FDP|
04.04.2017 - 08:00VOGEL-Interview: Wir sind idealistischer als je zuvor
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Johannes Vogel gab der „Welt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Adrian Arab und Ulf Poschardt:
Frage: Sie waren Teil der „alten“ FDP und wollen heute die „neue“ FDP repräsentieren. Kauft man Ihnen das ab?
Vogel: Ja, denn wir haben uns und die ganze Partei verändert. Zu jedem Zeitpunkt stand die Frage im Mittelpunkt: Warum machen wir das, und warum muss es eine FDP geben? Die Frage haben wir nicht nur inhaltlich beantwortet, sondern auch im Stil. Es gibt heute zum Beispiel einen anderen Teamspirit. Nur wer miteinander und nicht gegeneinander arbeitet, ist willkommen. Früher haben mich Journalisten gefragt, warum in keiner anderen Partei so bösartig übereinander geredet wird wie in der FDP. Heute fragen mich Journalisten, wie wir die weltbeste Bildung gestalten wollen. Wir haben uns verändert.
Frage: Sie sitzen immer noch im Bundesvorstand der FDP. Nach persönlichen Konsequenzen sieht das nicht aus.
Vogel: Ich habe schon während unserer Zeit im Bundestag Aspekte kritisiert und angeregt, die wir jetzt zur Vollendung bringen – das kann man heute noch nachlesen. Als Vorsitzender der Jungen Liberalen war es mir immer ein Bedürfnis, Veränderungsbedarf in der FDP aufzuzeigen.
Frage: Sie haben es immer gewusst …
Vogel: Nein, auch ich stelle mir selbstkritisch die Frage, warum ich in entscheidenden Momenten nicht entschiedener gegengehalten habe, wenn etwas brutal schieflief. Zum Beispiel, als unser Koalitionspartner CDU die zentrale Wahlvereinbarung – eine Steuerreform - einfach abgesagt hat. Da war unsere Glaubwürdigkeit infrage gestellt – das wird uns sicher nicht noch mal passieren.
Frage: War die FDP im Bundestag keine idealistische Partei?
Vogel: Als Liberaler glaubt man, dass jeder der beste Architekt für sein eigenes Leben ist. Wir wollen eine Gesellschaft, in der jeder seinen Weg im Leben gehen und sich etwas aufbauen kann, egal, woher er kommt, ob und woran er glaubt und wie bunt, schräg, ungewöhnlich oder ganz „normal“ dieser Weg sein mag. Diese Einstellung war vielleicht nie eine Mehrheitsposition – aber auch zu viele Menschen, die das teilen, haben diese Grundsätze damals nicht mehr in uns erkennen können. Ja, wir sind heute idealistischer als je zuvor.
Frage: Wie riskant war es, mit der FDP bei null zu beginnen? Die FDP bezeichnet sich ja immer noch gerne als Start-up.
Vogel: Wir waren eine Traditionspartei und sind aus dem Bundestag geflogen – da ist Start-up-Geist die richtige Einstellung. Es sind ja durchaus schon andere Parteien unserer Größenordnung für eine bestimmte Zeit aus dem Bundestag ausgeschieden – zum Beispiel die Linke 2002 bis 2005 und die Grünen 1990 bis 1994.
Frage: Parteien, die länger als eine Legislaturperiode draußen waren, gibt es nur noch in den Geschichtsbüchern.
Vogel: Richtig, denn keine Partei hat eine Existenzgarantie – auch die FDP nicht. Entweder sie ist in den Augen der Menschen notwendig oder eben nicht. Wir hatten keine andere Wahl, als uns radikal von Halbheit, Opportunismus und Ängstlichkeit zu trennen.
Frage: Früher standen Persönlichkeiten wie Gerhart Baum, Guido Westerwelle oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDP – heute Christian Lindner. Wie groß ist das Risiko einer „Ein-Mann-Partei“?
Vogel: Christian Lindner leistet einen unfassbaren Beitrag und ist das Zugpferd der FDP – wir sind froh, dass wir ihn haben. Als Partei, die nicht im Bundestag vertreten ist, haben wir gar nicht die mediale Chance, so viele Gesichter zu etablieren. Trotzdem steht hinter ihm ein großes Team, dem wir – zurück im Bundestag – auch wieder eine breitere Bühne geben können.
Frage: Was lief im Saarland schief?
