FDP|
03.09.2017 - 12:15LINDNER-Interview: Ich sage das, wovon ich überzeugt bin
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Katharina Witt.
Frage: Manche Sportler geben nach Niederlagen anderen die Schuld. Sie haben nach der krachenden Niederlage 2013 die Fehler bei der FDP selbst gesucht. War das hart?
Lindner: Wenn man die Gründe für das eigene Scheitern bei Kanzlerinnen oder den Medien sucht, dann gibt man Macht ab. Wenn man sagt, es war unser eigener Fehler, hat man die Chance, sich zu korrigieren. Das haben wir getan.
Frage: Es gibt einen Unterschied zum Sport: Dort treibt einen der Bessere an, nicht wie in der Politik der Widerstand. Was macht in der Politik den Besseren zum Gewinner?
Lindner: In der Politik gibt es nicht den Besten. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen an ein Problem und nicht die allein selig machende Idee. Das ist es auch, worüber ich mich oft bei den Grünen ärgere. So sympathisch mir der Cem Özdemir persönlich ist, seine Partei erweckt immer den Eindruck, als seien sie die Einzigen, die wüssten, was wahr, gut und gerecht ist. Mit dieser moralischen Überheblichkeit gehen die mir ziemlich auf den Zeiger.
Frage: Für mich ist der Sport die letzte ehrliche Bastion. Nehmen wir Doping mal beiseite, ist Sport etwas sehr Gerechtes, weil sich der Bessere durchsetzt.
Lindner: Mir ist es wichtig, dass nach klaren Regeln gespielt wird. Und auch, dass der, der Fehler macht, dafür haftet. Im Sport ist das so, aber auch in der Marktwirtschaft gehört das dazu. Wenn jemand etwa ein Auto in dem Glauben auf gute Abgaswerte kauft, aber die Werte nicht stimmen, dann muss der entschädigt werden. Und zwar zulasten des Herstellers des Autos, nicht des Steuerzahlers. Die Autohersteller müssen hier zur Rechenschaft gezogen werden. Dann gibt es eben für die Aktionäre mal ein paar Jahre keine Dividende.
Frage: Wird das Wort Gerechtigkeit überstrapaziert? Chancengleichheit ist für mich Gerechtigkeit. Aber wenn jemand fleißig ist…
Lindner: …dann muss das auch einen Unterschied machen dürfen. Bei der Chancengleichheit stimme ich Ihnen völlig zu. Der eigentliche Skandal unserer Gesellschaft ist, dass für manche der Bildungs- und Lebensweg schon klar ist, nur weil sie in eine bestimmte Familie geboren worden sind. Bildung hängt noch immer von der Herkunft ab, auch der sozialen. Darum kümmert sich aber fast keiner. Ich kriege solch eine Krawatte, wenn es in den Talkshows immer nur um den letzten kleinen Unterschied beim Einkommen geht. Der echte Skandal ist, dass jedes Jahr rund 50 000 junge Menschen ohne Schulabschluss ins Leben geschickt werden. Die haben die Perspektive Mindestlohn und Wohlfahrtsstaat.
Frage: Wenn Sie denn vielleicht bald in die Regierung gewählt würden, was würden Sie anders machen als Herr Westerwelle damals – der ja nicht so viel von seinem Wahlprogramm umsetzen konnte.
Lindner: Das war zumindest der Eindruck. Aber mit jedem Tag mehr der großen Koalition bin ich umso versöhnter mit unserer damaligen Regierungszeit.
Frage: Was haben Sie aus der Zeit gelernt?
Lindner: Die FDP hatte ja 2009 im Grunde nur ein Thema: Steuern. Dann kamen wir in die Regierung, und das zuständige Ministerium haben wir nicht genommen. Und da haben die Leute gesagt: Moment mal, ihr habt nur ein Thema gehabt und jetzt kümmert ihr euch nicht mal drum! Was haben wir daraus gelernt? Die FDP hat viele neue Themen, die uns wichtig sind. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen, beste Bildung für den Einzelnen, endlich klare Regeln für die Einwanderung. Und wir würden für den Fall einer Regierungsbeteiligung natürlich auch die Ministerien haben wollen, die man braucht, um unsere politische Sache umzusetzen.
Frage: Wo würden Sie keine Kompromisse eingehen?
