FDP|
17.11.2017 - 12:00BEER-Interview: Alle sind sich ihrer Verantwortung bewusst
Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gab dem „Deutschlandfunk“ (Freitag) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jörg Münchenberg:
Frage: Die Sondierungen für eine mögliche Jamaika-Koalition gehen erst einmal in die nächste Runde. 15 Stunden Dauerberatungen haben in der zurückliegenden Nacht nicht gereicht.
Beer: Schönen guten Morgen.
Frage: Nun klang das ja gerade schon an. Greifen wir uns mal gleich einen Streitpunkt heraus: Abschaffung des Soli, eine Kernforderung der Liberalen für die kommende Legislaturperiode. Ist das eine zentrale Forderung, wo die anderen sich noch nicht genügend bewegt haben?
Beer: Ja, natürlich – vor allem, ich glaube, für eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik in Gänze. Alle Parteien haben der Bevölkerung versprochen, dass der Soli bis 2019 entfallen soll. Jetzt sind wir dabei anzubieten, dass wir das schrittweise machen bis zum Ende der Legislaturperiode. Aber das sollte dann auch der Zeitpunkt sein, wo Politik dieses Versprechen einlöst.
Frage: Würden Sie sagen, das ist eine rote Linie für die FDP, wenn sich die anderen hier nicht ausreichend bewegen?
Beer: Es ist eine Glaubwürdigkeitsfrage für die Politik und von daher bringen wir das weiter ein. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass die anderen Gesprächspartner leider nicht an einer umfassenden Steuerreform interessiert sind. Wir hätten gerne das Steuersystem einfacher gemacht, transparenter und damit auch weniger aufwendig. Aber dann sollten wir wenigstens an diesem Punkt Bürgerinnen und Bürger entlasten, zumal wir es ohne Bundesrat können und dass damit selbst in der Hand haben.
Frage: Bleibt trotzdem die Frage nach der roten Linie. Muss es da wirklich substanziell Zugeständnisse geben?
Beer: Ja selbstverständlich brauchen wir eine Entlastung. Wir brauchen eine faire Balance zwischen Privat und Staat. Das ist einer der Punkte, aber es ist nicht der alleinige. Sie haben das Thema Migration im Vorbericht ja schon angesprochen. Ich denke, die Bevölkerung hat ein Recht darauf, dass wir in Sachen Einwanderung endlich ein gesteuertes, ein geordnetes System über ein Einwanderungsgesetz bekommen, dass wir Einwanderung in den Arbeitsmarkt über ein Punktesystem organisieren und gleichzeitig auch humanitären Schutz bieten, aber dabei auch die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft berücksichtigen. Denn jeder merkt es ja bei sich zuhause vor Ort, denn Städte und Kommunen haben nicht ausreichend Wohnraum schon für die eigene Bevölkerung, bezahlbaren Wohnraum. Uns fehlen Lehrkräfte, uns fehlen Klassenräume. Und dann müssen wir schauen, dass wir das sowohl für die Bevölkerung hier als auch für Flüchtlinge gewährleisten können.
"Das Problem ist, dass die Grünen sich da schon festgefahren haben"
Frage: Nun ist es ja gerade für die Grünen eine Herzensangelegenheit oder ein Kernthema, Familiennachzug für subsidiär schutzbedürftige Flüchtlinge. Wie ist da der Stand? Wenn man dort nicht zugeht auf die Grünen, dann spricht ja doch einiges dafür, dass die Grünen hier an anderer Stelle sich auch nicht bewegen werden.
Beer: Ja, das Problem ist, dass die Grünen sich da schon festgefahren haben, weil sie auch keinerlei Schritte machen, was zum Beispiel konsequente Rückführung von Menschen bedeutet in ihre Heimatländer, die hier kein Aufenthaltsrecht haben. Wir als Freie Demokraten, wir würden gerne unsere Mittel, auch unsere Kräfte in der Bevölkerung, was die Integration betrifft, auf die Menschen konzentrieren, die wirklich unserer Unterstützung bedürfen, und nicht auf die, die sich einen immer längeren Aufenthalt hier erschleichen, zum Beispiel indem sie ihre Identitätspapiere vernichten. Das ist etwas, wo die Grünen sich leider bislang nicht ausreichend bewegt haben.
