FDP|
30.06.2017 - 08:15KUBICKI-Gastbeitrag: Der Staat als Hacker
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für die „WirtschaftsWoche“ (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Vergangene Woche hat die Qualität der Überwachungsmöglichkeiten in Deutschland eine neue Dimension erreicht. Die große Koalition hat die Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und der Onlinedurchsuchung beschlossen. Mitbekommen hat das kaum jemand. Genau das haben Union und SPD gewollt. Sie hatten die Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen in einem Änderungsantrag für ein laufendes, unverfängliches Gesetzesvorhaben versteckt. Der sogenannte Staatstrojaner hat seinem Namen alle Ehre gemacht und sich heimlich in ein anderes Gesetz geschlichen, um still und leise abgesegnet zu werden.
Der Polizei wird damit ermöglicht, heimlich eine Schadsoftware auf mobile Endgeräte oder Computer zu spielen, um die Kommunikation des Nutzers mitzuschneiden. Klarer formuliert: Der Staat kann künftig Smartphones seiner Bürger hacken. Hintergrund ist, dass Messengerdienste wie WhatsApp eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen, also eine Nachricht vor dem Absenden codiert und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt wird. Weil die Dechiffrierung dieser Codes bislang nicht gelungen ist, wollen die Behörden bei der Quelle selbst mitlesen.
Grundsätzlich sollte die Polizei bei einem Strafverdacht natürlich auch WhatsApp-Nachrichten mitlesen dürfen, so wie sie in weniger modernen Kommunikationszeiten Telefone abhören konnte. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Wer ein Smartphone hackt, erhält Zugang zu weit mehr Informationen als derjenige, der ein normales Telefon abhört. Und man bekommt nicht nur den Zugriff auf nahezu alle relevanten Daten des Nutzers, man hat auch die Möglichkeit, Standortdaten zu erfassen, Handymikrofon und -kamera an- und auszuschalten oder sogar Daten zu verändern.
Das weiß natürlich auch der Bundesinnenminister. Deshalb versichert er, man werde allein die laufende Kommunikation mitlesen, nicht aber auf gespeicherte Daten zugreifen. Es soll also einen limitierten, quasi verfassungsgemäßen Trojaner geben. Experten sind sich jedoch einig, dass das technisch gar nicht möglich ist. Nicht anders war es beim ersten Staatstrojaner, bei dem der Chaos Computer Club herausfand, dass dieser weit mehr konnte, als es unser Grundgesetz zuließ. Verfassungsrechtlich genauso bedenklich ist der weite Anwendungsbereich. Es geht hier keinesfalls nur um die Bekämpfung des Terrorismus. Möglich werden sollen Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung bei 38 – zweifelsohne schweren – Straftatbeständen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen darüber hinaus auch für die Gefahrenabwehr nutzbar gemacht werden können.
Dabei bezweifelt niemand, dass neue Bedrohungen auch eine entsprechende Reaktion des Staates erfordern. Es ist auch falsch, bei jeder Änderung der Sicherheitsgesetze gleich den Überwachungsstaat an die Wand zu malen. Mit dem Tandem Heiko Maas und Thomas de Maizière hat sich aber eine unheilvolle Allianz gebildet. Der Innenminister verficht einen maßlosen Überwachungseifer, dem anderen ist – symptomatisch für die SPD – die bürgerrechtsorientierte Freiheitsidee inzwischen vollends abhandengekommen. Also produzieren beide fleißig Sicherheits- und Überwachungsgesetze. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wurde wiedereingeführt – ohne jeden Nachweis der Geeignetheit. Belegt ist vielmehr, dass der Wegfall keine Auswirkungen auf die Aufklärungsquote bei der Strafverfolgung hatte. Zudem kann als sicher gelten, dass auch die geänderte Regelung gegen europäisches Recht verstößt. Das sagen der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen.
