FDP|
01.10.2017 - 10:30LINDNER-Interview: Warum Jamaika noch in weiter Ferne liegt
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.
Frage: Herr Lindner, waren Sie schon mal in Jamaika?
Christian Lindner: Nein.
Frage: Was verbinden Sie mit Jamaika – „Sunshine Reggae“ oder „Fluch der Karibik“?
Lindner: Sonnig, aber fern.
Frage: Die Große Koalition ist abgewählt, es muss eine neue Regierung gebildet werden. Wenn AfD und Linkspartei als Partner nicht infrage kommen, müssen Sie sich mit CDU, CSU und Grünen zusammentun. Hat Angela Merkel schon angerufen?
Lindner: Wir sind in Kontakt, aber es gibt keinen Automatismus. Die Jamaika-Parteien haben teilweise widersprüchliche Programme. Für eine Koalition reicht nicht die Addition der Parlamentssitze. CDU, SPD und Grüne waren vier Jahre kaum unterscheidbar. Die AfD wurde am rechten Rand stark, weil die vernünftige Mitte vernachlässigt wurde. Diesen Platz werden wir neu besetzen. Wir könnten daher nicht in eine Regierung eintreten, in der Frau Merkel ihren schwarz-rot-grünen Mix einfach fortsetzt. In diesem Fall wäre unser Platz Opposition, um die Menschen nicht mit der nach links rückenden Nahles-SPD und der AfD allein zu lassen.
Frage: Wann sollten Ihrer Meinung nach denn die Sondierungsgespräche beginnen?
Lindner: Wir sind gesprächsbereit. Der Auftrag zur Regierungsbildung liegt aber bei der CDU. Die Grünen wirken ungeduldig, haben schon ein Verhandlungsteam und wollen sich am liebsten sofort treffen. Ich empfehle, den Klärungsprozess in der Union abzuwarten.
Frage: Es gibt aber Gerüchte über ein Geheimtreffen zwischen FDP und Grünen?
Lindner: Nein, es hat keine Treffen oder gar inhaltliche Absprachen gegeben.
Frage: Wer wird denn für die FDP verhandeln?
Lindner: Das legen wir fest, wenn es so weit ist. Wir legen Wert darauf, dass zunächst bilateral gesprochen wird. Also FDP und Union, FDP und Grüne, Union und Grüne. Das bedeutet, CDU und CSU müssen sich vorher auf eine Linie verständigen. Auch Jürgen Trittin und Winfried Kretschmann brauchen erst einmal eine gemeinsame Position.
Frage: Muss sich die CSU von ihrer Obergrenze verabschieden?
Lindner: Das gebietet schon unser Grundgesetz. Aber ich habe Verständnis für die CSU, wenn sie im Kern mehr Realismus und Ordnung fordert. Das tun wir auch seit zwei Jahren. Es muss eine neue Einwanderungspolitik geben. Wir wollen die qualifizierte Zuwanderung erleichtern, aber zugleich klare Regeln durchsetzen. Das bedeutet schnellere Abschiebung illegaler Einwanderer, zeitliche Begrenzung des Aufenthalts von Flüchtlingen, Ordnung beim Familiennachzug, EU-Grenzschutz mit Aufnahmeeinrichtungen in Afrika. Und natürlich müssen die Maghreb-Staaten sichere Herkunftsländer werden.
Frage: Das zu akzeptieren, wäre für die Grünen schwerer als für die CSU . . .
Lindner: Das Gesamtergebnis der Bundestagswahl spricht eine deutliche Sprache. Die Grünen brauchen keinen Ratschlag von mir, wie sie den Wechsel von Claudia Roth zu Boris Palmer schaffen.
Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Jamaika-Koalition zustande kommt?
Lindner: Es ist noch nicht absehbar, dass ein Politikwechsel gelingt. Deshalb kann ich dazu nichts sagen.
Warum plötzlich so viele Bedenken zu regieren? Im Wahlkampf war das FDP-Motto doch „Digital first, Bedenken second“?
Lindner: Wir sind bereit, Neues zu wagen. Aber wir haben klare Positionen.
Frage: Ein klares Signal in Richtung Jamaika kommt von der Union: Wolfgang Schäuble räumt das Finanzministerium und soll Bundestagspräsident werden. Freuen Sie sich schon auf seine Nachfolge?
