FDP|
21.11.2017 - 16:30THEURER-Interview: Es waren noch hundert Punkte offen
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Pforzheimer Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Angelika Wohlfromm:
Frage: Herr Theurer, wie ist Ihre Stimmung nach vier Wochen Sondierungen für nichts?
Theurer: Gemischt. Wir haben zum Teil nächtelang und am Wochenende verhandelt, ernsthaft und mit dem Wunsch zu einer Einigung zu kommen. Vorab und zwischendurch waren sehr kritische Stimmen aus der FDP zu hören.
Frage: Musste das nicht schiefgehen?
Theurer: Dass es große inhaltliche Unterschiede gibt, war bekannt. Wir haben uns aus staatspolitischer Verantwortung darauf eingelassen. Allerdings waren das Format und der Verlauf der Gespräche unbefriedigend. Insbesondere hat es sich bitterlich gerächt, dass es der CDU-Vorsitzenden nicht gelungen ist, dem Ganzen eine tragende Idee zu geben.
Frage: Was werfen Sie Angela Merkel vor?
Theurer: Sie hat den Regierungsbildungsauftrag und erhebt den Anspruch aufs Kanzleramt. Da wäre es halt auch erforderlich gewesen, allen Beteiligten Erfolge zu ermöglichen. Wenigstens in einer so zentralen Forderung wie der Soli-Abschaffung hätte man der FDP entgegenkommen müssen. Das Hauptanliegen der CDU-Bundesvorsitzenden war, wieder zur Kanzlerin gewählt zu werden. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sich Frau Dr. Merkel bis zur Aufgabe eigener Positionen auf die Grünen zubewegt. Ich hatte fast den Eindruck, das ist wie in einer Familie, in der ein Kind besondere Aufmerksamkeit verlangt und dann Mutti sagt „Jetzt müssen alle anderen funktionieren, sonst kann die Familie nicht zusammenbleiben.“ Aber das ist nicht gerade ein Reformkonzept für ein Land.
Frage: Eine tragende Idee hätte sein können, Ökonomie und Ökologie zu vereinen.
Theurer: Das war ja mein Vorschlag. Dann hätte man die wichtigsten Knackpunkte im kleinsten Kreis lösen müssen. Stattdessen hat man auf riesige Formate gesetzt – Runden mit über 50 Personen. In den ersten Wochen haben sich die Beteiligten erst mal gegenseitig die Wahlprogramme vorgelesen. Erst in den letzten Tagen ging es dann in die Kleingruppen. Der Eindruck, der jetzt erweckt wird, Jamaika sei kurz vor dem Durchbruch gewesen, ist falsch. Es waren am Sonntagabend noch über hundert Punkte offen.
Frage: Kurz nach dem Rückzug war am Sonntagabend der Lindner- Satz „Lieber nicht regieren als falsch“ schon als schicke Grafik auf Twitter und Facebook zu sehen. Das wirkte dann doch ziemlich geplant.
Theurer: Wir sind als Digital-Partei sehr schnell. Das ist ja auch kein Hexenwerk, so eine Facebook-Kachel zu bauen. Fakt ist, dass wir die Verhandlungspartner zu keinem Zeitpunkt im Unklaren gelassen haben über die Punkte, die wir kritisch sehen. Es platzte ja am Sonntagvormittag ein Interview von Jürgen Trittin hinein. Meine erste Reaktion war: Der sprengt jetzt die Verhandlungen. Vor dem Hintergrund gab es mehrere Sitzungsunterbrechungen. Es muss allen klar gewesen sein, dass ohne eine klare liberale Handschrift eine Regierungsbeteiligung der FDP nicht möglich ist. Früher hat man an uns kritisiert, dass wir um jeden Preis in eine Regierung gehen. Heute kritisiert man uns dafür, dass wir nicht in die Regierung gehen. Fakt ist: Wir stehen zu unseren Inhalten.
Frage: Warum erwies sich die FDP letztlich in Sachen Flüchtlinge als größere Hardliner als die CSU?
