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08.05.2017 - 17:15VOGEL-Gastbeitrag: Die liberale Zukunftsagenda
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Johannes Vogel schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Montag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Dass es Deutschland heute bessergeht als vielen anderen europäischen Staaten, hängt vor allem mit der Agenda 2010 zusammen. Ein treffender Satz, von Martin Schulz. Er fand sich bis vor wenigen Wochen noch auf der Website der SPD. Mittlerweile ist er verschwunden. Verschwunden ist offenbar auch der Anspruch, Fortschrittspartei zu sein. Dazu gesellt sich eine Union, die den Status Quo anhimmelt und sich im tagespolitischen Klein-Klein verirrt.
Das Ergebnis dieser Melange konnten wir in den vergangenen Jahren besichtigen. Die gute konjunkturelle Lage wurde durch die große Koalition zur Verteilung unsolider Wahlgeschenke bei der Rente in Milliardenhöhe missbraucht. Flexible Elemente des Arbeitsmarktes, wie die Zeitarbeit, wurden über Gebühr reguliert. SPD-Kanzlerkandidat Schulz will nun noch längeres Arbeitslosengeld, schärfere Regeln für befristete Beschäftigungen, einen höheren Rentenbeitragssatz und noch mehr Umverteilung. Arbeitsmarktpolitische Forschung und Erfahrung sprechen gegen diesen Kurs. Längeres Arbeitslosengeld führt zu längerer Arbeitslosigkeit oder Frühverrentung, ein fatales Signal, gerade vor dem Hintergrund der Erfolge bei der Beschäftigung Älterer in den vergangenen Jahren. Die Möglichkeit befristeter Beschäftigung korrespondiert zudem mit dem stark ausgebauten Kündigungsschutz in Deutschland. Flexibilität am Arbeitsmarkt schafft aber nicht nur Möglichkeiten zum Einstieg, sondern reduziert auch Arbeitsplatzverluste in Krisen. Schlimmer als die Sachvorschläge ist die Vergangenheitsorientierung. In Zeiten von Digitalisierung, Globalisierung und sich verschärfendem demographischen Wandel sollten wir nicht bei der Verteidigung der Agenda 2010 stehenbleiben. Wir müssen uns vielmehr durch eine Zukunftsagenda fit machen für neue Herausforderungen. Was ist zu tun?
Erstens: Wir brauchen beste Bildung von der Kita an – nicht Kostenfreiheit ist die drängendste Frage der Stunde, sondern mehr Qualität. Dafür muss auch der Bund endlich in Schulen investieren dürfen. Außerdem brauchen alle Bürgerinnen und Bürger das Versprechen, beim digitalen Wandel mithalten zu können. Deshalb muss Arbeitsmarktpolitik die Weiterbildung von Beschäftigten stärker unterstützen, statt das Arbeitslosengeld zu verlängern. Wir sollten nicht mehr Geld ausgeben, sondern bei jedem Euro fragen, ob er nicht besser in Qualifikation und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit als in Transferzahlungen investiert werden kann.
Zweitens: Wir brauchen nicht weniger Flexibilität, sondern mehr. Für Zeitsouveränität zum Beispiel. Deshalb muss etwa das Arbeitszeitgesetz flexibilisiert werden, elf Stunden zwingende Ruhepause passen nicht mehr in die Zeit des mobilen Arbeitens. Eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden reicht aus, das sieht auch die europäische Arbeitszeitrichtlinie vor. Innerhalb dieser Grenzen sollte Freiheit herrschen.
Drittens: Zu Lebenslaufhoheit gehört Veränderung. Deshalb muss eine moderne Rentenpolitik nicht nur generationengerecht sein und die demographischen Dämpfungsfaktoren wirken lassen. Sie muss einfache Wechsel zwischen Anstellung, Selbständigkeit und Gründungen ermöglichen und in der privaten Vorsorge jeden gleich fördern. Wann man in Rente geht, sollte durch die Einführung eines flexiblen Renteneintrittsalters jeder selbst entscheiden können – mit entsprechend höherer oder niedrigerer Rente.
Viertens: Die neue industrielle Revolution verlangt nach einer neuen Gründerzeit in Deutschland. Durch weniger Bürokratie, besseren Zugang zu Kapital und eine gesellschaftliche Kultur, die unternehmerischen Geist fördert und zum Beispiel mit einem Schulfach Wirtschaft dafür schon früh Verständnis schafft. Die moderne Arbeitswelt ist vielfältig, Freelancer und andere Selbstständige sind keine Erwerbstätigen zweiter Klasse. Die Politik muss deren Selbstbestimmung respektieren, anstatt sie durch Bürokratie und ungerechtfertigt hohe Krankenkassenbeiträge zu gängeln.
Fünftens: Das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft darf nicht an Strahlkraft verlieren. Die Vermögensbildung in der Mitte der Gesellschaft ist im internationalen Vergleich gering, vor allem wegen wenig Wohneigentum und einer fehlenden Investitionskultur in Aktien. Mehr Menschen brauchen die Möglichkeit, sich etwas aufzubauen, zum Beispiel durch einen Freibetrag in der Grunderwerbsteuer und höhere Freibeträge für Sparer und Anleger. Viel zu vielen Langzeitarbeitslosen bleibt jeder Aufstieg von vorneherein versperrt. Deshalb müssen die Zuverdienstregelungen im Arbeitslosengeld II (Hartz IV) reformiert werden. Momentan sind sie demotivierend und werfen den Menschen Knüppel zwischen die Beine. Das ist der zentrale gesetzgeberische Hebel beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, den wir endlich umlegen müssen, um eine trittfeste Leiter in Beschäftigung zu bauen. Das wäre die Agenda, die Deutschland wirklich braucht.
