FDP|
20.04.2018 - 11:15LINDNER-Interview: Dann wird er empört sein
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der "Märkischen Oderzeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Stefan Kegel und Guido Bohsem:
Frage: Herr Lindner, die FDP war im Wahlkampf ein Bild der Einigkeit. Nun gibt es Streit...
Lindner: Das täuscht. Wir sind einig, aber natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen in einer liberalen Partei. Zu Russland haben wir Mehrheitsbeschlüsse, die Wolfgang Kubicki in einem Aspekt neu aufrollen will.
Frage: Er hat sich für ein Ende der Sanktionen gegen Moskau ausgesprochen.
Lindner: Die ganze FDP will neues Denken in der Russland-Politik. Eine Eskalationsspirale muss verhindert werden. Es gibt keine Lösung der Krisen auf der Welt und keine Stabilität in Europa ohne Russland. Wolfgang Kubicki will aber den zweiten Schritt vor dem ersten gehen. Davon hat er uns noch nicht überzeugt. Um das Verhältnis zu Russland zu entspannen, sollten wir statt – dessen mehr Konsequenz, etwa in der Abwehr von Cyber-Attacken, mit neuen Dialogangeboten verbinden.
Frage: Und wie könnten die aussehen? Außenminister Heiko Maas will das ja auch.
Lindner: Von Herrn Maas kenne ich nur die Forderung nach mehr Härte. Wir schlagen vor, Putin wieder in den Kreis der führenden Wirtschaftsnationen der Welt einzuladen, nicht als G8, aber im G7 + 1-Format. Nach den Verabredungen von Minsk hängt Entspannung stark auch von Fortschritten der ukrainischen Regierung ab, die Zusagen schuldig geblieben ist. Das muss abgekoppelt werden. Solche Angebote könnten Russland eine Positionsverschiebung erleichtern. Man kann diese Kooperation aber nur bewirken, wenn man konsequent auftritt. Sonst bestätigt man nur die Hardliner im Kreml, die denken, dass der Westen schwach ist.
Frage: Der Umgang mit Russland wird auch bei einer Lösung für Syrien eine Rolle spielen.
Lindner: Syrien zu befrieden, wird nicht mit Militär möglich sein, sondern nur mit Diplomatie. Wir begrüßen, dass es solche Initiativen nun gibt. Ich halte es aber für falsch, dass aus den Reihen der Union jetzt offen ausgesprochen wird, dass man Herrn Assad als Teil einer Übergangslösung bereits vor Gesprächen akzeptiert. Wir haben eines gelernt: Öffentliche Auseinandersetzungen wie im Weltsicherheitsrat bringen keine Lösung. Wie wäre es, wenn man sich am Oslo-Prozess orientieren würde, der in den 1990er-Jahren zwischen Israel und den Palästinensern Entspannung gebracht hat? Man sollte also Sonderbotschafter mit Verhandlungsmandat einsetzen, die hinter verschlossenen Türen ausloten, was möglich ist. Dass Russland, die Türkei und der Iran mit am Tisch sitzen müssen, versteht sich von selbst.
Frage: Was ist der europafreundliche Koalitionsvertrag noch wert?
Lindner: Es ist ein Irrtum, Europafreundlichkeit mit der Vergemeinschaftung von Finanzen, Schulden und Risiken in Europa zu verwechseln. Teile der CDU, die SPD und die Grünen treten so auf. In der Union wird das nun debattiert. Damit hat Deutschland keine klare Position mehr. Ich wünsche mir eine klare Antwort der Bundesregierung auf Emmanuel Macron. Deutschland sollte viele seiner Vorstellungen aktiv unterstützen: die Schaffung einer europäischen Armee, die Verkleinerung der Europäischen Kommission, die Stärkung gemeinsamer Investitionen in neue Technologien. Auf der anderen Seite hat er auch Ideen, die wir nicht weiterverfolgen können, vor allem in der Finanzpolitik.
Frage: Bundeskanzlerin Merkel wurde von ihrer Fraktion zurückgepfiffen.
Lindner: Das Umdenken in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zeigt, dass hier ein neuer Realismus Einzug gehalten hat. Die Entwicklung beweist allerdings auch, dass Angela Merkel ihren Laden nicht im Griff hat. Das ist ein enormer Autoritätsverlust für die Kanzlerin. Noch immer ist nicht klar, wie die Bundesregierung auf die französischen Vorschläge reagieren will. Im Koalitionsvertrag sind weitgehende Zugeständnisse in Richtung einer Transferunion vereinbart worden. Nach unserer Auffassung sollte das unbedingt vermieden werden.
Frage: Sie wollen mehr Frauen in die FDP holen. Warum kommen denn so wenige zu Ihnen?
