FDP|
17.06.2005 - 02:00NIEBEL-Interview für den "General-Anzeiger Bonn"
Berlin. FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab dem "General-Anzeiger Bonn" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ULLA THIEDE und DR. THOMAS WITTKE:
Frage: Befürchtet die FDP angesichts des Umfragenhochs für die Union, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern?
NIEBEL: Wir haben inzwischen eine Stammwählerschaft von gut sechs Prozent. Das Wählerpotenzial liegt sogar bei 25 Prozent. Mein Anliegen ist, daß wir genügend Stimmen gewinnen, um in einer schwarz-gelben Koalition möglichst viel vom FDP-Programm durchzusetzen.
Frage: Spüren Sie in der Bevölkerung eine Aufbruchstimmung hin zu Schwarz-Gelb oder eher die Skepsis, daß eine andere Regierung es auch nicht besser machen könnte als Rot-Grün?
NIEBEL: Die Stimmung "Rot-Grün hat abgewirtschaftet" ist weit verbreitet. Deshalb muß jetzt durch unsere Leistung bewiesen werden, daß wir es besser können.
Frage: Ist das FDP-Versprechen einer Nettoentlastung bei einer großen Steuerreform seriös?
NIEBEL: Eindeutig ja. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Nächste Woche werden wir noch einmal ein durchgerechnetes Konzept vorstellen. Eine Nettoentlastung für alle ist eine zwingende Voraussetzung für ein Wiederanspringen der Konjunktur.
Frage: Würden die Liberalen das auch zur existenziellen Bedingung für Koalitionsverhandlungen mit der Union machen?
NIEBEL: Das hat unser Vorsitzender Guido Westerwelle schon klar gemacht. Wir wollen die Arbeitslosigkeit deutlich senken. Dahin kommen wir nur mit einem neuen Steuersystem, bei dem die Menschen und die Betriebe am Ende mehr Geld in der Tasche haben.
Frage: Was kommt sonst aus Ihrer Sicht überhaupt nicht in Betracht: eine Mehrwertsteuererhöhung?
NIEBEL: Wir wollen sie nicht und brauchen sie auch nicht in unserem Steuerkonzept. Aber bei der unklaren Unionshaltung werde ich nicht den Fehler begehen, vor der Wahl einzelne Maßnahmen apodiktisch auszuschließen, die uns bei Koalitionsverhandlungen an anderer Stelle teuer zu stehen kommen könnten.
Frage: Hält die FDP an der Ökosteuer fest?
NIEBEL: Das wird sehr davon abhängen, wie schnell die finanzielle Situation des Bundes verbessert werden kann.
Frage: Also keine Abschaffung, denn die Milliardeneinnahmen gehen in die Rentenversicherung, deren Beiträge ohnehin zu steigen drohen. Wie schnell muß eine neue Regierung Maßnahmen ergreifen, um den weiteren Anstieg der Sozialbeiträge zu stoppen?
NIEBEL: Falsche Entscheidungen müssen rückgängig gemacht werden. Daß Arbeitgeber die Sozialbeiträge künftig zwei Wochen früher überweisen sollen, ist brandgefährlich. Die technische Maßnahme - ein reiner Zinsvorteil für die Sozialversicherungen - kostet die Betriebe 20 Milliarden Euro.
Frage: Aber was dann?
NIEBEL: Wir müssen die tatsächliche Ausschöpfung der Lebensarbeitszeit verbessern und noch stärker zur Kapital gedeckten Eigenvorsorge für das Alter übergehen.
Frage: Das sind aber alles keine Sofortmaßnahmen. Also Kürzung der Rentenleistungen?
NIEBEL: Wichtig sind Maßnahmen, die nichts kosten, aber den Betrieben Planungssicherheit geben. Eine Steuerentlastung kann noch nicht zum 1. Januar 2006 greifen, aber wir könnten sie Mitte nächsten Jahres ins Bundesgesetzblatt schreiben mit Wirkung zum 1. Januar 2007. Unternehmen schaffen Jobs auch schon im Vorgriff auf eine Steuerentlastung, nicht erst dann, wenn sie kommt. Jobs bedeuten sofort mehr Einnahmen für die Sozialkassen.
Frage: Wie lassen sich die FDP-Vorstellungen zur Gesundheitsvorsorge mit der Kopfpauschale der Union vereinbaren?
