wer neben den Kriterien der Aufenthaltsdauer auch die sprachlichen Voraussetzungen mitbringt und unsere Werteordnung akzeptiert, muss eingeladen sein, durch die Annahme der Staatsbürgerschaft seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft Ausdruck zu verleihen.
Dabei kann es nicht darum gehen, die Voraussetzungen einer Einbürgerung zu senken. Das Gegenteil ist der Fall. Indem der Gesetzgeber dauerhaften Aufenthalt, Rechtschaffenheit, Sprache und die Sorge für den eigenen Lebensunterhalt als positive Kriterien für den Erwerb der Staatsangehörigkeit definiert, muss umgekehrt gelten, dass Politik und Verwaltung die Erfüllung dieser Kriterien anerkennen.
Dazu bedarf es keiner Änderung der Rechtslage. Vielmehr muss durch aktives Handeln, Informationen und Aufklärung auf die Möglichkeit einer Einbürgerung hingewiesen werden.
Der deutsche Pass bewirkt bei vielen Menschen vor allem, dass sie an Wahlen in Deutschland teilnehmen können. Indem insbesondere Bürger der Europäischen Union und der Türkei ansonsten im Alltag kaum merken, ob sie über einen deutschen Pass verfügen oder nicht, gerät die integrative Wirkung der Staatsbürgerschaft aus dem Blick.
Die aktuelle Diskussion in Deutschland wird auch von der Frage bestimmt, inwiefern Menschen mit Migrationshintergrund im Alltag rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sind. Andererseits fühlen sich manche Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte zu Unrecht dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt.
Eine neue Einbürgerungskultur könnte hier ein Gefühl der Zusammengehörigkeit fördern. Der Zeitpunkt für dieses Bekenntnis könnte nicht besser sein.
BAUM/KUHLE-Gastbeitrag: Plädoyer für eine neue Einbürgerungskultur
Der Bundesinnenminister a.D. Gerhart Baum und das FDP-Bundesvorstandsmitglied Konstantin Kuhle schrieben für die „Welt“ (Samstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag.
Nach der bayerischen Landtagswahl möchte die große Koalition einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vorlegen. Damit könnte Deutschland besser zwischen Flucht und Arbeitsmigration unterscheiden und gleichzeitig den demografischen Wandel sowie den Mangel an Fachkräften bekämpfen.
Doch die Hoffnungen an ein solches Gesetz gehen weit darüber hinaus – es soll einen Beitrag dazu leisten, die hitzige gesellschaftliche Debatte über Flucht und Migration zu befrieden.
Seit der Flüchtlingskrise ist eine sachliche Diskussion über das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in Deutschland schwer möglich. Zuletzt warfen der Rücktritt Mesut Özils aus der Fußball-Nationalmannschaft und die Debatte über Alltagsrassismus kritische Fragen auf.
Die Zuwanderungsdebatte wird durch Themen wie Abschiebungen und islamistische Gefährder bestimmt. Doch wer kümmert sich um die migrantische Mitte in unserem Land? Wer diskutiert über die Millionen Menschen, deren Eltern und Großeltern nach Deutschland eingewandert sind und die heute ein wertvoller und gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft sind?
Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund sowie die hier lebenden Ausländer sind gleichermaßen verunsichert. Bei der Aufregung und Aggressivität der Diskussionen vergessen wir immer mehr, dass Deutschland schon seit vielen Jahrzehnten durch Zuwanderung geprägt ist.
Damit ein Einwanderungsgesetz helfen kann, Brücken zu schlagen, muss es an gemeinsame Werte der aufnehmenden Gesellschaft und der großen Mehrheit der Zuwanderer und ihrer Nachkommen anknüpfen. Mit Grundrechten wie der Religionsfreiheit, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit enthält unser Grundgesetz die entscheidenden Gebote für das Zusammenleben.
Diese beste Verfassung, die es auf deutschem Boden jemals gegeben hat, ist das beste Leitmotiv für gesteuerte Zuwanderung. Das stärkste Bekenntnis zur Werteordnung des Grundgesetzes ist die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft. Deswegen braucht Deutschland eine neue Einbürgerungskultur, wie es sie in klassischen Einwanderungsländern gibt.
Im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert suchten Millionen deutscher Auswanderer in den USA und in Kanada eine neue Lebensperspektive. Heute sind die Nachkommen deutscher Einwanderer in Nordamerika ein so selbstverständlicher Teil der Gesellschaft, dass sie kaum als homogene Gruppe erkennbar sind.