Lindner: Ich freue mich, dass wir einen Bundestagspräsidenten mit großer Autorität bekommen. Die FDP fordert aber keinen neuen Finanzminister, sondern eine neue Finanzpolitik. Über die Besetzung von Ressorts würde ganz zuletzt gesprochen. Es wäre in Ordnung, wenn ein grüner Finanzminister die Mittelschicht entlastet und den Soli abschafft, während ein liberaler Umweltminister eine vernünftige Energiepolitik ohne die ökologisch unwirksamen und unsozialen Subventionen macht. Nur sehe ich keinen Grünen, der für diese Politik stehen würde.
Frage: Können sich die Wähler darauf verlassen, dass mit der FDP in der Regierung die Steuern gesenkt werden und der Soli abgeschafft wird?
Lindner: Eine Trendwende bei der Belastung mit Steuern und Sozialabgaben ist eine Bedingung. Ich will unsere Verhandlungsposition aber nicht schwächen, indem ich einzelne Maßnahmen nenne. Neben der Entlastungsperspektive ist für uns die Stärkung von Bildung und Digitalisierung wichtig.
Frage: Kommen dafür neue Schulden infrage?
Lindner: Nein. Deutschland muss in den kommenden Jahren auf neue Schulden verzichten, um Stabilitätsanker in Europa zu bleiben. Der Bund könnte aber seine Aktien von Post, Telekom und Commerzbank schrittweise verkaufen, um einen Zukunftsfonds für Glasfaser und Schulsanierung zu bilden.
Frage: Der französische Präsident Macron fordert für die Euro-Zone einen eigenen Haushalt und einen europäischen Finanzminister. Eine gute Idee?
Lindner: Wir sollten nicht die roten Linien in den Vordergrund stellen, sondern die gemeinsamen Horizonte. Macron ist ein Glücksfall. Mehr Zusammenarbeit bei Kriminalitätsbekämpfung, Militär, Asyl, Energie und Digitalisierung ist greifbar. Dieses Momentum dürfen wir nicht verpassen. Mit der FDP würde es aber keine neuen Umverteilungstöpfe in der Euro-Zone geben. Wir wollen die finanzpolitische Eigenverantwortung stärken, damit es Anreize für Solidität, Reformen und eine andere EZB-Politik gibt. Das war auch die Absicht von Wolfgang Schäuble, dem Angela Merkel oft einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Frage: Wer entscheidet bei der FDP, ob es ein Bündnis mit den Grünen und der Union gibt?
Lindner: Wir würden unsere 63 000 Mitglieder befragen. Da ich auf unseren Plakaten mit meiner ganzen Person für einen Politikwechsel geworben habe, würde ich am Ende der Verhandlungen eine persönliche Empfehlung an die Mitglieder geben.
Frage: Erleben wir gerade Merkels „Kanzlerdämmerung“?
Lindner: Der Vertrauensverlust ist signifikant. Dennoch liegt der Regierungsauftrag bei den Unionsparteien.
Frage: Finden Sie es richtig, dass die SPD jetzt in die Opposition geht?
Lindner: Die SPD habe ich immer hoch geschätzt, weil sie seit 1919 stets das Staatswohl über Parteiinteressen gestellt hat. Martin Schulz hat die Traditionslinie gebrochen. Die SPD ist vom Wähler klein gemacht worden. Mit den letzten Aussagen von Martin Schulz hat sie sich weiter verzwergt. Eine Partei, die von sich aus jede Gestaltungsoption ausschließt, lässt ihre Wähler allein. In der Zeit nach Schulz, also in etwa vier Wochen, werden sich die Sozialdemokraten die Frage neu stellen.
Frage: Soll die AfD – wie bei allen anderen Parteien üblich – auch einen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages stellen dürfen?
Lindner: Die AfD ist voraussichtlich dritte Kraft im Parlament, wenn der Petry-Zerfallsprozess nicht weitergeht. Ich bin dagegen, der AfD einen Opferstatus zu geben, indem man ihr einen Vizepräsidenten verwehrt. Ich fürchte den nicht. Die Bedeutung und Würde dieses Amtes ergibt sich ja nicht automatisch, sondern erst aus dem Charakter des Amtsinhabers.