Lindner: Es muss eine andere Einwanderungspolitik nach Deutschland geben. Keine Abschottung, aber Kontrolle. Wir müssen wissen, wer hier ist. Und es können auch nur die kommen, die auch wirklich bedroht sind, und auch nicht auf Dauer. Und es gibt eine zweite Sache: Ich bin in großer Sorge, dass Frau Merkel mit Herrn Macron einen sehr weitreichenden Umbau unserer Währung plant. Inklusive, dass automatisch Geld aus Deutschland in einen europäischen Haushalt fließt, und dann einfach so in anderen Ländern eingesetzt werden kann, für was auch immer. Das heißt dann so freundlich „Budget für die Euro-Gruppe“. Wir wollen Europa, aber eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haushalten machen wir nicht mit.
Frage: Sie reden schon viel, ne?
Lindner: Dass ausgerechnet Sie das sagen.
Frage: Und am Stück. Und so lang.
Lindner: Okay, jetzt sind Sie wieder dran.
Frage: Ihre Partei steht ja auch sehr dafür, dass nicht zu viel überwacht wird. Nicht zu viel Kontrolle vom Staat. An was denken Sie bei der Zahl 1984 zuerst?
Lindner: Natürlich ans Buch.
Frage: Ich denke natürlich zuerst an Sarajevo, mein erstes olympisches Gold! (lacht)
Lindner: Ich weiß! Da war ich fünf.
Frage: Ach Gott, ja, Sie sind ja so ein Jungspund!
Lindner: Aber ich kenne von Sarajevo natürlich noch dieses spezielle Olympialied! Ich will’s jetzt nicht singen, aber ich hab’ es immer noch im Ohr. Aber was mich interessieren würde: Wie sehen Sie das Überwachungsthema? Über Sie gibt es doch bestimmt so eine dicke Stasi-Akte?
Frage: Ja, über 3000 Seiten! Aber das führt hier etwas zu weit. Meine Frage ist eher: Mehr Sicherheit oder mehr Datenschutz?
Lindner: Uns wird ja oft vorgeworfen: Ihr seid gegen den Staat, ihr seid gegen das Daten-Speichern, und deshalb ist alles unsicher. Stimmt aber gar nicht! Die meisten derjenigen, die Terroranschläge verübt haben, waren den Behörden ja bekannt. Nur die Behörden arbeiten nicht gut zusammen. Und deshalb bin ich dafür, dass in Deutschland zuerst einmal die Behörden verbessert werden. Die 16 Landesämter für Verfassungsschutz sollte man auf vier reduzieren. Dann hätte man viel an Reibungsverlusten gespart. Und wir brauchen mehr Polizisten, die wirklich für Sicherheit sorgen können.
Frage: Wie viel Privates sind Sie persönlich bereit, in der Öffentlichkeit preiszugeben?
Lindner: Ganz wenig.
Frage: Wo ziehen Sie die Grenze?
Lindner: Bei allem, was zu persönlich oder gar intim wird. Man darf aber über meine Autoleidenschaft etwas wissen und über meinen Sport…
Frage: Wenn Sie für drei Stunden allein mit Frau Merkel im Fahrstuhl eingeschlossen würden, was würden Sie mit ihr besprechen?
Lindner: Ich würde Sie fragen, was in ihr im September 2015 vorgegangen ist, als sie die Grenze aufgemacht, aber nicht wieder geschlossen hat. Was wirklich ihre Motive waren. War das spontan? Oder eine nüchterne Abwägung? Oder hatte sie Angst, als kalt dargestellt zu werden, weil sie ein paar Wochen vorher ja ein kleines Mädchen zum Weinen gebracht hatte, als sie ihr sagte, dass nicht alle kommen können. Diese Motivlage würde ich gern besser verstehen. Ich habe das damals politisch als falsch empfunden, aber ich würde gern die Hintergründe wissen.
Frage: Rein menschlich haben Sie es aber schon verstanden, oder?
Lindner: In der damals zugespitzten Situation für ein Wochenende, ja. Aber auf Dauer – nein. Das Signal damals war, dass jeder nach Deutschland kommen kann, wenn er das will. Aber das stimmt eben nicht.
Frage: Was würden Sie im Fahrstuhl mit mir besprechen?
Lindner: Ich würde gern mehr über Ihre sportlichen Ambitionen und Ihre Karriere wissen wollen. Wie das gewesen ist als Leistungssportlerin. Können Sie mir auch jetzt erzählen!
