FDP|
28.04.2017 - 15:30LINDNER-Interview: Unsere Verfassung ist nicht getauft
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Rhein Neckar Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) und „rnz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Schmidt.
Frage: Herr Lindner, die FDP tauscht nicht Ansehen gegen Aufsehen, haben Sie gesagt, um sich von der AfD abzugrenzen. Die Forderung, Mesut Özil solle die Nationalhymne singen, hört sich aber sehr nach dem Versuch an, Aufsehen zu erregen.
Lindner: Ein Magazin hat mich danach gefragt, ob ein Fußballidol die Nationalhymne singen sollte. Das habe ich bejaht. Man sollte sich zu unserer liberalen, bunten und weltoffenen Verfassung bekennen.
Frage: Was hat das Absingen der Nationalhymne mit unseren Grundwerten zu tun?
Lindner: Die Hymne ist ein Symbol für den Staat des Grundgesetzes. Dazu kann man sich als Verfassungspatriot bekennen.
Frage: Bereuen Sie Ihre Aussage, angesichts der massiven Kritik?
Lindner: Nein. Ich hätte es selber von mir aus nie angesprochen. Aber wenn ich gefragt werde, dann ducke ich mich nicht taktisch weg. Übrigens erhalte ich mehr Zuspruch als Sie denken. Mich besorgt der große Ausschlag auf dieses Nebenthema.
Frage: Haben die Deutschen ein Identitätsproblem?
Lindner: Ich vermisse ein offensives Eintreten für die Liberalität und unsere Verfassungskultur. In diesen nervösen Zeiten suchen die Konservativen ihr Heil wieder darin, dass sie das christliche Abendland als Leitkultur versprechen. Aber unsere Verfassung ist nicht getauft und offen für alle Religionszugehörigkeiten. Ich wünsche mir, dass wir für diese freiheitlichen Grundwerte eintreten. Sie gehen durch die Erschlaffung und Laschheit verloren. Nirgendwo hat man das so gut gesehen wie in der Türkeipolitik der Bundesregierung. Sie hat es einer ausländischen Regierung erlaubt, hier für ein Referendum zu werben, mit dem Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden können. Hier hätte ich mir ein Signal der Selbstachtung gewünscht.
Frage: Ist der Doppelpass ein Integrationshindernis?
Lindner: Nein, nicht der Pass sagt aus, ob jemand integriert ist oder nicht. Im Gegenteil. Ich wünschte mir, dass wir bei der Integration die deutsche Staatsangehörigkeit stärker als Ziel ausgeben. Bei Neueinwanderern wird das nur dann gelingen, wenn sie ihren alten Pass behalten können und ihre kulturellen Wurzeln nicht kappen müssen. Aber das geht nicht für alle Ewigkeit. In der Enkel-Generation sollte man sich entscheiden.
Frage: Der Parteitag am Wochenende soll ihre „Krönungsmesse“ werden. Alles unter 100 Prozent bei Ihrer Wiederwahl als Parteichef wäre eine Enttäuschung, oder?
Lindner: In der FDP gibt es keine 100-Prozent-Ergebnisse. Wir sind eine Partei von Individualisten, die ihre Meinungsfreiheit lieben. Der Parteitag wird ein anderes Signal senden: Dass die FDP die Politik des Stillstands nicht länger nur beobachten will. Wir werden entweder mitregieren, wenn eine neue politische Richtung möglich ist. Oder wir sorgen wieder für eine aktive Opposition der Mitte.
Frage: Sorgen, erneut an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, haben Sie keine?
Lindner: Wir werden in den Bundestag zurückkehren! Die Sicherheit gibt mir unser enormer Mitgliederzulauf noch mehr als die soliden Umfrageergebnisse. Viele Menschen sind genauso ungeduldig wie wir und wollen, dass sich Deutschland wieder den großen Fragen zuwendet. Die FDP wird als Tempomacher gebraucht.
Frage: Sie rücken Bildung in den Vordergrund ihres Programms. Was ist der Kern Ihrer geplanten Bildungsoffensive?
Lindner: Wir müssen bei Bildungsinvestitionen an die Spitze der führenden Wirtschaftsnationen. Die Steigerung der Bildungsausgaben ist wichtiger als höhere Militärausgaben. Und wir müssen die Rolle des Bundes stärken, damit er Schulen in Bonn und Böblingen sanieren kann und nicht nur in Burundi und Botswana. Das Kooperationsverbot muss fallen. Darüber hinaus brauchen wir verlässlichen Unterricht mit moderneren Inhalten. Digitale und wirtschaftliche Kompetenz sollten viel stärker vermittelt werden.
