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18.07.2018 - 12:15THEURER-Gastbeitrag: Union könnte jetzt endlich pragmatische Flüchtlingspolitik machen
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer schrieb für „Focus Online“ (heute) den folgenden Gastbeitrag.
Nüchtern betrachtet gibt es eigentlich kaum mehr Gründe, dass das Flüchtlingsthema weiterhin die politische Debatte und die Schlagzeilen bestimmen muss. Seit 2015 sind die Flüchtlingszahlen massiv zurückgegangen und liegen nun auch unter dem, was die CSU im Wahlkampf als Obergrenze ausgegeben hatte.
Die Sicherheitslage ist besser als noch vor zehn Jahren. Eigentlich müssten die Regierungsparteien in Bund und Land sich lediglich darauf fokussieren, dass bestehende Probleme gelöst werden und ein Kontrollverlust wie 2015 für die Zukunft ausgeschlossen wird.
Das bedeutet, dass endlich genug Richter und Verwaltungsbeamte für die Abarbeitung der Asylverfahren eingestellt werden müssen, damit diese deutlich beschleunigt werden. Dass Rückführungen derjenigen, die nicht hier bleiben dürfen, konsequent umgesetzt werden. Integration von Bleibeberechtigten weiter vorangetrieben wird. Und dass die Einwanderung in Deutschland generell neu geregelt wird – für eine klare Unterscheidung nach klaren Kriterien zwischen Asyl wegen individueller Verfolgung, vorübergehendem Schutz wegen eines (Bürger-)Kriegs und regulärer Einwanderung – und solange keine europäische Lösung gelingt, auch eine konsequente Umsetzung der bestehenden Dublin III-Regeln erfolgt.
Auf europäischer Ebene muss mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner angefangen werden: Der Stärkung des Außengrenzschutzes Frontex und einer engeren Kooperation in der Sicherheitszusammenarbeit. Doch die Strategien in der Union sind andere.
In der CDU setzen viele auf „Weiter so“ - und in der CSU schaut man in Panik auf die AfD
Da ist auf der einen Seite die Merkel-CDU, deren strategisches Ziel lediglich darin liegt, an der Macht zu bleiben. Das Mantra lautet „Gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“. Das ist brandgefährlich, weil die Stärkung von Extremisten dazu beiträgt kurzfristig dieses Ziel zu erreichen. Wenn AfD und Linkspartei wie in den sächsischen Umfragen gemeinsam mehr als 40 Prozent erreichen, ist das für diese CDU kein Problem an sich. Deshalb macht sie im wesentlichen einfach „weiter so“. Doch es gab einen Grund, warum Franz-Josef Strauß es zur Maxime erhob, dass es rechts der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben darf. Diese Geschichtsvergessenheit ist beängstigend.
Währenddessen wird in München eine andere Strategie gefahren. Die Christsozialen laufen in Panik Positionen der AfD hinterher. Nachdem aber die Union mehr als ein Jahrzehnt den rechten Flügel offen gelassen hatte und auch die CSU die Politik der Angela Merkel in knapp 13 Jahren durchgehender gemeinsamer Regierungsverantwortung mit allen Facetten der Sozialdemokratisierung mitgetragen hat, ist das kaum glaubwürdig.
Die Erfahrungen in den europäischen Nachbarstaaten – allen voran in den Niederlanden und Belgien – zeigen ganz klar: Die Wähler entscheiden sich im Zweifel für das Original. Wenn eine Positionsänderung der Union und damit auch eine Veränderung der Regierungspolitik besonders wirksam durch die Wahl der AfD herbeigeführt werden kann, gibt es für einen AfD-Wähler kurzfristig gar keinen Grund, zur Union zu wechseln. Die Vorstellung des CSU-Chefs Seehofer, man könne die Wanderung zur AfD stoppen indem man sie kopiert – sie ist ein Irrglaube. Appeasement klappt nicht. Im Gegenteil legitimiert man dadurch erst diese Positionen und ermutigt die Extremisten.
Für die CSU wird es aber sehr schwierig, diesen Irrglauben zu beheben – denn Seehofer hat ihn zur offiziellen CSU-Strategie gemacht, wodurch nun nicht nur die AfD die CSU treibt, sondern auch Söder Seehofer immer weiter in diese Sackgasse getrieben hat. Das fatale an beiden Strategien ist, dass sie langfristig sowohl den Parteien als auch dem Land schaden werden. Kurzfristig tun sie das auch – vor allem deshalb, weil sie nicht zueinander passen und die Bevölkerung allgemein sowie die Unionswähler im Besonderen davon verunsichert werden.