Frage: Würden Sie sagen, das ist der schwierigste Punkt letztlich bei den Sondierungsgesprächen? Könnten die daran letztlich vielleicht auch scheitern?
Beer: Ich habe doch noch die Hoffnung, gerade weil wir jetzt in die Verlängerung gehen, dass jeder das noch mal nutzt, darüber nachzudenken, dass wir eine pragmatische Lösung bekommen, die das Land nach vorne bringt. Von daher: Ja sicher, die Chancen sind jetzt noch nicht besser geworden in der letzten Nacht. Aber die Tatsache, dass die Sondierungen nicht abgebrochen worden sind, sondern wir jetzt in die Verlängerung gehen, die zeigt ja, dass alle sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Und ich meine, es wäre auch unseriös zu behaupten, dass da nicht hart gerungen wird. Es war klar, wir kommen von sehr unterschiedlichen Punkten. Nur die Verantwortung für unser Land, die treibt uns weiter an, immer noch nach einer Lösung zu suchen.
Frage: Trotzdem: Gerade das Stichwort Migration. Die Konfliktpunkte sind ja bekannt, Position der Grünen, Position der Union und der FDP. Seit vier Wochen letztlich wird darüber gesprochen und diskutiert. Warum soll jetzt bis zum Mittag oder dann ab Mittag hier eine Einigung gelingen können?
Beer: Es ist phasenweise so gewesen, dass man den Eindruck hatte, dass man kurz vor einem Durchbruch stehen würde. Dann kamen doch wieder Rückruder-Bewegungen auf. Ich habe die Hoffnung, dass vielleicht doch jetzt im Laufe des Wochenendes es gelingen kann, gerade weil wir auch noch so viele andere wichtige Aufgaben haben. Wir müssen schauen, dass wir in unser Bildungssystem investieren, dass wir die Menschen fit machen, weil sich ja durch Digitalisierung schon sehr, sehr viel auch am Arbeitsplatz verändern wird. Und wir wollen, dass die Menschen das nutzen können, dass sie die Chancen daraus ergreifen können. Deswegen sollten wir an dieser Stelle hoffentlich zu einem Durchbruch kommen übers Wochenende.
Frage: Das heißt, Frau Beer, wenn Sie sagen, das Wochenende – heute Mittag wird man zwar weiterverhandeln, aber das ganze zieht sich jetzt wohl noch die nächsten Tage hin?
Beer: Ja. Wir haben ganz bewusst jetzt keinen Endpunkt gesetzt. Die entsprechenden Gremiensitzungen sind abgesetzt worden. Von daher ist da hinten jetzt auch keine Begrenzung drin. Ich glaube, das ist auch gut, weil es geht ja um die Zukunft unseres Landes.
Frage: Aber ist das nicht auch rein verhandlungstaktisch eher eine Schwächung, weil einfach der notwendige Druck dann fehlt, dass man sagt, wir müssen jetzt einfach auch über das Stöckchen springen?
Beer: Na ja, gut. Wir sind nicht zum Erfolg verdammt. Aber ich glaube, wir sind zur Ernsthaftigkeit verpflichtet. Dann muss sich auch jeder Gesprächspartner letztendlich die Frage stellen, muss das eine Bedingung sein oder sind das mehr Befindlichkeiten. Ich glaube, die Befindlichkeiten sollten wir weglassen. Wenn jeder seine Ideologien bei Seite schiebt und auf pragmatische Lösungen Wert legt, dann kann das schon noch gelingen.