Frage: Och, nöööö. Aber sagen wir mal, Sie wären mit Ihrer Frau im Aufzug eingesperrt, würden Sie da die Frauenquote ansprechen?
Lindner: Die würde dann ja zumindest in dem Moment 50 Prozent betragen. (lacht)
Frage: Aber Ihre Frau hat bei dem Thema eine ganz andere Auffassung als Sie?
Lindner: Meine Frau hat in vielen Dingen eine andere Auffassung als ich. Die ist eine starke und eigenständige Persönlichkeit. Deshalb habe ich mich damals in sie verliebt.
Frage: Frauenquote nur wegen der Frauenquote finde ich schwierig. Aber trotzdem brauchen Frauen Unterstützung, damit sie in mehr Führungspositionen sein können.
Lindner: Das ist absolut richtig: Die Frauenquote hilft ein paar Frauen, in einen Aufsichtsrat einzuziehen, aber hilft nicht den Millionen Frauen im Alltag und ihrem Beruf weiter. Beim Thema Frauen hat auch die FDP noch viel zu tun. Wir haben zwar einen starken Mitgliederzuwachs, aber es treten viele Männer bei uns ein. Und deshalb…
Frage: Gucken Sie mich nicht so an! (lacht)
Lindner: Sie würden mit Ihrem Lebensgefühl genau in unser Profil passen.
Frage: Wer hat Sie am meisten geprägt im Leben?
Lindner: Sicher meine Familie. Meine Eltern haben sich früh scheiden lassen. Ich habe bei meiner Mutter gelebt, aber habe meinen Vater auch nahezu täglich gesehen. Ich hatte nun keine Bilderbuch-Rama-Familie, sondern etwas Komplizierteres. Mit 14 habe ich fast 100 Kilo gewogen, war aber mindestens zehn Zentimeter kleiner als heute. Jetzt bin ich 1,86 Meter und wiege 80 Kilo. Innerhalb von vier Monaten hab ich damals 30 Kilo abgenommen. Mit Joggen im Wald und Knäckebrot. Diese Phase hat mich geprägt. Ich habe gelernt, du kannst Dinge ändern, aber du musst zäh sein. Wie finden Sie eigentlich unsere Plakate?
Frage: Ich bin hin- und hergerissen. Im ersten Moment dachte ich, Sie suchen Anschluss. Sie wirken einsam oder gucken eher traurig. Schick in Schwarz-Weiß, aber den langen Text kann ich nicht lesen, wenn ich im Auto vorbeirausche. Sie sind dafür ja auch kritisiert worden.
Lindner: So soll es sein. Denn wir wollen Debatten anregen. Ich verrate Ihnen das Geheimnis hinter unserer Kampagne. Wir wollen schon durch mehr Programm, andere Sprache und besondere Fotos auf den Plakaten zeigen, dass wir anders sind. Und das wir in Deutschland etwas ändern, Tempo machen wollen.
Frage: Aber, Entschuldigung, sehen Sie nicht auch ein bisschen selbstverliebt auf den Plakaten aus?
Lindner: Jeder sieht in Bildern, was er will. Unsere Kampagne ist moderner und ungeduldiger als die aller anderen Parteien. Und genau dieses Gefühl wollen wir den Menschen vermitteln. Auch die FDP hat sich da verändert.
Frage: Wie viel Eitelkeit kann man sich als Mann leisten?
Lindner: Es gibt keine eitlen Politiker oder Journalisten. (lacht)
Frage: Nööö. Überhaupt nicht.
Lindner: Außer mir. Sonst ist alles uneitel in diesem Geschäft.
Frage: Ich finde ja, man kann ruhig anecken, frech sein, provozieren. Sie haben ja sehr provoziert mit der Krim. Das war nicht so diplomatisch, als Sie sagten, man müsse es als Provisorium akzeptieren, dass sie zu Russland gehört. Können Sie sich dieses Undiplomatische erhalten, wenn Sie vielleicht demnächst mitregieren?
Lindner: Ich sage das, wovon ich überzeugt bin. Bei der Krim ziehe ich mir den Schuh nicht an, das sei undiplomatisch gewesen. Hans-Dietrich Genscher hat dasselbe schon vor zwei Jahren gesagt. Ja, die Besetzung der Krim war ein Völkerrechtsbruch und ist inakzeptabel. Aber man darf einer Eskalations- und Aufrüstungsspirale nicht einfach zuschauen, wie die Grünen das wollen. Wir sollten diesen Konflikt ausklammern und schauen, ob sich Russland in anderen Fragen bewegt. Wir verbinden Konsequenz und Dialogbereitschaft. Bewegt sich Putin, ist es gut. Bewegt er sich nicht, müssen wir noch konsequenter auftreten und auch die Pipeline-Projekte beenden.