Vogel: Das Saarland ist politisch schwierig, wir leiden heute noch unter Fehlern in der Koalition aus CDU, Grünen und FDP in den Jahren 2009 bis 2011. Die FDP Saar existierte danach quasi nicht mehr. Unser Kandidat Oliver Luksic hat mit seinem kleinen Team bei null angefangen und dafür ein beachtliches Ergebnis erzielt.
Frage: Das trotzdem nicht für den Einzug in den Landtag gereicht hat.
Vogel: Die Erneuerung ist ein Marathonlauf, der übrigens auch nach 2017 nicht aufhört. Die kommenden Landtagswahlen werden besser verlaufen als die Wahl im Saarland.
Frage: Weil?
Vogel: Unsere Veranstaltungen sind brechend voll, wir erleben einen Mitgliederboom - über 700 Neueintritte alleine in NRW, seitdem der „Schulz-Zug“ losgerollt ist. Man kann Martin Schulz inhaltlich viel vorwerfen – aber auch mit ihm erleben wir wieder neue Leidenschaft in der Bundespolitik. 2017 ist ein besonderes Jahr, das spüren die Menschen. Trump, der Brexit, Wahlen in Frankreich, in den Niederlanden und in Deutschland – da kommt viel zusammen.
Frage: Lob für Martin Schulz? Das klingt fast so, als wollten Sie ihm Deutschland überlassen.
Vogel: Im Gegenteil. Bei aller Leidenschaft: Man weiß ja noch nicht, wofür er steht, außer dass er die Agenda 2010 rückabwickeln will, die Deutschland erst stark gemacht hat. Die ganz falsche Richtung. Aber wer hält dagegen? Die CDU erleben die Menschen als ordnungspolitischen Ausfall, der die letzten Jahre etwa die Renten-Wahlgeschenke mitgemacht hat. Die Partei ist zudem im Klein-Klein der Tagespolitik stecken geblieben. Die einzige Partei, die sich über Deutschlands Zukunft Gedanken macht, ist doch die FDP.
Frage: Sie definieren Sozialpolitik als Ihr großes Thema. Gleichzeitig kritisiert die FDP jede Umverteilung. Ein Widerspruch?
Vogel: Nicht, wenn wir bei der Bildung beginnen – das ist die größte soziale Herausforderung. Bildung hängt in Deutschland stärker als in anderen Industrieländern immer noch von der Herkunft ab. Das wollen wir ändern und endlich einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung legen. Auch nach der Schule müssen wir den Menschen versprechen, dass sie durch Weiterbildungsmaßnahmen trotz digitalem Wandel mitkommen.
Frage: Sie waren in den 90er-Jahren bei den Grünen aktiv – heute muss auch diese Partei um den Einzug in den Bundestag kämpfen. Was machen die falsch?
Vogel: Wir sind die letzten, die hämisch über andere Parteien in einer schwierigen Situation sprechen sollten. Mein Eindruck ist einfach, dass viele Bürger nicht mehr erkennen können, was die Grünen antreibt und wofür sie stehen.
Frage: Christian Lindner hat im Dezember 2016 ein Fairnessabkommen für den Wahlkampf in NRW angeregt. Politische Kultur dürfe „nicht die persönliche Vernichtung des politischen Gegners zum Ziel haben“. Droht denn die Vernichtung?
Vogel: Es ist zumindest unsere Aufgabe, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Gerade weil die Debatte wegen einiger Rechtspopulisten rauer geworden ist, müssen wir den fairen Meinungswettstreit in der Demokratie hochhalten. Wir wollen hart um Themen streiten, aber dürfen uns als Menschen nicht persönlich angreifen. Sonst hat irgendwann niemand mehr Lust, sich zu engagieren. Und: Jede politische Debatte muss auf der Grundlage von Fakten geführt werden, nicht auf der Grundlage von falschen Behauptungen.
Frage: Im Hinblick auf die grüne Bildungsministerin Sylvia Löhrmann scheinen diese Vorgaben aber vergessen. Anstatt einen Kurswechsel ihrer Politik zu fordern, arbeiten Sie auf ihren Rücktritt hin.
Vogel: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Angriff auf persönlicher Ebene und der Position, dass zur Demokratie auch die Wahl und Abwahl von Personen gehört. Es wird aber niemals eine Initiative der FDP gegen Frau Löhrmann geben, die sie als Mensch angreift.
Frage: Sondern?
