Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gab „T-Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Laura Stresing und Rüdiger Schmitz-Normann.
Frage: Frau Beer, vor ein paar Tagen war Facebook-Chef Mark Zuckerberg beim EU-Parlament zu Gast. Die Parlamentarier wollten wissen, wie sich seine Plattform nach den Skandalen um eine mögliche Wahlbeeinflussung und dem massenhaften Missbrauch seiner Nutzerdaten neu aufstellen will. Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt?
Beer: Das Europäische Parlament hat sich ziemlich blamiert. Zuckerberg konnte sich aus einer Sammlung von Fragen ein paar wenige aussuchen und dem Rest ausweichen. Guy Verhofstadt, der Vorsitzende der liberalen Fraktion im Europaparlament, hat wenigstens noch durchgesetzt, dass die verbliebenen Fragen schriftlich beantwortet werden müssen. Da werden wir sehen, was noch kommt. Aber Aufklärungswille und tatsächliche Einsicht sehen anders aus. Die Öffentlichkeit erwartet nach dem Skandal um Cambridge Analytica Antworten und vor allem eine Verhaltensänderung von Facebook.
Frage: Cambridge Analytica: Das ist die Datenanalysefirma, die damit geprahlt hat, Donald Trump ins Weiße Haus gebracht zu haben. Was bedeutet das für Zuckerbergs Unternehmen?
Beer: Der US-Konzern verfolgt ein Geschäftsmodell, bei dem ich erwarte, dass mit meinen Daten besonders sensibel umgegangen wird. Wie wir aber am Fall von Cambridge Analytica gesehen haben war es jahrelang möglich, Daten abzugreifen. Mittlerweile sind einige Schwachstellen geschlossen. Unter der neuen Datenschutzgrundverordnung sollte so etwas nicht mehr vorkommen. Das ist ein Fortschritt.
Frage: Bei einem Verstoß gegen die DSGVO drohen Strafen von bis zu vier Prozent des Gesamtumsatzes. Bei Facebook geht das in die Milliarden. Das ist sicherlich ein Anreiz, sich an den EU-Datenschutz zu halten. Reicht das, um einen Giganten wie Facebook zu zähmen?
Beer: Datenschutz ist ein wichtiges, aber definitiv nicht das einzige Mittel. Wir brauchen auch digitale Medienkompetenz in der Breite der Bevölkerung. Nur wenn ich die Zusammenhänge verstehe, wenn ich weiß, wie Algorithmen funktionieren, kann ich auch mündige Entscheidungen treffen. Ich muss wissen, in was ich einwillige und wo ich sage, unter diesen Bedingungen verzichte ich lieber auf den Service. Die Datenschutzgrundverordnung schafft hier wichtige Rahmenbedingungen, indem sie mehr Transparenz einfordert.
Frage: Gerade in Deutschland klagen viele kleine und mittelständische Unternehmen über den strengen Datenschutz. Sehen Sie das Gesetz als Chance oder als Gefahr für die heimische Wirtschaft?
Beer: Die DSGVO schafft einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt innerhalb der Europäischen Union. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen und Organisationen wird durch das einheitliche Datenschutzniveau vieles einfacher. Auf nationaler Ebene wurden allerdings zum Teil unnötig hohe bürokratische Anforderungen geschaffen. Dass Unternehmen zum Beispiel schon ab zehn Mitarbeitern einen Datenschutzbeauftragten benennen müssen, hat sich der deutsche Gesetzgeber ausgedacht.
Frage: An den umfangreichen Pflichten, die für Vereine genauso gelten wie für Unternehmen, gibt es viel Kritik. Andererseits ist das Gesetz seit bereits zwei Jahren in Kraft. Hatten da nicht alle genug Zeit, sich vorzubereiten?