Frage: Daneben machen Sie eine Trendwende bei Steuern und Abgaben zur Koalitionsbedingung. Wird der Wahlkampf am Ende doch ein Steuerwahlkampf?
Lindner: Die Abgabenlast ist durch das Nichtstun der Regierung zu einem noch wichtigeren Thema geworden. Auch Familien mit normalem Einkommen müssen wieder in der Lage sein, Eigentum zu bilden, eine Wohnung zu kaufen. Zurzeit bekommen sie wegen der hohen Steuern und Abgaben nicht genug Kapital zusammen. Wir brauchen deshalb eine spürbare Entlastung. Und wann, wenn nicht jetzt? Der Staat schwimmt im Geld.
Frage: Um mindestens 30 Milliarden Euro wollen Sie die Bürgerinnen und Bürger entlasten. Wer soll profitieren?
Lindner: Alle, aber besonders die Mitte, die über die Maßen belastet wird.
Frage: Versprechen gab es viele. Wie wollen Sie garantieren, dass es mit einer FDP zur Steuerreform kommt?
Lindner: Eine Umkehr bei der bislang steigenden Abgabenlast gehört zu unseren Projekten. Als erstes sollte der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden. Wer mit uns regieren will, muss uns dazu etwas anbieten, sonst schlagen wir nicht ein. Aber wir werden im Sommer weitere Projekte definieren, aus denen klar wird, mit wem eine Zusammenarbeit möglich ist, und mit wem nicht.
Frage: Wie finden Sie die Steuerpläne von Donald Trump? Vereinfachung und Senkung, das erinnert an die FDP 2009.
Lindner: Richtig ist, dass die USA ihre Unternehmen sehr hoch besteuern. Senkungen an dieser Stelle sind sicherlich sinnvoll. Aber ich bezweifele, dass dies zur Lage der US-Wirtschaft passt. Trumps Zahlengerüst hört sich für mich eher nach Voodoo-Ökonomie an. Unsere Pläne sind dagegen seriös. Der Staat erwartet mindestens 110 Milliarden Euro Zusatzeinnahmen bis 2021. Es ist Spielraum vorhanden.
Frage: Am Mittwochabend gab es wieder ein Treffen in der „Kartoffelküche“, ein Gedankenaustausch von FDP- und Unions-Vertretern in Berlin. Warmlaufen für Schwarz-Gelb im Bund?
Lindner: Nein, das sind normale Gespräche und ein Austausch über die politische Lage. Das machen wir in alle Richtungen. Die FDP ist eigenständig und unabhängig. Martin Schulz will die Agenda 2010 zurückdrehen, Frau Merkel will sie nur verwalten. Beides ist für uns nicht attraktiv. Wir wollen Deutschland modernisieren.
Frage: Ist die FDP denn bereit für Neues, eine Ampel oder Jamaika, um eine weitere Große Koalition zu verhindern?
Lindner: Wir wollen nicht auf Biegen und Brechen regieren. Ohne die Programme der Parteien zu kennen, kann ich auch nichts ausschließen. Wir werden keine Regierung mittragen, in der unsere Überzeugungen nicht durchsetzbar sein werden. Das ist nicht nur eine Lehre aus der Vergangenheit, sondern eine Versicherung für die Zukunft: Wir wollen die FDP langfristig reetablieren. Und zwar als eine besondere politische Kraft, die zu ihrem Wort steht und berechenbar ist.
Frage: In NRW ist die FDP auf dem Weg, drittstärkste Partei zu werden: Um dann mit Hannelore Kraft (SPD) zu regieren?
Lindner: CDU und SPD schonen sich im Wahlkampf, die CDU hat alle ihre Punkte aus dem Wahlprogramm gestrichen, die die SPD stören, zum Beispiel Studiengebühren oder eine maßvolle Lockerung beim Nichtraucherschutz: In NRW steht wohl eine Große Koalition ins Haus. Was dann notwendig wird, ist eine Opposition der Mitte, damit wir der AfD nicht das Feld überlassen.
Frage: Ministerpräsidentin Kraft mit CDU-Mann Armin Laschet vom Thron zu stoßen, ist nicht ihr Ziel?
Lindner: In NRW haben wir mit der CDU große inhaltliche Gemeinsamkeiten. Gäbe es eine schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag, dann könnten wir zusammen reagieren, dann gibt es diese Option. Eine Jamaika-Koalition haben die Grünen selbst ausgeschlossen, und wir die Ampel.