Theurer: Das entspricht nicht dem Verhandlungsstand, wie er mir bekannt ist. Die Freien Demokraten haben gerade in der Migrationspolitik Kompromissvorschläge vorgetragen allerdings auf ihrer Position beim Familiennachzug beharrt. Landkreis-, Städte- und Gemeindetag in Baden-Württemberg sagen, dass die Schulen und die Kitas voll sind. Und deshalb bleiben wir dabei, dass es richtig ist, die Aussetzung des Familiennachzugs zu verlängern. Als Kompromiss hatten wir eine Härtefallregelung ins Gespräch gebracht, das hatten die Grünen aber abgelehnt.
Frage: Also die Grünen sind schuld. Beziehungsweise die Grünen und Angela Merkel.
Theurer: So einfach kann man das nicht sagen. Wir wollten das Kooperationsverbot aufheben, damit der Bund den Ländern bei der Bildungsfinanzierung helfen kann. Das ist von der CSU abgelehnt worden. Kurzum: Wir Freien Demokraten wollen die marktwirtschaftliche Erneuerung Deutschlands und einen Modernisierungsschub – was wir mit Jamaika nicht umsetzen könnten.
Frage: Jetzt ist natürlich die Frage, wie Sie diese Ziele noch umsetzen wollen, wo Sie nicht mehr um eine Koalition verhandeln. Es dürfte schwierig werden, das Ihren Wähler zu vermitteln.
Theurer: Wir sagen unseren Wählern, dass für uns nach der Wahl das gilt, was wir vor der Wahl gesagt haben. Wir treten in keine Koalition ein, wenn nicht wesentliche Inhalte unseres Programms umgesetzt werden können. Wir hätten in eine Jamaika-Koalition nur eintreten können, wenn wir uns verbiegen – und wir lassen uns nicht mehr verbiegen. Anders als die SPD haben wir uns übrigens auf Gespräche eingelassen, wenn man schon über staatspolitische Verantwortung spricht.
Frage: Also ist jetzt einfach nicht zusammengekommen, was nicht zusammen gehört?
Theurer: Ja. Nach anstrengenden Verhandlungen, an denen wir mit viel Herzblut teilgenommen haben, ist das jetzt das Ergebnis. Ich verhehle nicht, dass ich in der FDP zu denjenigen gehöre, die immer dafür plädiert haben, diese Option zu versuchen. Aber nach intensiven Gesprächen muss ich feststellen, dass das derzeit nicht möglich ist.
THEURER-Interview: Es waren noch hundert Punkte offen
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Pforzheimer Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Angelika Wohlfromm:
Frage: Herr Theurer, wie ist Ihre Stimmung nach vier Wochen Sondierungen für nichts?
Theurer: Gemischt. Wir haben zum Teil nächtelang und am Wochenende verhandelt, ernsthaft und mit dem Wunsch zu einer Einigung zu kommen. Vorab und zwischendurch waren sehr kritische Stimmen aus der FDP zu hören.
Frage: Musste das nicht schiefgehen?
Theurer: Dass es große inhaltliche Unterschiede gibt, war bekannt. Wir haben uns aus staatspolitischer Verantwortung darauf eingelassen. Allerdings waren das Format und der Verlauf der Gespräche unbefriedigend. Insbesondere hat es sich bitterlich gerächt, dass es der CDU-Vorsitzenden nicht gelungen ist, dem Ganzen eine tragende Idee zu geben.
Frage: Was werfen Sie Angela Merkel vor?
Theurer: Sie hat den Regierungsbildungsauftrag und erhebt den Anspruch aufs Kanzleramt. Da wäre es halt auch erforderlich gewesen, allen Beteiligten Erfolge zu ermöglichen. Wenigstens in einer so zentralen Forderung wie der Soli-Abschaffung hätte man der FDP entgegenkommen müssen. Das Hauptanliegen der CDU-Bundesvorsitzenden war, wieder zur Kanzlerin gewählt zu werden. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sich Frau Dr. Merkel bis zur Aufgabe eigener Positionen auf die Grünen zubewegt. Ich hatte fast den Eindruck, das ist wie in einer Familie, in der ein Kind besondere Aufmerksamkeit verlangt und dann Mutti sagt „Jetzt müssen alle anderen funktionieren, sonst kann die Familie nicht zusammenbleiben.“ Aber das ist nicht gerade ein Reformkonzept für ein Land.
Frage: Eine tragende Idee hätte sein können, Ökonomie und Ökologie zu vereinen.
