FDP|
05.01.2018 - 12:00KUBICKI-Interview: Darin sind wir vollkommen einig
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab dem „Focus“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Olaf Opitz und Jan W. Schäfer.
Frage: Herr Kubicki, wie viele Freunde haben Sie?
Kubicki: Drei, vier.
Frage: Sind auch Politiker darunter?
Kubicki: Ja, einer.
Frage: Ist das Christian Lindner?
Kubicki: Nein, es ist Hans-Jörn Arp, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein.
Frage: Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Lindner bezeichnen?
Kubicki: Christian Lindner und ich haben eine freundschaftliche Verbindung. Aber wir besitzen zu wenig private Berührungspunkte, als dass ich ihn als Freund bezeichnen könnte.
Frage: Über Ihre Freundschaft mit Jürgen Möllemann haben Sie mal gesagt: „Diese Verbindung war im Kern zweckfrei“ – folgt die Beziehung zu Lindner dann nur einem Zweck?
Kubicki: Jürgen Möllemann und ich haben auf verschiedenen politischen Ebenen gearbeitet. Es gab keine Situation, wo wir uns hätten in die Quere kommen können. Christian Lindner und ich arbeiten im Bund auf der gleichen Ebene. Es gibt auch vom Alter her einen Unterschied.
Frage: Sind Sie eine Vaterfigur für ihn?
Kubicki: Das nicht, aber er hat mir gerade mitgeteilt, dass er Jugendfotos von mir gesehen hat und seine Frau ihm sagte, es gäbe zwischen uns eine gewisse Ähnlichkeit – optisch. Also, wer mich heute sieht, wird wissen, wie Christian Lindner in 30 Jahren aussieht (lacht).
Frage: Wie oft treffen sich die Ehepaare Kubicki und Lindner privat?
Kubicki: Seit vier Jahren treffen wir uns einmal im Sommer auf Mallorca. Wir machen keinen gemeinsamen Urlaub, aber treffen uns zwei, drei Tage zusammen mit unseren Frauen. Wir essen miteinander und gehen spazieren. Es ist die einzige Gelegenheit, mal abseits vom Polit-Trubel über längerfristige Dinge und Strategien zu reden. Das Gleiche machen wir im Oktober auf Sylt noch einmal.
Frage: Wir sitzen in der „Times Bar“. Hier kam es nach dem FDP-Wahl-Debakel 2013 zum Schwur zwischen Lindner und Ihnen, die FDP zurück in den Bundestag zu führen. Fühlten Sie sich damals nicht ein bisschen größenwahnsinnig?
Kubicki: Überhaupt nicht. Die engere Beziehung zwischen Christian und mir begann 2012, als wir beide überlebenswichtige Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bestehen mussten. Als er Spitzenkandidat wurde, habe ich ihm den Rat gegeben, bei den Wahlen alles in einer Hand zu haben – einschließlich Landesvorsitz. Gegen alle Erwartungen holten wir in Schleswig-Holstein 8,2 Prozent und danach in NRW sogar 8,6 Prozent für die FDP.
Frage: Dann kam die Bundestagswahl, und die FDP flog zum ersten Mal aus dem Parlament...
Kubicki: Schon am Wahltag um 16 Uhr wussten wir: Die FDP kommt nicht mehr in den Bundestag. Christian erreichte mich in Schleswig-Holstein und bat mich, nach Berlin zu kommen. Um 18 Uhr teilte ich auf unserer Wahlparty in Kiel mit: Ich habe eine schlechte und eine gute Nachricht für euch. Wir sind aus dem Bundestag raus, aber ich bleibe dem Norden erhalten. Zur Überraschung aller Journalisten im Saal jubelte meine Partei im Angesicht der Wahlniederlage. Dann fuhr ich nach Berlin und kam fünf Minuten nach Mitternacht in der „Times Bar“ des „Savoy“-Hotels an.
Frage: Warum ausgerechnet hier?
Kubicki: Christian raucht gerne eine Zigarre, und das „Savoy“ hat einen begehbaren Humidor. Wir setzten uns zusammen. Mein erster Satz war: „Scheißsituation!“ Christian sagte: „Ja, isso.“ Uns beiden war klar: Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Partei nicht auseinanderfällt, weil am nächsten Morgen Präsidium und Vorstand zurücktreten werden.
Frage: Was haben Sie ihm geraten?