Frage: Wie sehr ähneln sich die Programme der Parteien?
Lindner: Linkspartei und AfD wollen ein anderes Land. Die Linken den Sozialismus, die AfD ein völkisch-autoritäres System. CDU/CSU, SPD, Grüne und wir haben mehr Dinge, die uns im Grundsatz verbinden, wenn sie an grundlegende demokratische Fragen denken. Ich will auch keine Prolls in der Politik wie Trump. Es gibt daher in jedem Programm von einer anderen Partei Punkte, wo ich sage, das ist gut.
Frage: Wo schauen Sie denn am Sonntag das TV-Duell?
Lindner: Zu Hause. Ich werde dabei was lesen, denn das wird vermutlich recht langweilig. Eigentlich brauchen wir das Duell auch gar nicht mehr, weil Herr Schulz eh nicht Kanzler wird.
Frage: Wo sind Sie heute in einem Jahr?
Lindner: Ich denke im Bundestag.
Frage: Und auf welcher Position und mit welcher Aufgabe?
Lindner: Ich weiß ja nicht, welche Rolle uns die Wähler geben. Ich persönlich habe mit Finanzen und Wirtschaft, Digitalisierung sowie Bildung meine Schwerpunktthemen. Denen bleibe ich auf jeden Fall nach der Wahl treu.
Frage: Gibt es einen Moment im Leben, den Sie gern wiederholen würden?
Lindner: Ja, die Hochzeit mit meiner Frau.
Frage: Und gibt es einen, auf den Sie lieber verzichtet hätten?
Lindner: Ich habe in meinem Leben natürlich genug Sachen gemacht und gesagt, die mir heute peinlich sind. Welchen Moment möchten Sie denn wiederholen? Olympia?
Frage: Keinen. Jeder dieser Moment war perfekt, nur genau zu diesem Zeitpunkt!
LINDNER-Interview: Ich sage das, wovon ich überzeugt bin
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Katharina Witt.
Frage: Manche Sportler geben nach Niederlagen anderen die Schuld. Sie haben nach der krachenden Niederlage 2013 die Fehler bei der FDP selbst gesucht. War das hart?
Lindner: Wenn man die Gründe für das eigene Scheitern bei Kanzlerinnen oder den Medien sucht, dann gibt man Macht ab. Wenn man sagt, es war unser eigener Fehler, hat man die Chance, sich zu korrigieren. Das haben wir getan.
Frage: Es gibt einen Unterschied zum Sport: Dort treibt einen der Bessere an, nicht wie in der Politik der Widerstand. Was macht in der Politik den Besseren zum Gewinner?
Lindner: In der Politik gibt es nicht den Besten. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen an ein Problem und nicht die allein selig machende Idee. Das ist es auch, worüber ich mich oft bei den Grünen ärgere. So sympathisch mir der Cem Özdemir persönlich ist, seine Partei erweckt immer den Eindruck, als seien sie die Einzigen, die wüssten, was wahr, gut und gerecht ist. Mit dieser moralischen Überheblichkeit gehen die mir ziemlich auf den Zeiger.
Frage: Für mich ist der Sport die letzte ehrliche Bastion. Nehmen wir Doping mal beiseite, ist Sport etwas sehr Gerechtes, weil sich der Bessere durchsetzt.
Lindner: Mir ist es wichtig, dass nach klaren Regeln gespielt wird. Und auch, dass der, der Fehler macht, dafür haftet. Im Sport ist das so, aber auch in der Marktwirtschaft gehört das dazu. Wenn jemand etwa ein Auto in dem Glauben auf gute Abgaswerte kauft, aber die Werte nicht stimmen, dann muss der entschädigt werden. Und zwar zulasten des Herstellers des Autos, nicht des Steuerzahlers. Die Autohersteller müssen hier zur Rechenschaft gezogen werden. Dann gibt es eben für die Aktionäre mal ein paar Jahre keine Dividende.