Vogel: Es ist legitim zu sagen, dass wir ihre Bildungspolitik für ideologisch und falsch halten und sie unseren Kindern eine desaströse Bilanz zumutet. Auf der anderen Seite nehme ich wahr, dass Frau Löhrmann in Interviews unsere persönliche Integrität immer wieder infrage gestellt hat – indem sie Spekulationen über eine Ampelkoalition in NRW nach der Bundestagswahl genährt hat. Wir haben am letzten Wochenende auf dem Landesparteitag klipp und klar gemacht, dass unser Wort gilt. Wir werden auch unsere Wettbewerber in diesem Wahlkampf – wenn nötig – an Fairnessgrundlagen erinnern.
Frage: Darf man die AfD vernichten?
Vogel: Nicht die Personen natürlich. Aber ich darf politisch sagen, dass die Partei Grundlagen unserer demokratischen Kultur nicht akzeptiert und völkisch denkt. Die AfD will eine Gesellschaft, in der die Herkunft entscheidend ist. Sie stellt allen Ernstes die deutsche Erinnerungskultur infrage. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Überzeugungen keinen Einfluss im Parlament haben. Deshalb wollen wir in NRW auch stärker werden als die AfD.
Frage: Trifft das auch für den wirtschaftsliberalen Flügel der AfD zu, der nicht völkisch denkt? Ist es nicht Aufgabe der FDP, diesen Mitgliedern eine Alternative zu sein?
Vogel: Jedem, der mit der Politik der großen Koalition – inklusive ihrer Einwanderungspolitik – unzufrieden ist, machen wir schon lange ein alternatives Angebot aus der politischen Mitte heraus. Wir wollen eine andere Regierung, aber keine andere Republik.
Frage: Längst nicht jedes AfD-Mitglied denkt so wie der rechte Flügel der Partei.
Vogel: Wer noch in den letzten Monaten AfD gewählt hat oder dort Mitglied war, der muss wissen, was er tut. Irgendwann ist die Phase erreicht, in der man es nicht mehr durchgehen lassen kann, bei den ekelhaften Dingen einfach wegzuschauen. Es gibt politische No-Gos – was die AfD mit Blick auf den Holocaust macht, gehört dazu.
Frage: Aktuelle Umfragen sehen die SPD in Nordrhein-Westfalen bei 40 und die FDP bei elf Prozent. Steht dort eine sozialliberale Koalition bevor?
Vogel: Wir lassen uns durch Umfragen nicht von der Arbeit ablenken. Die heiße Phase des Wahlkampfs hat gerade erst begonnen. Da wir einen Politikwechsel wollen, schließen wir in Nordrhein-Westfalen eine Koalition mit Grünen und SPD aus – wir werden der aktuellen Koalition nicht als dritter Partner zur Mehrheit verhelfen. Ansonsten sind wir offen für Gespräche, weil wir unser Land ja verändern wollen. Klar ist aber: Wenn wir einen Politikwechsel nicht durchsetzen können, gehen wir lieber in die Opposition - das gilt übrigens auch für eine Konstellation mit der CDU.
Frage: Wäre es nicht fair, dem Wähler zu sagen, welches Bündnis er mit der FDP auf Bundesebene bekommt – und welches nicht?
Vogel: Wir werden auf einem Bundesparteitag kurz vor der Wahl genau sagen, mit welchen Projekten wir Deutschland voranbringen wollen – etwa für beste Bildung, um Deutschland bei der Digitalisierung zum Vorreiter zu machen, und für eine Erneuerung des Aufstiegsversprechens und eine Entlastung der Mitte. Das wird auch Prüfstein jeder möglichen Regierungsbeteiligung sein. Die Bürger wissen bei uns, woran sie sind: Entweder wir können für diese Themen etwas erreichen, oder wir gehen lieber in die Opposition.
Frage: Führende SPD-Politiker haben Rot-Rot-Grün im Bund eine Absage erteilt. Damit werden Sie immer mehr in eine Regierungsbeteiligung gedrängt.
Vogel: Uns drängt die Lage im Land, nicht Debatten anderer Parteien. Die SPD will von Rot-Rot-Grün ablenken und daher lieber über andere Koalitionen reden. Wir sollten aber darüber reden, was sich in Deutschland ändern muss. Darum muss es im Wahlkampf gehen.