LINDNER-Interview: Unsere Verfassung ist nicht getauft
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Rhein Neckar Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) und „rnz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Schmidt.
Frage: Herr Lindner, die FDP tauscht nicht Ansehen gegen Aufsehen, haben Sie gesagt, um sich von der AfD abzugrenzen. Die Forderung, Mesut Özil solle die Nationalhymne singen, hört sich aber sehr nach dem Versuch an, Aufsehen zu erregen.
Lindner: Ein Magazin hat mich danach gefragt, ob ein Fußballidol die Nationalhymne singen sollte. Das habe ich bejaht. Man sollte sich zu unserer liberalen, bunten und weltoffenen Verfassung bekennen.
Frage: Was hat das Absingen der Nationalhymne mit unseren Grundwerten zu tun?
Lindner: Die Hymne ist ein Symbol für den Staat des Grundgesetzes. Dazu kann man sich als Verfassungspatriot bekennen.
Frage: Bereuen Sie Ihre Aussage, angesichts der massiven Kritik?
Lindner: Nein. Ich hätte es selber von mir aus nie angesprochen. Aber wenn ich gefragt werde, dann ducke ich mich nicht taktisch weg. Übrigens erhalte ich mehr Zuspruch als Sie denken. Mich besorgt der große Ausschlag auf dieses Nebenthema.
Frage: Haben die Deutschen ein Identitätsproblem?
Lindner: Ich vermisse ein offensives Eintreten für die Liberalität und unsere Verfassungskultur. In diesen nervösen Zeiten suchen die Konservativen ihr Heil wieder darin, dass sie das christliche Abendland als Leitkultur versprechen. Aber unsere Verfassung ist nicht getauft und offen für alle Religionszugehörigkeiten. Ich wünsche mir, dass wir für diese freiheitlichen Grundwerte eintreten. Sie gehen durch die Erschlaffung und Laschheit verloren. Nirgendwo hat man das so gut gesehen wie in der Türkeipolitik der Bundesregierung. Sie hat es einer ausländischen Regierung erlaubt, hier für ein Referendum zu werben, mit dem Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden können. Hier hätte ich mir ein Signal der Selbstachtung gewünscht.
Frage: Ist der Doppelpass ein Integrationshindernis?
Lindner: Nein, nicht der Pass sagt aus, ob jemand integriert ist oder nicht. Im Gegenteil. Ich wünschte mir, dass wir bei der Integration die deutsche Staatsangehörigkeit stärker als Ziel ausgeben. Bei Neueinwanderern wird das nur dann gelingen, wenn sie ihren alten Pass behalten können und ihre kulturellen Wurzeln nicht kappen müssen. Aber das geht nicht für alle Ewigkeit. In der Enkel-Generation sollte man sich entscheiden.
Frage: Der Parteitag am Wochenende soll ihre „Krönungsmesse“ werden. Alles unter 100 Prozent bei Ihrer Wiederwahl als Parteichef wäre eine Enttäuschung, oder?
Lindner: In der FDP gibt es keine 100-Prozent-Ergebnisse. Wir sind eine Partei von Individualisten, die ihre Meinungsfreiheit lieben. Der Parteitag wird ein anderes Signal senden: Dass die FDP die Politik des Stillstands nicht länger nur beobachten will. Wir werden entweder mitregieren, wenn eine neue politische Richtung möglich ist. Oder wir sorgen wieder für eine aktive Opposition der Mitte.
Frage: Sorgen, erneut an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, haben Sie keine?
Lindner: Wir werden in den Bundestag zurückkehren! Die Sicherheit gibt mir unser enormer Mitgliederzulauf noch mehr als die soliden Umfrageergebnisse. Viele Menschen sind genauso ungeduldig wie wir und wollen, dass sich Deutschland wieder den großen Fragen zuwendet. Die FDP wird als Tempomacher gebraucht.
Frage: Sie rücken Bildung in den Vordergrund ihres Programms. Was ist der Kern Ihrer geplanten Bildungsoffensive?
Lindner: Wir müssen bei Bildungsinvestitionen an die Spitze der führenden Wirtschaftsnationen. Die Steigerung der Bildungsausgaben ist wichtiger als höhere Militärausgaben. Und wir müssen die Rolle des Bundes stärken, damit er Schulen in Bonn und Böblingen sanieren kann und nicht nur in Burundi und Botswana. Das Kooperationsverbot muss fallen. Darüber hinaus brauchen wir verlässlichen Unterricht mit moderneren Inhalten. Digitale und wirtschaftliche Kompetenz sollten viel stärker vermittelt werden.
