FDP|
16.05.2018 - 10:15LINDNER-Interview: Es gibt eine Vertrauenskrise in unserem Land
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Herr Lindner, gehen Sie noch selbst zum Bäcker?
Lindner: Selbstverständlich! Ich komme schließlich aus einer Bäcker-Familie. Mein Großvater mütterlicherseits war ein selbstständiger Bäcker- und Konditormeister in Wuppertal.
Frage: Wie sehr hat Sie die Rassismus-Keule geschmerzt, die Sie nach ihren Äußerungen zu Flüchtlingen beim Brötchenkaufen getroffen hat?
Lindner: Ich persönlich kann so etwas ab. In der Sache ist das völlig unbegründet. Am Samstag haben 100 Journalisten im Saal gesessen, und niemand hat von meiner Anekdote Notiz genommen. Erst am nächsten Tag haben die Empörungsgeschwader abgehoben. Wer so leichtfertig mit dem Rassismus-Vorwurf gegenüber dem Vorsitzenden der Liberalen umgeht, verharmlost die wirkliche Gefahr rassistischer Vorurteile und harten völkischen Denkens.
Frage: Warum haben Sie den Unterschied gemacht zwischen dem hochqualifizierten Inder und dem Geduldeten ohne Bleiberecht, der Angst mache? Haben nicht auch diese Menschen ein Recht darauf, dass man ihnen angstfrei begegnet?
Lindner: Darum geht es mir nicht. Ich habe angesprochen, dass sich das gesellschaftliche Klima in Deutschland seit dem Flüchtlingssommer 2015 verändert hat. Mir hat ein Zugewanderter berichtet, dass er seit dieser Zeit anders angesehen wird. Das Problem ist doch, dass die gutwilligen, integrationsbereiten oder schon gut integrierten Menschen mit denen in einen Topf geworfen werden, die sich möglicherweise illegal bei uns aufhalten. Es gibt eine Vertrauenskrise in unserem Land. Es wachsen die Zweifel, dass der Rechtsstaat Ordnung herstellt und den sozialen Frieden absichert. Nicht jeder, der dieses Unwohlsein hat, ist ein Alltagsrassist. Das spreche ich an, ohne zu empfehlen, Kreuze an die Wände zu nageln oder Religionen zu diskriminieren.
Frage: Sie wollen die FDP zur politisch korrekten Protestpartei gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin machen und so der AfD Wähler abjagen?
Lindner: Die FDP will eine andere Einwanderungspolitik als die Bundesregierung. Weltanschaulich neutral, weltoffen und mit mehr Zuwanderung. Was soll daran rechtspopulistisch sein? Es kann nicht sein, dass Empörungsgeschwader jeden Vorschlag für eine bessere Einwanderungspolitik sogleich diffamieren. Ich lasse mich jedenfalls nicht einschüchtern. Die Frage ist doch: Sind die Menschen, die zu uns kommen, verfolgt oder qualifiziert? Wenn ja, können sie bleiben. Wenn nein, müssen sie in ihre Heimat zurück. Es geht nicht um Abschottung, sondern um die Aufnahme derjenigen, die wirklich bedürftig sind oder hierzulande gebraucht werden.
Frage: Stellt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in der Flüchtlingspolitik nicht die richtigen Weichen?
Lindner: Horst Seehofer sollte schnellstmöglich einen Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Gemeinden einberufen. Er schwadroniert über den Islam, kündigt Ankerzentren an. Aber mit denen, die seine Politik umzusetzen haben – Länder und Kommunen – verhandelt er nicht. Es sind Taten statt Worte nötig. Die CSU verlegt sich gerne auf Symbolhandlungen. Dabei sind die Abschiebe-Zahlen des FDP-Innenministers aus NRW besser als die des CSU-Innenministers aus Bayern.
Frage: Kurzum: Sie bereuen ihre Bäcker-„Anekdote“ nicht?