Frage: Momentan entsteht der Eindruck, Sie wüssten selbst nicht, was Sie wollen. Christian Lindner betonte kürzlich, dass die Schnittmengen mit der Union größer seien als mit der SPD, und Ihr Vize Wolfgang Kubicki behauptete kurz darauf das Gegenteil.
Vogel: Die Situation ist doch ganz klar: Die SPD unter Martin Schulz scheint zurück in die 90er-Jahre zu wollen, die CDU verteidigt aktuell wenigstens die Reste der Agenda 2010, und wir wollen Deutschland fit machen für Digitalisierung und moderne Arbeitswelt. Da sieht man klar, dass uns die Union aktuell nähersteht – aber vor allem, was im Bundestag fehlt.
VOGEL-Interview: Wir sind idealistischer als je zuvor
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Johannes Vogel gab der „Welt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Adrian Arab und Ulf Poschardt:
Frage: Sie waren Teil der „alten“ FDP und wollen heute die „neue“ FDP repräsentieren. Kauft man Ihnen das ab?
Vogel: Ja, denn wir haben uns und die ganze Partei verändert. Zu jedem Zeitpunkt stand die Frage im Mittelpunkt: Warum machen wir das, und warum muss es eine FDP geben? Die Frage haben wir nicht nur inhaltlich beantwortet, sondern auch im Stil. Es gibt heute zum Beispiel einen anderen Teamspirit. Nur wer miteinander und nicht gegeneinander arbeitet, ist willkommen. Früher haben mich Journalisten gefragt, warum in keiner anderen Partei so bösartig übereinander geredet wird wie in der FDP. Heute fragen mich Journalisten, wie wir die weltbeste Bildung gestalten wollen. Wir haben uns verändert.
Frage: Sie sitzen immer noch im Bundesvorstand der FDP. Nach persönlichen Konsequenzen sieht das nicht aus.
Vogel: Ich habe schon während unserer Zeit im Bundestag Aspekte kritisiert und angeregt, die wir jetzt zur Vollendung bringen – das kann man heute noch nachlesen. Als Vorsitzender der Jungen Liberalen war es mir immer ein Bedürfnis, Veränderungsbedarf in der FDP aufzuzeigen.
Frage: Sie haben es immer gewusst …
Vogel: Nein, auch ich stelle mir selbstkritisch die Frage, warum ich in entscheidenden Momenten nicht entschiedener gegengehalten habe, wenn etwas brutal schieflief. Zum Beispiel, als unser Koalitionspartner CDU die zentrale Wahlvereinbarung – eine Steuerreform - einfach abgesagt hat. Da war unsere Glaubwürdigkeit infrage gestellt – das wird uns sicher nicht noch mal passieren.
Frage: War die FDP im Bundestag keine idealistische Partei?
Vogel: Als Liberaler glaubt man, dass jeder der beste Architekt für sein eigenes Leben ist. Wir wollen eine Gesellschaft, in der jeder seinen Weg im Leben gehen und sich etwas aufbauen kann, egal, woher er kommt, ob und woran er glaubt und wie bunt, schräg, ungewöhnlich oder ganz „normal“ dieser Weg sein mag. Diese Einstellung war vielleicht nie eine Mehrheitsposition – aber auch zu viele Menschen, die das teilen, haben diese Grundsätze damals nicht mehr in uns erkennen können. Ja, wir sind heute idealistischer als je zuvor.
Frage: Wie riskant war es, mit der FDP bei null zu beginnen? Die FDP bezeichnet sich ja immer noch gerne als Start-up.
Vogel: Wir waren eine Traditionspartei und sind aus dem Bundestag geflogen – da ist Start-up-Geist die richtige Einstellung. Es sind ja durchaus schon andere Parteien unserer Größenordnung für eine bestimmte Zeit aus dem Bundestag ausgeschieden – zum Beispiel die Linke 2002 bis 2005 und die Grünen 1990 bis 1994.
Frage: Parteien, die länger als eine Legislaturperiode draußen waren, gibt es nur noch in den Geschichtsbüchern.
Vogel: Richtig, denn keine Partei hat eine Existenzgarantie – auch die FDP nicht. Entweder sie ist in den Augen der Menschen notwendig oder eben nicht. Wir hatten keine andere Wahl, als uns radikal von Halbheit, Opportunismus und Ängstlichkeit zu trennen.
Frage: Früher standen Persönlichkeiten wie Gerhart Baum, Guido Westerwelle oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDP – heute Christian Lindner. Wie groß ist das Risiko einer „Ein-Mann-Partei“?