NIEBEL: CDU/CSU wollen ihre Gesundheitsprämie im bestehenden System der gesetzlichen Krankenversicherung einführen. Das lehnen wir ab, weil ein an sich ineffizientes System dadurch nicht besser wird. Wir wollen die Kassen in ein privatrechtliches System überführen. Es soll die Pflicht zum Abschluß einer Grundversicherung geben, jede Kasse muß jeden nehmen, unabhängig vom individuellen Krankheitsrisiko. Dadurch entsteht ein wirklicher Wettbewerb zwischen den Kassen, unwirtschaftlich arbeitende Versicherer werden insolvent gehen.
Frage: Und wer sich den Grundtarif nicht leisten kann?
NIEBEL: Für den gibt es einen steuerfinanzierten Zuschuß.
Frage: Die FDP definiert sich als Bürgerrechtspartei. Ihre Bewertung des Lauschangriff-Kompromisses?
NIEBEL: Wir haben noch keinen Gesetzentwurf zur akustischen Wohnraumüberwachung gesehen, der den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Selbstverständlich werden wir mit der Union nach Neuwahlen über das Thema reden. Bisher ist die Praxis verfassungswidrig.
Frage: Ärgert Sie Edmund Stoibers Zögern in Sachen Kabinettsposten?
NIEBEL: Ich stimme mit dem CSU-Chef überein, daß man das Bärenfell erst verteilen kann, wenn der Bär erlegt ist. Jeder Ministerpräsident tut übrigens gut daran, nicht vor einer eventuellen Regierungsübernahme zu spekulieren, ob er sein Ministerpräsidentenamt aufgibt, um Bundesminister zu werden, denn er würde die Machtbasis im eigenen Land verlieren.
Frage: Die FDP - noch eine Spaßpartei?
NIEBEL: Wir waren nie eine Spaßpartei. Aber ich werde mir auch nicht den Spaß am Leben verderben lassen. In einem Sommerwahlkampf müssen wir uns natürlich überlegen, wie wir an die Menschen rankommen, die Urlaub machen. Trotzdem wird es wird für uns nicht schwierig sein, seriös zu wirken. Wir arbeiten streng inhaltlich und liefern einen Themenwahlkampf. Dennoch wird unser Vorsitzender, der seit 15 Jahren Beach Volleyball spielt, damit nicht in diesem Jahr aufhören.
NIEBEL-Interview für den "General-Anzeiger Bonn"
Berlin. FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab dem "General-Anzeiger Bonn" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ULLA THIEDE und DR. THOMAS WITTKE:
Frage: Befürchtet die FDP angesichts des Umfragenhochs für die Union, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern?
NIEBEL: Wir haben inzwischen eine Stammwählerschaft von gut sechs Prozent. Das Wählerpotenzial liegt sogar bei 25 Prozent. Mein Anliegen ist, daß wir genügend Stimmen gewinnen, um in einer schwarz-gelben Koalition möglichst viel vom FDP-Programm durchzusetzen.
Frage: Spüren Sie in der Bevölkerung eine Aufbruchstimmung hin zu Schwarz-Gelb oder eher die Skepsis, daß eine andere Regierung es auch nicht besser machen könnte als Rot-Grün?
NIEBEL: Die Stimmung "Rot-Grün hat abgewirtschaftet" ist weit verbreitet. Deshalb muß jetzt durch unsere Leistung bewiesen werden, daß wir es besser können.
Frage: Ist das FDP-Versprechen einer Nettoentlastung bei einer großen Steuerreform seriös?
NIEBEL: Eindeutig ja. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Nächste Woche werden wir noch einmal ein durchgerechnetes Konzept vorstellen. Eine Nettoentlastung für alle ist eine zwingende Voraussetzung für ein Wiederanspringen der Konjunktur.
Frage: Würden die Liberalen das auch zur existenziellen Bedingung für Koalitionsverhandlungen mit der Union machen?
NIEBEL: Das hat unser Vorsitzender Guido Westerwelle schon klar gemacht. Wir wollen die Arbeitslosigkeit deutlich senken. Dahin kommen wir nur mit einem neuen Steuersystem, bei dem die Menschen und die Betriebe am Ende mehr Geld in der Tasche haben.
Frage: Was kommt sonst aus Ihrer Sicht überhaupt nicht in Betracht: eine Mehrwertsteuererhöhung?
NIEBEL: Wir wollen sie nicht und brauchen sie auch nicht in unserem Steuerkonzept. Aber bei der unklaren Unionshaltung werde ich nicht den Fehler begehen, vor der Wahl einzelne Maßnahmen apodiktisch auszuschließen, die uns bei Koalitionsverhandlungen an anderer Stelle teuer zu stehen kommen könnten.