Lindner: Das wollen wir untersuchen. Wir haben wesentlich höhere Zahlen bei Wählerinnen, von denen aber zu wenige den Weg in die Partei als Mitglieder finden. Bildung, Selbstbestimmung, eine moderne Gesellschaftspolitik, eine klar geordnete Einwanderung - das sind Themen, die für Frauen genauso wichtig sind. Eigentlich ist die spannendste Partei für Frauen die FDP. Bei den Grünen bekommen sie eine mitunter übertriebene Gender-Ideologie präsentiert. Bei Union und AfD bekommt man Gesellschaftspolitik der 50er-Jahre. Und bei uns bekommt man eine Politik, die die Selbstbestimmung stärkt, weltoffen, modern und wirtschaftlich vernünftig ist.
Frage: Sollte man sie mit Frauenquoten anlocken?
Lindner: Ich will Ergebnissen nicht vorgreifen. Wir diskutieren solche Instrumente. Es kann dann ein Ergebnis sein, dass man mit besseren Argumenten als bisher dagegen ist. Manchen Kommentar dazu fand ich bizarr. Konservative wollen da ein regelrechtes Denkverbot verhängen.
Frage: Stichwort Hartz IV: Gilt die FDP-Idee des Bürgergeldes noch, wonach alle Sozialleistungen gebündelt werden und selbstverdientes Einkommen nur noch prozentual angerechnet wird?
Lindner: Selbstverständlich. Es würde die Menschen befähigen, in die Eigenverantwortung zurückzukehren. Jemand, der arbeitet, auch wenn es zum Beispiel in einem Minijob ist, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Von jedem neben Hartz IV verdienten Euro muss man 80 Cent abgeben. Das ist leistungsfeindlich und kettet die Menschen an das Sozialsystem.
Frage: Arbeitsminister Hubertus Heil hat eine Debatte über höhere Regelsätze angestoßen.
Lindner: Das halte ich für grundfalsch. Wir müssen sehen, dass in den nächsten Jahren insbesondere der Anteil von Geflüchteten und Migranten unter den Hartz-IV-Empfängern durch die Decke gehen wird. Und wenn dann der arbeitende Deutsche feststellt, dass sein Nachbar, der möglicherweise nicht integriert ist und nicht arbeitet, Hartz IV als bedingungsloses Grundeinkommen erhält und bei einer Verweigerung von Bildung, Spracherwerb oder Arbeit mit keinerlei Sanktionen zu rechnen hat, dann wird er empört sein.
LINDNER-Interview: Dann wird er empört sein
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der "Märkischen Oderzeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Stefan Kegel und Guido Bohsem:
Frage: Herr Lindner, die FDP war im Wahlkampf ein Bild der Einigkeit. Nun gibt es Streit...
Lindner: Das täuscht. Wir sind einig, aber natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen in einer liberalen Partei. Zu Russland haben wir Mehrheitsbeschlüsse, die Wolfgang Kubicki in einem Aspekt neu aufrollen will.
Frage: Er hat sich für ein Ende der Sanktionen gegen Moskau ausgesprochen.
Lindner: Die ganze FDP will neues Denken in der Russland-Politik. Eine Eskalationsspirale muss verhindert werden. Es gibt keine Lösung der Krisen auf der Welt und keine Stabilität in Europa ohne Russland. Wolfgang Kubicki will aber den zweiten Schritt vor dem ersten gehen. Davon hat er uns noch nicht überzeugt. Um das Verhältnis zu Russland zu entspannen, sollten wir statt – dessen mehr Konsequenz, etwa in der Abwehr von Cyber-Attacken, mit neuen Dialogangeboten verbinden.
Frage: Und wie könnten die aussehen? Außenminister Heiko Maas will das ja auch.
Lindner: Von Herrn Maas kenne ich nur die Forderung nach mehr Härte. Wir schlagen vor, Putin wieder in den Kreis der führenden Wirtschaftsnationen der Welt einzuladen, nicht als G8, aber im G7 + 1-Format. Nach den Verabredungen von Minsk hängt Entspannung stark auch von Fortschritten der ukrainischen Regierung ab, die Zusagen schuldig geblieben ist. Das muss abgekoppelt werden. Solche Angebote könnten Russland eine Positionsverschiebung erleichtern. Man kann diese Kooperation aber nur bewirken, wenn man konsequent auftritt. Sonst bestätigt man nur die Hardliner im Kreml, die denken, dass der Westen schwach ist.
Frage: Der Umgang mit Russland wird auch bei einer Lösung für Syrien eine Rolle spielen.