Kubicki: Du musst Bundesvorsitzender werden, sonst fliegt uns die FDP um die Ohren. Ich bin die Vergangenheit und du die Zukunft der Partei.
Frage: Er wollte, dass Sie Generalsekretär werden.
Kubicki: Ja, aber ich wollte nicht. Ich habe ihm aber angeboten, dass ich als stellvertretender Bundesvorsitzender antrete, und ihm dabei in die Hand versprochen: Wir beide bauen die Partei gemeinsam wieder auf. Und du wirst von mir kein negatives Wort über dich hören. Wenn ich Probleme mit dir bekomme, sage ich dir das persönlich und nicht über die Presse. Halb zwei war ich als Nichtraucher an der Raucherbar dann völlig benebelt, und wir sind mit dem Versprechen auseinandergegangen, gemeinsam unsere Kandidatur als Vorsitzender und Stellvertreter am kommenden Morgen bekannt zu geben.
Frage: Der Schwur galt nur für vier Jahre. Haben Sie ihn nach dem Bundestags-Comeback erneuert?
Kubicki: Beim Erfolg zur Bundestagswahl 2017 wollten wir uns am gleichen Ort in der gleichen Bar zur gleichen Zeit wieder treffen. Das haben wir am Wahlabend des 24. September getan. Den Schwur mussten wir gar nicht offiziell erneuern. Es bleibt alles, wie es ist.
Frage: Viele haben jedoch noch das Bild an der Saarschleife mit Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder in Erinnerung. Damals passte angeblich kein Blatt Papier zwischen die beiden. Längst sind sie auseinander. Welche Prognose geben Sie der Politik-Freundschaft Kubicki-Lindner?
Kubicki: Auch wieder die nächsten vier Jahre, weil wir uns beide versprochen haben, die FDP bundesweit dauerhaft über zehn Prozent zu etablieren. Christian Lindner hat mir das Versprechen abgerungen, bei der nächsten Bundestagswahl erneut als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein anzutreten.
Frage: Also Kubicki bis 2025?
Kubicki: Wenn ich bis dahin lebe, ist das okay.
Frage: Wie viel Widerspruch verträgt Ihre Beziehung?
Kubicki: Wir diskutieren intern sehr offen, sehr viel und sehr konstruktiv.
Frage: Dann haben Sie Christian Lindner also in den vergangenen Tagen überzeugen können, die Tür für Jamaika wieder etwas zu öffnen?
Kubicki: Nein, das muss ich gar nicht. Es ist doch eine Binsenweisheit, dass eine neue Lage auch eine neue Lageeinschätzung erfordert. Darin sind wir vollkommen einig.
Frage: Ist Jamaika für 2018 also doch wieder realistisch?
Kubicki: Nur wenn es vorher Neuwahlen gibt und sich auch bei CDU und Grünen an der Parteispitze Wechsel vollziehen. Auf dieser neuen Grundlage wären wir natürlich zu neuen Gesprächen bereit.
Frage: Für eine Regierung dann ohne Angela Merkel?
Kubicki: Es ist schwer vorstellbar, dass Angela Merkel nach über zwölf Jahren Kanzlerschaft jetzt für einen Erneuerungsprozess steht.
Frage: Hoffen Sie, dass die GroKo-Verhandlungen scheitern?
Kubicki: Nein, die sollen das jetzt mal machen. In der SPD-Führung wollen viele die GroKo, aber die Basis mehrheitlich nicht. Zu erwarten ist aber auch, dass eine neue große Koalition für die SPD zu einem spürbaren Mitgliederverlust führen kann.
Frage: Seit dem Jamaika-Aus ist der FDP-Chef kaum noch zu sehen. Wo steckt Christian Lindner?
Kubicki: Abgesehen davon, dass Christian Lindner doch immer noch medial ziemlich präsent ist, hoffe ich, er hat sich zwischen den Jahren etwas erholt. Die letzten vier Jahre mit vielen Wahlkämpfen schlauchten. Das erschöpfte mich schon, und Christian Lindner hatte dreimal so viele Veranstaltungen wie ich. Und daran schlossen sich die acht Wochen Jamaika-Verhandlungen an. In dieser Zeit haben wir regelmäßig keine vier Stunden geschlafen. Ich habe ihm nahegelegt: Du musst jetzt mal raus, Pause machen und das Handy weglegen. Ganz einfach eine mentale und körperliche Auszeit nehmen.
Frage: Oder hat ihn die öffentliche Wutwelle so mitgenommen?
