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28.08.2017 - 08:00LAMBSDORFF-Interview: De Maizière streut den Menschen Sand in die Augen
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab der „Leipziger Volkszeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Debski:
Frage: Die FDP fährt in Sachsen gerade viel Prominenz auf. Wird die Bundestagswahl im Osten entschieden?
Lambsdorff: Sachsen ist im Osten das Bundesland, in dem es die stärkste liberale Tradition gibt. Hier gibt es mehr Selbstständige, Handwerker, Industrie und Freiberufler als andernorts in Mitteldeutschland. Ob die Wahl hier allerdings entschieden wird, weiß ich nicht. Das Wählerverhalten ist schwerer vorherzusagen als im Westen, wobei es auch dort immer weniger Stammwähler gibt. Das Zweite ist, dass im Osten mit der AfD und der Linkspartei zwei Parteien präsent sind, die im Westen keine so große Rolle spielen, um in den Bundestag zu kommen. Die Konkurrenz ist hier also größer.
Frage: Da Sie die AfD ansprechen: Die Partei ist insbesondere in Mitteldeutschland im Zuge der Flüchtlingswelle und als Gegenpol zu Europa erstarkt. Sie sind einer der führenden EU-Politiker – wie sehen Sie die Vorwürfe?
Lambsdorff: Viele ältere Menschen hier lehnen den europäischen Gedanken hart ab, aber Gespräche mit Jugendlichen gerade in Leipzig und Dresden sind ermutigend: Da gibt es keine kritiklose Zustimmung, es wird auch viel diskutiert – aber die Chancen werden gesehen und es wird versucht, bestimmte Prozesse zu verstehen. Das macht mir Hoffnung.
Frage: Wird Europa gerade in Ostdeutschland zu negativ gesehen?
Lambsdorff: Mitteldeutschland ist durch die Wiedervereinigung Teil dieses großen, kontinentalen Raumes der Freiheit geworden. Dass man sich nicht – wie etwa Polen oder Tschechien – hinten anstellen musste, war eine gewaltige Chance. Produkte aus Sachsen und Mitteldeutschland werden europaweit gehandelt, das sichert viele Arbeitsplätze. Über die europäische Regionalförderung sind Milliarden nach Mitteldeutschland geflossen – für Straßen und Brücken, für Soziales, für den ländlichen Raum. Und wir alle können uns innerhalb der EU frei bewegen. Diesen Gewinn sollten all jene bedenken, die für Abschottung plädieren.
Frage: Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Lambsdorff: Natürlich. Kritik an Europa bedeutet ja nicht, dass die EU grundsätzlich abgelehnt wird. Als FDP kritisieren wir ja auch die Europapolitik der Bundesregierung. Man kann zu Angela Merkels Entscheidung, Flüchtlinge ins Land zu holen, stehen wie man will – es war aber ganz sicher falsch, anders als Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher es getan hätten, die Partner einfach zu überrumpeln. Das war eine einsame Entscheidung der Kanzlerin, ohne dass sie Paris, Warschau und Brüssel zumindest informiert hätte. Angela Merkel hat quasi über Nacht weite Teile des Rechtssystems außer Kraft gesetzt. In der Folge wurde Deutschland isoliert. Das ist keine gute Europapolitik. Und im Inneren gehört zu einer guten Politik, Entscheidungen zu erklären. Auch das ist nicht erfolgt.
Frage: Stichwort Flüchtlinge: Auf dem Mittelmeer sterben immer noch viele Menschen. Hat Europa in dieser Aufgabe versagt?