Beer: Ganz und gar nicht. Das größte Problem ist, dass die deutsche Regierung ihre eigenen Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die zweijährige Übergangsfrist sollte auch dazu dienen, die Verordnung ordentlich umzusetzen und die Bürger aufzuklären, was sich für sie ändert. Beides ist nicht passiert. Dadurch gibt es in manchen Bereichen immer noch Unsicherheiten – zum Beispiel für professionelle Fotografen. Diese Fragen hätte der Gesetzgeber längst klären müssen, statt sie den Gerichten zu überlassen. Während die Politik einfach nur abgewartet hat, haben sich in der Bevölkerung viele Ängste aufgebaut. Dazu kamen noch jede Menge Falschinformationen. Das hat sich in den letzten Wochen zu einer regelrechten DSGVO-Hysterie gesteigert. Da müssen wir jetzt dringend gegensteuern.
Frage: Facebook führt immer wieder heimliche Experimente durch – zum Beispiel, um die Stimmung der Nutzer zu manipulieren oder sie zur Wahl zu animieren. Gegen eine solche Einflussnahme hilft auch kein Datenschutz.
Beer: Deswegen müssen wir ganz genau aufpassen, ob und inwiefern ein datengetriebenes Unternehmen möglicherweise seine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Das sind dann in Deutschland Fragen des Kartellrechts und des Wettbewerbsrechts. Und ich bin sehr froh, dass hierzulande unabhängige Behörden darüber entscheiden, und nicht etwa Politiker. Dennoch sind die zuständigen Stellen zu langsam und müssen sehr viel genauer hinsehen. Vielleicht müssen wir Politiker auch nachdenken, ob wir etwas dazu beitragen können, Stichwort Datenkartellrecht.
Frage: Den Grünen schwebt etwas Ähnliches vor: Eine Kartellrechtsreform bei der nicht etwa die Größe des Unternehmens ausschlaggebend ist, sondern seine Datenmacht.
Beer: Das ist ja per se nichts Verwerfliches, dass unterschiedliche Parteien Wert darauf legen, dass solche Entwicklungen eine moderne Rahmengesetzgebung bekommen. Für uns als Freie Demokraten ist aber wichtig, eine Balance zu finden zwischen Bürgerrechten und der Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren. Ich glaube, dass die Grünen an der ein oder anderen Stelle noch ihre Probleme damit haben, weil sie nach wie vor mit der sozialen Marktwirtschaft fremdeln.
Frage: Zu Beginn des Jahres hat uns noch ein zweites höchst umstrittenes Gesetz beschäftigt: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das der ehemalige Justizminister Heiko Maas auf den Weg gebracht hat. Es soll Hass und Hetze im Netz bekämpfen. Sie sind kein Fan dieses Gesetzes. Warum?
Beer: Auch wir Freie Demokraten wollen strafbares Verhalten wie Volksverhetzung und Fake News in Online-Diskussionen gerne unterbinden oder aufdecken. Aber es ist die Aufgabe der Polizei und der Justiz, zu entscheiden, welche Äußerungen von der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt sind – und was strafrechtlich relevant ist. Durch das NetzDG wurde diese zentrale Aufgabe des Staates, die Verfolgung von Straftaten im Netz, einfach privatisiert. Das halte ich für problematisch.
Frage: Warum? Was ist Ihre Sorge?
Beer: Uns geht es keinesfalls darum, die Plattformbetreiber von ihrer Pflicht zu befreien, darauf zu achten, was auf ihren Seiten passiert. Doch so wie das NetzDG konzipiert ist, beschäftigt zum Beispiel Facebook angelernte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die alle acht Sekunden auf eine Löschtaste drücken und am Strafrecht vorbei Inhalte löschen, die vielleicht politisch geschmacklos sind, aber von der Meinungsfreiheit geschützt werden. Wir von der FDP haben deshalb in unserem ersten Gesetzentwurf in der neuen Legislaturperiode beantragt, das NetzDG abzuschaffen und im Telemediengesetz das zu ergänzen, was wir wirklich brauchen, nämlich den einheitlichen Ansprechpartner.
