FDP|
31.12.2017 - 11:15LINDNER-Interview: Wir erleben eine politische Zeitenwende
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild am Sonntag“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Burkhard Uhlenbroich und Sebastian Pfeffer.
Frage: Nach der Absage von Jamaika sind Sie der Buhmann der Nation. Verstehen Sie, wenn jemand sagt, der Lindner ist davongelaufen?
Lindner: Vier Jahre Parteivorsitz außerhalb des Bundestages sprechen für sich. Ich wundere mich, dass manche uns zum Wortbruch aufgerufen haben. Unsere Entscheidung war nicht die leichtere, aber die richtige. Jamaika wäre nicht die notwendige Erneuerung unseres Landes gewesen.
Frage: Die FDP-Umfrage-Werte sind deutlich gesunken, ihre persönlichen Werte auch. Bekommen Sie langsam Angst vor Neuwahlen?
Lindner: Im Jahr 2014 haben Umfragen uns nur unter „Sonstige“ notiert. Vor was sollten wir Angst haben, wenn wir jetzt teilweise über zehn Prozent liegen? Die FDP hat bewiesen, dass sie eigenständig ist und ihr Überzeugungen wichtiger als Posten sind. Wir wollen mehr Menschen für uns gewinnen, damit nächstes Mal der Politikwechsel gelingt.
Frage: Können Sie sich grundsätzlich noch vorstellen, mit Frau Merkel in einer Regierung zu sein?
Lindner: Diese Frage stellt sich gegenwärtig nicht.
Frage: Wie verhält sich die FDP, falls es zu einer Minderheitsregierung kommt?
Lindner: Wir würden eine Minderheitsregierung konstruktiv begleiten. Anders als die Grünen haben wir gerade alle Bundeswehrmandate gemeinsam mit Union und SPD verlängert.
Frage: Es würden mit der Union, der FDP und der AfD zu vielen Themen Mehrheiten geben.
Lindner: Die AfD hat ein völkisches Gesellschaftsbild. Mit dieser Partei kann eine liberale Partei genauso wenig zusammenarbeiten wie mit der Linkspartei.
Frage: Sie sind bei der AfD-Wählerschaft laut Umfragen sehr beliebt. Was sagt das Ihnen?
Lindner: Dass es dort offenbar Bürger gibt, die die Position der AfD nicht teilen, sondern diese Partei nur aus Protest gewählt haben. Denn wir haben unsere liberalen Werte ja nicht verändert. Es ist die Aufgabe von Union, SPD und FDP, die AfD klein zu machen. Das gelingt dann, wenn man sich vom Weltbild der AfD abgrenzt, aber die Probleme löst, die diese Partei großgemacht haben. Insbesondere vor einer angegrünten moralischen Überheblichkeit sollte man sich hüten.
Frage: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat beim Familiennachzug von Flüchtlingen Kompromissbereitschaft signalisiert. Hat Ihr Koalitionspartner in NRW das mit Ihnen abgesprochen oder bleiben Sie bei der Ablehnung des Familiennachzugs?
Lindner: Der Familiennachzug muss ausgesetzt bleiben, da wir bei Schule, Arbeit und Wohnen mehr Menschen momentan nicht gerecht werden können. Bei den Ausnahmen für Härtefälle hat Herr Laschet Vorschläge der FDP übernommen. Das begrüße ich. Allerdings zeigt sich nun eine Uneinigkeit in der Union.
Frage: Aus vielen Kommunen kommen Hilferufe, weil sie mit kriminellen und gewalttätigen Flüchtlingen nicht fertig werden. Wie beurteilen Sie die Situation?
Lindner: Damit Rechtspopulisten nicht mit Fremdenangst Politik machen können, muss man diese Probleme offen ansprechen. Unser Land bleibt nur dann tolerant und weltoffen, wenn die Menschen sich zu jeder Zeit und an jeder Stelle auf unsere Rechtsordnung verlassen können.
Frage: Muss der Bund die Kommunen stärker unterstützen?
Lindner: Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Gerade bei allein eingereisten jungen Männern höre ich von vielen Problemen. Da geht es nicht nur um freundliche Fürsorge, sondern auch um erzieherische Maßnahmen. Wenn jemand dem nicht zugänglich ist, muss die Ausweisung geprüft werden.
