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27.08.2017 - 12:00LINDNER-Interview: Fahrverbote müssen um jeden Preis verhindert werden
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Klaus Remme:
Frage: Herr Lindner, lassen Sie mich mal etwas leichter anfangen. Hat sich die Firma Vorwerk schon bei Ihnen gemeldet?
Lindner: Nein, die Firma Vorwerk hat sich bei mir noch nicht gemeldet. War ja auch nicht unsere Idee, sondern das kam aus den Tiefen des Netzes. Das war die Twitter-Kreativität, die – ja – aus Bildern von mir diese wunderbare Vorwerk-Werbung gemacht hat. Ich liebe ganz besonders die Bilder von Armin Laschet und mir, wo ich ihm versuche, dieses Haushaltsgerät aufs Auge zu drücken.
Frage: Sie sind also unfreiwillig Werbeträger für ein Küchengerät, ein beliebtes, geworden, das keine weitere Werbung nötig hat, habe ich den Eindruck. Ärgert Sie so was?
Lindner: Nein, warum? Das ist doch sympathisch. Und ich meine, also, ein modernes Küchengerät, das vernetzt arbeitet, also die Digitalisierung in die Küche trägt, Menschen glücklich macht und ihnen ermöglicht, gesund zu essen, also, es gäbe schlimmere Produkte, für die ich mich nicht so gerne vereinnahmen lassen würde.
Frage: Für mich passt es in Bemerkungen, die ich jetzt auch bei Wahlkampfveranstaltungen von Ihnen gehört habe, wenn es um die Schwarz-weiß-Plakate Ihrer Medienkampagne geht und jemand sagt: „Er könnte mit diesen Fotos auch Hemden verkaufen. Oder aber verkauft er möglicherweise Parfums?“ Beides habe ich gehört. Ist Politik, wenn man das ein bisschen verlängert, eben auch Ware?
Lindner: Nein. Das ist sie nicht und das darf sie nicht sein. Aber zum Verfassungsauftrag der Parteien gehört es, die Willensbildung der Menschen anzuregen. Und dann muss man natürlich Reibungsfläche bieten – thematisch. Man muss dahin gehen, wo die Menschen sind, muss auch mit Kampagnen versuchen, Gespräche zu erzeugen. Der Wahlkampf ist ohnehin so lahm und so langweilig, dass wir sowohl in der Sache, durch Debattenbeiträge, in der Außenpolitik – Frage Russland –, in der Innenpolitik – Frage Digitalisierung und Entlastung –, versuchen mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Und natürlich auch in der Darreichungsform von Politik wollen wir zeigen, dass wir moderner sind, und dass wir anders sind als die anderen.
Frage: Jetzt sind Sie am Ende eines Weges, den Sie skizziert haben unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Bund 2013, mit dem Zielpunkt der Bundestagswahl 2017. Es gab Phasen, 2014 schwieriger Wahlkalender, es gab Phasen wie die zurückliegenden Monate, wo der Wahlkalender wie gebacken schien in der Abfolge der Landtagswahl. Gab es eine Passage, in der Sie am Gelingen dieses Projekts gezweifelt haben?
Lindner: Der Herbst 2014 war schon sehr hart. Ich habe nicht gezweifelt, dass wir es am Ende schaffen, aber es war sicherlich die Phase, die für die Öffentlichkeit oder in der Öffentlichkeit und innerhalb der FDP die kritischste war. Warum? Wir hatten bei der Europawahl und bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen nicht den Erfolg, den wir uns gewünscht hätten. Und da gab es natürlich viele kritische Stimmen innerhalb der Partei. Von außen wurde gefragt: „War es das jetzt mit der FDP?“ Es kam auch mal eine neue Kursdebatte auf. Plötzlich gab es einige, die wollten die FDP doch in Richtung auf eine Protestpartei positionieren. Es gab Vorstellungen, dass wir insbesondere pauschale Islamkritik zum Thema machen sollten – wohlgemerkt vor der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 schon. Insofern, das war eine kritische Phase, die ja durchaus Disziplin und Selbstironie erfordert hat.
Frage: Jetzt haben Sie ja ein Wahlprogramm als Partei verabschiedet, über 200 Seiten lang. Das ist selbst fürs „Interview der Woche“ im Deutschlandfunk ein wenig viel. Konzentrieren wir uns auf vier, fünf Punkte in der aktuellen Diskussion. Sie werden möglicherweise das Programm damit verbinden können. Air Berlin – es läuft eine Rettungsaktion, wenn nicht für das Unternehmen, dann für Arbeitsplätze, mit staatlichen Geldern. Richtig so?
Lindner: Nein, ist falsch. Es muss für große Unternehmen dasselbe gelten wie für die Bäckerei um die Ecke. Es kann nicht immer der Bundesadler kommen, also der Staat, wenn große Unternehmen schlecht gemanagt werden und bei den kleinen Unternehmen gibt es nur den Pleitegeier. Das verträgt sich nicht mit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung.
Frage: Aber es ging um 150 Millionen. Es geht um wenige Monate. Es ging um Touristen, die zurückmussten.
Lindner: Wegen der infrastrukturellen Notlage, die Touristen aus dem Ausland nach Deutschland zurückzubringen, habe ich Verständnis für diesen Notkredit gehabt. Ich verstehe das Motiv. Aber man hätte ihn vermeiden können, wenn die Bundesregierung mit dem Anteilseigner Etihad vorher gesprochen hätte. Das ist eine Staatsairline. Da hätte man also auch seitens der Bundesregierung Einfluss nehmen können, sodass es zu einem geordneten Übergang kommt. Und zum anderen wollen wir die Bundesregierung jetzt beim Wort nehmen. Es hieß: Die 150 Millionen – dabei bleibt es. Darauf werden wir die Regierung festlegen. Und zum Zweiten: Es darf nicht ein neuer Monopolist in Deutschland im Luftverkehr entstehen mit der Lufthansa, die die Slots und Maschinen übernimmt.
Frage: Das heißt, was wäre die beste Lösung?
Lindner: Es muss eine Aufteilung geben für mehrere Interessenten, die Teile bekommen. Jedenfalls muss es Wettbewerb innerhalb Deutschlands geben. Alles andere wäre übrigens dann auch ein Fall für die Kartellbehörden, denn die Regierung ist Schiedsrichter und sie ist verpflichtet vor allen Dingen, uns, den Bürgerinnen und Bürgern als Steuerzahler und als Kunden, damit nicht Einzelne so mächtig werden, dass sie die Regeln des Spiels und die Preise diktieren. Das gilt bei Air Berlin. Das galt auch im Lebensmitteleinzelhandel, wo eine Fusion gebilligt worden ist, durch die die Preise steigen könnten. Das gilt auch bei Google. Und ich war stolz, als unsere liberale Wettbewerbskommissarin bei Google die Manipulation von Suchmaschinenergebnissen einmal mit einer hohen Strafzahlung belegt hat. Diese Konsequenz, Marktwirtschaft zu verteidigen, die wünsche ich mir auch von einer zukünftigen Bundesregierung.
Frage: Sie sind Porsche-Fahrer, seit Jahrzehnten schon. Klingt fast lustig mit Ihren 38 Jahren. Ich sehe hier auf der Fensterbank Modelle, von denen Sie mir wahrscheinlich schnell sagen können, was es ist. Sagen wir es kurz. Ein BMW im Plexiglaskasten – besonderes Modell?