Frage: Aber Ihr Parteichef Lindner hat ja heute Morgen gesagt, das sei ein historisches Projekt, schon ziemlich große Worte. Auf der anderen Seite war es gerade die FDP, die ja anfangs die Sondierungsgespräche eher relativiert hat in ihrer Bedeutung. Ist das jetzt eine Kehrtwende bei der FDP?
Beer: Nein! Wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen sicherstellen, dass mit einer Jamaika-Koalition eine andere Politik gemacht wird, als das die Große Koalition die letzten vier Jahre gemacht hat. Wir haben eine Starrheit, wir haben eine Trägheit in Deutschland gesehen. Wir wollen gerne einen Aufbruch. Wir möchten eine Republik der Chancen für die Menschen organisieren. Wenn das möglich ist mit diesen vier verschiedenen Partnern, dann gehen wir gerne in solch eine Koalition. Wenn das nicht möglich ist, dann werden wir putzmuntere Opposition sein.
Frage: Aber noch mal, Frau Beer. Sie sagen jetzt, man wird vermutlich das ganze Wochenende noch weiter brauchen. Da fragt man sich ja schon, wie viel Schwung und Lust kann von so einer Jamaika-Koalition ausgehen, wenn sie jetzt vier Wochen und darüber hinaus noch einige Tage länger verhandeln muss?
Beer: In der Vergangenheit ist sich ja häufiger darüber beschwert worden, dass die Parteien nicht mehr unterscheidbar seien. Nun haben wir im Wahlkampf die Unterschiede ja deutlich herausarbeiten können und da ist es nicht verwunderlich, dass es dann auch nicht einfach innerhalb von wenigen Tagen möglich ist, diese Unterschiede wieder zu überbrücken. Wir versuchen, aus diesen ganz unterschiedlichen Sichtweisen jetzt neue gute Antworten für die Zukunft zu finden. Das ist ein zähes Ringen, aber ich nehme alle Partnerinnen und Partner sehr verantwortungsvoll wahr in dieser Situation. Von daher nehmen wir uns diese Zeit. Lieber gründlich, als die ganze Geschichte jetzt abgebrochen.
Frage: Gibt es eigentlich, Frau Beer, so was wie ein gemeinsames Leitbild, schon so eine Art Meta-Ebene, die diese mögliche Jamaika-Koalition tragen könnte? Anders gefragt: Hätte man sich nicht viel früher auf Gemeinsamkeiten verständigen sollen, bevor man dann gleich mit den einzelnen und sehr komplizierten Streitpunkten anfängt?
Beer: Ich würde gerne stärker auch an dieser gemeinsamen Zielperspektive arbeiten. Es schien aber in der Situation der sehr unterschiedlichen Standpunkte der vier Partner leichter, erst einmal die verschiedenen Themengebiete auch in ihren Details aufzuarbeiten. Wir konsensieren, wir konsolidieren das jetzt und da kommen jetzt die Knackpunkte heraus, in der Finanzpolitik, in der Migrationspolitik, aber auch bei Klima und Energie. Das ist die Aufgabe jetzt der nächsten Tage, an dieser Stelle Lösungen zu präsentieren.
Frage: Was würden Sie sagen, wie wichtig, wie bedeutsam ist jetzt die Rolle der Kanzlerin?
Beer: Sie hat natürlich eine zentrale Rolle, gerade auch, weil sie mit der CSU ja eine Schwesterpartei hat, die auch noch anderweitig momentan in Bayern in internen Gesprächen, ich sage einmal, ein bisschen abgelenkt und beschäftigt ist. Aber wir nehmen auch die Bewegung bei den Grünen durchaus als sehr heterogen wahr, und ich muss sagen, Respekt doch, wie sie das in den Gesprächen immer wieder versucht zusammenzubinden, auch Kompromissangebote zu machen. Nur nachher: Die Lösungen, sie müssen ja auch funktionieren. Das ist kein Wunschkonzert, sondern Politik ist die Kunst des Machbaren, und da sind wir leider noch nicht weit genug gekommen.