Lindner: Ich würde die Passage heute präziser formulieren. Meine Position hat sich nicht verändert. Es kann nicht sein, dass Menschen, die bei uns ihre Heimat gefunden haben, wegen des Kontrollverlustes des Staates vor drei Jahren heute schräg angeschaut werden. Wir haben noch immer keine Integrationskultur und noch immer kein Einwanderungs-Management, um hier gegenzusteuern. Nur, wenn wir einen Integrationskonsens erzielen und diejenigen, die bleiben, qualifizieren, gerät der soziale Frieden nicht in Gefahr.
Frage: Gibt es in Deutschland eine „Anti-Abschiebe-Industrie“?
Lindner: Die Klage von Alexander Dobrindt teile ich nicht. Wenn Menschen die legitimen Rechtsmittel unseres Staates nutzen, kann ihnen daraus niemand einen Vorwurf machen. Das eigentliche Problem: Die gesetzlichen Grundlagen für Einwanderung in Deutschland sind nicht mehr praxistauglich. Wir müssen an unser Asyl- und Einwanderungsrecht heran. Die Allermeisten, die zu uns kommen, sind keine Asylberechtigten, sondern Flüchtlinge oder Menschen, die wirtschaftlichen Erfolg suchen. Flüchtlinge sollten nicht durch das Asylverfahren, sondern nach einer Sicherheits- und Identitätsüberprüfung sofort eine befristete Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erhalten, bis es in ihrer Heimat wieder sicher ist.
Frage: Sollten Ilkay Gündogan und Mesut Özil nicht zur Fußball-WM fahren, nachdem sie mit dem türkischen Präsidenten Erdogan vor der Kamera posiert haben?
Lindner: Als Sportidole haben Fußballstars eine Vorbildfunktion. Es ist sehr bedauerlich, dass sich Gündogan und Özil nun mit Erdogan zeigen, der die einst laizistische Türkei in eine islamistische Präsidialdiktatur verwandelt.
LINDNER-Interview: Es gibt eine Vertrauenskrise in unserem Land
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Herr Lindner, gehen Sie noch selbst zum Bäcker?
Lindner: Selbstverständlich! Ich komme schließlich aus einer Bäcker-Familie. Mein Großvater mütterlicherseits war ein selbstständiger Bäcker- und Konditormeister in Wuppertal.
Frage: Wie sehr hat Sie die Rassismus-Keule geschmerzt, die Sie nach ihren Äußerungen zu Flüchtlingen beim Brötchenkaufen getroffen hat?
Lindner: Ich persönlich kann so etwas ab. In der Sache ist das völlig unbegründet. Am Samstag haben 100 Journalisten im Saal gesessen, und niemand hat von meiner Anekdote Notiz genommen. Erst am nächsten Tag haben die Empörungsgeschwader abgehoben. Wer so leichtfertig mit dem Rassismus-Vorwurf gegenüber dem Vorsitzenden der Liberalen umgeht, verharmlost die wirkliche Gefahr rassistischer Vorurteile und harten völkischen Denkens.
Frage: Warum haben Sie den Unterschied gemacht zwischen dem hochqualifizierten Inder und dem Geduldeten ohne Bleiberecht, der Angst mache? Haben nicht auch diese Menschen ein Recht darauf, dass man ihnen angstfrei begegnet?
Lindner: Darum geht es mir nicht. Ich habe angesprochen, dass sich das gesellschaftliche Klima in Deutschland seit dem Flüchtlingssommer 2015 verändert hat. Mir hat ein Zugewanderter berichtet, dass er seit dieser Zeit anders angesehen wird. Das Problem ist doch, dass die gutwilligen, integrationsbereiten oder schon gut integrierten Menschen mit denen in einen Topf geworfen werden, die sich möglicherweise illegal bei uns aufhalten. Es gibt eine Vertrauenskrise in unserem Land. Es wachsen die Zweifel, dass der Rechtsstaat Ordnung herstellt und den sozialen Frieden absichert. Nicht jeder, der dieses Unwohlsein hat, ist ein Alltagsrassist. Das spreche ich an, ohne zu empfehlen, Kreuze an die Wände zu nageln oder Religionen zu diskriminieren.