Lindner: Ja. Das ist ein BMW 320i aus der Tourenwagen-Gruppe 5, Jahrgang 1977.
Frage: Und da hinten?
Lindner: Da hinten das ist nur Kunst. Aber das ist, glaube ich, inspiriert von den Silberpfeilen, also den Mercedes-Rennwagen der 30er- und auch 50er-Jahre. Damals waren übrigens alle Autos silbern, die aus Deutschland kamen, weil nicht irgendwelche Werbebotschaften das Auto geprägt haben, sondern jede Nationalität hat eine Farbe bekommen. Ferrari ist deshalb auch rot, weil die Farbe Italiens im klassischen Rennsport Rot war.
Frage: Jetzt kann man losdifferenzieren. Insgesamt steht die deutsche Autoindustrie am Pranger, eigentlich wie nie zuvor. Zu Recht?
Lindner: Ja. Die Automobilindustrie steht zurecht in der Kritik, denn die Fahrzeuge, die die Menschen gekauft haben, die halten nicht das, was versprochen worden ist. Da ist manipuliert worden beim Diesel. Und deshalb kann es da keine falsche Rücksichtnahme geben. Die Kundinnen und Kunden müssen entschädigt werden, so, wie die Kunden von VW auch in den Vereinigten Staaten. Das heißt, ein Software-Update reicht nicht aus. Nötigenfalls muss der Motor umgebaut werden, wenn die Kunden das wünschen oder eine andere Einigung erzielt werden. Da muss man in Kauf nehmen, dass die Aktionäre, beispielsweise von VW, dann einige Jahre keine Dividende erhalten. Sie hätten vorher eben andere Vorstände benennen müssen.
Frage: Und sind, wenn es verbindliche Luftbelastungswerte gibt und diese überschritten werden, Fahrverbote das einzig mögliche unmittelbare Mittel, um diese Werte zu verbessern?
Lindner: Nein. Fahrverbote müssen um jeden Preis verhindert werden, weil das eine Enteignung der Dieselfahrer wäre. Und deshalb müssen alle möglichen Maßnahmen jetzt schnell umgesetzt werden, von der Elektrifizierung des öffentlichen Verkehrs, also Busse oder auch die Müllabfuhr, über die Sanierung von Heizungen, die Modernisierung von Heizungen in den Großstädten, intelligente Verkehrsführung, damit es überhaupt gar nicht zu Stauungen kommt. Also, das gesamte Maßnahmenpaket muss auf den Tisch, damit Fahrverbote ...
Frage: Aber diese Maßnahmen, die brauchen mehr Zeit, als dass Gerichte Urteile verhängen werden.
Lindner: Ich sehe sehr kritisch, wie gegenwärtig hier auch ideologisiert gearbeitet wird. Und ich hinterfrage auch die Motive der Deutschen Umwelthilfe. Das ist kein gemeinnütziger Verein.
Frage: Auch die der Justiz?
Lindner: Die Justiz urteilt das, was an Antrag vorgelegt wird, also was an Klage eingereicht wird auf der Grundlage von Grenzwerten, die aus Brüssel kommen. Und ich will darauf hinweisen: Die Deutsche Umwelthilfe ist keine gemeinnützige Organisation, wie das Bundesumweltamt auch keine Behörde, sondern da gibt es auch ökonomische Interessen, die im Spiel sind. Da gibt es auch Sponsorengelder. Damit das nur mal klar ist, dass wir hier Zeugen werden auch einer Auseinandersetzung um Technologien und um Marktanteile. Und deshalb: Der Staat als Schiedsrichter muss alle Maßnahmen einleiten, um hier Wettbewerbsneutralität zu erhalten, Technologieoffenheit zu erhalten, um die Dieselfahrer auch zu schützen, die eben darauf vertrauten, dass wenn sie vor wenigen Jahren ein Auto gekauft haben, damit auch länger arbeiten und fahren können.
Frage: Benziner oder Diesel? Was raten Sie einem Verbraucher, der heute oder morgen vor dieser Frage steht?
Lindner: Ich beteilige mich nicht als Politikwissenschaftler an Ratschlägen und ich bin auch kein Verbraucherschützer und bin auch kein Ingenieur. Und generell wundere ich mich darüber, wie stark die Politik hier eingreift. Ich empfehle einen anderen Zugang. Wir geben Ziele vor – Klimaschutz, Klimaschutzziele. Aber der Weg dahin, sowohl bei der Energieerzeugung als auch bei der Mobilität, der sollte der Kreativität der Ingenieure vorbehalten bleiben. Wir brauchen Technologieoffenheit. Mich hat verstört, dass Frau Merkel sich das von den Grünen ausgegebene Ziel nahezu zu eigen gemacht hat, im Jahr 2030 auf den Verbrennungsmotor zu verzichten. Der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann, der den Grünen angehört, hat das Programm der Grünen in diesem Punkt, wenn ich es richtig erinnere, als „Schwachsinn“ bezeichnet. Und er hat recht. Denn reine Elektromobilität ist angesichts von so viel Braunkohle, die für die Batterien benötigt werden würde, um sie zu laden, ökologisch schlechter als moderne Verbrennungsmotoren.
Frage: Dann machen wir es persönlich. Auch Politikwissenschaftler kaufen Autos. Würden Sie einen Dieselwagen kaufen?
Lindner: Ich fahre gegenwärtig jedenfalls einen Benziner mit Plug-in-Hybrid, der also in der Innenstadt elektrisch fährt.
Frage: Mit anderen Worten: nein?
Lindner: Ich verstehe Ihren journalistischen Ehrgeiz, aber ich will wirklich nicht in Kaufentscheidungen in so einem sensiblen Bereich eingreifen. Ich sage es anders. Die neuen, die modernsten Diesel müssen auf Dauer auch für die Kunden ein sicheres Fortbewegungsmittel mit Blick auf die Innenstadt sein. Und dafür müssen wir alles tun.
Frage: Benziner oder Diesel? Luxusproblem für diejenigen, die sich am Strand von Nordafrika – brutaler Themenwechsel – ganz andere Fragen stellen. Möglicherweise werden diese Fragen auch schon Tausende von Kilometern weiter südlich gestellt. Da geht es ums nackte Überleben. Sie wollen die Mittelmeer-Route schließen. Richtig?
Lindner: Ja. Ich finde den Vorschlag des französischen Präsidenten Macron richtig und ärgere mich darüber, dass die Bundesregierung nicht unmittelbar Unterstützung signalisiert hat. Die Aufgabe ist in Nordafrika – und insbesondere in Libyen – die Auffanglager menschenwürdig zu gestalten im Gespräch mit den regionalen Autoritäten und auch mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Herr Macron hat signalisiert, dass Frankreich sich in dieser Frage stärker engagieren will als bisher. Das Angebot muss man annehmen, auch und gerade im Interesse der Menschen, die auch mit falschen Erwartungen sich in die Boote der Schlepper begeben und in Lebensgefahr geraten.
Frage: Sie kennen die Berichte über die Zustände in den – nennen wir es – Lagern in Libyen, staatliche Strukturen, die dort kaum existieren. Wie können Sie dann dafür plädieren, Menschen dorthin zurückzuschicken?