Frage: Sie haben den Satiriker Jan Böhmermann kritisiert für seine Aktion "Reconquista Internet", für die er Listen erstellt hat von tendenziell rechtsextrem eingestufte Twitter-Accounts. Diese kann man sich herunterladen und alle Leute auf dieser Liste blockieren. Was finden Sie daran verkehrt?
Beer: Jeder hat das Recht, in seinen Social Media-Kontakten zu blocken und zu löschen, wen er möchte. Ich habe aber darauf hingewiesen, dass ich rechte wie linke Blocklisten gleichermaßen falsch finde, denn sie verstärken letztlich Filterblasen und leisten einer einseitigen Kommunikation Vorschub, und zwar "von oben nach unten". Im Falle Böhmermann ging das auch noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus, die Aktion wurde also aus den Rundfunkbeiträgen finanziert.
Frage: Hatten Sie noch nie das Bedürfnis, jemanden in den sozialen Medien auszusperren?
Beer: Wir leben in der Politik vom argumentativen Austausch und auch von Hinweisen aus der Bevölkerung auf Probleme. Das betrifft auch andere Sichtweisen und wir glauben nach wie vor daran, über Argumente Leute überzeugen zu können. Wir geben auch diejenigen nicht auf, die vielleicht mit einer etwas abwegigen Weltsicht daherkommen. Sonst würden wir ja aufhören, Politik zu machen.
Frage: Dafür brauchen Sie wahrscheinlich ein dickes Fell.
Beer: Auf unseren Seiten passiert sehr viel. Der Ton ist dabei teilweise auch sehr anklagend. Aber wer sich argumentativ beteiligt, wird von meinem Social Media-Team auch dann nicht geblockt, wenn er eine andere Meinung vertritt. Nur wer in den Kommentarpalten unterhalb meiner Beiträge spammt oder kommentarlos Logos und Kacheln anderer Parteien postet, wird geblockt. Wenn wir merken, da will sich jemand nicht auf Argumente einlassen, sondern nur eine vorgefasste Meinung vorbringen, stellen wir die Kommunikation ein.
Frage: Hinkt Deutschland in der Digitalisierung hinterher?
Beer: Beim Thema Digitalisierung sind wir allenfalls schlechtes Mittelfeld. Das zeigen die verschiedenen Rankings. Es fängt schon bei der digitalen Infrastruktur an, was besonders peinlich ist. Dort, wo ich keine ausreichende Leitung habe, wo ich permanent von Funkloch zu Funkloch fahre, kann ich viele Möglichkeiten gar nicht nutzen, die die Digitalisierung bietet. Da müssen wir wesentlich besser werden. Leider hat die Bundesregierung immer noch nicht erkannt, dass es dazu eine umfassende Strategie braucht – sonst hätten wir nicht nur ein Heimatministerium, sondern auch ein Digitalisierungsministerium.
Frage: Immerhin gibt es mit Dorothee Bär eine Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt.
Beer: Ja, aber für diese Aufgabe stehen ihr nur wenige Mitarbeiter zur Verfügung. Gleichzeitig hat sie keinerlei Durchsetzungskompetenz gegenüber den anderen Ministerien. So wird Frau Bär wenig ausrichten können – egal, wie sehr sie sich für das Thema interessiert und einsetzt.
Frage: Welches Land in Europa könnte als Vorbild dienen?
Beer: Schauen Sie nach Norden: Digitale Vorreiter waren zum Beispiel Estland und Dänemark. In Estland nutzen 94 Prozent der Bevölkerung die elektronische Signatur, um sich zum Beispiel gegenüber Banken oder Behörden zu identifizieren. Dort ist es also offensichtlich gelungen, auch die ältere Bevölkerung mitzunehmen und an der Digitalisierung teilhaben zu lassen. Eine solche Medien- und Digitalkompetenz in der Breite der Gesellschaft wünschen wir uns auch in Deutschland. Jeder, egal wie alt er ist oder welche Vorbildung er hat, sollte in die Lage versetzt werden, die Digitalisierung nicht nur zu nutzen, sondern als mündiger Bürger mitzugestalten.