Frage: Hält die FDP an der Ökosteuer fest?
NIEBEL: Das wird sehr davon abhängen, wie schnell die finanzielle Situation des Bundes verbessert werden kann.
Frage: Also keine Abschaffung, denn die Milliardeneinnahmen gehen in die Rentenversicherung, deren Beiträge ohnehin zu steigen drohen. Wie schnell muß eine neue Regierung Maßnahmen ergreifen, um den weiteren Anstieg der Sozialbeiträge zu stoppen?
NIEBEL: Falsche Entscheidungen müssen rückgängig gemacht werden. Daß Arbeitgeber die Sozialbeiträge künftig zwei Wochen früher überweisen sollen, ist brandgefährlich. Die technische Maßnahme - ein reiner Zinsvorteil für die Sozialversicherungen - kostet die Betriebe 20 Milliarden Euro.
Frage: Aber was dann?
NIEBEL: Wir müssen die tatsächliche Ausschöpfung der Lebensarbeitszeit verbessern und noch stärker zur Kapital gedeckten Eigenvorsorge für das Alter übergehen.
Frage: Das sind aber alles keine Sofortmaßnahmen. Also Kürzung der Rentenleistungen?
NIEBEL: Wichtig sind Maßnahmen, die nichts kosten, aber den Betrieben Planungssicherheit geben. Eine Steuerentlastung kann noch nicht zum 1. Januar 2006 greifen, aber wir könnten sie Mitte nächsten Jahres ins Bundesgesetzblatt schreiben mit Wirkung zum 1. Januar 2007. Unternehmen schaffen Jobs auch schon im Vorgriff auf eine Steuerentlastung, nicht erst dann, wenn sie kommt. Jobs bedeuten sofort mehr Einnahmen für die Sozialkassen.
Frage: Wie lassen sich die FDP-Vorstellungen zur Gesundheitsvorsorge mit der Kopfpauschale der Union vereinbaren?
NIEBEL: CDU/CSU wollen ihre Gesundheitsprämie im bestehenden System der gesetzlichen Krankenversicherung einführen. Das lehnen wir ab, weil ein an sich ineffizientes System dadurch nicht besser wird. Wir wollen die Kassen in ein privatrechtliches System überführen. Es soll die Pflicht zum Abschluß einer Grundversicherung geben, jede Kasse muß jeden nehmen, unabhängig vom individuellen Krankheitsrisiko. Dadurch entsteht ein wirklicher Wettbewerb zwischen den Kassen, unwirtschaftlich arbeitende Versicherer werden insolvent gehen.
Frage: Und wer sich den Grundtarif nicht leisten kann?
NIEBEL: Für den gibt es einen steuerfinanzierten Zuschuß.
Frage: Die FDP definiert sich als Bürgerrechtspartei. Ihre Bewertung des Lauschangriff-Kompromisses?
NIEBEL: Wir haben noch keinen Gesetzentwurf zur akustischen Wohnraumüberwachung gesehen, der den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Selbstverständlich werden wir mit der Union nach Neuwahlen über das Thema reden. Bisher ist die Praxis verfassungswidrig.
Frage: Ärgert Sie Edmund Stoibers Zögern in Sachen Kabinettsposten?
NIEBEL: Ich stimme mit dem CSU-Chef überein, daß man das Bärenfell erst verteilen kann, wenn der Bär erlegt ist. Jeder Ministerpräsident tut übrigens gut daran, nicht vor einer eventuellen Regierungsübernahme zu spekulieren, ob er sein Ministerpräsidentenamt aufgibt, um Bundesminister zu werden, denn er würde die Machtbasis im eigenen Land verlieren.
Frage: Die FDP - noch eine Spaßpartei?
NIEBEL: Wir waren nie eine Spaßpartei. Aber ich werde mir auch nicht den Spaß am Leben verderben lassen. In einem Sommerwahlkampf müssen wir uns natürlich überlegen, wie wir an die Menschen rankommen, die Urlaub machen. Trotzdem wird es wird für uns nicht schwierig sein, seriös zu wirken. Wir arbeiten streng inhaltlich und liefern einen Themenwahlkampf. Dennoch wird unser Vorsitzender, der seit 15 Jahren Beach Volleyball spielt, damit nicht in diesem Jahr aufhören.