Lindner: Die Lager müssen verbessert werden. Aber es kann nicht sein, dass wir das Geschäft der Schlepper mittelbar dadurch unterstützen, dass die nicht seetauglichen Boote, in denen Menschen die Überfahrt versuchen, sozusagen zu einer Art sicheren Mittel gemacht werden, weil dann aus guten Motiven, aus edlen Motiven heraus aus diesen Booten Menschen herausgeholt und an die italienische Küste gebracht werden. Die Regellosigkeit und die Kontrollverluste, die wir erlebt haben in den letzten Jahren, ist alles andere als human, alles andere als liberal. Denn wir unterstützen damit mittelbar das Geschäft der Schlepper und wir wecken falsche Erwartungen bei Menschen, sie könnten ihr Glück in Europa finden, obwohl sie hier keine legale Bleibemöglichkeit haben.
Frage: Schließung der Mittelmeer-Route, wie passt das zu Ihrer gleichzeitigen Forderung, Flüchtlinge, ja, vorübergehend, aber sofort, wenn sie denn hier sind, mit einer Arbeitserlaubnis auszustatten? Das ist ein Pull-Faktor ersten Ranges.
Lindner: Ich glaube nein. Denn gegenwärtig haben wir die Situation durch unser komplexes Asylrecht, dass Menschen hier einen Asylantrag stellen. Der dauert sehr lange in der Prüfung, weil es einen hohen Prüfmaßstab gibt. Während dieser Zeit machen die Menschen de facto nichts. Und am Ende werden sie noch nicht einmal als Asylberechtigte anerkannt, sondern geduldet beziehungsweise erhalten den sogenannten subsidiären Schutz. Bleiben aber dann, weil sie sehr lange in Deutschland verweilen, als Härtefall vielleicht für alle Zeit. Und unser Vorschlag ist ein anderer. Wir wollen einen eigenen Flüchtlingsstatus haben. Das gibt es bereits in der Europäischen Einwanderungsrichtlinie von 2001. Wir nutzen es in Deutschland aber nicht, dieses Instrument. Das wollen wir ändern. Nach einer Identitätsfeststellung wird entschieden, ob jemand die Berechtigung hat, humanitären Schutz zu erhalten. Dann kann er bleiben. Oder er muss zum Beispiel nach Marokko ausreisen. Wenn die Menschen schnell eine Aufenthaltsgenehmigung haben, dann können sie gefördert werden, dann können sie sich um einen Arbeitsplatz bemühen und einen Beitrag also selbst leisten zur Integration. Wir haben ja nichts gegen Menschen, die sich in Deutschland integrieren und ihr Glück suchen. Aber am Ende gibt es keinen Automatismus. Und das ist für viele der Punkt, der möglicherweise Nachdenken macht, ob sie nach Deutschland kommen. Denn, wenn die alte Heimat befriedet ist, verlieren diese Menschen den Aufenthaltsstatus und müssen zurück.
Frage: Aber es bleibt doch das Dilemma, dass in dem Moment, wo die Menschen anfangen etwas zu tun, Integration beginnt und Ihr Ansatz, diese Menschen dann in großen Zahlen wieder zurückzuführen in ihre Heimat nach Beendigung eines Konflikts, dann immer schwieriger wird.
Lindner: Wenn jemand integriert ist, also die deutsche Sprache beherrscht, sich nichts hat zuschulden kommen lassen und die finanzielle Verantwortung durch Arbeit für den Lebensunterhalt seiner Familie bestreitet, warum sollten wir sie oder ihn wegschicken? Dann sollten wir dort legale Bleibemöglichkeiten im Sinne eines Einwanderungsgesetzes nach kanadischem Vorbild schaffen. Nur es darf nicht den Automatismus geben, dass diejenigen, die sich nicht integrieren, die keine Sprachkenntnisse erwerben, die möglicherweise noch nicht einmal unsere Rechtsordnung achten und die nur im Bezug von Sozialleistungen verharren, dass die auf Dauer bleiben, obwohl sie nicht mehr schutzbedürftig sind. Diesen Mechanismus wollen wir durchbrechen.
Frage: Aber es bleibt trotzdem der Widerspruch, dass Sie Menschen aus humanitären Gründen wegen ihrer Situation in der Heimat hier Schutz geben wollen und gleichzeitig alles tun wollen, damit diese Menschen Deutschland gar nicht erst erreichen.
Lindner: Nein. Diese Interpretation ist falsch. Auch Herr Macron sagt ja, dass in den zu verbessernden Auffanglagern in Nordafrika die Möglichkeit geschaffen werden soll, um Schutz in Europa nachzusuchen oder die legale Einreise als Arbeitskraft zu beantragen. Nur, was nicht sein kann, ist, dass wir einen unkontrollierten Zugang haben. Das muss geändert werden. Und, dass wer kommt, obwohl er keine Berechtigung hat, er oder sie dennoch auf Dauer in Europa oder in Deutschland verbleibt, in unserem Sozialsystem, das untergräbt nicht nur die Akzeptanz auch des humanitären Schutzes in der Bevölkerung, sondern wenn man diese Politik fortsetzt, führt sie am Ende zum Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung und jedes Systems der sozialen Sicherheit.
Frage: Sie hören das „Interview der Woche“ hier im Deutschlandfunk, wir sprechen mit Christian Lindner, dem Bundesvorsitzenden der Freien Demokraten. Herr Lindner, reden wir über Afghanistan. Dorthin wird jetzt wieder abgeschoben. Sie sagen, das ist okay, solange das Auswärtige Amt keine andere Einschätzung gibt. Richtig?
Lindner: Ich sage: Halten wir uns an das geltende Recht. Nach geltendem Recht entscheiden Gerichte über die Abschiebung. Das Kriterium ist, ob es in einem Land innerstaatliche Fluchtalternativen gibt, also, ob es stabile Regionen in einem Land gibt. Und dafür ist ausschlaggebend die Expertise, die die Bundesregierung gibt. An diesem Verfahren will ich nichts ändern. Ich bin dagegen, dass Politiker aus Betroffenheit oder aus Rührung in unseren Rechtsstaat in Einzelfällen eingreifen – so sehr ich das individuell verstehen kann. Auch hier plädiere ich dafür, die Regeln des Rechts anzuwenden, weil der Staat nur dann berechenbar ist.
Frage: Ihre in rechtsstaatlichen Dingen versierte Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht das anders. Ich vermute auch, sie würde sagen, nicht aus Rührung oder Betroffenheit. Was sieht sie falsch?
Lindner: Ich habe ja gerade geschildert, es entscheiden Gerichte und nicht Politiker. Frau Schnarrenberger hat einen entsprechenden Antrag auf unserem Parteitag unterstützt, nicht nach Afghanistan per se zurückzuführen. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. Der ebenfalls rechtsstaatlich sehr bewanderte Kollege Wolfgang Kubicki hat zu Recht ausgeführt, dass wir Vertrauen in den Rechtsstaat setzen müssen und zum anderen, dass wenn es generell keine Rückführung nach Afghanistan gibt, wir das Geschäft der Schlepper besorgen, weil die dann natürlich werben können mit dem Argument: „Gib mir 3.000 Dollar, ich bringe dich nach Deutschland. Wenn du einmal da bist, musst du nie wieder zurück.“
Frage: Ich habe mich bei Ihren Wahlkampfreden gewundert, dass Donald Trump als Person, als hochumstrittene politische Figur kaum eine Rolle spielt. Im Wahlprogramm werden die transatlantischen Beziehungen immer noch sehr hochgehalten, praktisch sakrosankt. Warum reden Sie so wenig über ihn?