Frage: Wird das Wort Gerechtigkeit überstrapaziert? Chancengleichheit ist für mich Gerechtigkeit. Aber wenn jemand fleißig ist…
Lindner: …dann muss das auch einen Unterschied machen dürfen. Bei der Chancengleichheit stimme ich Ihnen völlig zu. Der eigentliche Skandal unserer Gesellschaft ist, dass für manche der Bildungs- und Lebensweg schon klar ist, nur weil sie in eine bestimmte Familie geboren worden sind. Bildung hängt noch immer von der Herkunft ab, auch der sozialen. Darum kümmert sich aber fast keiner. Ich kriege solch eine Krawatte, wenn es in den Talkshows immer nur um den letzten kleinen Unterschied beim Einkommen geht. Der echte Skandal ist, dass jedes Jahr rund 50 000 junge Menschen ohne Schulabschluss ins Leben geschickt werden. Die haben die Perspektive Mindestlohn und Wohlfahrtsstaat.
Frage: Wenn Sie denn vielleicht bald in die Regierung gewählt würden, was würden Sie anders machen als Herr Westerwelle damals – der ja nicht so viel von seinem Wahlprogramm umsetzen konnte.
Lindner: Das war zumindest der Eindruck. Aber mit jedem Tag mehr der großen Koalition bin ich umso versöhnter mit unserer damaligen Regierungszeit.
Frage: Was haben Sie aus der Zeit gelernt?
Lindner: Die FDP hatte ja 2009 im Grunde nur ein Thema: Steuern. Dann kamen wir in die Regierung, und das zuständige Ministerium haben wir nicht genommen. Und da haben die Leute gesagt: Moment mal, ihr habt nur ein Thema gehabt und jetzt kümmert ihr euch nicht mal drum! Was haben wir daraus gelernt? Die FDP hat viele neue Themen, die uns wichtig sind. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen, beste Bildung für den Einzelnen, endlich klare Regeln für die Einwanderung. Und wir würden für den Fall einer Regierungsbeteiligung natürlich auch die Ministerien haben wollen, die man braucht, um unsere politische Sache umzusetzen.
Frage: Wo würden Sie keine Kompromisse eingehen?
Lindner: Es muss eine andere Einwanderungspolitik nach Deutschland geben. Keine Abschottung, aber Kontrolle. Wir müssen wissen, wer hier ist. Und es können auch nur die kommen, die auch wirklich bedroht sind, und auch nicht auf Dauer. Und es gibt eine zweite Sache: Ich bin in großer Sorge, dass Frau Merkel mit Herrn Macron einen sehr weitreichenden Umbau unserer Währung plant. Inklusive, dass automatisch Geld aus Deutschland in einen europäischen Haushalt fließt, und dann einfach so in anderen Ländern eingesetzt werden kann, für was auch immer. Das heißt dann so freundlich „Budget für die Euro-Gruppe“. Wir wollen Europa, aber eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haushalten machen wir nicht mit.
Frage: Sie reden schon viel, ne?
Lindner: Dass ausgerechnet Sie das sagen.
Frage: Und am Stück. Und so lang.
Lindner: Okay, jetzt sind Sie wieder dran.
Frage: Ihre Partei steht ja auch sehr dafür, dass nicht zu viel überwacht wird. Nicht zu viel Kontrolle vom Staat. An was denken Sie bei der Zahl 1984 zuerst?
Lindner: Natürlich ans Buch.
Frage: Ich denke natürlich zuerst an Sarajevo, mein erstes olympisches Gold! (lacht)
Lindner: Ich weiß! Da war ich fünf.
Frage: Ach Gott, ja, Sie sind ja so ein Jungspund!
Lindner: Aber ich kenne von Sarajevo natürlich noch dieses spezielle Olympialied! Ich will’s jetzt nicht singen, aber ich hab’ es immer noch im Ohr. Aber was mich interessieren würde: Wie sehen Sie das Überwachungsthema? Über Sie gibt es doch bestimmt so eine dicke Stasi-Akte?
Frage: Ja, über 3000 Seiten! Aber das führt hier etwas zu weit. Meine Frage ist eher: Mehr Sicherheit oder mehr Datenschutz?