Frage: Woran liegt es, dass die Deutschen hier Nachholbedarf haben?
Beer: Weil das Thema einfach verschlafen worden ist. Man hat geglaubt, ein politisches Versprechen dahingehend abgeben zu können, dass sich für den einzelnen Bürger nichts ändert. Nach dem Motto: Es bleibt alles, wie du es kennst. Das war ein Irrtum. Wir müssen die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass die Digitalisierung nicht nur einzelnen Branchen, sondern nahezu jeden Beruf, jeden Arbeitsplatz verändern wird. Wir Freie Demokraten sprechen diese Veränderungen an. Wir wollen das Land fit machen für den Wandel. Sonst werden wir gegenüber dem internationalen Wettbewerb zurückfallen – und das wird sich auf Wachstum und Wohlstand auswirken.
Frage: Zum Bundesparteitag haben Sie eine Initiative gegründet, um Frauen in der FDP stärker zu fördern. Warum gerade jetzt – Sie haben sich immer gegen eine Quote ausgesprochen?
Beer: Als Generalsekretärin ist es auch meine Aufgabe, die Potenziale zu heben, die wir in der Mitgliedschaft haben. Im letzten Jahr hatten wir einen Neumitglieder-Rekord. 12.362 Neumitglieder, das ist mehr als zu den Spitzenzeiten 2009/2010, wo wir mit 14 Prozent im Bundestag saßen. Allerdings haben wir festgestellt, dass wir deutlich weniger Frauen angezogen haben als in der Vergangenheit. Die Frauenquote unter den Neumitgliedern betrug nur 18 Prozent. Das muss uns alarmieren.
Frage: Davor lag der Frauenanteil bei etwa 23 bis 25 Prozent. Nur die CSU und die AfD haben noch weniger weibliche Mitglieder. Haben Sie eine These, warum die FDP sich so schwertut, für Frauen attraktiv zu sein?
Beer: Ich war damit schon immer unzufrieden. Leider gibt es darauf keine einfachen Antworten, warum das so ist. Deswegen haben wir eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Wir wollen die Ursachen erforschen. Zum nächsten Bundesparteitag werden wir dem Bundesvorstand einige Gegenmaßnahmen vorschlagen.
Frage: Könnte unter diesen Vorschlägen auch eine Frauenquote vorkommen?
Beer: Frauen kommen nicht in die Politik wegen der Frauenquote. Sie ist lediglich eine Krücke für Funktionsbesetzungen. Ich bin immer noch skeptisch, ob wir diese Krücke wirklich brauchen. Wir haben den Ansporn, ständig besser zu werden und wir sehen, dass es funktioniert. Wir bringen überproportional viele Frauen in wichtige Funktionen auf Bundesebene. Das färbt auch schon ab auf die Landesebene. Aber wir sind noch nicht gut genug in den Orts- und Kreisverbänden.
Frage: Was erhoffen Sie sich von mehr Frauenbeteiligung?
Beer: Wir merken, dass wir in gemischten Teams bessere Ergebnisse erzielen – sowohl in der inhaltlichen Ausarbeitung als auch in der Vermittlung. Frauen bringen noch einmal eine andere Sichtweise mit. Sie sprechen andere Themen an, in einer anderen Sprache. Zum Beispiel merken wir, dass es im Gespräch mit Frauen oft um die Veränderungen in der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung geht. Viele Frauen sehen hier offenbar Chancen für mehr Selbstbestimmung – und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Homeoffice und flexible Arbeitszeiten.