Lindner: Ich nutze gern die Gelegenheit, mehr über Herrn Trump zu sprechen, denn ich finde es verstörend und schockierend, was in den Vereinigten Staaten passiert. Dieser Mann gefährdet die gesamte Liberalität der amerikanischen Gesellschaft. Er trägt als Präsident nicht dazu bei, die Nation hinter der Verfassung zu versammeln, sondern er ist spalterisch, indem er noch nicht einmal in der Lage ist, Nazi-Propaganda zu verurteilen. Auch seine außenpolitische Irrlichterei und seine abschottende Wirtschaftspolitik kann ich nicht begrüßen. Nur, das Verhältnis zu den USA, die transatlantischen Beziehungen, sind nicht geprägt alleine von einem Präsidenten Trump.
Frage: Schwenk auf die andere atomare Supermacht gegen Ende dieses Interviews. Wem galt Ihr Vorstoß, die völkerrechtliche Besetzung der Krim als – Zitat – „dauerhaftes Provisorium“ anzuerkennen und somit Bewegung in eine eingefrorene Situation zu bringen?
Lindner: Dieser Appell galt allen, die nicht an einer Eskalations- und Aufrüstungsspirale interessiert sind. In der bewegen wir uns ja gegenwärtig. Ich bin nicht bereit, der taten- und ideenlos zuzuschauen. Und deshalb habe ich erinnert an die Politik, die die Willy Brandts, Egon Bahrs, Hans-Dietrich Genschers und Walter Scheels eingeleitet haben, eine Politik, die Härte einerseits verbunden hat mit Dialogangeboten.
Frage: Ich frage: „Wem gilt diese Initiative?“, weil ich keinen Unterschied erkennen kann zwischen dem, was Sie eben skizziert haben und der aktuellen Politik. Ich vermute Frank-Walter Steinmeier würde sich auf die gleichen Wurzeln berufen und auch Angela Merkel, auch, wenn die Protagonisten in den 70er-Jahren Sozialdemokraten und Liberale waren, hat immer in der gesamten Krise, ob es um die Krim oder um den Osten der Ukraine ging, Sanktionen mit dem Angebot des Dialogs verbunden.
Lindner: Ich sehe schon eine Differenz. Ich sehe die Differenz zum einen, dass Herr Steinmeier bei der NATO-Präsenz in Osteuropa noch vor einiger Zeit von „Säbelrasseln“ gesprochen hat.
Frage: Aber er hat ja nicht mit dem Säbel gerasselt, sondern ganz im Gegenteil, so wie Sie, vor Säbelrasseln gewarnt. Sie warnen vor einer Aufrüstungsspirale.
Lindner: Das ist aber eben nicht meine Position, die von Herrn Steinmeier. Ich bin für Entschlossenheit im Umgang mit Russland, inklusive NATO-Präsenz in Osteuropa, auch der Bereitschaft Sanktionen zu verschärfen, der Bereitschaft die Nord-Stream-2-Pipeline, die Gespräche darüber sofort zu beenden, wenn Russland nicht in den Kooperationsmodus zurückkehrt. Der Unterschied ist aber: Ich glaube, Russland wird die Sackgasse nicht verlassen an der schwersten Stelle, in dem schwierigsten Konflikt, nämlich der Krim. Und deshalb ist der Vorschlag: Wie akzeptieren diesen Völkerrechtsbruch nicht. Da gibt es weiter Sanktionen. Keine Siemens-Turbinen auf die Krim. Aber an anderen Stellen prüfen wir, ob Russland bereit ist, die autoritäre, die aggressive Politik einzustellen. Und, wenn es dazu bereit ist, dann muss es möglich sein, auch, wenn bei der Krim noch nichts in Bewegung geraten ist, dennoch Sanktionen Schritt für Schritt zu lockern.
Frage: Wir haben lange über Außenpolitik gesprochen. Nach der Wahl geht es vermutlich sehr schnell um einen Schulterschluss mit Emmanuel Macron. Stehen Sie da in dieser Hinsicht an der Seite des deutschen Finanzministers oder ist das ein erstes schwieriges Thema, wenn es um mögliche Koalitionsverhandlungen geht?
Lindner: Für Deutschland wird das ein schwieriges Thema sein im Gespräch mit Frankreich. Wenn Herr Macron von einem Budget, einem eigenen Haushalt für die Eurogruppe spricht, dann melde ich Zweifel an, ob Deutschland dem zustimmen darf.
Frage: Neue Regeln für den ESM, möglicherweise eine andere Nutzung.
Lindner: Eine Weiterentwicklung des ESM könnte man darunter verstehen, ein Budget für die Eurogruppe. Alles, was darauf hinausläuft, dass es einen automatischen Finanzausgleich in der Eurozone gibt, automatisch gezahlte Transfers über den europäischen Umweg aus dem deutschen Haushalt in den französischen halte ich für nicht akzeptabel und nicht zustimmungsfähig.
Frage: Ist das in dieser Rigorosität dann einer der zehn Prüfsteine, die Sie formulieren wollen, für mögliche Regierungsbildungen?
Lindner: Die FDP wird tatsächlich einer Transfer-Union auf keinen Fall zustimmen. Automatische Transferzahlungen und Vergemeinschaftung von Schulden für Konsumpolitik können wir nicht unterstützen.
Frage: Diese zehn Prüfsteine, die da formuliert werden, sind das wirklich ehrliche Mindestanforderungen, ohne die es keine Beteiligung der FDP geben wird? Oder ist das etwas Weicheres?
Lindner: Es sind die Positionen, die für uns wichtig sind und an denen wir festmachen, ob es einen Politikwechsel gibt. So, wie wir das in Nordrhein-Westfalen ja vor der Wahl auch gemacht haben.
Frage: Einwanderungsgesetz gehört dazu?
Lindner: Da gehört eine andere strategische Zuwanderungspolitik dazu. Es gehört dazu, dass die Belastung der Menschen bei Steuern und Sozialabgaben nicht steigen darf, sondern sinken muss. Es gehört eine Priorität für die Bildungspolitik dazu und natürlich, dass die Digitalisierung endlich Tempo aufnimmt, sowohl beim Glasfaserausbau als auch bei der öffentlichen Verwaltung.
Frage: Zum Schluss, Herr Lindner, Parteivorsitzender, Mandatsträger, Wahlkämpfer – ich habe die Mehrfachbelastung angesprochen. Sie machen gleichzeitig den Jagdschein?
Lindner: Den Versuch habe ich unternommen, aber nach der NRW-Landtagswahl standen Koalitionsgespräche an und an meinem eigentlich vorgesehenen Prüfungstermin am 06.06. saßen wir in der Runde zusammen und haben eher über das Jagdgesetz gesprochen, als dass ich selber den Jagdschein hätte absolvieren können. Nächstes Jahr.
Frage: Sie plakatieren Ungeduld als Tugend. Damit kommen Sie als Jäger nicht weit.
Lindner: Es gibt auch die Drückjagd, Herr Remme. Und, wenn wir das jetzt übertragen – das soll sich nicht zu martialisch anhören, aber ich glaube ja, dass die wahrscheinlichste nächste Regierung wieder eine Große Koalition ist und die Eigenschaften des Drückjägers, die würde ich mir dann im Bundestag tatsächlich mal wünschen, denn Grüne und Linkspartei haben doch die Große Koalition in den vergangenen vier Jahren so sehr geschont, dass es doch eine Belebung des politischen Geschäfts und auch Ihres journalistischen Geschäfts als Beobachter wäre, wenn mal eine frische Farbe ins Parlament käme.