Vogel: Christian Lindner leistet einen unfassbaren Beitrag und ist das Zugpferd der FDP – wir sind froh, dass wir ihn haben. Als Partei, die nicht im Bundestag vertreten ist, haben wir gar nicht die mediale Chance, so viele Gesichter zu etablieren. Trotzdem steht hinter ihm ein großes Team, dem wir – zurück im Bundestag – auch wieder eine breitere Bühne geben können.
Frage: Was lief im Saarland schief?
Vogel: Das Saarland ist politisch schwierig, wir leiden heute noch unter Fehlern in der Koalition aus CDU, Grünen und FDP in den Jahren 2009 bis 2011. Die FDP Saar existierte danach quasi nicht mehr. Unser Kandidat Oliver Luksic hat mit seinem kleinen Team bei null angefangen und dafür ein beachtliches Ergebnis erzielt.
Frage: Das trotzdem nicht für den Einzug in den Landtag gereicht hat.
Vogel: Die Erneuerung ist ein Marathonlauf, der übrigens auch nach 2017 nicht aufhört. Die kommenden Landtagswahlen werden besser verlaufen als die Wahl im Saarland.
Frage: Weil?
Vogel: Unsere Veranstaltungen sind brechend voll, wir erleben einen Mitgliederboom - über 700 Neueintritte alleine in NRW, seitdem der „Schulz-Zug“ losgerollt ist. Man kann Martin Schulz inhaltlich viel vorwerfen – aber auch mit ihm erleben wir wieder neue Leidenschaft in der Bundespolitik. 2017 ist ein besonderes Jahr, das spüren die Menschen. Trump, der Brexit, Wahlen in Frankreich, in den Niederlanden und in Deutschland – da kommt viel zusammen.
Frage: Lob für Martin Schulz? Das klingt fast so, als wollten Sie ihm Deutschland überlassen.
Vogel: Im Gegenteil. Bei aller Leidenschaft: Man weiß ja noch nicht, wofür er steht, außer dass er die Agenda 2010 rückabwickeln will, die Deutschland erst stark gemacht hat. Die ganz falsche Richtung. Aber wer hält dagegen? Die CDU erleben die Menschen als ordnungspolitischen Ausfall, der die letzten Jahre etwa die Renten-Wahlgeschenke mitgemacht hat. Die Partei ist zudem im Klein-Klein der Tagespolitik stecken geblieben. Die einzige Partei, die sich über Deutschlands Zukunft Gedanken macht, ist doch die FDP.
Frage: Sie definieren Sozialpolitik als Ihr großes Thema. Gleichzeitig kritisiert die FDP jede Umverteilung. Ein Widerspruch?
Vogel: Nicht, wenn wir bei der Bildung beginnen – das ist die größte soziale Herausforderung. Bildung hängt in Deutschland stärker als in anderen Industrieländern immer noch von der Herkunft ab. Das wollen wir ändern und endlich einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung legen. Auch nach der Schule müssen wir den Menschen versprechen, dass sie durch Weiterbildungsmaßnahmen trotz digitalem Wandel mitkommen.
Frage: Sie waren in den 90er-Jahren bei den Grünen aktiv – heute muss auch diese Partei um den Einzug in den Bundestag kämpfen. Was machen die falsch?
Vogel: Wir sind die letzten, die hämisch über andere Parteien in einer schwierigen Situation sprechen sollten. Mein Eindruck ist einfach, dass viele Bürger nicht mehr erkennen können, was die Grünen antreibt und wofür sie stehen.
Frage: Christian Lindner hat im Dezember 2016 ein Fairnessabkommen für den Wahlkampf in NRW angeregt. Politische Kultur dürfe „nicht die persönliche Vernichtung des politischen Gegners zum Ziel haben“. Droht denn die Vernichtung?
Vogel: Es ist zumindest unsere Aufgabe, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Gerade weil die Debatte wegen einiger Rechtspopulisten rauer geworden ist, müssen wir den fairen Meinungswettstreit in der Demokratie hochhalten. Wir wollen hart um Themen streiten, aber dürfen uns als Menschen nicht persönlich angreifen. Sonst hat irgendwann niemand mehr Lust, sich zu engagieren. Und: Jede politische Debatte muss auf der Grundlage von Fakten geführt werden, nicht auf der Grundlage von falschen Behauptungen.