BEER-Interview: Wir müssen die Bürger auf Veränderungen vorbereiten
Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gab „T-Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Laura Stresing und Rüdiger Schmitz-Normann.
Frage: Frau Beer, vor ein paar Tagen war Facebook-Chef Mark Zuckerberg beim EU-Parlament zu Gast. Die Parlamentarier wollten wissen, wie sich seine Plattform nach den Skandalen um eine mögliche Wahlbeeinflussung und dem massenhaften Missbrauch seiner Nutzerdaten neu aufstellen will. Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt?
Beer: Das Europäische Parlament hat sich ziemlich blamiert. Zuckerberg konnte sich aus einer Sammlung von Fragen ein paar wenige aussuchen und dem Rest ausweichen. Guy Verhofstadt, der Vorsitzende der liberalen Fraktion im Europaparlament, hat wenigstens noch durchgesetzt, dass die verbliebenen Fragen schriftlich beantwortet werden müssen. Da werden wir sehen, was noch kommt. Aber Aufklärungswille und tatsächliche Einsicht sehen anders aus. Die Öffentlichkeit erwartet nach dem Skandal um Cambridge Analytica Antworten und vor allem eine Verhaltensänderung von Facebook.
Frage: Cambridge Analytica: Das ist die Datenanalysefirma, die damit geprahlt hat, Donald Trump ins Weiße Haus gebracht zu haben. Was bedeutet das für Zuckerbergs Unternehmen?
Beer: Der US-Konzern verfolgt ein Geschäftsmodell, bei dem ich erwarte, dass mit meinen Daten besonders sensibel umgegangen wird. Wie wir aber am Fall von Cambridge Analytica gesehen haben war es jahrelang möglich, Daten abzugreifen. Mittlerweile sind einige Schwachstellen geschlossen. Unter der neuen Datenschutzgrundverordnung sollte so etwas nicht mehr vorkommen. Das ist ein Fortschritt.
Frage: Bei einem Verstoß gegen die DSGVO drohen Strafen von bis zu vier Prozent des Gesamtumsatzes. Bei Facebook geht das in die Milliarden. Das ist sicherlich ein Anreiz, sich an den EU-Datenschutz zu halten. Reicht das, um einen Giganten wie Facebook zu zähmen?
Beer: Datenschutz ist ein wichtiges, aber definitiv nicht das einzige Mittel. Wir brauchen auch digitale Medienkompetenz in der Breite der Bevölkerung. Nur wenn ich die Zusammenhänge verstehe, wenn ich weiß, wie Algorithmen funktionieren, kann ich auch mündige Entscheidungen treffen. Ich muss wissen, in was ich einwillige und wo ich sage, unter diesen Bedingungen verzichte ich lieber auf den Service. Die Datenschutzgrundverordnung schafft hier wichtige Rahmenbedingungen, indem sie mehr Transparenz einfordert.
Frage: Gerade in Deutschland klagen viele kleine und mittelständische Unternehmen über den strengen Datenschutz. Sehen Sie das Gesetz als Chance oder als Gefahr für die heimische Wirtschaft?
Beer: Die DSGVO schafft einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt innerhalb der Europäischen Union. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen und Organisationen wird durch das einheitliche Datenschutzniveau vieles einfacher. Auf nationaler Ebene wurden allerdings zum Teil unnötig hohe bürokratische Anforderungen geschaffen. Dass Unternehmen zum Beispiel schon ab zehn Mitarbeitern einen Datenschutzbeauftragten benennen müssen, hat sich der deutsche Gesetzgeber ausgedacht.
Frage: An den umfangreichen Pflichten, die für Vereine genauso gelten wie für Unternehmen, gibt es viel Kritik. Andererseits ist das Gesetz seit bereits zwei Jahren in Kraft. Hatten da nicht alle genug Zeit, sich vorzubereiten?