LINDNER-Interview: Fahrverbote müssen um jeden Preis verhindert werden
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Klaus Remme:
Frage: Herr Lindner, lassen Sie mich mal etwas leichter anfangen. Hat sich die Firma Vorwerk schon bei Ihnen gemeldet?
Lindner: Nein, die Firma Vorwerk hat sich bei mir noch nicht gemeldet. War ja auch nicht unsere Idee, sondern das kam aus den Tiefen des Netzes. Das war die Twitter-Kreativität, die – ja – aus Bildern von mir diese wunderbare Vorwerk-Werbung gemacht hat. Ich liebe ganz besonders die Bilder von Armin Laschet und mir, wo ich ihm versuche, dieses Haushaltsgerät aufs Auge zu drücken.
Frage: Sie sind also unfreiwillig Werbeträger für ein Küchengerät, ein beliebtes, geworden, das keine weitere Werbung nötig hat, habe ich den Eindruck. Ärgert Sie so was?
Lindner: Nein, warum? Das ist doch sympathisch. Und ich meine, also, ein modernes Küchengerät, das vernetzt arbeitet, also die Digitalisierung in die Küche trägt, Menschen glücklich macht und ihnen ermöglicht, gesund zu essen, also, es gäbe schlimmere Produkte, für die ich mich nicht so gerne vereinnahmen lassen würde.
Frage: Für mich passt es in Bemerkungen, die ich jetzt auch bei Wahlkampfveranstaltungen von Ihnen gehört habe, wenn es um die Schwarz-weiß-Plakate Ihrer Medienkampagne geht und jemand sagt: „Er könnte mit diesen Fotos auch Hemden verkaufen. Oder aber verkauft er möglicherweise Parfums?“ Beides habe ich gehört. Ist Politik, wenn man das ein bisschen verlängert, eben auch Ware?
Lindner: Nein. Das ist sie nicht und das darf sie nicht sein. Aber zum Verfassungsauftrag der Parteien gehört es, die Willensbildung der Menschen anzuregen. Und dann muss man natürlich Reibungsfläche bieten – thematisch. Man muss dahin gehen, wo die Menschen sind, muss auch mit Kampagnen versuchen, Gespräche zu erzeugen. Der Wahlkampf ist ohnehin so lahm und so langweilig, dass wir sowohl in der Sache, durch Debattenbeiträge, in der Außenpolitik – Frage Russland –, in der Innenpolitik – Frage Digitalisierung und Entlastung –, versuchen mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Und natürlich auch in der Darreichungsform von Politik wollen wir zeigen, dass wir moderner sind, und dass wir anders sind als die anderen.
Frage: Jetzt sind Sie am Ende eines Weges, den Sie skizziert haben unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Bund 2013, mit dem Zielpunkt der Bundestagswahl 2017. Es gab Phasen, 2014 schwieriger Wahlkalender, es gab Phasen wie die zurückliegenden Monate, wo der Wahlkalender wie gebacken schien in der Abfolge der Landtagswahl. Gab es eine Passage, in der Sie am Gelingen dieses Projekts gezweifelt haben?
Lindner: Der Herbst 2014 war schon sehr hart. Ich habe nicht gezweifelt, dass wir es am Ende schaffen, aber es war sicherlich die Phase, die für die Öffentlichkeit oder in der Öffentlichkeit und innerhalb der FDP die kritischste war. Warum? Wir hatten bei der Europawahl und bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen nicht den Erfolg, den wir uns gewünscht hätten. Und da gab es natürlich viele kritische Stimmen innerhalb der Partei. Von außen wurde gefragt: „War es das jetzt mit der FDP?“ Es kam auch mal eine neue Kursdebatte auf. Plötzlich gab es einige, die wollten die FDP doch in Richtung auf eine Protestpartei positionieren. Es gab Vorstellungen, dass wir insbesondere pauschale Islamkritik zum Thema machen sollten – wohlgemerkt vor der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 schon. Insofern, das war eine kritische Phase, die ja durchaus Disziplin und Selbstironie erfordert hat.
Frage: Jetzt haben Sie ja ein Wahlprogramm als Partei verabschiedet, über 200 Seiten lang. Das ist selbst fürs „Interview der Woche“ im Deutschlandfunk ein wenig viel. Konzentrieren wir uns auf vier, fünf Punkte in der aktuellen Diskussion. Sie werden möglicherweise das Programm damit verbinden können. Air Berlin – es läuft eine Rettungsaktion, wenn nicht für das Unternehmen, dann für Arbeitsplätze, mit staatlichen Geldern. Richtig so?
Lindner: Nein, ist falsch. Es muss für große Unternehmen dasselbe gelten wie für die Bäckerei um die Ecke. Es kann nicht immer der Bundesadler kommen, also der Staat, wenn große Unternehmen schlecht gemanagt werden und bei den kleinen Unternehmen gibt es nur den Pleitegeier. Das verträgt sich nicht mit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung.
Frage: Aber es ging um 150 Millionen. Es geht um wenige Monate. Es ging um Touristen, die zurückmussten.
Lindner: Wegen der infrastrukturellen Notlage, die Touristen aus dem Ausland nach Deutschland zurückzubringen, habe ich Verständnis für diesen Notkredit gehabt. Ich verstehe das Motiv. Aber man hätte ihn vermeiden können, wenn die Bundesregierung mit dem Anteilseigner Etihad vorher gesprochen hätte. Das ist eine Staatsairline. Da hätte man also auch seitens der Bundesregierung Einfluss nehmen können, sodass es zu einem geordneten Übergang kommt. Und zum anderen wollen wir die Bundesregierung jetzt beim Wort nehmen. Es hieß: Die 150 Millionen – dabei bleibt es. Darauf werden wir die Regierung festlegen. Und zum Zweiten: Es darf nicht ein neuer Monopolist in Deutschland im Luftverkehr entstehen mit der Lufthansa, die die Slots und Maschinen übernimmt.
Frage: Das heißt, was wäre die beste Lösung?
Lindner: Es muss eine Aufteilung geben für mehrere Interessenten, die Teile bekommen. Jedenfalls muss es Wettbewerb innerhalb Deutschlands geben. Alles andere wäre übrigens dann auch ein Fall für die Kartellbehörden, denn die Regierung ist Schiedsrichter und sie ist verpflichtet vor allen Dingen, uns, den Bürgerinnen und Bürgern als Steuerzahler und als Kunden, damit nicht Einzelne so mächtig werden, dass sie die Regeln des Spiels und die Preise diktieren. Das gilt bei Air Berlin. Das galt auch im Lebensmitteleinzelhandel, wo eine Fusion gebilligt worden ist, durch die die Preise steigen könnten. Das gilt auch bei Google. Und ich war stolz, als unsere liberale Wettbewerbskommissarin bei Google die Manipulation von Suchmaschinenergebnissen einmal mit einer hohen Strafzahlung belegt hat. Diese Konsequenz, Marktwirtschaft zu verteidigen, die wünsche ich mir auch von einer zukünftigen Bundesregierung.
Frage: Sie sind Porsche-Fahrer, seit Jahrzehnten schon. Klingt fast lustig mit Ihren 38 Jahren. Ich sehe hier auf der Fensterbank Modelle, von denen Sie mir wahrscheinlich schnell sagen können, was es ist. Sagen wir es kurz. Ein BMW im Plexiglaskasten – besonderes Modell?