Kubicki: Diese Wutwelle sehe ich nicht. Im Gegenteil, die FDP erfährt – auch aus der Wirtschaft – sehr viel Zuspruch für ihren Kurs und den Abbruch der Sondierungen. Eine Regierung mit der Merkel-CDU und den Grünen in dieser Personalkonstellation wäre das reine Chaos gewesen.
Frage: Merkels Machtposition ist auch in Europa geschwächt. Wird Frankreichs Präsident Macron der neue starke Mann der EU?
Kubicki: Man ist in Europa kein starker Mann, bloß weil man gut aussieht und große Reden schwingt, sondern weil man ein Land repräsentiert, das wirtschaftlich stark ist. Davon ist Frankreich meilenweit entfernt.
Frage: Also ist Emmanuel Macron aus Ihrer Sicht ein Schaumschläger?
Kubicki: Auch Macron will deutsches Geld. Und genau das haben die Grünen in den Jamaika-Verhandlungen vorgeschlagen. Dem konnte die FDP nicht zustimmen. Uns war wichtig, eine Antwort auf Macron zu geben, die unsere Interessen im Rahmen der europäischen Gemeinschaft widerspiegelt. Eine Antwort, die das Prinzip „Zusammenführen statt spalten“ unterlegt. Der Brexit zum Beispiel war eindeutig die Folge von Merkels Politik. Wenn die amtierende Bundeskanzlerin so weitermacht, wird Europa noch mehr Länder verlieren.
Frage: Sie und die FDP hätten das in einer Bundesregierung verhindern können!
Kubicki: Das ist eine Überschätzung der Möglichkeiten. Man sollte in keine Regierung eintreten, um sich jeden Tag zu streiten und täglich mit dem Ende der Koalition zu drohen. Das macht doch keinen Sinn. Wer weiß, dass eine Verbindung scheitern wird, geht am besten keine ein.
Frage: Die FDP hat gesagt, die grüne Energiepolitik sei gefährlich für Arbeitsplätze. Warum?
Kubicki: Eine Stromreduzierung um sieben Gigawatt und 40 Millionen Tonnen CO2, wie die Grünen das wollten, geht nur mit der Stilllegung von Braunkohlekraftwerken. Die Folge: Das Kohlerevier in der Lausitz wäre plattgemacht worden. Reiner Haseloff hat bei den Verhandlungen gesagt: Wenn ihr wollt, dass der nächste Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt ein AfD-Mann wird, dann müsst ihr das machen.
Frage: Vor Zeugen?
Kubicki: Ja. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat betont, er kann diese Energiepolitik nicht verantworten. Denn auch die NRW-Tagebaue müssten sofort stillgelegt werden, weil in den Genehmigungen die Begründung der Versorgungssicherheit vermerkt ist. Selbst das alte belgische Kernkraftwerk Tihange müsste länger laufen, weil NRW garantierte drei Gigawatt zur EU-Versorgungssicherheit nicht mehr beitragen kann. Das sind doch sinnlose deutsche Klimaziele.
Frage: Das hätten die Grünen akzeptiert?
Kubicki: Ich habe die Grünen-Vorsitzende Simone Peter gefragt: Ist das Ihr Ernst, dass europäische Kernkraftwerke länger laufen sollen, damit Deutschland seine Vorreiterrolle bei der CO2-Reduktion dokumentieren kann? Das hat sie glatt mit Ja beantwortet.
Frage: Und die Union?
Kubicki: Gleich zwei Regierungschefs, Haseloff und Laschet, baten mich und die FDP: Bitte bleiben Sie hart in der Energiepolitik. Laschet traute sich offenbar nicht einmal, es der Kanzlerin selbst zu sagen. Sensationell! Immerhin hat sich die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie bei uns dafür bedankt.
Frage: Sie haben mal gesagt: „Politik ist Lebensschach. Man muss erst die viel schlagkräftigere Dame angreifen, dann den König.“ Was muss jetzt bei der CDU passieren?
Kubicki: Die Laufbahn der Königin wird die Union regeln müssen, sonst ist die Überlebensfähigkeit der Partei in Gefahr. Daniel Günther und Jens Spahn werden da eine Rolle spielen. Aber die CDU muss selbst bei einer erneuten großen Koalition schnell klarmachen, wer der Vorsitzenden Merkel folgen wird. Die Kanzlerin wird nicht vier volle Jahre regieren, sie will selbst bestimmen, wann sie geht. Das Schicksal Seehofers will Merkel nicht erleben. Auch für die SPD wäre es dann leichter, in eine GroKo zu gehen, um sich als Alternative nach Merkel zu profilieren. Zum Beispiel mit Andrea Nahles an der Spitze.