Zudem wurde die Videoüberwachung massiv ausgeweitet. Hier gilt das Gleiche: Es wird unzulässig in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, der Nutzen für die Kriminalitätsbekämpfung ist mehr als zweifelhaft. Und die Antwort von CDU CSU und SPD auf den NSA-Skandal war nicht, die Arbeit der Nachrichtendienste wieder auf den Boden unseres Grundgesetzes zu stellen. Ganz im Gegenteil: Man hat einfach das rechtswidrige Anzapfen von Internetleitungen durch die Geheimen zulasten des Grundrechts auf digitale Intimsphäre legalisiert. Und das, obwohl der BND bekanntermaßen mit seiner Abhörpraxis gegen geltendes Recht verstößt und sogar zugibt, dass seine Filtersysteme gar nicht gewährleisten können, dass nicht auch unbescholtene Bundesbürger als Beifang mit abgehört werden. Künftig haben die Nachrichtendienste sogar automatisch Zugriff auf die Passfotos aller Bürger. Faktisch wird damit eine biometrische Datenbank geschaffen.
All dies geschieht unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung. Dabei scheint das Sammeln von Daten eher den Blick auf das Wesentliche zu verstellen. Alle identifizierten, islamistisch motivierten Attentäter der letzten Jahre waren behördlich bekannt, die meisten im einschlägigen Kontext, fast alle standen auf Gefährder- oder Terrorwarnlisten.
Fast alle Sicherheitsgesetze der großen Koalition werden vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Damit setzt sich ein bedenklicher Trend fort. Seit 9/11 werden von der Politik mit jeder neuen Regelung die Grenzen der Freiheits- und Abwehrrechte weiter ausgetestet, obwohl es Aufgabe von Parlament und Regierung ist, für die Achtung des Grundgesetzes zu sorgen. Dementsprechend ist es auch wenig verwunderlich, dass nahezu alle Verschärfungen der Sicherheitsgesetze von den Verfassungsrichtern entweder aufgehoben oder wesentlich korrigiert worden sind. Über die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger wird also nicht in Berlin, sondern in Wahrheit in Karlsruhe entschieden. Das muss sich wieder ändern.
KUBICKI-Gastbeitrag: Der Staat als Hacker
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für die „WirtschaftsWoche“ (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Vergangene Woche hat die Qualität der Überwachungsmöglichkeiten in Deutschland eine neue Dimension erreicht. Die große Koalition hat die Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und der Onlinedurchsuchung beschlossen. Mitbekommen hat das kaum jemand. Genau das haben Union und SPD gewollt. Sie hatten die Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen in einem Änderungsantrag für ein laufendes, unverfängliches Gesetzesvorhaben versteckt. Der sogenannte Staatstrojaner hat seinem Namen alle Ehre gemacht und sich heimlich in ein anderes Gesetz geschlichen, um still und leise abgesegnet zu werden.
Der Polizei wird damit ermöglicht, heimlich eine Schadsoftware auf mobile Endgeräte oder Computer zu spielen, um die Kommunikation des Nutzers mitzuschneiden. Klarer formuliert: Der Staat kann künftig Smartphones seiner Bürger hacken. Hintergrund ist, dass Messengerdienste wie WhatsApp eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen, also eine Nachricht vor dem Absenden codiert und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt wird. Weil die Dechiffrierung dieser Codes bislang nicht gelungen ist, wollen die Behörden bei der Quelle selbst mitlesen.
Grundsätzlich sollte die Polizei bei einem Strafverdacht natürlich auch WhatsApp-Nachrichten mitlesen dürfen, so wie sie in weniger modernen Kommunikationszeiten Telefone abhören konnte. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Wer ein Smartphone hackt, erhält Zugang zu weit mehr Informationen als derjenige, der ein normales Telefon abhört. Und man bekommt nicht nur den Zugriff auf nahezu alle relevanten Daten des Nutzers, man hat auch die Möglichkeit, Standortdaten zu erfassen, Handymikrofon und -kamera an- und auszuschalten oder sogar Daten zu verändern.