Lindner: Syrien zu befrieden, wird nicht mit Militär möglich sein, sondern nur mit Diplomatie. Wir begrüßen, dass es solche Initiativen nun gibt. Ich halte es aber für falsch, dass aus den Reihen der Union jetzt offen ausgesprochen wird, dass man Herrn Assad als Teil einer Übergangslösung bereits vor Gesprächen akzeptiert. Wir haben eines gelernt: Öffentliche Auseinandersetzungen wie im Weltsicherheitsrat bringen keine Lösung. Wie wäre es, wenn man sich am Oslo-Prozess orientieren würde, der in den 1990er-Jahren zwischen Israel und den Palästinensern Entspannung gebracht hat? Man sollte also Sonderbotschafter mit Verhandlungsmandat einsetzen, die hinter verschlossenen Türen ausloten, was möglich ist. Dass Russland, die Türkei und der Iran mit am Tisch sitzen müssen, versteht sich von selbst.
Frage: Was ist der europafreundliche Koalitionsvertrag noch wert?
Lindner: Es ist ein Irrtum, Europafreundlichkeit mit der Vergemeinschaftung von Finanzen, Schulden und Risiken in Europa zu verwechseln. Teile der CDU, die SPD und die Grünen treten so auf. In der Union wird das nun debattiert. Damit hat Deutschland keine klare Position mehr. Ich wünsche mir eine klare Antwort der Bundesregierung auf Emmanuel Macron. Deutschland sollte viele seiner Vorstellungen aktiv unterstützen: die Schaffung einer europäischen Armee, die Verkleinerung der Europäischen Kommission, die Stärkung gemeinsamer Investitionen in neue Technologien. Auf der anderen Seite hat er auch Ideen, die wir nicht weiterverfolgen können, vor allem in der Finanzpolitik.
Frage: Bundeskanzlerin Merkel wurde von ihrer Fraktion zurückgepfiffen.
Lindner: Das Umdenken in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zeigt, dass hier ein neuer Realismus Einzug gehalten hat. Die Entwicklung beweist allerdings auch, dass Angela Merkel ihren Laden nicht im Griff hat. Das ist ein enormer Autoritätsverlust für die Kanzlerin. Noch immer ist nicht klar, wie die Bundesregierung auf die französischen Vorschläge reagieren will. Im Koalitionsvertrag sind weitgehende Zugeständnisse in Richtung einer Transferunion vereinbart worden. Nach unserer Auffassung sollte das unbedingt vermieden werden.
Frage: Sie wollen mehr Frauen in die FDP holen. Warum kommen denn so wenige zu Ihnen?
Lindner: Das wollen wir untersuchen. Wir haben wesentlich höhere Zahlen bei Wählerinnen, von denen aber zu wenige den Weg in die Partei als Mitglieder finden. Bildung, Selbstbestimmung, eine moderne Gesellschaftspolitik, eine klar geordnete Einwanderung - das sind Themen, die für Frauen genauso wichtig sind. Eigentlich ist die spannendste Partei für Frauen die FDP. Bei den Grünen bekommen sie eine mitunter übertriebene Gender-Ideologie präsentiert. Bei Union und AfD bekommt man Gesellschaftspolitik der 50er-Jahre. Und bei uns bekommt man eine Politik, die die Selbstbestimmung stärkt, weltoffen, modern und wirtschaftlich vernünftig ist.
Frage: Sollte man sie mit Frauenquoten anlocken?
Lindner: Ich will Ergebnissen nicht vorgreifen. Wir diskutieren solche Instrumente. Es kann dann ein Ergebnis sein, dass man mit besseren Argumenten als bisher dagegen ist. Manchen Kommentar dazu fand ich bizarr. Konservative wollen da ein regelrechtes Denkverbot verhängen.
Frage: Stichwort Hartz IV: Gilt die FDP-Idee des Bürgergeldes noch, wonach alle Sozialleistungen gebündelt werden und selbstverdientes Einkommen nur noch prozentual angerechnet wird?
Lindner: Selbstverständlich. Es würde die Menschen befähigen, in die Eigenverantwortung zurückzukehren. Jemand, der arbeitet, auch wenn es zum Beispiel in einem Minijob ist, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Von jedem neben Hartz IV verdienten Euro muss man 80 Cent abgeben. Das ist leistungsfeindlich und kettet die Menschen an das Sozialsystem.
Frage: Arbeitsminister Hubertus Heil hat eine Debatte über höhere Regelsätze angestoßen.
Lindner: Das halte ich für grundfalsch. Wir müssen sehen, dass in den nächsten Jahren insbesondere der Anteil von Geflüchteten und Migranten unter den Hartz-IV-Empfängern durch die Decke gehen wird. Und wenn dann der arbeitende Deutsche feststellt, dass sein Nachbar, der möglicherweise nicht integriert ist und nicht arbeitet, Hartz IV als bedingungsloses Grundeinkommen erhält und bei einer Verweigerung von Bildung, Spracherwerb oder Arbeit mit keinerlei Sanktionen zu rechnen hat, dann wird er empört sein.