Frage: Sie wollen die FDP zur politisch korrekten Protestpartei gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin machen und so der AfD Wähler abjagen?
Lindner: Die FDP will eine andere Einwanderungspolitik als die Bundesregierung. Weltanschaulich neutral, weltoffen und mit mehr Zuwanderung. Was soll daran rechtspopulistisch sein? Es kann nicht sein, dass Empörungsgeschwader jeden Vorschlag für eine bessere Einwanderungspolitik sogleich diffamieren. Ich lasse mich jedenfalls nicht einschüchtern. Die Frage ist doch: Sind die Menschen, die zu uns kommen, verfolgt oder qualifiziert? Wenn ja, können sie bleiben. Wenn nein, müssen sie in ihre Heimat zurück. Es geht nicht um Abschottung, sondern um die Aufnahme derjenigen, die wirklich bedürftig sind oder hierzulande gebraucht werden.
Frage: Stellt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in der Flüchtlingspolitik nicht die richtigen Weichen?
Lindner: Horst Seehofer sollte schnellstmöglich einen Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Gemeinden einberufen. Er schwadroniert über den Islam, kündigt Ankerzentren an. Aber mit denen, die seine Politik umzusetzen haben – Länder und Kommunen – verhandelt er nicht. Es sind Taten statt Worte nötig. Die CSU verlegt sich gerne auf Symbolhandlungen. Dabei sind die Abschiebe-Zahlen des FDP-Innenministers aus NRW besser als die des CSU-Innenministers aus Bayern.
Frage: Kurzum: Sie bereuen ihre Bäcker-„Anekdote“ nicht?
Lindner: Ich würde die Passage heute präziser formulieren. Meine Position hat sich nicht verändert. Es kann nicht sein, dass Menschen, die bei uns ihre Heimat gefunden haben, wegen des Kontrollverlustes des Staates vor drei Jahren heute schräg angeschaut werden. Wir haben noch immer keine Integrationskultur und noch immer kein Einwanderungs-Management, um hier gegenzusteuern. Nur, wenn wir einen Integrationskonsens erzielen und diejenigen, die bleiben, qualifizieren, gerät der soziale Frieden nicht in Gefahr.
Frage: Gibt es in Deutschland eine „Anti-Abschiebe-Industrie“?
Lindner: Die Klage von Alexander Dobrindt teile ich nicht. Wenn Menschen die legitimen Rechtsmittel unseres Staates nutzen, kann ihnen daraus niemand einen Vorwurf machen. Das eigentliche Problem: Die gesetzlichen Grundlagen für Einwanderung in Deutschland sind nicht mehr praxistauglich. Wir müssen an unser Asyl- und Einwanderungsrecht heran. Die Allermeisten, die zu uns kommen, sind keine Asylberechtigten, sondern Flüchtlinge oder Menschen, die wirtschaftlichen Erfolg suchen. Flüchtlinge sollten nicht durch das Asylverfahren, sondern nach einer Sicherheits- und Identitätsüberprüfung sofort eine befristete Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erhalten, bis es in ihrer Heimat wieder sicher ist.
Frage: Sollten Ilkay Gündogan und Mesut Özil nicht zur Fußball-WM fahren, nachdem sie mit dem türkischen Präsidenten Erdogan vor der Kamera posiert haben?
Lindner: Als Sportidole haben Fußballstars eine Vorbildfunktion. Es ist sehr bedauerlich, dass sich Gündogan und Özil nun mit Erdogan zeigen, der die einst laizistische Türkei in eine islamistische Präsidialdiktatur verwandelt.