Lindner: Uns wird ja oft vorgeworfen: Ihr seid gegen den Staat, ihr seid gegen das Daten-Speichern, und deshalb ist alles unsicher. Stimmt aber gar nicht! Die meisten derjenigen, die Terroranschläge verübt haben, waren den Behörden ja bekannt. Nur die Behörden arbeiten nicht gut zusammen. Und deshalb bin ich dafür, dass in Deutschland zuerst einmal die Behörden verbessert werden. Die 16 Landesämter für Verfassungsschutz sollte man auf vier reduzieren. Dann hätte man viel an Reibungsverlusten gespart. Und wir brauchen mehr Polizisten, die wirklich für Sicherheit sorgen können.
Frage: Wie viel Privates sind Sie persönlich bereit, in der Öffentlichkeit preiszugeben?
Lindner: Ganz wenig.
Frage: Wo ziehen Sie die Grenze?
Lindner: Bei allem, was zu persönlich oder gar intim wird. Man darf aber über meine Autoleidenschaft etwas wissen und über meinen Sport…
Frage: Wenn Sie für drei Stunden allein mit Frau Merkel im Fahrstuhl eingeschlossen würden, was würden Sie mit ihr besprechen?
Lindner: Ich würde Sie fragen, was in ihr im September 2015 vorgegangen ist, als sie die Grenze aufgemacht, aber nicht wieder geschlossen hat. Was wirklich ihre Motive waren. War das spontan? Oder eine nüchterne Abwägung? Oder hatte sie Angst, als kalt dargestellt zu werden, weil sie ein paar Wochen vorher ja ein kleines Mädchen zum Weinen gebracht hatte, als sie ihr sagte, dass nicht alle kommen können. Diese Motivlage würde ich gern besser verstehen. Ich habe das damals politisch als falsch empfunden, aber ich würde gern die Hintergründe wissen.
Frage: Rein menschlich haben Sie es aber schon verstanden, oder?
Lindner: In der damals zugespitzten Situation für ein Wochenende, ja. Aber auf Dauer – nein. Das Signal damals war, dass jeder nach Deutschland kommen kann, wenn er das will. Aber das stimmt eben nicht.
Frage: Was würden Sie im Fahrstuhl mit mir besprechen?
Lindner: Ich würde gern mehr über Ihre sportlichen Ambitionen und Ihre Karriere wissen wollen. Wie das gewesen ist als Leistungssportlerin. Können Sie mir auch jetzt erzählen!
Frage: Och, nöööö. Aber sagen wir mal, Sie wären mit Ihrer Frau im Aufzug eingesperrt, würden Sie da die Frauenquote ansprechen?
Lindner: Die würde dann ja zumindest in dem Moment 50 Prozent betragen. (lacht)
Frage: Aber Ihre Frau hat bei dem Thema eine ganz andere Auffassung als Sie?
Lindner: Meine Frau hat in vielen Dingen eine andere Auffassung als ich. Die ist eine starke und eigenständige Persönlichkeit. Deshalb habe ich mich damals in sie verliebt.
Frage: Frauenquote nur wegen der Frauenquote finde ich schwierig. Aber trotzdem brauchen Frauen Unterstützung, damit sie in mehr Führungspositionen sein können.
Lindner: Das ist absolut richtig: Die Frauenquote hilft ein paar Frauen, in einen Aufsichtsrat einzuziehen, aber hilft nicht den Millionen Frauen im Alltag und ihrem Beruf weiter. Beim Thema Frauen hat auch die FDP noch viel zu tun. Wir haben zwar einen starken Mitgliederzuwachs, aber es treten viele Männer bei uns ein. Und deshalb…
Frage: Gucken Sie mich nicht so an! (lacht)
Lindner: Sie würden mit Ihrem Lebensgefühl genau in unser Profil passen.
Frage: Wer hat Sie am meisten geprägt im Leben?
Lindner: Sicher meine Familie. Meine Eltern haben sich früh scheiden lassen. Ich habe bei meiner Mutter gelebt, aber habe meinen Vater auch nahezu täglich gesehen. Ich hatte nun keine Bilderbuch-Rama-Familie, sondern etwas Komplizierteres. Mit 14 habe ich fast 100 Kilo gewogen, war aber mindestens zehn Zentimeter kleiner als heute. Jetzt bin ich 1,86 Meter und wiege 80 Kilo. Innerhalb von vier Monaten hab ich damals 30 Kilo abgenommen. Mit Joggen im Wald und Knäckebrot. Diese Phase hat mich geprägt. Ich habe gelernt, du kannst Dinge ändern, aber du musst zäh sein. Wie finden Sie eigentlich unsere Plakate?