Frage: Wie wäre das bei der FDP? Sind Sie die Dame bei den Liberalen und Lindner der König?
Kubicki: Nein, das nicht. Aber: Wer Christian Lindner stürzen wollte, müsste erst mich wegräumen.
Frage: Meinen Sie das politisch?
Kubicki: Ja, natürlich. Ich sehe aber nicht, dass irgendjemand die Idee hätte, Christian Lindner zu stürzen.
Frage: Was sind Ihre Wahlziele 2018?
Kubicki: Die FDP strebt Regierungsbeteiligungen in Hessen und Bayern an. Das erwarten unsere Wähler. Aber sie erwarten auch, dass wir das nicht um jeden Preis tun. Wir wollen auch in den Ländern die Trendwende zu einer neuen Politik. Die FDP will Schwarz-Grün in Hessen ablösen. Eine Ampel wird es da rein mathematisch nicht geben.
Frage: Also wieder Jamaika?
Kubicki: Warum nicht? Neues Spiel, neues Glück. In Schleswig-Holstein haben wir gute Erfahrungen gemacht – und die hessischen Grünen sind Realos.
Frage: Und im Süden?
Kubicki: Selbst in Bayern erreicht die CSU keine absolute Mehrheit, sodass sie einen Koalitionspartner braucht. Und ich kann sicher sagen: Die CSU wird nicht ihr Herz für die Grünen entdecken. Damit wird eine Regierung mit der FDP wahrscheinlich. Mit Markus Söder wird es schwierig – doch es ist machbar. Bei den Jamaika-Verhandlungen haben wir CSU-Politiker besser kennengelernt. Wir waren überrascht davon, wie schnell wir mit den bayerischen Kollegen handelseinig werden können.
Frage: Wie erklären Sie sich nach dem Jamaika-Ende jetzt den FDP-Stimmungseinbruch?
Kubicki: Es zeigt, wie richtig das Ende der Sondierungen war. Denn es wird seit dem Abbruch der Gespräche die Mär erzählt, wir seien doch kurz vor dem Abschluss gewesen. Richtig ist: Wir waren uns in keinem wichtigen Punkt einig – alles andere sind Fake News. Aber die Erzählung – die FDP ist, weil sie bei den Verhandlungen so erfolgreich war, aufgestanden und weggelaufen aus Angst, sie müsste jetzt regieren – kann man nur glauben, wenn man im Berliner Regierungsviertel wohnt. Der Rest der Republik findet diese Interpretation peinlich.
Frage: Dafür wird die FDP jetzt in die rechte Ecke gerückt. Was sagen Sie zum Vorwurf, die FDP sei eine Haider-Partei?
Kubicki: Das ist Quatsch. Wesentliche Teile der Grünen sind der AfD in einigen Politikfeldern doch näher als die FDP. Zum Beispiel beim Antiamerikanismus und Freihandel.
Frage: Sie sind auch Vizepräsident des Bundestags. Wie werden Sie mit der AfD umgehen?
Kubicki: Ganz normal. Ich begrüße die Kollegen, wenn ich im Parlament bin. Ich gebe ihnen die Hand. Sie sind gewählte Abgeordnete des Bundestags wie alle anderen. Wir dürfen die AfD nicht zum Opfer und ihre Politiker zu Outlaws machen. Das ist ihr Lebenselixier. Aber gemeinsame Anträge mit der AfD wird es nicht geben, genauso wenig wie mit den Linken. Allerdings werden wir nicht auf einen Antrag verzichten, bei dem womöglich die AfD zustimmen könnte.
Frage: Sie wollten eigentlich nie als Abgeordneter nach Berlin, weil Sie dort „zum Trinker und vielleicht zum Hurenbock“ werden, wie Sie mehrfach betont haben. Jetzt sind Sie doch hier gelandet. Wie sieht es damit jetzt aus?
Kubicki: Letzteres ist altersbedingt schon nicht mehr zu erreichen.
Frage: Trinken geht aber noch?
Kubicki: Machen Sie sich keine Sorgen. Meine Frau ist öfter in Berlin – das begünstigt meinen sittlich-moralischen Reifeprozess.