BEER-Interview: Alle sind sich ihrer Verantwortung bewusst
Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gab dem „Deutschlandfunk“ (Freitag) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jörg Münchenberg:
Frage: Die Sondierungen für eine mögliche Jamaika-Koalition gehen erst einmal in die nächste Runde. 15 Stunden Dauerberatungen haben in der zurückliegenden Nacht nicht gereicht.
Beer: Schönen guten Morgen.
Frage: Nun klang das ja gerade schon an. Greifen wir uns mal gleich einen Streitpunkt heraus: Abschaffung des Soli, eine Kernforderung der Liberalen für die kommende Legislaturperiode. Ist das eine zentrale Forderung, wo die anderen sich noch nicht genügend bewegt haben?
Beer: Ja, natürlich – vor allem, ich glaube, für eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik in Gänze. Alle Parteien haben der Bevölkerung versprochen, dass der Soli bis 2019 entfallen soll. Jetzt sind wir dabei anzubieten, dass wir das schrittweise machen bis zum Ende der Legislaturperiode. Aber das sollte dann auch der Zeitpunkt sein, wo Politik dieses Versprechen einlöst.
Frage: Würden Sie sagen, das ist eine rote Linie für die FDP, wenn sich die anderen hier nicht ausreichend bewegen?
Beer: Es ist eine Glaubwürdigkeitsfrage für die Politik und von daher bringen wir das weiter ein. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass die anderen Gesprächspartner leider nicht an einer umfassenden Steuerreform interessiert sind. Wir hätten gerne das Steuersystem einfacher gemacht, transparenter und damit auch weniger aufwendig. Aber dann sollten wir wenigstens an diesem Punkt Bürgerinnen und Bürger entlasten, zumal wir es ohne Bundesrat können und dass damit selbst in der Hand haben.
Frage: Bleibt trotzdem die Frage nach der roten Linie. Muss es da wirklich substanziell Zugeständnisse geben?
Beer: Ja selbstverständlich brauchen wir eine Entlastung. Wir brauchen eine faire Balance zwischen Privat und Staat. Das ist einer der Punkte, aber es ist nicht der alleinige. Sie haben das Thema Migration im Vorbericht ja schon angesprochen. Ich denke, die Bevölkerung hat ein Recht darauf, dass wir in Sachen Einwanderung endlich ein gesteuertes, ein geordnetes System über ein Einwanderungsgesetz bekommen, dass wir Einwanderung in den Arbeitsmarkt über ein Punktesystem organisieren und gleichzeitig auch humanitären Schutz bieten, aber dabei auch die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft berücksichtigen. Denn jeder merkt es ja bei sich zuhause vor Ort, denn Städte und Kommunen haben nicht ausreichend Wohnraum schon für die eigene Bevölkerung, bezahlbaren Wohnraum. Uns fehlen Lehrkräfte, uns fehlen Klassenräume. Und dann müssen wir schauen, dass wir das sowohl für die Bevölkerung hier als auch für Flüchtlinge gewährleisten können.
"Das Problem ist, dass die Grünen sich da schon festgefahren haben"
Frage: Nun ist es ja gerade für die Grünen eine Herzensangelegenheit oder ein Kernthema, Familiennachzug für subsidiär schutzbedürftige Flüchtlinge. Wie ist da der Stand? Wenn man dort nicht zugeht auf die Grünen, dann spricht ja doch einiges dafür, dass die Grünen hier an anderer Stelle sich auch nicht bewegen werden.
Beer: Ja, das Problem ist, dass die Grünen sich da schon festgefahren haben, weil sie auch keinerlei Schritte machen, was zum Beispiel konsequente Rückführung von Menschen bedeutet in ihre Heimatländer, die hier kein Aufenthaltsrecht haben. Wir als Freie Demokraten, wir würden gerne unsere Mittel, auch unsere Kräfte in der Bevölkerung, was die Integration betrifft, auf die Menschen konzentrieren, die wirklich unserer Unterstützung bedürfen, und nicht auf die, die sich einen immer längeren Aufenthalt hier erschleichen, zum Beispiel indem sie ihre Identitätspapiere vernichten. Das ist etwas, wo die Grünen sich leider bislang nicht ausreichend bewegt haben.