Frage: Kann man unbegleitete minderjährige Asylbewerber ausweisen?
Lindner: Wenn die Familie bekannt ist, ja. Dann muss in einem solchen Fall auch eine begleitete Rückführung möglich sein.
Frage: War die massenhafte Aufnahme junger Männer aus Krisengebieten verantwortungsvoll?
Lindner: Es war vor allem unverantwortlich, dass jeder unkontrolliert kommen konnte. Weil wir auf Regeln verzichtet haben, hat ganz Europa 2015 über die deutsche Regierung mit dem Kopf geschüttelt. Jetzt geht es darum, mit einer neuen Einwanderungspolitik in Europa dafür zu sorgen, dass die Probleme bewältigt werden.
Frage: In Österreich fordert der neue Bundeskanzler Sebastian Kurz, illegale Migration nach Europa komplett zu unterbinden. Was halten Sie davon?
Lindner: Dass man sich gegen illegale Einwanderung wendet, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Der Verzicht auf Regeln wäre nicht sozial oder human. Im Gegenteil würde jedes staatliche Gemeinwesen und jedes System sozialer Sicherheit zusammenbrechen. Aber die Kontrolle von Grenzen ist nicht gleichbedeutend mit Abschottung. Wir haben humanitäre Verpflichtungen und ein Interesse an qualifizierter Einwanderung.
Frage: Wie finden Sie persönlich den neuen österreichischen Bundeskanzler?
Lindner: Wer mit Anfang 30 Bundeskanzler wird, ist sicherlich eine Ausnahmepersönlichkeit. Sein Wirken als Kanzler aber möchte ich später beurteilen. Ich wünsche ihm Fortune für seine schwierige Koalition. Die FPÖ ist eine europafeindliche Partei. Dass Freunde von Frau Le Pen in Wien regieren, besorgt mich.
Frage: In der Union gibt es nicht wenige, die sich wünschen würden, sie hätten auch einen wie Kurz.
Lindner: Die Inhalte entscheiden. Ich hoffe, dass es in der Union viele gibt, die Interesse an einem Erneuerungsprojekt haben.
Frage: Ihr Bundestagsfraktions-Vize Michael Theurer hat gerade Jens Spahn statt Angela Merkel gefordert.
Lindner: Die Union braucht sicher keine personellen Ratschläge von mir.
Frage: Wer steht für Sie für einen Erneuerungsprozess?
Lindner: Das wird sich noch zeigen. Aber die neuen Ministerpräsidenten Armin Laschet und Daniel Günther haben Koalitionen gebildet, die mit uns jenseits des Status quo etwas verändern wollen. Dasselbe gilt übrigens für SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer.
Frage: Sehen Sie eine grundlegende Veränderung?
Lindner: Ich glaube, dass wir in Deutschland gegenwärtig eine politische Zeitenwende erleben. Der Bundestag hat sich in der Zusammensetzung deutlich verändert, die Debatten dort werden andere sein als früher. Wir erleben eine Zäsur bei der Regierungsbildung. Und in allen Parteien ist viel in Bewegung: der Generationswechsel in der CSU, neue Ministerpräsidenten bei der CDU, eine intensive Debatte über die zukünftige Rolle in der SPD, eine neue Parteiführung bei den Grünen. Besorgen sollte uns vor allem eines: Der Reformgewinn von Gerhard Schröder ist bald verbraucht. Während von den USA bis nach Frankreich die Steuern gesenkt werden, wird bei uns über mehr Belastungen nachgedacht.
Frage: Heute ist Silvester. Schießt Christian Lindner eigentlich Raketen in den Himmel?
Lindner: Wenn wir wie letztes Jahr mit Freunden und ihren Kindern feiern, gibt es ein paar Böller, ja.
Frage: Es werden immer wieder Verbote gefordert. Was halten Sie davon?
Lindner: Man kann doch nicht alles verbieten. Das soll jeder für sich selbst entscheiden.
Frage: Welche guten Vorsätze haben Sie fürs neue Jahr?
Lindner: Ich will wieder mehr Sport machen. Das ist in den letzten Monaten aus beruflichen Gründen etwas auf der Strecke geblieben.