KUBICKI-Interview: Darin sind wir vollkommen einig
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab dem „Focus“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Olaf Opitz und Jan W. Schäfer.
Frage: Herr Kubicki, wie viele Freunde haben Sie?
Kubicki: Drei, vier.
Frage: Sind auch Politiker darunter?
Kubicki: Ja, einer.
Frage: Ist das Christian Lindner?
Kubicki: Nein, es ist Hans-Jörn Arp, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein.
Frage: Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Lindner bezeichnen?
Kubicki: Christian Lindner und ich haben eine freundschaftliche Verbindung. Aber wir besitzen zu wenig private Berührungspunkte, als dass ich ihn als Freund bezeichnen könnte.
Frage: Über Ihre Freundschaft mit Jürgen Möllemann haben Sie mal gesagt: „Diese Verbindung war im Kern zweckfrei“ – folgt die Beziehung zu Lindner dann nur einem Zweck?
Kubicki: Jürgen Möllemann und ich haben auf verschiedenen politischen Ebenen gearbeitet. Es gab keine Situation, wo wir uns hätten in die Quere kommen können. Christian Lindner und ich arbeiten im Bund auf der gleichen Ebene. Es gibt auch vom Alter her einen Unterschied.
Frage: Sind Sie eine Vaterfigur für ihn?
Kubicki: Das nicht, aber er hat mir gerade mitgeteilt, dass er Jugendfotos von mir gesehen hat und seine Frau ihm sagte, es gäbe zwischen uns eine gewisse Ähnlichkeit – optisch. Also, wer mich heute sieht, wird wissen, wie Christian Lindner in 30 Jahren aussieht (lacht).
Frage: Wie oft treffen sich die Ehepaare Kubicki und Lindner privat?
Kubicki: Seit vier Jahren treffen wir uns einmal im Sommer auf Mallorca. Wir machen keinen gemeinsamen Urlaub, aber treffen uns zwei, drei Tage zusammen mit unseren Frauen. Wir essen miteinander und gehen spazieren. Es ist die einzige Gelegenheit, mal abseits vom Polit-Trubel über längerfristige Dinge und Strategien zu reden. Das Gleiche machen wir im Oktober auf Sylt noch einmal.
Frage: Wir sitzen in der „Times Bar“. Hier kam es nach dem FDP-Wahl-Debakel 2013 zum Schwur zwischen Lindner und Ihnen, die FDP zurück in den Bundestag zu führen. Fühlten Sie sich damals nicht ein bisschen größenwahnsinnig?
Kubicki: Überhaupt nicht. Die engere Beziehung zwischen Christian und mir begann 2012, als wir beide überlebenswichtige Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bestehen mussten. Als er Spitzenkandidat wurde, habe ich ihm den Rat gegeben, bei den Wahlen alles in einer Hand zu haben – einschließlich Landesvorsitz. Gegen alle Erwartungen holten wir in Schleswig-Holstein 8,2 Prozent und danach in NRW sogar 8,6 Prozent für die FDP.
Frage: Dann kam die Bundestagswahl, und die FDP flog zum ersten Mal aus dem Parlament...
Kubicki: Schon am Wahltag um 16 Uhr wussten wir: Die FDP kommt nicht mehr in den Bundestag. Christian erreichte mich in Schleswig-Holstein und bat mich, nach Berlin zu kommen. Um 18 Uhr teilte ich auf unserer Wahlparty in Kiel mit: Ich habe eine schlechte und eine gute Nachricht für euch. Wir sind aus dem Bundestag raus, aber ich bleibe dem Norden erhalten. Zur Überraschung aller Journalisten im Saal jubelte meine Partei im Angesicht der Wahlniederlage. Dann fuhr ich nach Berlin und kam fünf Minuten nach Mitternacht in der „Times Bar“ des „Savoy“-Hotels an.
Frage: Warum ausgerechnet hier?
Kubicki: Christian raucht gerne eine Zigarre, und das „Savoy“ hat einen begehbaren Humidor. Wir setzten uns zusammen. Mein erster Satz war: „Scheißsituation!“ Christian sagte: „Ja, isso.“ Uns beiden war klar: Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Partei nicht auseinanderfällt, weil am nächsten Morgen Präsidium und Vorstand zurücktreten werden.
Frage: Was haben Sie ihm geraten?