Beer: Ganz und gar nicht. Das größte Problem ist, dass die deutsche Regierung ihre eigenen Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die zweijährige Übergangsfrist sollte auch dazu dienen, die Verordnung ordentlich umzusetzen und die Bürger aufzuklären, was sich für sie ändert. Beides ist nicht passiert. Dadurch gibt es in manchen Bereichen immer noch Unsicherheiten – zum Beispiel für professionelle Fotografen. Diese Fragen hätte der Gesetzgeber längst klären müssen, statt sie den Gerichten zu überlassen. Während die Politik einfach nur abgewartet hat, haben sich in der Bevölkerung viele Ängste aufgebaut. Dazu kamen noch jede Menge Falschinformationen. Das hat sich in den letzten Wochen zu einer regelrechten DSGVO-Hysterie gesteigert. Da müssen wir jetzt dringend gegensteuern.
Frage: Facebook führt immer wieder heimliche Experimente durch – zum Beispiel, um die Stimmung der Nutzer zu manipulieren oder sie zur Wahl zu animieren. Gegen eine solche Einflussnahme hilft auch kein Datenschutz.
Beer: Deswegen müssen wir ganz genau aufpassen, ob und inwiefern ein datengetriebenes Unternehmen möglicherweise seine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Das sind dann in Deutschland Fragen des Kartellrechts und des Wettbewerbsrechts. Und ich bin sehr froh, dass hierzulande unabhängige Behörden darüber entscheiden, und nicht etwa Politiker. Dennoch sind die zuständigen Stellen zu langsam und müssen sehr viel genauer hinsehen. Vielleicht müssen wir Politiker auch nachdenken, ob wir etwas dazu beitragen können, Stichwort Datenkartellrecht.
Frage: Den Grünen schwebt etwas Ähnliches vor: Eine Kartellrechtsreform bei der nicht etwa die Größe des Unternehmens ausschlaggebend ist, sondern seine Datenmacht.
Beer: Das ist ja per se nichts Verwerfliches, dass unterschiedliche Parteien Wert darauf legen, dass solche Entwicklungen eine moderne Rahmengesetzgebung bekommen. Für uns als Freie Demokraten ist aber wichtig, eine Balance zu finden zwischen Bürgerrechten und der Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren. Ich glaube, dass die Grünen an der ein oder anderen Stelle noch ihre Probleme damit haben, weil sie nach wie vor mit der sozialen Marktwirtschaft fremdeln.
Frage: Zu Beginn des Jahres hat uns noch ein zweites höchst umstrittenes Gesetz beschäftigt: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das der ehemalige Justizminister Heiko Maas auf den Weg gebracht hat. Es soll Hass und Hetze im Netz bekämpfen. Sie sind kein Fan dieses Gesetzes. Warum?
Beer: Auch wir Freie Demokraten wollen strafbares Verhalten wie Volksverhetzung und Fake News in Online-Diskussionen gerne unterbinden oder aufdecken. Aber es ist die Aufgabe der Polizei und der Justiz, zu entscheiden, welche Äußerungen von der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt sind – und was strafrechtlich relevant ist. Durch das NetzDG wurde diese zentrale Aufgabe des Staates, die Verfolgung von Straftaten im Netz, einfach privatisiert. Das halte ich für problematisch.
Frage: Warum? Was ist Ihre Sorge?
Beer: Uns geht es keinesfalls darum, die Plattformbetreiber von ihrer Pflicht zu befreien, darauf zu achten, was auf ihren Seiten passiert. Doch so wie das NetzDG konzipiert ist, beschäftigt zum Beispiel Facebook angelernte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die alle acht Sekunden auf eine Löschtaste drücken und am Strafrecht vorbei Inhalte löschen, die vielleicht politisch geschmacklos sind, aber von der Meinungsfreiheit geschützt werden. Wir von der FDP haben deshalb in unserem ersten Gesetzentwurf in der neuen Legislaturperiode beantragt, das NetzDG abzuschaffen und im Telemediengesetz das zu ergänzen, was wir wirklich brauchen, nämlich den einheitlichen Ansprechpartner.