Lambsdorff: Was wir besser machen müssen, ist zweifellos, die EU-Außengrenzen stärker abzusichern. Deshalb ärgere ich mich sehr, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière allen Ernstes behauptet, wir hätten schon einen europäischen Grenzschutz. Damit streut er den Menschen hier Sand in die Augen, denn das stimmt einfach nicht. Es gibt das Abkommen mit der Türkei und die auf dem Mittelmeer patrouillierende Frontex. Frontex ist eine Stelle, zu der nationale Regierungen mal Beamte abstellen oder auch mal nicht. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Mannschaftsstärke kaum berechenbar ist. Eine echte europäische Grenzschutzbehörde – die als Institution mit dem Europäischen Gerichtshof oder der Europäischen Zentralbank vergleichbar wäre – braucht eigene Beamte, eigene Finanzen, eigenes Gerät, eigenes Recht und als Kontrollinstanz das Europäische Parlament. Deshalb ist es einfach unehrlich vom Bundesinnenminister, so zu tun, als sei alles geregelt. Zumal wir ja alle sehen, was im Mittelmeer los ist.
Frage: Das heißt: Frontex hat versagt?
Lambsdorff: Nein und ja. Die Leute dort können ja auch nicht mehr machen, als mit dem zu arbeiten, was sie haben. Letztlich ist Frontex auf die Beamten angewiesen, die abgeordnet werden. Das heißt: Es sind die nationalen Regierungen, die versagen – Frontex scheitert an den nationalen Egoismen, das ist das Problem.
Frage: Sollten nicht viel mehr die Fluchtursachen bekämpft werden, statt die Menschen am Mittelmeer aufzuhalten?
Lambsdorff: Man muss beides tun. Man kann das Mittelmeer nicht schließen, in dem Sinne, wie eine Tür zu verriegeln ist. Populisten wie die AfD behaupten so etwas, aber das ist Unsinn. Relativ schnell könnte man aber die Kontrollen verstärken, beispielsweise gemeinsam mit Libyen. So könnten Flüchtlinge abgefangen und zurückgebracht werden, wo sie allerdings nicht länger in Verschlägen hausen und in die Hände von Schleppern übergeben werden dürfen, sondern unter Aufsicht des UN-Flüchtlingshilfswerkes in Aufnahmeeinrichtungen kommen sollten. Das schließt ein, dass wir selbstverständlich die Politik zur Bekämpfung von Fluchtursachen deutlich verbessern müssen – aber wir dürfen die Augen nicht vor den aktuellen Problemen im Mittelmeer verschließen.
LAMBSDORFF-Interview: De Maizière streut den Menschen Sand in die Augen
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab der „Leipziger Volkszeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Debski:
Frage: Die FDP fährt in Sachsen gerade viel Prominenz auf. Wird die Bundestagswahl im Osten entschieden?
Lambsdorff: Sachsen ist im Osten das Bundesland, in dem es die stärkste liberale Tradition gibt. Hier gibt es mehr Selbstständige, Handwerker, Industrie und Freiberufler als andernorts in Mitteldeutschland. Ob die Wahl hier allerdings entschieden wird, weiß ich nicht. Das Wählerverhalten ist schwerer vorherzusagen als im Westen, wobei es auch dort immer weniger Stammwähler gibt. Das Zweite ist, dass im Osten mit der AfD und der Linkspartei zwei Parteien präsent sind, die im Westen keine so große Rolle spielen, um in den Bundestag zu kommen. Die Konkurrenz ist hier also größer.
Frage: Da Sie die AfD ansprechen: Die Partei ist insbesondere in Mitteldeutschland im Zuge der Flüchtlingswelle und als Gegenpol zu Europa erstarkt. Sie sind einer der führenden EU-Politiker – wie sehen Sie die Vorwürfe?
Lambsdorff: Viele ältere Menschen hier lehnen den europäischen Gedanken hart ab, aber Gespräche mit Jugendlichen gerade in Leipzig und Dresden sind ermutigend: Da gibt es keine kritiklose Zustimmung, es wird auch viel diskutiert – aber die Chancen werden gesehen und es wird versucht, bestimmte Prozesse zu verstehen. Das macht mir Hoffnung.
Frage: Wird Europa gerade in Ostdeutschland zu negativ gesehen?