Kubicki: Du musst Bundesvorsitzender werden, sonst fliegt uns die FDP um die Ohren. Ich bin die Vergangenheit und du die Zukunft der Partei.
Frage: Er wollte, dass Sie Generalsekretär werden.
Kubicki: Ja, aber ich wollte nicht. Ich habe ihm aber angeboten, dass ich als stellvertretender Bundesvorsitzender antrete, und ihm dabei in die Hand versprochen: Wir beide bauen die Partei gemeinsam wieder auf. Und du wirst von mir kein negatives Wort über dich hören. Wenn ich Probleme mit dir bekomme, sage ich dir das persönlich und nicht über die Presse. Halb zwei war ich als Nichtraucher an der Raucherbar dann völlig benebelt, und wir sind mit dem Versprechen auseinandergegangen, gemeinsam unsere Kandidatur als Vorsitzender und Stellvertreter am kommenden Morgen bekannt zu geben.
Frage: Der Schwur galt nur für vier Jahre. Haben Sie ihn nach dem Bundestags-Comeback erneuert?
Kubicki: Beim Erfolg zur Bundestagswahl 2017 wollten wir uns am gleichen Ort in der gleichen Bar zur gleichen Zeit wieder treffen. Das haben wir am Wahlabend des 24. September getan. Den Schwur mussten wir gar nicht offiziell erneuern. Es bleibt alles, wie es ist.
Frage: Viele haben jedoch noch das Bild an der Saarschleife mit Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder in Erinnerung. Damals passte angeblich kein Blatt Papier zwischen die beiden. Längst sind sie auseinander. Welche Prognose geben Sie der Politik-Freundschaft Kubicki-Lindner?
Kubicki: Auch wieder die nächsten vier Jahre, weil wir uns beide versprochen haben, die FDP bundesweit dauerhaft über zehn Prozent zu etablieren. Christian Lindner hat mir das Versprechen abgerungen, bei der nächsten Bundestagswahl erneut als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein anzutreten.
Frage: Also Kubicki bis 2025?
Kubicki: Wenn ich bis dahin lebe, ist das okay.
Frage: Wie viel Widerspruch verträgt Ihre Beziehung?
Kubicki: Wir diskutieren intern sehr offen, sehr viel und sehr konstruktiv.
Frage: Dann haben Sie Christian Lindner also in den vergangenen Tagen überzeugen können, die Tür für Jamaika wieder etwas zu öffnen?
Kubicki: Nein, das muss ich gar nicht. Es ist doch eine Binsenweisheit, dass eine neue Lage auch eine neue Lageeinschätzung erfordert. Darin sind wir vollkommen einig.
Frage: Ist Jamaika für 2018 also doch wieder realistisch?
Kubicki: Nur wenn es vorher Neuwahlen gibt und sich auch bei CDU und Grünen an der Parteispitze Wechsel vollziehen. Auf dieser neuen Grundlage wären wir natürlich zu neuen Gesprächen bereit.
Frage: Für eine Regierung dann ohne Angela Merkel?
Kubicki: Es ist schwer vorstellbar, dass Angela Merkel nach über zwölf Jahren Kanzlerschaft jetzt für einen Erneuerungsprozess steht.
Frage: Hoffen Sie, dass die GroKo-Verhandlungen scheitern?
Kubicki: Nein, die sollen das jetzt mal machen. In der SPD-Führung wollen viele die GroKo, aber die Basis mehrheitlich nicht. Zu erwarten ist aber auch, dass eine neue große Koalition für die SPD zu einem spürbaren Mitgliederverlust führen kann.
Frage: Seit dem Jamaika-Aus ist der FDP-Chef kaum noch zu sehen. Wo steckt Christian Lindner?
Kubicki: Abgesehen davon, dass Christian Lindner doch immer noch medial ziemlich präsent ist, hoffe ich, er hat sich zwischen den Jahren etwas erholt. Die letzten vier Jahre mit vielen Wahlkämpfen schlauchten. Das erschöpfte mich schon, und Christian Lindner hatte dreimal so viele Veranstaltungen wie ich. Und daran schlossen sich die acht Wochen Jamaika-Verhandlungen an. In dieser Zeit haben wir regelmäßig keine vier Stunden geschlafen. Ich habe ihm nahegelegt: Du musst jetzt mal raus, Pause machen und das Handy weglegen. Ganz einfach eine mentale und körperliche Auszeit nehmen.
Frage: Oder hat ihn die öffentliche Wutwelle so mitgenommen?