LINDNER-Interview: Warum Jamaika noch in weiter Ferne liegt
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.
Frage: Herr Lindner, waren Sie schon mal in Jamaika?
Christian Lindner: Nein.
Frage: Was verbinden Sie mit Jamaika – „Sunshine Reggae“ oder „Fluch der Karibik“?
Lindner: Sonnig, aber fern.
Frage: Die Große Koalition ist abgewählt, es muss eine neue Regierung gebildet werden. Wenn AfD und Linkspartei als Partner nicht infrage kommen, müssen Sie sich mit CDU, CSU und Grünen zusammentun. Hat Angela Merkel schon angerufen?
Lindner: Wir sind in Kontakt, aber es gibt keinen Automatismus. Die Jamaika-Parteien haben teilweise widersprüchliche Programme. Für eine Koalition reicht nicht die Addition der Parlamentssitze. CDU, SPD und Grüne waren vier Jahre kaum unterscheidbar. Die AfD wurde am rechten Rand stark, weil die vernünftige Mitte vernachlässigt wurde. Diesen Platz werden wir neu besetzen. Wir könnten daher nicht in eine Regierung eintreten, in der Frau Merkel ihren schwarz-rot-grünen Mix einfach fortsetzt. In diesem Fall wäre unser Platz Opposition, um die Menschen nicht mit der nach links rückenden Nahles-SPD und der AfD allein zu lassen.
Frage: Wann sollten Ihrer Meinung nach denn die Sondierungsgespräche beginnen?
Lindner: Wir sind gesprächsbereit. Der Auftrag zur Regierungsbildung liegt aber bei der CDU. Die Grünen wirken ungeduldig, haben schon ein Verhandlungsteam und wollen sich am liebsten sofort treffen. Ich empfehle, den Klärungsprozess in der Union abzuwarten.
Frage: Es gibt aber Gerüchte über ein Geheimtreffen zwischen FDP und Grünen?
Lindner: Nein, es hat keine Treffen oder gar inhaltliche Absprachen gegeben.
Frage: Wer wird denn für die FDP verhandeln?
Lindner: Das legen wir fest, wenn es so weit ist. Wir legen Wert darauf, dass zunächst bilateral gesprochen wird. Also FDP und Union, FDP und Grüne, Union und Grüne. Das bedeutet, CDU und CSU müssen sich vorher auf eine Linie verständigen. Auch Jürgen Trittin und Winfried Kretschmann brauchen erst einmal eine gemeinsame Position.
Frage: Muss sich die CSU von ihrer Obergrenze verabschieden?
Lindner: Das gebietet schon unser Grundgesetz. Aber ich habe Verständnis für die CSU, wenn sie im Kern mehr Realismus und Ordnung fordert. Das tun wir auch seit zwei Jahren. Es muss eine neue Einwanderungspolitik geben. Wir wollen die qualifizierte Zuwanderung erleichtern, aber zugleich klare Regeln durchsetzen. Das bedeutet schnellere Abschiebung illegaler Einwanderer, zeitliche Begrenzung des Aufenthalts von Flüchtlingen, Ordnung beim Familiennachzug, EU-Grenzschutz mit Aufnahmeeinrichtungen in Afrika. Und natürlich müssen die Maghreb-Staaten sichere Herkunftsländer werden.
Frage: Das zu akzeptieren, wäre für die Grünen schwerer als für die CSU . . .
Lindner: Das Gesamtergebnis der Bundestagswahl spricht eine deutliche Sprache. Die Grünen brauchen keinen Ratschlag von mir, wie sie den Wechsel von Claudia Roth zu Boris Palmer schaffen.
Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Jamaika-Koalition zustande kommt?
Lindner: Es ist noch nicht absehbar, dass ein Politikwechsel gelingt. Deshalb kann ich dazu nichts sagen.
Warum plötzlich so viele Bedenken zu regieren? Im Wahlkampf war das FDP-Motto doch „Digital first, Bedenken second“?
Lindner: Wir sind bereit, Neues zu wagen. Aber wir haben klare Positionen.
Frage: Ein klares Signal in Richtung Jamaika kommt von der Union: Wolfgang Schäuble räumt das Finanzministerium und soll Bundestagspräsident werden. Freuen Sie sich schon auf seine Nachfolge?