Lambsdorff: Mitteldeutschland ist durch die Wiedervereinigung Teil dieses großen, kontinentalen Raumes der Freiheit geworden. Dass man sich nicht – wie etwa Polen oder Tschechien – hinten anstellen musste, war eine gewaltige Chance. Produkte aus Sachsen und Mitteldeutschland werden europaweit gehandelt, das sichert viele Arbeitsplätze. Über die europäische Regionalförderung sind Milliarden nach Mitteldeutschland geflossen – für Straßen und Brücken, für Soziales, für den ländlichen Raum. Und wir alle können uns innerhalb der EU frei bewegen. Diesen Gewinn sollten all jene bedenken, die für Abschottung plädieren.
Frage: Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Lambsdorff: Natürlich. Kritik an Europa bedeutet ja nicht, dass die EU grundsätzlich abgelehnt wird. Als FDP kritisieren wir ja auch die Europapolitik der Bundesregierung. Man kann zu Angela Merkels Entscheidung, Flüchtlinge ins Land zu holen, stehen wie man will – es war aber ganz sicher falsch, anders als Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher es getan hätten, die Partner einfach zu überrumpeln. Das war eine einsame Entscheidung der Kanzlerin, ohne dass sie Paris, Warschau und Brüssel zumindest informiert hätte. Angela Merkel hat quasi über Nacht weite Teile des Rechtssystems außer Kraft gesetzt. In der Folge wurde Deutschland isoliert. Das ist keine gute Europapolitik. Und im Inneren gehört zu einer guten Politik, Entscheidungen zu erklären. Auch das ist nicht erfolgt.
Frage: Stichwort Flüchtlinge: Auf dem Mittelmeer sterben immer noch viele Menschen. Hat Europa in dieser Aufgabe versagt?
Lambsdorff: Was wir besser machen müssen, ist zweifellos, die EU-Außengrenzen stärker abzusichern. Deshalb ärgere ich mich sehr, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière allen Ernstes behauptet, wir hätten schon einen europäischen Grenzschutz. Damit streut er den Menschen hier Sand in die Augen, denn das stimmt einfach nicht. Es gibt das Abkommen mit der Türkei und die auf dem Mittelmeer patrouillierende Frontex. Frontex ist eine Stelle, zu der nationale Regierungen mal Beamte abstellen oder auch mal nicht. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Mannschaftsstärke kaum berechenbar ist. Eine echte europäische Grenzschutzbehörde – die als Institution mit dem Europäischen Gerichtshof oder der Europäischen Zentralbank vergleichbar wäre – braucht eigene Beamte, eigene Finanzen, eigenes Gerät, eigenes Recht und als Kontrollinstanz das Europäische Parlament. Deshalb ist es einfach unehrlich vom Bundesinnenminister, so zu tun, als sei alles geregelt. Zumal wir ja alle sehen, was im Mittelmeer los ist.
Frage: Das heißt: Frontex hat versagt?
Lambsdorff: Nein und ja. Die Leute dort können ja auch nicht mehr machen, als mit dem zu arbeiten, was sie haben. Letztlich ist Frontex auf die Beamten angewiesen, die abgeordnet werden. Das heißt: Es sind die nationalen Regierungen, die versagen – Frontex scheitert an den nationalen Egoismen, das ist das Problem.
Frage: Sollten nicht viel mehr die Fluchtursachen bekämpft werden, statt die Menschen am Mittelmeer aufzuhalten?
Lambsdorff: Man muss beides tun. Man kann das Mittelmeer nicht schließen, in dem Sinne, wie eine Tür zu verriegeln ist. Populisten wie die AfD behaupten so etwas, aber das ist Unsinn. Relativ schnell könnte man aber die Kontrollen verstärken, beispielsweise gemeinsam mit Libyen. So könnten Flüchtlinge abgefangen und zurückgebracht werden, wo sie allerdings nicht länger in Verschlägen hausen und in die Hände von Schleppern übergeben werden dürfen, sondern unter Aufsicht des UN-Flüchtlingshilfswerkes in Aufnahmeeinrichtungen kommen sollten. Das schließt ein, dass wir selbstverständlich die Politik zur Bekämpfung von Fluchtursachen deutlich verbessern müssen – aber wir dürfen die Augen nicht vor den aktuellen Problemen im Mittelmeer verschließen.