Lindner: Ja. Das ist ein BMW 320i aus der Tourenwagen-Gruppe 5, Jahrgang 1977.
Frage: Und da hinten?
Lindner: Da hinten das ist nur Kunst. Aber das ist, glaube ich, inspiriert von den Silberpfeilen, also den Mercedes-Rennwagen der 30er- und auch 50er-Jahre. Damals waren übrigens alle Autos silbern, die aus Deutschland kamen, weil nicht irgendwelche Werbebotschaften das Auto geprägt haben, sondern jede Nationalität hat eine Farbe bekommen. Ferrari ist deshalb auch rot, weil die Farbe Italiens im klassischen Rennsport Rot war.
Frage: Jetzt kann man losdifferenzieren. Insgesamt steht die deutsche Autoindustrie am Pranger, eigentlich wie nie zuvor. Zu Recht?
Lindner: Ja. Die Automobilindustrie steht zurecht in der Kritik, denn die Fahrzeuge, die die Menschen gekauft haben, die halten nicht das, was versprochen worden ist. Da ist manipuliert worden beim Diesel. Und deshalb kann es da keine falsche Rücksichtnahme geben. Die Kundinnen und Kunden müssen entschädigt werden, so, wie die Kunden von VW auch in den Vereinigten Staaten. Das heißt, ein Software-Update reicht nicht aus. Nötigenfalls muss der Motor umgebaut werden, wenn die Kunden das wünschen oder eine andere Einigung erzielt werden. Da muss man in Kauf nehmen, dass die Aktionäre, beispielsweise von VW, dann einige Jahre keine Dividende erhalten. Sie hätten vorher eben andere Vorstände benennen müssen.
Frage: Und sind, wenn es verbindliche Luftbelastungswerte gibt und diese überschritten werden, Fahrverbote das einzig mögliche unmittelbare Mittel, um diese Werte zu verbessern?
Lindner: Nein. Fahrverbote müssen um jeden Preis verhindert werden, weil das eine Enteignung der Dieselfahrer wäre. Und deshalb müssen alle möglichen Maßnahmen jetzt schnell umgesetzt werden, von der Elektrifizierung des öffentlichen Verkehrs, also Busse oder auch die Müllabfuhr, über die Sanierung von Heizungen, die Modernisierung von Heizungen in den Großstädten, intelligente Verkehrsführung, damit es überhaupt gar nicht zu Stauungen kommt. Also, das gesamte Maßnahmenpaket muss auf den Tisch, damit Fahrverbote ...
Frage: Aber diese Maßnahmen, die brauchen mehr Zeit, als dass Gerichte Urteile verhängen werden.
Lindner: Ich sehe sehr kritisch, wie gegenwärtig hier auch ideologisiert gearbeitet wird. Und ich hinterfrage auch die Motive der Deutschen Umwelthilfe. Das ist kein gemeinnütziger Verein.
Frage: Auch die der Justiz?
Lindner: Die Justiz urteilt das, was an Antrag vorgelegt wird, also was an Klage eingereicht wird auf der Grundlage von Grenzwerten, die aus Brüssel kommen. Und ich will darauf hinweisen: Die Deutsche Umwelthilfe ist keine gemeinnützige Organisation, wie das Bundesumweltamt auch keine Behörde, sondern da gibt es auch ökonomische Interessen, die im Spiel sind. Da gibt es auch Sponsorengelder. Damit das nur mal klar ist, dass wir hier Zeugen werden auch einer Auseinandersetzung um Technologien und um Marktanteile. Und deshalb: Der Staat als Schiedsrichter muss alle Maßnahmen einleiten, um hier Wettbewerbsneutralität zu erhalten, Technologieoffenheit zu erhalten, um die Dieselfahrer auch zu schützen, die eben darauf vertrauten, dass wenn sie vor wenigen Jahren ein Auto gekauft haben, damit auch länger arbeiten und fahren können.
Frage: Benziner oder Diesel? Was raten Sie einem Verbraucher, der heute oder morgen vor dieser Frage steht?
Lindner: Ich beteilige mich nicht als Politikwissenschaftler an Ratschlägen und ich bin auch kein Verbraucherschützer und bin auch kein Ingenieur. Und generell wundere ich mich darüber, wie stark die Politik hier eingreift. Ich empfehle einen anderen Zugang. Wir geben Ziele vor – Klimaschutz, Klimaschutzziele. Aber der Weg dahin, sowohl bei der Energieerzeugung als auch bei der Mobilität, der sollte der Kreativität der Ingenieure vorbehalten bleiben. Wir brauchen Technologieoffenheit. Mich hat verstört, dass Frau Merkel sich das von den Grünen ausgegebene Ziel nahezu zu eigen gemacht hat, im Jahr 2030 auf den Verbrennungsmotor zu verzichten. Der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann, der den Grünen angehört, hat das Programm der Grünen in diesem Punkt, wenn ich es richtig erinnere, als „Schwachsinn“ bezeichnet. Und er hat recht. Denn reine Elektromobilität ist angesichts von so viel Braunkohle, die für die Batterien benötigt werden würde, um sie zu laden, ökologisch schlechter als moderne Verbrennungsmotoren.
Frage: Dann machen wir es persönlich. Auch Politikwissenschaftler kaufen Autos. Würden Sie einen Dieselwagen kaufen?
Lindner: Ich fahre gegenwärtig jedenfalls einen Benziner mit Plug-in-Hybrid, der also in der Innenstadt elektrisch fährt.
Frage: Mit anderen Worten: nein?
Lindner: Ich verstehe Ihren journalistischen Ehrgeiz, aber ich will wirklich nicht in Kaufentscheidungen in so einem sensiblen Bereich eingreifen. Ich sage es anders. Die neuen, die modernsten Diesel müssen auf Dauer auch für die Kunden ein sicheres Fortbewegungsmittel mit Blick auf die Innenstadt sein. Und dafür müssen wir alles tun.
Frage: Benziner oder Diesel? Luxusproblem für diejenigen, die sich am Strand von Nordafrika – brutaler Themenwechsel – ganz andere Fragen stellen. Möglicherweise werden diese Fragen auch schon Tausende von Kilometern weiter südlich gestellt. Da geht es ums nackte Überleben. Sie wollen die Mittelmeer-Route schließen. Richtig?
Lindner: Ja. Ich finde den Vorschlag des französischen Präsidenten Macron richtig und ärgere mich darüber, dass die Bundesregierung nicht unmittelbar Unterstützung signalisiert hat. Die Aufgabe ist in Nordafrika – und insbesondere in Libyen – die Auffanglager menschenwürdig zu gestalten im Gespräch mit den regionalen Autoritäten und auch mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Herr Macron hat signalisiert, dass Frankreich sich in dieser Frage stärker engagieren will als bisher. Das Angebot muss man annehmen, auch und gerade im Interesse der Menschen, die auch mit falschen Erwartungen sich in die Boote der Schlepper begeben und in Lebensgefahr geraten.
Frage: Sie kennen die Berichte über die Zustände in den – nennen wir es – Lagern in Libyen, staatliche Strukturen, die dort kaum existieren. Wie können Sie dann dafür plädieren, Menschen dorthin zurückzuschicken?