Frage: Ich bin hin- und hergerissen. Im ersten Moment dachte ich, Sie suchen Anschluss. Sie wirken einsam oder gucken eher traurig. Schick in Schwarz-Weiß, aber den langen Text kann ich nicht lesen, wenn ich im Auto vorbeirausche. Sie sind dafür ja auch kritisiert worden.
Lindner: So soll es sein. Denn wir wollen Debatten anregen. Ich verrate Ihnen das Geheimnis hinter unserer Kampagne. Wir wollen schon durch mehr Programm, andere Sprache und besondere Fotos auf den Plakaten zeigen, dass wir anders sind. Und das wir in Deutschland etwas ändern, Tempo machen wollen.
Frage: Aber, Entschuldigung, sehen Sie nicht auch ein bisschen selbstverliebt auf den Plakaten aus?
Lindner: Jeder sieht in Bildern, was er will. Unsere Kampagne ist moderner und ungeduldiger als die aller anderen Parteien. Und genau dieses Gefühl wollen wir den Menschen vermitteln. Auch die FDP hat sich da verändert.
Frage: Wie viel Eitelkeit kann man sich als Mann leisten?
Lindner: Es gibt keine eitlen Politiker oder Journalisten. (lacht)
Frage: Nööö. Überhaupt nicht.
Lindner: Außer mir. Sonst ist alles uneitel in diesem Geschäft.
Frage: Ich finde ja, man kann ruhig anecken, frech sein, provozieren. Sie haben ja sehr provoziert mit der Krim. Das war nicht so diplomatisch, als Sie sagten, man müsse es als Provisorium akzeptieren, dass sie zu Russland gehört. Können Sie sich dieses Undiplomatische erhalten, wenn Sie vielleicht demnächst mitregieren?
Lindner: Ich sage das, wovon ich überzeugt bin. Bei der Krim ziehe ich mir den Schuh nicht an, das sei undiplomatisch gewesen. Hans-Dietrich Genscher hat dasselbe schon vor zwei Jahren gesagt. Ja, die Besetzung der Krim war ein Völkerrechtsbruch und ist inakzeptabel. Aber man darf einer Eskalations- und Aufrüstungsspirale nicht einfach zuschauen, wie die Grünen das wollen. Wir sollten diesen Konflikt ausklammern und schauen, ob sich Russland in anderen Fragen bewegt. Wir verbinden Konsequenz und Dialogbereitschaft. Bewegt sich Putin, ist es gut. Bewegt er sich nicht, müssen wir noch konsequenter auftreten und auch die Pipeline-Projekte beenden.
Frage: Wie sehr ähneln sich die Programme der Parteien?
Lindner: Linkspartei und AfD wollen ein anderes Land. Die Linken den Sozialismus, die AfD ein völkisch-autoritäres System. CDU/CSU, SPD, Grüne und wir haben mehr Dinge, die uns im Grundsatz verbinden, wenn sie an grundlegende demokratische Fragen denken. Ich will auch keine Prolls in der Politik wie Trump. Es gibt daher in jedem Programm von einer anderen Partei Punkte, wo ich sage, das ist gut.
Frage: Wo schauen Sie denn am Sonntag das TV-Duell?
Lindner: Zu Hause. Ich werde dabei was lesen, denn das wird vermutlich recht langweilig. Eigentlich brauchen wir das Duell auch gar nicht mehr, weil Herr Schulz eh nicht Kanzler wird.
Frage: Wo sind Sie heute in einem Jahr?
Lindner: Ich denke im Bundestag.
Frage: Und auf welcher Position und mit welcher Aufgabe?
Lindner: Ich weiß ja nicht, welche Rolle uns die Wähler geben. Ich persönlich habe mit Finanzen und Wirtschaft, Digitalisierung sowie Bildung meine Schwerpunktthemen. Denen bleibe ich auf jeden Fall nach der Wahl treu.
Frage: Gibt es einen Moment im Leben, den Sie gern wiederholen würden?
Lindner: Ja, die Hochzeit mit meiner Frau.
Frage: Und gibt es einen, auf den Sie lieber verzichtet hätten?
Lindner: Ich habe in meinem Leben natürlich genug Sachen gemacht und gesagt, die mir heute peinlich sind. Welchen Moment möchten Sie denn wiederholen? Olympia?
Frage: Keinen. Jeder dieser Moment war perfekt, nur genau zu diesem Zeitpunkt!