Frage: Sie haben den Satiriker Jan Böhmermann kritisiert für seine Aktion "Reconquista Internet", für die er Listen erstellt hat von tendenziell rechtsextrem eingestufte Twitter-Accounts. Diese kann man sich herunterladen und alle Leute auf dieser Liste blockieren. Was finden Sie daran verkehrt?
Beer: Jeder hat das Recht, in seinen Social Media-Kontakten zu blocken und zu löschen, wen er möchte. Ich habe aber darauf hingewiesen, dass ich rechte wie linke Blocklisten gleichermaßen falsch finde, denn sie verstärken letztlich Filterblasen und leisten einer einseitigen Kommunikation Vorschub, und zwar "von oben nach unten". Im Falle Böhmermann ging das auch noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus, die Aktion wurde also aus den Rundfunkbeiträgen finanziert.
Frage: Hatten Sie noch nie das Bedürfnis, jemanden in den sozialen Medien auszusperren?
Beer: Wir leben in der Politik vom argumentativen Austausch und auch von Hinweisen aus der Bevölkerung auf Probleme. Das betrifft auch andere Sichtweisen und wir glauben nach wie vor daran, über Argumente Leute überzeugen zu können. Wir geben auch diejenigen nicht auf, die vielleicht mit einer etwas abwegigen Weltsicht daherkommen. Sonst würden wir ja aufhören, Politik zu machen.
Frage: Dafür brauchen Sie wahrscheinlich ein dickes Fell.
Beer: Auf unseren Seiten passiert sehr viel. Der Ton ist dabei teilweise auch sehr anklagend. Aber wer sich argumentativ beteiligt, wird von meinem Social Media-Team auch dann nicht geblockt, wenn er eine andere Meinung vertritt. Nur wer in den Kommentarpalten unterhalb meiner Beiträge spammt oder kommentarlos Logos und Kacheln anderer Parteien postet, wird geblockt. Wenn wir merken, da will sich jemand nicht auf Argumente einlassen, sondern nur eine vorgefasste Meinung vorbringen, stellen wir die Kommunikation ein.
Frage: Hinkt Deutschland in der Digitalisierung hinterher?
Beer: Beim Thema Digitalisierung sind wir allenfalls schlechtes Mittelfeld. Das zeigen die verschiedenen Rankings. Es fängt schon bei der digitalen Infrastruktur an, was besonders peinlich ist. Dort, wo ich keine ausreichende Leitung habe, wo ich permanent von Funkloch zu Funkloch fahre, kann ich viele Möglichkeiten gar nicht nutzen, die die Digitalisierung bietet. Da müssen wir wesentlich besser werden. Leider hat die Bundesregierung immer noch nicht erkannt, dass es dazu eine umfassende Strategie braucht – sonst hätten wir nicht nur ein Heimatministerium, sondern auch ein Digitalisierungsministerium.
Frage: Immerhin gibt es mit Dorothee Bär eine Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt.
Beer: Ja, aber für diese Aufgabe stehen ihr nur wenige Mitarbeiter zur Verfügung. Gleichzeitig hat sie keinerlei Durchsetzungskompetenz gegenüber den anderen Ministerien. So wird Frau Bär wenig ausrichten können – egal, wie sehr sie sich für das Thema interessiert und einsetzt.
Frage: Welches Land in Europa könnte als Vorbild dienen?
Beer: Schauen Sie nach Norden: Digitale Vorreiter waren zum Beispiel Estland und Dänemark. In Estland nutzen 94 Prozent der Bevölkerung die elektronische Signatur, um sich zum Beispiel gegenüber Banken oder Behörden zu identifizieren. Dort ist es also offensichtlich gelungen, auch die ältere Bevölkerung mitzunehmen und an der Digitalisierung teilhaben zu lassen. Eine solche Medien- und Digitalkompetenz in der Breite der Gesellschaft wünschen wir uns auch in Deutschland. Jeder, egal wie alt er ist oder welche Vorbildung er hat, sollte in die Lage versetzt werden, die Digitalisierung nicht nur zu nutzen, sondern als mündiger Bürger mitzugestalten.