Lindner: Die Lager müssen verbessert werden. Aber es kann nicht sein, dass wir das Geschäft der Schlepper mittelbar dadurch unterstützen, dass die nicht seetauglichen Boote, in denen Menschen die Überfahrt versuchen, sozusagen zu einer Art sicheren Mittel gemacht werden, weil dann aus guten Motiven, aus edlen Motiven heraus aus diesen Booten Menschen herausgeholt und an die italienische Küste gebracht werden. Die Regellosigkeit und die Kontrollverluste, die wir erlebt haben in den letzten Jahren, ist alles andere als human, alles andere als liberal. Denn wir unterstützen damit mittelbar das Geschäft der Schlepper und wir wecken falsche Erwartungen bei Menschen, sie könnten ihr Glück in Europa finden, obwohl sie hier keine legale Bleibemöglichkeit haben.
Frage: Schließung der Mittelmeer-Route, wie passt das zu Ihrer gleichzeitigen Forderung, Flüchtlinge, ja, vorübergehend, aber sofort, wenn sie denn hier sind, mit einer Arbeitserlaubnis auszustatten? Das ist ein Pull-Faktor ersten Ranges.
Lindner: Ich glaube nein. Denn gegenwärtig haben wir die Situation durch unser komplexes Asylrecht, dass Menschen hier einen Asylantrag stellen. Der dauert sehr lange in der Prüfung, weil es einen hohen Prüfmaßstab gibt. Während dieser Zeit machen die Menschen de facto nichts. Und am Ende werden sie noch nicht einmal als Asylberechtigte anerkannt, sondern geduldet beziehungsweise erhalten den sogenannten subsidiären Schutz. Bleiben aber dann, weil sie sehr lange in Deutschland verweilen, als Härtefall vielleicht für alle Zeit. Und unser Vorschlag ist ein anderer. Wir wollen einen eigenen Flüchtlingsstatus haben. Das gibt es bereits in der Europäischen Einwanderungsrichtlinie von 2001. Wir nutzen es in Deutschland aber nicht, dieses Instrument. Das wollen wir ändern. Nach einer Identitätsfeststellung wird entschieden, ob jemand die Berechtigung hat, humanitären Schutz zu erhalten. Dann kann er bleiben. Oder er muss zum Beispiel nach Marokko ausreisen. Wenn die Menschen schnell eine Aufenthaltsgenehmigung haben, dann können sie gefördert werden, dann können sie sich um einen Arbeitsplatz bemühen und einen Beitrag also selbst leisten zur Integration. Wir haben ja nichts gegen Menschen, die sich in Deutschland integrieren und ihr Glück suchen. Aber am Ende gibt es keinen Automatismus. Und das ist für viele der Punkt, der möglicherweise Nachdenken macht, ob sie nach Deutschland kommen. Denn, wenn die alte Heimat befriedet ist, verlieren diese Menschen den Aufenthaltsstatus und müssen zurück.
Frage: Aber es bleibt doch das Dilemma, dass in dem Moment, wo die Menschen anfangen etwas zu tun, Integration beginnt und Ihr Ansatz, diese Menschen dann in großen Zahlen wieder zurückzuführen in ihre Heimat nach Beendigung eines Konflikts, dann immer schwieriger wird.
Lindner: Wenn jemand integriert ist, also die deutsche Sprache beherrscht, sich nichts hat zuschulden kommen lassen und die finanzielle Verantwortung durch Arbeit für den Lebensunterhalt seiner Familie bestreitet, warum sollten wir sie oder ihn wegschicken? Dann sollten wir dort legale Bleibemöglichkeiten im Sinne eines Einwanderungsgesetzes nach kanadischem Vorbild schaffen. Nur es darf nicht den Automatismus geben, dass diejenigen, die sich nicht integrieren, die keine Sprachkenntnisse erwerben, die möglicherweise noch nicht einmal unsere Rechtsordnung achten und die nur im Bezug von Sozialleistungen verharren, dass die auf Dauer bleiben, obwohl sie nicht mehr schutzbedürftig sind. Diesen Mechanismus wollen wir durchbrechen.
Frage: Aber es bleibt trotzdem der Widerspruch, dass Sie Menschen aus humanitären Gründen wegen ihrer Situation in der Heimat hier Schutz geben wollen und gleichzeitig alles tun wollen, damit diese Menschen Deutschland gar nicht erst erreichen.
Lindner: Nein. Diese Interpretation ist falsch. Auch Herr Macron sagt ja, dass in den zu verbessernden Auffanglagern in Nordafrika die Möglichkeit geschaffen werden soll, um Schutz in Europa nachzusuchen oder die legale Einreise als Arbeitskraft zu beantragen. Nur, was nicht sein kann, ist, dass wir einen unkontrollierten Zugang haben. Das muss geändert werden. Und, dass wer kommt, obwohl er keine Berechtigung hat, er oder sie dennoch auf Dauer in Europa oder in Deutschland verbleibt, in unserem Sozialsystem, das untergräbt nicht nur die Akzeptanz auch des humanitären Schutzes in der Bevölkerung, sondern wenn man diese Politik fortsetzt, führt sie am Ende zum Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung und jedes Systems der sozialen Sicherheit.
Frage: Sie hören das „Interview der Woche“ hier im Deutschlandfunk, wir sprechen mit Christian Lindner, dem Bundesvorsitzenden der Freien Demokraten. Herr Lindner, reden wir über Afghanistan. Dorthin wird jetzt wieder abgeschoben. Sie sagen, das ist okay, solange das Auswärtige Amt keine andere Einschätzung gibt. Richtig?
Lindner: Ich sage: Halten wir uns an das geltende Recht. Nach geltendem Recht entscheiden Gerichte über die Abschiebung. Das Kriterium ist, ob es in einem Land innerstaatliche Fluchtalternativen gibt, also, ob es stabile Regionen in einem Land gibt. Und dafür ist ausschlaggebend die Expertise, die die Bundesregierung gibt. An diesem Verfahren will ich nichts ändern. Ich bin dagegen, dass Politiker aus Betroffenheit oder aus Rührung in unseren Rechtsstaat in Einzelfällen eingreifen – so sehr ich das individuell verstehen kann. Auch hier plädiere ich dafür, die Regeln des Rechts anzuwenden, weil der Staat nur dann berechenbar ist.
Frage: Ihre in rechtsstaatlichen Dingen versierte Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht das anders. Ich vermute auch, sie würde sagen, nicht aus Rührung oder Betroffenheit. Was sieht sie falsch?
Lindner: Ich habe ja gerade geschildert, es entscheiden Gerichte und nicht Politiker. Frau Schnarrenberger hat einen entsprechenden Antrag auf unserem Parteitag unterstützt, nicht nach Afghanistan per se zurückzuführen. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. Der ebenfalls rechtsstaatlich sehr bewanderte Kollege Wolfgang Kubicki hat zu Recht ausgeführt, dass wir Vertrauen in den Rechtsstaat setzen müssen und zum anderen, dass wenn es generell keine Rückführung nach Afghanistan gibt, wir das Geschäft der Schlepper besorgen, weil die dann natürlich werben können mit dem Argument: „Gib mir 3.000 Dollar, ich bringe dich nach Deutschland. Wenn du einmal da bist, musst du nie wieder zurück.“
Frage: Ich habe mich bei Ihren Wahlkampfreden gewundert, dass Donald Trump als Person, als hochumstrittene politische Figur kaum eine Rolle spielt. Im Wahlprogramm werden die transatlantischen Beziehungen immer noch sehr hochgehalten, praktisch sakrosankt. Warum reden Sie so wenig über ihn?