Frage: Daneben machen Sie eine Trendwende bei Steuern und Abgaben zur Koalitionsbedingung. Wird der Wahlkampf am Ende doch ein Steuerwahlkampf?
Lindner: Die Abgabenlast ist durch das Nichtstun der Regierung zu einem noch wichtigeren Thema geworden. Auch Familien mit normalem Einkommen müssen wieder in der Lage sein, Eigentum zu bilden, eine Wohnung zu kaufen. Zurzeit bekommen sie wegen der hohen Steuern und Abgaben nicht genug Kapital zusammen. Wir brauchen deshalb eine spürbare Entlastung. Und wann, wenn nicht jetzt? Der Staat schwimmt im Geld.
Frage: Um mindestens 30 Milliarden Euro wollen Sie die Bürgerinnen und Bürger entlasten. Wer soll profitieren?
Lindner: Alle, aber besonders die Mitte, die über die Maßen belastet wird.
Frage: Versprechen gab es viele. Wie wollen Sie garantieren, dass es mit einer FDP zur Steuerreform kommt?
Lindner: Eine Umkehr bei der bislang steigenden Abgabenlast gehört zu unseren Projekten. Als erstes sollte der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden. Wer mit uns regieren will, muss uns dazu etwas anbieten, sonst schlagen wir nicht ein. Aber wir werden im Sommer weitere Projekte definieren, aus denen klar wird, mit wem eine Zusammenarbeit möglich ist, und mit wem nicht.
Frage: Wie finden Sie die Steuerpläne von Donald Trump? Vereinfachung und Senkung, das erinnert an die FDP 2009.
Lindner: Richtig ist, dass die USA ihre Unternehmen sehr hoch besteuern. Senkungen an dieser Stelle sind sicherlich sinnvoll. Aber ich bezweifele, dass dies zur Lage der US-Wirtschaft passt. Trumps Zahlengerüst hört sich für mich eher nach Voodoo-Ökonomie an. Unsere Pläne sind dagegen seriös. Der Staat erwartet mindestens 110 Milliarden Euro Zusatzeinnahmen bis 2021. Es ist Spielraum vorhanden.
Frage: Am Mittwochabend gab es wieder ein Treffen in der „Kartoffelküche“, ein Gedankenaustausch von FDP- und Unions-Vertretern in Berlin. Warmlaufen für Schwarz-Gelb im Bund?
Lindner: Nein, das sind normale Gespräche und ein Austausch über die politische Lage. Das machen wir in alle Richtungen. Die FDP ist eigenständig und unabhängig. Martin Schulz will die Agenda 2010 zurückdrehen, Frau Merkel will sie nur verwalten. Beides ist für uns nicht attraktiv. Wir wollen Deutschland modernisieren.
Frage: Ist die FDP denn bereit für Neues, eine Ampel oder Jamaika, um eine weitere Große Koalition zu verhindern?
Lindner: Wir wollen nicht auf Biegen und Brechen regieren. Ohne die Programme der Parteien zu kennen, kann ich auch nichts ausschließen. Wir werden keine Regierung mittragen, in der unsere Überzeugungen nicht durchsetzbar sein werden. Das ist nicht nur eine Lehre aus der Vergangenheit, sondern eine Versicherung für die Zukunft: Wir wollen die FDP langfristig reetablieren. Und zwar als eine besondere politische Kraft, die zu ihrem Wort steht und berechenbar ist.
Frage: In NRW ist die FDP auf dem Weg, drittstärkste Partei zu werden: Um dann mit Hannelore Kraft (SPD) zu regieren?
Lindner: CDU und SPD schonen sich im Wahlkampf, die CDU hat alle ihre Punkte aus dem Wahlprogramm gestrichen, die die SPD stören, zum Beispiel Studiengebühren oder eine maßvolle Lockerung beim Nichtraucherschutz: In NRW steht wohl eine Große Koalition ins Haus. Was dann notwendig wird, ist eine Opposition der Mitte, damit wir der AfD nicht das Feld überlassen.
Frage: Ministerpräsidentin Kraft mit CDU-Mann Armin Laschet vom Thron zu stoßen, ist nicht ihr Ziel?
Lindner: In NRW haben wir mit der CDU große inhaltliche Gemeinsamkeiten. Gäbe es eine schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag, dann könnten wir zusammen reagieren, dann gibt es diese Option. Eine Jamaika-Koalition haben die Grünen selbst ausgeschlossen, und wir die Ampel.