Frage: Woran liegt es, dass die Deutschen hier Nachholbedarf haben?
Beer: Weil das Thema einfach verschlafen worden ist. Man hat geglaubt, ein politisches Versprechen dahingehend abgeben zu können, dass sich für den einzelnen Bürger nichts ändert. Nach dem Motto: Es bleibt alles, wie du es kennst. Das war ein Irrtum. Wir müssen die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass die Digitalisierung nicht nur einzelnen Branchen, sondern nahezu jeden Beruf, jeden Arbeitsplatz verändern wird. Wir Freie Demokraten sprechen diese Veränderungen an. Wir wollen das Land fit machen für den Wandel. Sonst werden wir gegenüber dem internationalen Wettbewerb zurückfallen – und das wird sich auf Wachstum und Wohlstand auswirken.
Frage: Zum Bundesparteitag haben Sie eine Initiative gegründet, um Frauen in der FDP stärker zu fördern. Warum gerade jetzt – Sie haben sich immer gegen eine Quote ausgesprochen?
Beer: Als Generalsekretärin ist es auch meine Aufgabe, die Potenziale zu heben, die wir in der Mitgliedschaft haben. Im letzten Jahr hatten wir einen Neumitglieder-Rekord. 12.362 Neumitglieder, das ist mehr als zu den Spitzenzeiten 2009/2010, wo wir mit 14 Prozent im Bundestag saßen. Allerdings haben wir festgestellt, dass wir deutlich weniger Frauen angezogen haben als in der Vergangenheit. Die Frauenquote unter den Neumitgliedern betrug nur 18 Prozent. Das muss uns alarmieren.
Frage: Davor lag der Frauenanteil bei etwa 23 bis 25 Prozent. Nur die CSU und die AfD haben noch weniger weibliche Mitglieder. Haben Sie eine These, warum die FDP sich so schwertut, für Frauen attraktiv zu sein?
Beer: Ich war damit schon immer unzufrieden. Leider gibt es darauf keine einfachen Antworten, warum das so ist. Deswegen haben wir eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Wir wollen die Ursachen erforschen. Zum nächsten Bundesparteitag werden wir dem Bundesvorstand einige Gegenmaßnahmen vorschlagen.
Frage: Könnte unter diesen Vorschlägen auch eine Frauenquote vorkommen?
Beer: Frauen kommen nicht in die Politik wegen der Frauenquote. Sie ist lediglich eine Krücke für Funktionsbesetzungen. Ich bin immer noch skeptisch, ob wir diese Krücke wirklich brauchen. Wir haben den Ansporn, ständig besser zu werden und wir sehen, dass es funktioniert. Wir bringen überproportional viele Frauen in wichtige Funktionen auf Bundesebene. Das färbt auch schon ab auf die Landesebene. Aber wir sind noch nicht gut genug in den Orts- und Kreisverbänden.
Frage: Was erhoffen Sie sich von mehr Frauenbeteiligung?
Beer: Wir merken, dass wir in gemischten Teams bessere Ergebnisse erzielen – sowohl in der inhaltlichen Ausarbeitung als auch in der Vermittlung. Frauen bringen noch einmal eine andere Sichtweise mit. Sie sprechen andere Themen an, in einer anderen Sprache. Zum Beispiel merken wir, dass es im Gespräch mit Frauen oft um die Veränderungen in der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung geht. Viele Frauen sehen hier offenbar Chancen für mehr Selbstbestimmung – und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Homeoffice und flexible Arbeitszeiten.