Diese Verunsicherung sorgte nun zum Einbrechen der Umfragewerte Seehofers und der CSU – und verstärkt die Panik. Markus Söders Schuldzuweisungen Richtung Berlin wegen der miserablen CSU-Umfragewerte zeigen, dass die Nerven in der CSU blank liegen. Zudem unterstreicht der bayerische Ministerpräsident mit seinem Absetzmanöver, dass Seehofer nur noch CSU-Parteivorsitzender und Bundesinnenminister auf Abruf ist. Er wird noch von Söder und Dobrindt als Sündenbock für die absehbare CSU-Schlappe im Herbst bei der bayerischen Landtagswahl gebraucht. Nur deshalb hat er wohl nach dem unwürdigen Schmierentheater der letzten Wochen überhaupt noch eine kurze Schonfrist.
Damit droht Deutschland aber ein heißer Herbst und eine erneut handlungsunfähige Bundesregierung im Dauerkrisenmodus – sie befindet sich im Würgegriff der zerbröselnden CSU. Damit ist nun wirklich niemandem gedient. Langfristig sorgen sowohl Merkels Ignoranz als auch Seehofers Appeasement dafür, dass sich die Gesellschaft spaltet, die Ränder sich radikalisieren und der politische Diskurs verroht. CDU und CSU laufen mit ihren jeweiligen Strategien Gefahr, die gesamte Bundesrepublik zu destabilisieren.
Am Ende kommt es auf eine Stilfrage an: Wir brauchen einen überparteilichen politischen Grundkonsens über die Asyl- und Migrationspolitik. Nicht mit Formelkompromissen, sondern mit klar definierten Vorgaben. Da werden alle Seiten Zugeständnisse machen müssen, aber am Ende könnte man auf eine Linie kommen. Diese Linie muss dann den Bürgerinnen und Bürgern erklärt und letztlich durchgezogen werden. Dann verschwindet auch das Getöse – und indem Ruhe einkehrt ist auch die Antwort auf die Rechtspopulisten gegeben. Um die bisherige Linie offen zu hinterfragen, müssten jedoch Merkel und Seehofer gewaltig über ihre Schatten springen. Es ist bei beiden unwahrscheinlich, dass sie dafür noch stark genug sind.
THEURER-Gastbeitrag: Union könnte jetzt endlich pragmatische Flüchtlingspolitik machen
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer schrieb für „Focus Online“ (heute) den folgenden Gastbeitrag.
Nüchtern betrachtet gibt es eigentlich kaum mehr Gründe, dass das Flüchtlingsthema weiterhin die politische Debatte und die Schlagzeilen bestimmen muss. Seit 2015 sind die Flüchtlingszahlen massiv zurückgegangen und liegen nun auch unter dem, was die CSU im Wahlkampf als Obergrenze ausgegeben hatte.
Die Sicherheitslage ist besser als noch vor zehn Jahren. Eigentlich müssten die Regierungsparteien in Bund und Land sich lediglich darauf fokussieren, dass bestehende Probleme gelöst werden und ein Kontrollverlust wie 2015 für die Zukunft ausgeschlossen wird.
Das bedeutet, dass endlich genug Richter und Verwaltungsbeamte für die Abarbeitung der Asylverfahren eingestellt werden müssen, damit diese deutlich beschleunigt werden. Dass Rückführungen derjenigen, die nicht hier bleiben dürfen, konsequent umgesetzt werden. Integration von Bleibeberechtigten weiter vorangetrieben wird. Und dass die Einwanderung in Deutschland generell neu geregelt wird – für eine klare Unterscheidung nach klaren Kriterien zwischen Asyl wegen individueller Verfolgung, vorübergehendem Schutz wegen eines (Bürger-)Kriegs und regulärer Einwanderung – und solange keine europäische Lösung gelingt, auch eine konsequente Umsetzung der bestehenden Dublin III-Regeln erfolgt.
Auf europäischer Ebene muss mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner angefangen werden: Der Stärkung des Außengrenzschutzes Frontex und einer engeren Kooperation in der Sicherheitszusammenarbeit. Doch die Strategien in der Union sind andere.