Kubicki: Diese Wutwelle sehe ich nicht. Im Gegenteil, die FDP erfährt – auch aus der Wirtschaft – sehr viel Zuspruch für ihren Kurs und den Abbruch der Sondierungen. Eine Regierung mit der Merkel-CDU und den Grünen in dieser Personalkonstellation wäre das reine Chaos gewesen.
Frage: Merkels Machtposition ist auch in Europa geschwächt. Wird Frankreichs Präsident Macron der neue starke Mann der EU?
Kubicki: Man ist in Europa kein starker Mann, bloß weil man gut aussieht und große Reden schwingt, sondern weil man ein Land repräsentiert, das wirtschaftlich stark ist. Davon ist Frankreich meilenweit entfernt.
Frage: Also ist Emmanuel Macron aus Ihrer Sicht ein Schaumschläger?
Kubicki: Auch Macron will deutsches Geld. Und genau das haben die Grünen in den Jamaika-Verhandlungen vorgeschlagen. Dem konnte die FDP nicht zustimmen. Uns war wichtig, eine Antwort auf Macron zu geben, die unsere Interessen im Rahmen der europäischen Gemeinschaft widerspiegelt. Eine Antwort, die das Prinzip „Zusammenführen statt spalten“ unterlegt. Der Brexit zum Beispiel war eindeutig die Folge von Merkels Politik. Wenn die amtierende Bundeskanzlerin so weitermacht, wird Europa noch mehr Länder verlieren.
Frage: Sie und die FDP hätten das in einer Bundesregierung verhindern können!
Kubicki: Das ist eine Überschätzung der Möglichkeiten. Man sollte in keine Regierung eintreten, um sich jeden Tag zu streiten und täglich mit dem Ende der Koalition zu drohen. Das macht doch keinen Sinn. Wer weiß, dass eine Verbindung scheitern wird, geht am besten keine ein.
Frage: Die FDP hat gesagt, die grüne Energiepolitik sei gefährlich für Arbeitsplätze. Warum?
Kubicki: Eine Stromreduzierung um sieben Gigawatt und 40 Millionen Tonnen CO2, wie die Grünen das wollten, geht nur mit der Stilllegung von Braunkohlekraftwerken. Die Folge: Das Kohlerevier in der Lausitz wäre plattgemacht worden. Reiner Haseloff hat bei den Verhandlungen gesagt: Wenn ihr wollt, dass der nächste Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt ein AfD-Mann wird, dann müsst ihr das machen.
Frage: Vor Zeugen?
Kubicki: Ja. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat betont, er kann diese Energiepolitik nicht verantworten. Denn auch die NRW-Tagebaue müssten sofort stillgelegt werden, weil in den Genehmigungen die Begründung der Versorgungssicherheit vermerkt ist. Selbst das alte belgische Kernkraftwerk Tihange müsste länger laufen, weil NRW garantierte drei Gigawatt zur EU-Versorgungssicherheit nicht mehr beitragen kann. Das sind doch sinnlose deutsche Klimaziele.
Frage: Das hätten die Grünen akzeptiert?
Kubicki: Ich habe die Grünen-Vorsitzende Simone Peter gefragt: Ist das Ihr Ernst, dass europäische Kernkraftwerke länger laufen sollen, damit Deutschland seine Vorreiterrolle bei der CO2-Reduktion dokumentieren kann? Das hat sie glatt mit Ja beantwortet.
Frage: Und die Union?
Kubicki: Gleich zwei Regierungschefs, Haseloff und Laschet, baten mich und die FDP: Bitte bleiben Sie hart in der Energiepolitik. Laschet traute sich offenbar nicht einmal, es der Kanzlerin selbst zu sagen. Sensationell! Immerhin hat sich die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie bei uns dafür bedankt.
Frage: Sie haben mal gesagt: „Politik ist Lebensschach. Man muss erst die viel schlagkräftigere Dame angreifen, dann den König.“ Was muss jetzt bei der CDU passieren?
Kubicki: Die Laufbahn der Königin wird die Union regeln müssen, sonst ist die Überlebensfähigkeit der Partei in Gefahr. Daniel Günther und Jens Spahn werden da eine Rolle spielen. Aber die CDU muss selbst bei einer erneuten großen Koalition schnell klarmachen, wer der Vorsitzenden Merkel folgen wird. Die Kanzlerin wird nicht vier volle Jahre regieren, sie will selbst bestimmen, wann sie geht. Das Schicksal Seehofers will Merkel nicht erleben. Auch für die SPD wäre es dann leichter, in eine GroKo zu gehen, um sich als Alternative nach Merkel zu profilieren. Zum Beispiel mit Andrea Nahles an der Spitze.