Lindner: Ich nutze gern die Gelegenheit, mehr über Herrn Trump zu sprechen, denn ich finde es verstörend und schockierend, was in den Vereinigten Staaten passiert. Dieser Mann gefährdet die gesamte Liberalität der amerikanischen Gesellschaft. Er trägt als Präsident nicht dazu bei, die Nation hinter der Verfassung zu versammeln, sondern er ist spalterisch, indem er noch nicht einmal in der Lage ist, Nazi-Propaganda zu verurteilen. Auch seine außenpolitische Irrlichterei und seine abschottende Wirtschaftspolitik kann ich nicht begrüßen. Nur, das Verhältnis zu den USA, die transatlantischen Beziehungen, sind nicht geprägt alleine von einem Präsidenten Trump.
Frage: Schwenk auf die andere atomare Supermacht gegen Ende dieses Interviews. Wem galt Ihr Vorstoß, die völkerrechtliche Besetzung der Krim als – Zitat – „dauerhaftes Provisorium“ anzuerkennen und somit Bewegung in eine eingefrorene Situation zu bringen?
Lindner: Dieser Appell galt allen, die nicht an einer Eskalations- und Aufrüstungsspirale interessiert sind. In der bewegen wir uns ja gegenwärtig. Ich bin nicht bereit, der taten- und ideenlos zuzuschauen. Und deshalb habe ich erinnert an die Politik, die die Willy Brandts, Egon Bahrs, Hans-Dietrich Genschers und Walter Scheels eingeleitet haben, eine Politik, die Härte einerseits verbunden hat mit Dialogangeboten.
Frage: Ich frage: „Wem gilt diese Initiative?“, weil ich keinen Unterschied erkennen kann zwischen dem, was Sie eben skizziert haben und der aktuellen Politik. Ich vermute Frank-Walter Steinmeier würde sich auf die gleichen Wurzeln berufen und auch Angela Merkel, auch, wenn die Protagonisten in den 70er-Jahren Sozialdemokraten und Liberale waren, hat immer in der gesamten Krise, ob es um die Krim oder um den Osten der Ukraine ging, Sanktionen mit dem Angebot des Dialogs verbunden.
Lindner: Ich sehe schon eine Differenz. Ich sehe die Differenz zum einen, dass Herr Steinmeier bei der NATO-Präsenz in Osteuropa noch vor einiger Zeit von „Säbelrasseln“ gesprochen hat.
Frage: Aber er hat ja nicht mit dem Säbel gerasselt, sondern ganz im Gegenteil, so wie Sie, vor Säbelrasseln gewarnt. Sie warnen vor einer Aufrüstungsspirale.
Lindner: Das ist aber eben nicht meine Position, die von Herrn Steinmeier. Ich bin für Entschlossenheit im Umgang mit Russland, inklusive NATO-Präsenz in Osteuropa, auch der Bereitschaft Sanktionen zu verschärfen, der Bereitschaft die Nord-Stream-2-Pipeline, die Gespräche darüber sofort zu beenden, wenn Russland nicht in den Kooperationsmodus zurückkehrt. Der Unterschied ist aber: Ich glaube, Russland wird die Sackgasse nicht verlassen an der schwersten Stelle, in dem schwierigsten Konflikt, nämlich der Krim. Und deshalb ist der Vorschlag: Wie akzeptieren diesen Völkerrechtsbruch nicht. Da gibt es weiter Sanktionen. Keine Siemens-Turbinen auf die Krim. Aber an anderen Stellen prüfen wir, ob Russland bereit ist, die autoritäre, die aggressive Politik einzustellen. Und, wenn es dazu bereit ist, dann muss es möglich sein, auch, wenn bei der Krim noch nichts in Bewegung geraten ist, dennoch Sanktionen Schritt für Schritt zu lockern.
Frage: Wir haben lange über Außenpolitik gesprochen. Nach der Wahl geht es vermutlich sehr schnell um einen Schulterschluss mit Emmanuel Macron. Stehen Sie da in dieser Hinsicht an der Seite des deutschen Finanzministers oder ist das ein erstes schwieriges Thema, wenn es um mögliche Koalitionsverhandlungen geht?
Lindner: Für Deutschland wird das ein schwieriges Thema sein im Gespräch mit Frankreich. Wenn Herr Macron von einem Budget, einem eigenen Haushalt für die Eurogruppe spricht, dann melde ich Zweifel an, ob Deutschland dem zustimmen darf.
Frage: Neue Regeln für den ESM, möglicherweise eine andere Nutzung.
Lindner: Eine Weiterentwicklung des ESM könnte man darunter verstehen, ein Budget für die Eurogruppe. Alles, was darauf hinausläuft, dass es einen automatischen Finanzausgleich in der Eurozone gibt, automatisch gezahlte Transfers über den europäischen Umweg aus dem deutschen Haushalt in den französischen halte ich für nicht akzeptabel und nicht zustimmungsfähig.
Frage: Ist das in dieser Rigorosität dann einer der zehn Prüfsteine, die Sie formulieren wollen, für mögliche Regierungsbildungen?
Lindner: Die FDP wird tatsächlich einer Transfer-Union auf keinen Fall zustimmen. Automatische Transferzahlungen und Vergemeinschaftung von Schulden für Konsumpolitik können wir nicht unterstützen.
Frage: Diese zehn Prüfsteine, die da formuliert werden, sind das wirklich ehrliche Mindestanforderungen, ohne die es keine Beteiligung der FDP geben wird? Oder ist das etwas Weicheres?
Lindner: Es sind die Positionen, die für uns wichtig sind und an denen wir festmachen, ob es einen Politikwechsel gibt. So, wie wir das in Nordrhein-Westfalen ja vor der Wahl auch gemacht haben.
Frage: Einwanderungsgesetz gehört dazu?
Lindner: Da gehört eine andere strategische Zuwanderungspolitik dazu. Es gehört dazu, dass die Belastung der Menschen bei Steuern und Sozialabgaben nicht steigen darf, sondern sinken muss. Es gehört eine Priorität für die Bildungspolitik dazu und natürlich, dass die Digitalisierung endlich Tempo aufnimmt, sowohl beim Glasfaserausbau als auch bei der öffentlichen Verwaltung.
Frage: Zum Schluss, Herr Lindner, Parteivorsitzender, Mandatsträger, Wahlkämpfer – ich habe die Mehrfachbelastung angesprochen. Sie machen gleichzeitig den Jagdschein?
Lindner: Den Versuch habe ich unternommen, aber nach der NRW-Landtagswahl standen Koalitionsgespräche an und an meinem eigentlich vorgesehenen Prüfungstermin am 06.06. saßen wir in der Runde zusammen und haben eher über das Jagdgesetz gesprochen, als dass ich selber den Jagdschein hätte absolvieren können. Nächstes Jahr.
Frage: Sie plakatieren Ungeduld als Tugend. Damit kommen Sie als Jäger nicht weit.
Lindner: Es gibt auch die Drückjagd, Herr Remme. Und, wenn wir das jetzt übertragen – das soll sich nicht zu martialisch anhören, aber ich glaube ja, dass die wahrscheinlichste nächste Regierung wieder eine Große Koalition ist und die Eigenschaften des Drückjägers, die würde ich mir dann im Bundestag tatsächlich mal wünschen, denn Grüne und Linkspartei haben doch die Große Koalition in den vergangenen vier Jahren so sehr geschont, dass es doch eine Belebung des politischen Geschäfts und auch Ihres journalistischen Geschäfts als Beobachter wäre, wenn mal eine frische Farbe ins Parlament käme.