In der CDU setzen viele auf „Weiter so“ - und in der CSU schaut man in Panik auf die AfD
Da ist auf der einen Seite die Merkel-CDU, deren strategisches Ziel lediglich darin liegt, an der Macht zu bleiben. Das Mantra lautet „Gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“. Das ist brandgefährlich, weil die Stärkung von Extremisten dazu beiträgt kurzfristig dieses Ziel zu erreichen. Wenn AfD und Linkspartei wie in den sächsischen Umfragen gemeinsam mehr als 40 Prozent erreichen, ist das für diese CDU kein Problem an sich. Deshalb macht sie im wesentlichen einfach „weiter so“. Doch es gab einen Grund, warum Franz-Josef Strauß es zur Maxime erhob, dass es rechts der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben darf. Diese Geschichtsvergessenheit ist beängstigend.
Währenddessen wird in München eine andere Strategie gefahren. Die Christsozialen laufen in Panik Positionen der AfD hinterher. Nachdem aber die Union mehr als ein Jahrzehnt den rechten Flügel offen gelassen hatte und auch die CSU die Politik der Angela Merkel in knapp 13 Jahren durchgehender gemeinsamer Regierungsverantwortung mit allen Facetten der Sozialdemokratisierung mitgetragen hat, ist das kaum glaubwürdig.
Die Erfahrungen in den europäischen Nachbarstaaten – allen voran in den Niederlanden und Belgien – zeigen ganz klar: Die Wähler entscheiden sich im Zweifel für das Original. Wenn eine Positionsänderung der Union und damit auch eine Veränderung der Regierungspolitik besonders wirksam durch die Wahl der AfD herbeigeführt werden kann, gibt es für einen AfD-Wähler kurzfristig gar keinen Grund, zur Union zu wechseln. Die Vorstellung des CSU-Chefs Seehofer, man könne die Wanderung zur AfD stoppen indem man sie kopiert – sie ist ein Irrglaube. Appeasement klappt nicht. Im Gegenteil legitimiert man dadurch erst diese Positionen und ermutigt die Extremisten.
Für die CSU wird es aber sehr schwierig, diesen Irrglauben zu beheben – denn Seehofer hat ihn zur offiziellen CSU-Strategie gemacht, wodurch nun nicht nur die AfD die CSU treibt, sondern auch Söder Seehofer immer weiter in diese Sackgasse getrieben hat. Das fatale an beiden Strategien ist, dass sie langfristig sowohl den Parteien als auch dem Land schaden werden. Kurzfristig tun sie das auch – vor allem deshalb, weil sie nicht zueinander passen und die Bevölkerung allgemein sowie die Unionswähler im Besonderen davon verunsichert werden.
Diese Verunsicherung sorgte nun zum Einbrechen der Umfragewerte Seehofers und der CSU – und verstärkt die Panik. Markus Söders Schuldzuweisungen Richtung Berlin wegen der miserablen CSU-Umfragewerte zeigen, dass die Nerven in der CSU blank liegen. Zudem unterstreicht der bayerische Ministerpräsident mit seinem Absetzmanöver, dass Seehofer nur noch CSU-Parteivorsitzender und Bundesinnenminister auf Abruf ist. Er wird noch von Söder und Dobrindt als Sündenbock für die absehbare CSU-Schlappe im Herbst bei der bayerischen Landtagswahl gebraucht. Nur deshalb hat er wohl nach dem unwürdigen Schmierentheater der letzten Wochen überhaupt noch eine kurze Schonfrist.
Damit droht Deutschland aber ein heißer Herbst und eine erneut handlungsunfähige Bundesregierung im Dauerkrisenmodus – sie befindet sich im Würgegriff der zerbröselnden CSU. Damit ist nun wirklich niemandem gedient. Langfristig sorgen sowohl Merkels Ignoranz als auch Seehofers Appeasement dafür, dass sich die Gesellschaft spaltet, die Ränder sich radikalisieren und der politische Diskurs verroht. CDU und CSU laufen mit ihren jeweiligen Strategien Gefahr, die gesamte Bundesrepublik zu destabilisieren.
Am Ende kommt es auf eine Stilfrage an: Wir brauchen einen überparteilichen politischen Grundkonsens über die Asyl- und Migrationspolitik. Nicht mit Formelkompromissen, sondern mit klar definierten Vorgaben. Da werden alle Seiten Zugeständnisse machen müssen, aber am Ende könnte man auf eine Linie kommen. Diese Linie muss dann den Bürgerinnen und Bürgern erklärt und letztlich durchgezogen werden. Dann verschwindet auch das Getöse – und indem Ruhe einkehrt ist auch die Antwort auf die Rechtspopulisten gegeben. Um die bisherige Linie offen zu hinterfragen, müssten jedoch Merkel und Seehofer gewaltig über ihre Schatten springen. Es ist bei beiden unwahrscheinlich, dass sie dafür noch stark genug sind.