Theurer: Das war ja mein Vorschlag. Dann hätte man die wichtigsten Knackpunkte im kleinsten Kreis lösen müssen. Stattdessen hat man auf riesige Formate gesetzt – Runden mit über 50 Personen. In den ersten Wochen haben sich die Beteiligten erst mal gegenseitig die Wahlprogramme vorgelesen. Erst in den letzten Tagen ging es dann in die Kleingruppen. Der Eindruck, der jetzt erweckt wird, Jamaika sei kurz vor dem Durchbruch gewesen, ist falsch. Es waren am Sonntagabend noch über hundert Punkte offen.
Frage: Kurz nach dem Rückzug war am Sonntagabend der Lindner- Satz „Lieber nicht regieren als falsch“ schon als schicke Grafik auf Twitter und Facebook zu sehen. Das wirkte dann doch ziemlich geplant.
Theurer: Wir sind als Digital-Partei sehr schnell. Das ist ja auch kein Hexenwerk, so eine Facebook-Kachel zu bauen. Fakt ist, dass wir die Verhandlungspartner zu keinem Zeitpunkt im Unklaren gelassen haben über die Punkte, die wir kritisch sehen. Es platzte ja am Sonntagvormittag ein Interview von Jürgen Trittin hinein. Meine erste Reaktion war: Der sprengt jetzt die Verhandlungen. Vor dem Hintergrund gab es mehrere Sitzungsunterbrechungen. Es muss allen klar gewesen sein, dass ohne eine klare liberale Handschrift eine Regierungsbeteiligung der FDP nicht möglich ist. Früher hat man an uns kritisiert, dass wir um jeden Preis in eine Regierung gehen. Heute kritisiert man uns dafür, dass wir nicht in die Regierung gehen. Fakt ist: Wir stehen zu unseren Inhalten.
Frage: Warum erwies sich die FDP letztlich in Sachen Flüchtlinge als größere Hardliner als die CSU?
Theurer: Das entspricht nicht dem Verhandlungsstand, wie er mir bekannt ist. Die Freien Demokraten haben gerade in der Migrationspolitik Kompromissvorschläge vorgetragen allerdings auf ihrer Position beim Familiennachzug beharrt. Landkreis-, Städte- und Gemeindetag in Baden-Württemberg sagen, dass die Schulen und die Kitas voll sind. Und deshalb bleiben wir dabei, dass es richtig ist, die Aussetzung des Familiennachzugs zu verlängern. Als Kompromiss hatten wir eine Härtefallregelung ins Gespräch gebracht, das hatten die Grünen aber abgelehnt.
Frage: Also die Grünen sind schuld. Beziehungsweise die Grünen und Angela Merkel.
Theurer: So einfach kann man das nicht sagen. Wir wollten das Kooperationsverbot aufheben, damit der Bund den Ländern bei der Bildungsfinanzierung helfen kann. Das ist von der CSU abgelehnt worden. Kurzum: Wir Freien Demokraten wollen die marktwirtschaftliche Erneuerung Deutschlands und einen Modernisierungsschub – was wir mit Jamaika nicht umsetzen könnten.
Frage: Jetzt ist natürlich die Frage, wie Sie diese Ziele noch umsetzen wollen, wo Sie nicht mehr um eine Koalition verhandeln. Es dürfte schwierig werden, das Ihren Wähler zu vermitteln.
Theurer: Wir sagen unseren Wählern, dass für uns nach der Wahl das gilt, was wir vor der Wahl gesagt haben. Wir treten in keine Koalition ein, wenn nicht wesentliche Inhalte unseres Programms umgesetzt werden können. Wir hätten in eine Jamaika-Koalition nur eintreten können, wenn wir uns verbiegen – und wir lassen uns nicht mehr verbiegen. Anders als die SPD haben wir uns übrigens auf Gespräche eingelassen, wenn man schon über staatspolitische Verantwortung spricht.
Frage: Also ist jetzt einfach nicht zusammengekommen, was nicht zusammen gehört?
Theurer: Ja. Nach anstrengenden Verhandlungen, an denen wir mit viel Herzblut teilgenommen haben, ist das jetzt das Ergebnis. Ich verhehle nicht, dass ich in der FDP zu denjenigen gehöre, die immer dafür plädiert haben, diese Option zu versuchen. Aber nach intensiven Gesprächen muss ich feststellen, dass das derzeit nicht möglich ist.