Frage: Wie wäre das bei der FDP? Sind Sie die Dame bei den Liberalen und Lindner der König?
Kubicki: Nein, das nicht. Aber: Wer Christian Lindner stürzen wollte, müsste erst mich wegräumen.
Frage: Meinen Sie das politisch?
Kubicki: Ja, natürlich. Ich sehe aber nicht, dass irgendjemand die Idee hätte, Christian Lindner zu stürzen.
Frage: Was sind Ihre Wahlziele 2018?
Kubicki: Die FDP strebt Regierungsbeteiligungen in Hessen und Bayern an. Das erwarten unsere Wähler. Aber sie erwarten auch, dass wir das nicht um jeden Preis tun. Wir wollen auch in den Ländern die Trendwende zu einer neuen Politik. Die FDP will Schwarz-Grün in Hessen ablösen. Eine Ampel wird es da rein mathematisch nicht geben.
Frage: Also wieder Jamaika?
Kubicki: Warum nicht? Neues Spiel, neues Glück. In Schleswig-Holstein haben wir gute Erfahrungen gemacht – und die hessischen Grünen sind Realos.
Frage: Und im Süden?
Kubicki: Selbst in Bayern erreicht die CSU keine absolute Mehrheit, sodass sie einen Koalitionspartner braucht. Und ich kann sicher sagen: Die CSU wird nicht ihr Herz für die Grünen entdecken. Damit wird eine Regierung mit der FDP wahrscheinlich. Mit Markus Söder wird es schwierig – doch es ist machbar. Bei den Jamaika-Verhandlungen haben wir CSU-Politiker besser kennengelernt. Wir waren überrascht davon, wie schnell wir mit den bayerischen Kollegen handelseinig werden können.
Frage: Wie erklären Sie sich nach dem Jamaika-Ende jetzt den FDP-Stimmungseinbruch?
Kubicki: Es zeigt, wie richtig das Ende der Sondierungen war. Denn es wird seit dem Abbruch der Gespräche die Mär erzählt, wir seien doch kurz vor dem Abschluss gewesen. Richtig ist: Wir waren uns in keinem wichtigen Punkt einig – alles andere sind Fake News. Aber die Erzählung – die FDP ist, weil sie bei den Verhandlungen so erfolgreich war, aufgestanden und weggelaufen aus Angst, sie müsste jetzt regieren – kann man nur glauben, wenn man im Berliner Regierungsviertel wohnt. Der Rest der Republik findet diese Interpretation peinlich.
Frage: Dafür wird die FDP jetzt in die rechte Ecke gerückt. Was sagen Sie zum Vorwurf, die FDP sei eine Haider-Partei?
Kubicki: Das ist Quatsch. Wesentliche Teile der Grünen sind der AfD in einigen Politikfeldern doch näher als die FDP. Zum Beispiel beim Antiamerikanismus und Freihandel.
Frage: Sie sind auch Vizepräsident des Bundestags. Wie werden Sie mit der AfD umgehen?
Kubicki: Ganz normal. Ich begrüße die Kollegen, wenn ich im Parlament bin. Ich gebe ihnen die Hand. Sie sind gewählte Abgeordnete des Bundestags wie alle anderen. Wir dürfen die AfD nicht zum Opfer und ihre Politiker zu Outlaws machen. Das ist ihr Lebenselixier. Aber gemeinsame Anträge mit der AfD wird es nicht geben, genauso wenig wie mit den Linken. Allerdings werden wir nicht auf einen Antrag verzichten, bei dem womöglich die AfD zustimmen könnte.
Frage: Sie wollten eigentlich nie als Abgeordneter nach Berlin, weil Sie dort „zum Trinker und vielleicht zum Hurenbock“ werden, wie Sie mehrfach betont haben. Jetzt sind Sie doch hier gelandet. Wie sieht es damit jetzt aus?
Kubicki: Letzteres ist altersbedingt schon nicht mehr zu erreichen.
Frage: Trinken geht aber noch?
Kubicki: Machen Sie sich keine Sorgen. Meine Frau ist öfter in Berlin – das begünstigt meinen sittlich-moralischen Reifeprozess.