LINDNER-Interview: Wir erleben eine politische Zeitenwende
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild am Sonntag“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Burkhard Uhlenbroich und Sebastian Pfeffer.
Frage: Nach der Absage von Jamaika sind Sie der Buhmann der Nation. Verstehen Sie, wenn jemand sagt, der Lindner ist davongelaufen?
Lindner: Vier Jahre Parteivorsitz außerhalb des Bundestages sprechen für sich. Ich wundere mich, dass manche uns zum Wortbruch aufgerufen haben. Unsere Entscheidung war nicht die leichtere, aber die richtige. Jamaika wäre nicht die notwendige Erneuerung unseres Landes gewesen.
Frage: Die FDP-Umfrage-Werte sind deutlich gesunken, ihre persönlichen Werte auch. Bekommen Sie langsam Angst vor Neuwahlen?
Lindner: Im Jahr 2014 haben Umfragen uns nur unter „Sonstige“ notiert. Vor was sollten wir Angst haben, wenn wir jetzt teilweise über zehn Prozent liegen? Die FDP hat bewiesen, dass sie eigenständig ist und ihr Überzeugungen wichtiger als Posten sind. Wir wollen mehr Menschen für uns gewinnen, damit nächstes Mal der Politikwechsel gelingt.
Frage: Können Sie sich grundsätzlich noch vorstellen, mit Frau Merkel in einer Regierung zu sein?
Lindner: Diese Frage stellt sich gegenwärtig nicht.
Frage: Wie verhält sich die FDP, falls es zu einer Minderheitsregierung kommt?
Lindner: Wir würden eine Minderheitsregierung konstruktiv begleiten. Anders als die Grünen haben wir gerade alle Bundeswehrmandate gemeinsam mit Union und SPD verlängert.
Frage: Es würden mit der Union, der FDP und der AfD zu vielen Themen Mehrheiten geben.
Lindner: Die AfD hat ein völkisches Gesellschaftsbild. Mit dieser Partei kann eine liberale Partei genauso wenig zusammenarbeiten wie mit der Linkspartei.
Frage: Sie sind bei der AfD-Wählerschaft laut Umfragen sehr beliebt. Was sagt das Ihnen?
Lindner: Dass es dort offenbar Bürger gibt, die die Position der AfD nicht teilen, sondern diese Partei nur aus Protest gewählt haben. Denn wir haben unsere liberalen Werte ja nicht verändert. Es ist die Aufgabe von Union, SPD und FDP, die AfD klein zu machen. Das gelingt dann, wenn man sich vom Weltbild der AfD abgrenzt, aber die Probleme löst, die diese Partei großgemacht haben. Insbesondere vor einer angegrünten moralischen Überheblichkeit sollte man sich hüten.
Frage: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat beim Familiennachzug von Flüchtlingen Kompromissbereitschaft signalisiert. Hat Ihr Koalitionspartner in NRW das mit Ihnen abgesprochen oder bleiben Sie bei der Ablehnung des Familiennachzugs?
Lindner: Der Familiennachzug muss ausgesetzt bleiben, da wir bei Schule, Arbeit und Wohnen mehr Menschen momentan nicht gerecht werden können. Bei den Ausnahmen für Härtefälle hat Herr Laschet Vorschläge der FDP übernommen. Das begrüße ich. Allerdings zeigt sich nun eine Uneinigkeit in der Union.
Frage: Aus vielen Kommunen kommen Hilferufe, weil sie mit kriminellen und gewalttätigen Flüchtlingen nicht fertig werden. Wie beurteilen Sie die Situation?
Lindner: Damit Rechtspopulisten nicht mit Fremdenangst Politik machen können, muss man diese Probleme offen ansprechen. Unser Land bleibt nur dann tolerant und weltoffen, wenn die Menschen sich zu jeder Zeit und an jeder Stelle auf unsere Rechtsordnung verlassen können.
Frage: Muss der Bund die Kommunen stärker unterstützen?
Lindner: Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Gerade bei allein eingereisten jungen Männern höre ich von vielen Problemen. Da geht es nicht nur um freundliche Fürsorge, sondern auch um erzieherische Maßnahmen. Wenn jemand dem nicht zugänglich ist, muss die Ausweisung geprüft werden.