Frage: Würden Sie sagen, das ist der schwierigste Punkt letztlich bei den Sondierungsgesprächen? Könnten die daran letztlich vielleicht auch scheitern?
Beer: Ich habe doch noch die Hoffnung, gerade weil wir jetzt in die Verlängerung gehen, dass jeder das noch mal nutzt, darüber nachzudenken, dass wir eine pragmatische Lösung bekommen, die das Land nach vorne bringt. Von daher: Ja sicher, die Chancen sind jetzt noch nicht besser geworden in der letzten Nacht. Aber die Tatsache, dass die Sondierungen nicht abgebrochen worden sind, sondern wir jetzt in die Verlängerung gehen, die zeigt ja, dass alle sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Und ich meine, es wäre auch unseriös zu behaupten, dass da nicht hart gerungen wird. Es war klar, wir kommen von sehr unterschiedlichen Punkten. Nur die Verantwortung für unser Land, die treibt uns weiter an, immer noch nach einer Lösung zu suchen.
Frage: Trotzdem: Gerade das Stichwort Migration. Die Konfliktpunkte sind ja bekannt, Position der Grünen, Position der Union und der FDP. Seit vier Wochen letztlich wird darüber gesprochen und diskutiert. Warum soll jetzt bis zum Mittag oder dann ab Mittag hier eine Einigung gelingen können?
Beer: Es ist phasenweise so gewesen, dass man den Eindruck hatte, dass man kurz vor einem Durchbruch stehen würde. Dann kamen doch wieder Rückruder-Bewegungen auf. Ich habe die Hoffnung, dass vielleicht doch jetzt im Laufe des Wochenendes es gelingen kann, gerade weil wir auch noch so viele andere wichtige Aufgaben haben. Wir müssen schauen, dass wir in unser Bildungssystem investieren, dass wir die Menschen fit machen, weil sich ja durch Digitalisierung schon sehr, sehr viel auch am Arbeitsplatz verändern wird. Und wir wollen, dass die Menschen das nutzen können, dass sie die Chancen daraus ergreifen können. Deswegen sollten wir an dieser Stelle hoffentlich zu einem Durchbruch kommen übers Wochenende.
Frage: Das heißt, Frau Beer, wenn Sie sagen, das Wochenende – heute Mittag wird man zwar weiterverhandeln, aber das ganze zieht sich jetzt wohl noch die nächsten Tage hin?
Beer: Ja. Wir haben ganz bewusst jetzt keinen Endpunkt gesetzt. Die entsprechenden Gremiensitzungen sind abgesetzt worden. Von daher ist da hinten jetzt auch keine Begrenzung drin. Ich glaube, das ist auch gut, weil es geht ja um die Zukunft unseres Landes.
Frage: Aber ist das nicht auch rein verhandlungstaktisch eher eine Schwächung, weil einfach der notwendige Druck dann fehlt, dass man sagt, wir müssen jetzt einfach auch über das Stöckchen springen?
Beer: Na ja, gut. Wir sind nicht zum Erfolg verdammt. Aber ich glaube, wir sind zur Ernsthaftigkeit verpflichtet. Dann muss sich auch jeder Gesprächspartner letztendlich die Frage stellen, muss das eine Bedingung sein oder sind das mehr Befindlichkeiten. Ich glaube, die Befindlichkeiten sollten wir weglassen. Wenn jeder seine Ideologien bei Seite schiebt und auf pragmatische Lösungen Wert legt, dann kann das schon noch gelingen.