Lindner: Ich freue mich, dass wir einen Bundestagspräsidenten mit großer Autorität bekommen. Die FDP fordert aber keinen neuen Finanzminister, sondern eine neue Finanzpolitik. Über die Besetzung von Ressorts würde ganz zuletzt gesprochen. Es wäre in Ordnung, wenn ein grüner Finanzminister die Mittelschicht entlastet und den Soli abschafft, während ein liberaler Umweltminister eine vernünftige Energiepolitik ohne die ökologisch unwirksamen und unsozialen Subventionen macht. Nur sehe ich keinen Grünen, der für diese Politik stehen würde.
Frage: Können sich die Wähler darauf verlassen, dass mit der FDP in der Regierung die Steuern gesenkt werden und der Soli abgeschafft wird?
Lindner: Eine Trendwende bei der Belastung mit Steuern und Sozialabgaben ist eine Bedingung. Ich will unsere Verhandlungsposition aber nicht schwächen, indem ich einzelne Maßnahmen nenne. Neben der Entlastungsperspektive ist für uns die Stärkung von Bildung und Digitalisierung wichtig.
Frage: Kommen dafür neue Schulden infrage?
Lindner: Nein. Deutschland muss in den kommenden Jahren auf neue Schulden verzichten, um Stabilitätsanker in Europa zu bleiben. Der Bund könnte aber seine Aktien von Post, Telekom und Commerzbank schrittweise verkaufen, um einen Zukunftsfonds für Glasfaser und Schulsanierung zu bilden.
Frage: Der französische Präsident Macron fordert für die Euro-Zone einen eigenen Haushalt und einen europäischen Finanzminister. Eine gute Idee?
Lindner: Wir sollten nicht die roten Linien in den Vordergrund stellen, sondern die gemeinsamen Horizonte. Macron ist ein Glücksfall. Mehr Zusammenarbeit bei Kriminalitätsbekämpfung, Militär, Asyl, Energie und Digitalisierung ist greifbar. Dieses Momentum dürfen wir nicht verpassen. Mit der FDP würde es aber keine neuen Umverteilungstöpfe in der Euro-Zone geben. Wir wollen die finanzpolitische Eigenverantwortung stärken, damit es Anreize für Solidität, Reformen und eine andere EZB-Politik gibt. Das war auch die Absicht von Wolfgang Schäuble, dem Angela Merkel oft einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Frage: Wer entscheidet bei der FDP, ob es ein Bündnis mit den Grünen und der Union gibt?
Lindner: Wir würden unsere 63 000 Mitglieder befragen. Da ich auf unseren Plakaten mit meiner ganzen Person für einen Politikwechsel geworben habe, würde ich am Ende der Verhandlungen eine persönliche Empfehlung an die Mitglieder geben.
Frage: Erleben wir gerade Merkels „Kanzlerdämmerung“?
Lindner: Der Vertrauensverlust ist signifikant. Dennoch liegt der Regierungsauftrag bei den Unionsparteien.
Frage: Finden Sie es richtig, dass die SPD jetzt in die Opposition geht?
Lindner: Die SPD habe ich immer hoch geschätzt, weil sie seit 1919 stets das Staatswohl über Parteiinteressen gestellt hat. Martin Schulz hat die Traditionslinie gebrochen. Die SPD ist vom Wähler klein gemacht worden. Mit den letzten Aussagen von Martin Schulz hat sie sich weiter verzwergt. Eine Partei, die von sich aus jede Gestaltungsoption ausschließt, lässt ihre Wähler allein. In der Zeit nach Schulz, also in etwa vier Wochen, werden sich die Sozialdemokraten die Frage neu stellen.
Frage: Soll die AfD – wie bei allen anderen Parteien üblich – auch einen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages stellen dürfen?
Lindner: Die AfD ist voraussichtlich dritte Kraft im Parlament, wenn der Petry-Zerfallsprozess nicht weitergeht. Ich bin dagegen, der AfD einen Opferstatus zu geben, indem man ihr einen Vizepräsidenten verwehrt. Ich fürchte den nicht. Die Bedeutung und Würde dieses Amtes ergibt sich ja nicht automatisch, sondern erst aus dem Charakter des Amtsinhabers.