Frage: Kann man unbegleitete minderjährige Asylbewerber ausweisen?
Lindner: Wenn die Familie bekannt ist, ja. Dann muss in einem solchen Fall auch eine begleitete Rückführung möglich sein.
Frage: War die massenhafte Aufnahme junger Männer aus Krisengebieten verantwortungsvoll?
Lindner: Es war vor allem unverantwortlich, dass jeder unkontrolliert kommen konnte. Weil wir auf Regeln verzichtet haben, hat ganz Europa 2015 über die deutsche Regierung mit dem Kopf geschüttelt. Jetzt geht es darum, mit einer neuen Einwanderungspolitik in Europa dafür zu sorgen, dass die Probleme bewältigt werden.
Frage: In Österreich fordert der neue Bundeskanzler Sebastian Kurz, illegale Migration nach Europa komplett zu unterbinden. Was halten Sie davon?
Lindner: Dass man sich gegen illegale Einwanderung wendet, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Der Verzicht auf Regeln wäre nicht sozial oder human. Im Gegenteil würde jedes staatliche Gemeinwesen und jedes System sozialer Sicherheit zusammenbrechen. Aber die Kontrolle von Grenzen ist nicht gleichbedeutend mit Abschottung. Wir haben humanitäre Verpflichtungen und ein Interesse an qualifizierter Einwanderung.
Frage: Wie finden Sie persönlich den neuen österreichischen Bundeskanzler?
Lindner: Wer mit Anfang 30 Bundeskanzler wird, ist sicherlich eine Ausnahmepersönlichkeit. Sein Wirken als Kanzler aber möchte ich später beurteilen. Ich wünsche ihm Fortune für seine schwierige Koalition. Die FPÖ ist eine europafeindliche Partei. Dass Freunde von Frau Le Pen in Wien regieren, besorgt mich.
Frage: In der Union gibt es nicht wenige, die sich wünschen würden, sie hätten auch einen wie Kurz.
Lindner: Die Inhalte entscheiden. Ich hoffe, dass es in der Union viele gibt, die Interesse an einem Erneuerungsprojekt haben.
Frage: Ihr Bundestagsfraktions-Vize Michael Theurer hat gerade Jens Spahn statt Angela Merkel gefordert.
Lindner: Die Union braucht sicher keine personellen Ratschläge von mir.
Frage: Wer steht für Sie für einen Erneuerungsprozess?
Lindner: Das wird sich noch zeigen. Aber die neuen Ministerpräsidenten Armin Laschet und Daniel Günther haben Koalitionen gebildet, die mit uns jenseits des Status quo etwas verändern wollen. Dasselbe gilt übrigens für SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer.
Frage: Sehen Sie eine grundlegende Veränderung?
Lindner: Ich glaube, dass wir in Deutschland gegenwärtig eine politische Zeitenwende erleben. Der Bundestag hat sich in der Zusammensetzung deutlich verändert, die Debatten dort werden andere sein als früher. Wir erleben eine Zäsur bei der Regierungsbildung. Und in allen Parteien ist viel in Bewegung: der Generationswechsel in der CSU, neue Ministerpräsidenten bei der CDU, eine intensive Debatte über die zukünftige Rolle in der SPD, eine neue Parteiführung bei den Grünen. Besorgen sollte uns vor allem eines: Der Reformgewinn von Gerhard Schröder ist bald verbraucht. Während von den USA bis nach Frankreich die Steuern gesenkt werden, wird bei uns über mehr Belastungen nachgedacht.
Frage: Heute ist Silvester. Schießt Christian Lindner eigentlich Raketen in den Himmel?
Lindner: Wenn wir wie letztes Jahr mit Freunden und ihren Kindern feiern, gibt es ein paar Böller, ja.
Frage: Es werden immer wieder Verbote gefordert. Was halten Sie davon?
Lindner: Man kann doch nicht alles verbieten. Das soll jeder für sich selbst entscheiden.
Frage: Welche guten Vorsätze haben Sie fürs neue Jahr?
Lindner: Ich will wieder mehr Sport machen. Das ist in den letzten Monaten aus beruflichen Gründen etwas auf der Strecke geblieben.