Das weiß natürlich auch der Bundesinnenminister. Deshalb versichert er, man werde allein die laufende Kommunikation mitlesen, nicht aber auf gespeicherte Daten zugreifen. Es soll also einen limitierten, quasi verfassungsgemäßen Trojaner geben. Experten sind sich jedoch einig, dass das technisch gar nicht möglich ist. Nicht anders war es beim ersten Staatstrojaner, bei dem der Chaos Computer Club herausfand, dass dieser weit mehr konnte, als es unser Grundgesetz zuließ. Verfassungsrechtlich genauso bedenklich ist der weite Anwendungsbereich. Es geht hier keinesfalls nur um die Bekämpfung des Terrorismus. Möglich werden sollen Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung bei 38 – zweifelsohne schweren – Straftatbeständen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen darüber hinaus auch für die Gefahrenabwehr nutzbar gemacht werden können.
Dabei bezweifelt niemand, dass neue Bedrohungen auch eine entsprechende Reaktion des Staates erfordern. Es ist auch falsch, bei jeder Änderung der Sicherheitsgesetze gleich den Überwachungsstaat an die Wand zu malen. Mit dem Tandem Heiko Maas und Thomas de Maizière hat sich aber eine unheilvolle Allianz gebildet. Der Innenminister verficht einen maßlosen Überwachungseifer, dem anderen ist – symptomatisch für die SPD – die bürgerrechtsorientierte Freiheitsidee inzwischen vollends abhandengekommen. Also produzieren beide fleißig Sicherheits- und Überwachungsgesetze. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wurde wiedereingeführt – ohne jeden Nachweis der Geeignetheit. Belegt ist vielmehr, dass der Wegfall keine Auswirkungen auf die Aufklärungsquote bei der Strafverfolgung hatte. Zudem kann als sicher gelten, dass auch die geänderte Regelung gegen europäisches Recht verstößt. Das sagen der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen.
Zudem wurde die Videoüberwachung massiv ausgeweitet. Hier gilt das Gleiche: Es wird unzulässig in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, der Nutzen für die Kriminalitätsbekämpfung ist mehr als zweifelhaft. Und die Antwort von CDU CSU und SPD auf den NSA-Skandal war nicht, die Arbeit der Nachrichtendienste wieder auf den Boden unseres Grundgesetzes zu stellen. Ganz im Gegenteil: Man hat einfach das rechtswidrige Anzapfen von Internetleitungen durch die Geheimen zulasten des Grundrechts auf digitale Intimsphäre legalisiert. Und das, obwohl der BND bekanntermaßen mit seiner Abhörpraxis gegen geltendes Recht verstößt und sogar zugibt, dass seine Filtersysteme gar nicht gewährleisten können, dass nicht auch unbescholtene Bundesbürger als Beifang mit abgehört werden. Künftig haben die Nachrichtendienste sogar automatisch Zugriff auf die Passfotos aller Bürger. Faktisch wird damit eine biometrische Datenbank geschaffen.
All dies geschieht unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung. Dabei scheint das Sammeln von Daten eher den Blick auf das Wesentliche zu verstellen. Alle identifizierten, islamistisch motivierten Attentäter der letzten Jahre waren behördlich bekannt, die meisten im einschlägigen Kontext, fast alle standen auf Gefährder- oder Terrorwarnlisten.
Fast alle Sicherheitsgesetze der großen Koalition werden vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Damit setzt sich ein bedenklicher Trend fort. Seit 9/11 werden von der Politik mit jeder neuen Regelung die Grenzen der Freiheits- und Abwehrrechte weiter ausgetestet, obwohl es Aufgabe von Parlament und Regierung ist, für die Achtung des Grundgesetzes zu sorgen. Dementsprechend ist es auch wenig verwunderlich, dass nahezu alle Verschärfungen der Sicherheitsgesetze von den Verfassungsrichtern entweder aufgehoben oder wesentlich korrigiert worden sind. Über die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger wird also nicht in Berlin, sondern in Wahrheit in Karlsruhe entschieden. Das muss sich wieder ändern.