VOGEL-Gastbeitrag: Die liberale Zukunftsagenda
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Johannes Vogel schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Montag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Dass es Deutschland heute bessergeht als vielen anderen europäischen Staaten, hängt vor allem mit der Agenda 2010 zusammen. Ein treffender Satz, von Martin Schulz. Er fand sich bis vor wenigen Wochen noch auf der Website der SPD. Mittlerweile ist er verschwunden. Verschwunden ist offenbar auch der Anspruch, Fortschrittspartei zu sein. Dazu gesellt sich eine Union, die den Status Quo anhimmelt und sich im tagespolitischen Klein-Klein verirrt.
Das Ergebnis dieser Melange konnten wir in den vergangenen Jahren besichtigen. Die gute konjunkturelle Lage wurde durch die große Koalition zur Verteilung unsolider Wahlgeschenke bei der Rente in Milliardenhöhe missbraucht. Flexible Elemente des Arbeitsmarktes, wie die Zeitarbeit, wurden über Gebühr reguliert. SPD-Kanzlerkandidat Schulz will nun noch längeres Arbeitslosengeld, schärfere Regeln für befristete Beschäftigungen, einen höheren Rentenbeitragssatz und noch mehr Umverteilung. Arbeitsmarktpolitische Forschung und Erfahrung sprechen gegen diesen Kurs. Längeres Arbeitslosengeld führt zu längerer Arbeitslosigkeit oder Frühverrentung, ein fatales Signal, gerade vor dem Hintergrund der Erfolge bei der Beschäftigung Älterer in den vergangenen Jahren. Die Möglichkeit befristeter Beschäftigung korrespondiert zudem mit dem stark ausgebauten Kündigungsschutz in Deutschland. Flexibilität am Arbeitsmarkt schafft aber nicht nur Möglichkeiten zum Einstieg, sondern reduziert auch Arbeitsplatzverluste in Krisen. Schlimmer als die Sachvorschläge ist die Vergangenheitsorientierung. In Zeiten von Digitalisierung, Globalisierung und sich verschärfendem demographischen Wandel sollten wir nicht bei der Verteidigung der Agenda 2010 stehenbleiben. Wir müssen uns vielmehr durch eine Zukunftsagenda fit machen für neue Herausforderungen. Was ist zu tun?
Erstens: Wir brauchen beste Bildung von der Kita an – nicht Kostenfreiheit ist die drängendste Frage der Stunde, sondern mehr Qualität. Dafür muss auch der Bund endlich in Schulen investieren dürfen. Außerdem brauchen alle Bürgerinnen und Bürger das Versprechen, beim digitalen Wandel mithalten zu können. Deshalb muss Arbeitsmarktpolitik die Weiterbildung von Beschäftigten stärker unterstützen, statt das Arbeitslosengeld zu verlängern. Wir sollten nicht mehr Geld ausgeben, sondern bei jedem Euro fragen, ob er nicht besser in Qualifikation und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit als in Transferzahlungen investiert werden kann.
Zweitens: Wir brauchen nicht weniger Flexibilität, sondern mehr. Für Zeitsouveränität zum Beispiel. Deshalb muss etwa das Arbeitszeitgesetz flexibilisiert werden, elf Stunden zwingende Ruhepause passen nicht mehr in die Zeit des mobilen Arbeitens. Eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden reicht aus, das sieht auch die europäische Arbeitszeitrichtlinie vor. Innerhalb dieser Grenzen sollte Freiheit herrschen.
Drittens: Zu Lebenslaufhoheit gehört Veränderung. Deshalb muss eine moderne Rentenpolitik nicht nur generationengerecht sein und die demographischen Dämpfungsfaktoren wirken lassen. Sie muss einfache Wechsel zwischen Anstellung, Selbständigkeit und Gründungen ermöglichen und in der privaten Vorsorge jeden gleich fördern. Wann man in Rente geht, sollte durch die Einführung eines flexiblen Renteneintrittsalters jeder selbst entscheiden können – mit entsprechend höherer oder niedrigerer Rente.
Viertens: Die neue industrielle Revolution verlangt nach einer neuen Gründerzeit in Deutschland. Durch weniger Bürokratie, besseren Zugang zu Kapital und eine gesellschaftliche Kultur, die unternehmerischen Geist fördert und zum Beispiel mit einem Schulfach Wirtschaft dafür schon früh Verständnis schafft. Die moderne Arbeitswelt ist vielfältig, Freelancer und andere Selbstständige sind keine Erwerbstätigen zweiter Klasse. Die Politik muss deren Selbstbestimmung respektieren, anstatt sie durch Bürokratie und ungerechtfertigt hohe Krankenkassenbeiträge zu gängeln.
Fünftens: Das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft darf nicht an Strahlkraft verlieren. Die Vermögensbildung in der Mitte der Gesellschaft ist im internationalen Vergleich gering, vor allem wegen wenig Wohneigentum und einer fehlenden Investitionskultur in Aktien. Mehr Menschen brauchen die Möglichkeit, sich etwas aufzubauen, zum Beispiel durch einen Freibetrag in der Grunderwerbsteuer und höhere Freibeträge für Sparer und Anleger. Viel zu vielen Langzeitarbeitslosen bleibt jeder Aufstieg von vorneherein versperrt. Deshalb müssen die Zuverdienstregelungen im Arbeitslosengeld II (Hartz IV) reformiert werden. Momentan sind sie demotivierend und werfen den Menschen Knüppel zwischen die Beine. Das ist der zentrale gesetzgeberische Hebel beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, den wir endlich umlegen müssen, um eine trittfeste Leiter in Beschäftigung zu bauen. Das wäre die Agenda, die Deutschland wirklich braucht.