Die geografischen und historischen Besonderheiten Nordamerikas haben die Einwanderernationen USA und Kanada in einer Weise geformt, wie es auf dem alten Kontinent Europa kaum möglich sein wird. Und doch sollte, wer in Deutschland ein Einwanderungsgesetz fordert, den Blick in Weltregionen wagen, in denen Einwanderung schon länger ein selbstverständlicher Teil von Gesellschaft und Politik ist.
Wer als Kind in den Vereinigten Staaten von Amerika geboren wird, besitzt automatisch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Auch in Deutschland ist diese Möglichkeit für Kinder, die nach dem 1. Januar 2000 als Kinder von Ausländern geboren werden, vereinfacht worden.
Neben der Staatsangehörigkeit ab Geburt kann man sich sowohl in den USA als auch hierzulande einbürgern lassen. Doch während die Einbürgerung in Amerika als feierlicher Akt zelebriert wird, tut sich Deutschland mit dem Wert der Einbürgerung weiterhin schwer.
Dies erkennt man schon daran, dass viele Nachkommen von Menschen, die als Arbeitsmigranten nach Deutschland gekommen sind, weiterhin an der Staatsbürgerschaft ihrer Vorfahren festhalten. Laut des letzten Migrationsberichts des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge weisen insbesondere Staatsangehörige aus den ehemaligen Anwerbeländern sogenannter Gastarbeiter einen überdurchschnittlich hohen Anteil an bereits in Deutschland geborenen Personen auf. So waren zum Ende des Jahres 2015 29,2 Prozent der Türken, 26,3 Prozent der Italiener und 22,0 Prozent der Griechen in Deutschland im Inland geboren.
Deutsche Staatsbürgerschaft ist die attraktivste der Welt
Der Quality of Nationality Index bewertet jedes Jahr die Attraktivität von Staatsbürgerschaften nach Kriterien wie etwa politischer und wirtschaftlicher Stabilität oder Reise- und Niederlassungsfreiheit. Die deutsche Staatsbürgerschaft schneidet regelmäßig als eine der attraktivsten, wenn nicht sogar als die attraktivste Staatsbürgerschaft weltweit ab.
Trotzdem entscheiden sich offenbar sogar Menschen gegen diese Staatsbürgerschaft, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbringen. Schätzungen zufolge erfüllen sogar 50 bis 75 Prozent der in Deutschland lebenden Ausländer die Voraussetzungen einer Einbürgerung.
Wenn Deutschland mit einem Einwanderungsgesetz klarere Kriterien für Arbeitsmigration aufstellt und diese offensiv in der Welt kommuniziert, muss damit auch eine neue Einbürgerungskultur einhergehen. Wer neben den Kriterien der Aufenthaltsdauer auch die sprachlichen Voraussetzungen mitbringt und unsere Werteordnung akzeptiert, muss eingeladen sein, durch die Annahme der Staatsbürgerschaft seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft Ausdruck zu verleihen.
Dabei kann es nicht darum gehen, die Voraussetzungen einer Einbürgerung zu senken. Das Gegenteil ist der Fall. Indem der Gesetzgeber dauerhaften Aufenthalt, Rechtschaffenheit, Sprache und die Sorge für den eigenen Lebensunterhalt als positive Kriterien für den Erwerb der Staatsangehörigkeit definiert, muss umgekehrt gelten, dass Politik und Verwaltung die Erfüllung dieser Kriterien anerkennen.
Dazu bedarf es keiner Änderung der Rechtslage. Vielmehr muss durch aktives Handeln, Informationen und Aufklärung auf die Möglichkeit einer Einbürgerung hingewiesen werden.
Der deutsche Pass bewirkt bei vielen Menschen vor allem, dass sie an Wahlen in Deutschland teilnehmen können. Indem insbesondere Bürger der Europäischen Union und der Türkei ansonsten im Alltag kaum merken, ob sie über einen deutschen Pass verfügen oder nicht, gerät die integrative Wirkung der Staatsbürgerschaft aus dem Blick.
Die aktuelle Diskussion in Deutschland wird auch von der Frage bestimmt, inwiefern Menschen mit Migrationshintergrund im Alltag rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sind. Andererseits fühlen sich manche Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte zu Unrecht dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt.
Eine neue Einbürgerungskultur könnte hier ein Gefühl der Zusammengehörigkeit fördern. Der Zeitpunkt für dieses Bekenntnis könnte nicht besser sein.