Frage: Aber Ihr Parteichef Lindner hat ja heute Morgen gesagt, das sei ein historisches Projekt, schon ziemlich große Worte. Auf der anderen Seite war es gerade die FDP, die ja anfangs die Sondierungsgespräche eher relativiert hat in ihrer Bedeutung. Ist das jetzt eine Kehrtwende bei der FDP?
Beer: Nein! Wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen sicherstellen, dass mit einer Jamaika-Koalition eine andere Politik gemacht wird, als das die Große Koalition die letzten vier Jahre gemacht hat. Wir haben eine Starrheit, wir haben eine Trägheit in Deutschland gesehen. Wir wollen gerne einen Aufbruch. Wir möchten eine Republik der Chancen für die Menschen organisieren. Wenn das möglich ist mit diesen vier verschiedenen Partnern, dann gehen wir gerne in solch eine Koalition. Wenn das nicht möglich ist, dann werden wir putzmuntere Opposition sein.
Frage: Aber noch mal, Frau Beer. Sie sagen jetzt, man wird vermutlich das ganze Wochenende noch weiter brauchen. Da fragt man sich ja schon, wie viel Schwung und Lust kann von so einer Jamaika-Koalition ausgehen, wenn sie jetzt vier Wochen und darüber hinaus noch einige Tage länger verhandeln muss?
Beer: In der Vergangenheit ist sich ja häufiger darüber beschwert worden, dass die Parteien nicht mehr unterscheidbar seien. Nun haben wir im Wahlkampf die Unterschiede ja deutlich herausarbeiten können und da ist es nicht verwunderlich, dass es dann auch nicht einfach innerhalb von wenigen Tagen möglich ist, diese Unterschiede wieder zu überbrücken. Wir versuchen, aus diesen ganz unterschiedlichen Sichtweisen jetzt neue gute Antworten für die Zukunft zu finden. Das ist ein zähes Ringen, aber ich nehme alle Partnerinnen und Partner sehr verantwortungsvoll wahr in dieser Situation. Von daher nehmen wir uns diese Zeit. Lieber gründlich, als die ganze Geschichte jetzt abgebrochen.
Frage: Gibt es eigentlich, Frau Beer, so was wie ein gemeinsames Leitbild, schon so eine Art Meta-Ebene, die diese mögliche Jamaika-Koalition tragen könnte? Anders gefragt: Hätte man sich nicht viel früher auf Gemeinsamkeiten verständigen sollen, bevor man dann gleich mit den einzelnen und sehr komplizierten Streitpunkten anfängt?
Beer: Ich würde gerne stärker auch an dieser gemeinsamen Zielperspektive arbeiten. Es schien aber in der Situation der sehr unterschiedlichen Standpunkte der vier Partner leichter, erst einmal die verschiedenen Themengebiete auch in ihren Details aufzuarbeiten. Wir konsensieren, wir konsolidieren das jetzt und da kommen jetzt die Knackpunkte heraus, in der Finanzpolitik, in der Migrationspolitik, aber auch bei Klima und Energie. Das ist die Aufgabe jetzt der nächsten Tage, an dieser Stelle Lösungen zu präsentieren.
Frage: Was würden Sie sagen, wie wichtig, wie bedeutsam ist jetzt die Rolle der Kanzlerin?
Beer: Sie hat natürlich eine zentrale Rolle, gerade auch, weil sie mit der CSU ja eine Schwesterpartei hat, die auch noch anderweitig momentan in Bayern in internen Gesprächen, ich sage einmal, ein bisschen abgelenkt und beschäftigt ist. Aber wir nehmen auch die Bewegung bei den Grünen durchaus als sehr heterogen wahr, und ich muss sagen, Respekt doch, wie sie das in den Gesprächen immer wieder versucht zusammenzubinden, auch Kompromissangebote zu machen. Nur nachher: Die Lösungen, sie müssen ja auch funktionieren. Das ist kein Wunschkonzert, sondern Politik ist die Kunst des Machbaren, und da sind wir leider noch nicht weit genug gekommen.