Frage: Im Hinblick auf die grüne Bildungsministerin Sylvia Löhrmann scheinen diese Vorgaben aber vergessen. Anstatt einen Kurswechsel ihrer Politik zu fordern, arbeiten Sie auf ihren Rücktritt hin.
Vogel: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Angriff auf persönlicher Ebene und der Position, dass zur Demokratie auch die Wahl und Abwahl von Personen gehört. Es wird aber niemals eine Initiative der FDP gegen Frau Löhrmann geben, die sie als Mensch angreift.
Frage: Sondern?
Vogel: Es ist legitim zu sagen, dass wir ihre Bildungspolitik für ideologisch und falsch halten und sie unseren Kindern eine desaströse Bilanz zumutet. Auf der anderen Seite nehme ich wahr, dass Frau Löhrmann in Interviews unsere persönliche Integrität immer wieder infrage gestellt hat – indem sie Spekulationen über eine Ampelkoalition in NRW nach der Bundestagswahl genährt hat. Wir haben am letzten Wochenende auf dem Landesparteitag klipp und klar gemacht, dass unser Wort gilt. Wir werden auch unsere Wettbewerber in diesem Wahlkampf – wenn nötig – an Fairnessgrundlagen erinnern.
Frage: Darf man die AfD vernichten?
Vogel: Nicht die Personen natürlich. Aber ich darf politisch sagen, dass die Partei Grundlagen unserer demokratischen Kultur nicht akzeptiert und völkisch denkt. Die AfD will eine Gesellschaft, in der die Herkunft entscheidend ist. Sie stellt allen Ernstes die deutsche Erinnerungskultur infrage. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Überzeugungen keinen Einfluss im Parlament haben. Deshalb wollen wir in NRW auch stärker werden als die AfD.
Frage: Trifft das auch für den wirtschaftsliberalen Flügel der AfD zu, der nicht völkisch denkt? Ist es nicht Aufgabe der FDP, diesen Mitgliedern eine Alternative zu sein?
Vogel: Jedem, der mit der Politik der großen Koalition – inklusive ihrer Einwanderungspolitik – unzufrieden ist, machen wir schon lange ein alternatives Angebot aus der politischen Mitte heraus. Wir wollen eine andere Regierung, aber keine andere Republik.
Frage: Längst nicht jedes AfD-Mitglied denkt so wie der rechte Flügel der Partei.
Vogel: Wer noch in den letzten Monaten AfD gewählt hat oder dort Mitglied war, der muss wissen, was er tut. Irgendwann ist die Phase erreicht, in der man es nicht mehr durchgehen lassen kann, bei den ekelhaften Dingen einfach wegzuschauen. Es gibt politische No-Gos – was die AfD mit Blick auf den Holocaust macht, gehört dazu.
Frage: Aktuelle Umfragen sehen die SPD in Nordrhein-Westfalen bei 40 und die FDP bei elf Prozent. Steht dort eine sozialliberale Koalition bevor?
Vogel: Wir lassen uns durch Umfragen nicht von der Arbeit ablenken. Die heiße Phase des Wahlkampfs hat gerade erst begonnen. Da wir einen Politikwechsel wollen, schließen wir in Nordrhein-Westfalen eine Koalition mit Grünen und SPD aus – wir werden der aktuellen Koalition nicht als dritter Partner zur Mehrheit verhelfen. Ansonsten sind wir offen für Gespräche, weil wir unser Land ja verändern wollen. Klar ist aber: Wenn wir einen Politikwechsel nicht durchsetzen können, gehen wir lieber in die Opposition - das gilt übrigens auch für eine Konstellation mit der CDU.
Frage: Wäre es nicht fair, dem Wähler zu sagen, welches Bündnis er mit der FDP auf Bundesebene bekommt – und welches nicht?
Vogel: Wir werden auf einem Bundesparteitag kurz vor der Wahl genau sagen, mit welchen Projekten wir Deutschland voranbringen wollen – etwa für beste Bildung, um Deutschland bei der Digitalisierung zum Vorreiter zu machen, und für eine Erneuerung des Aufstiegsversprechens und eine Entlastung der Mitte. Das wird auch Prüfstein jeder möglichen Regierungsbeteiligung sein. Die Bürger wissen bei uns, woran sie sind: Entweder wir können für diese Themen etwas erreichen, oder wir gehen lieber in die Opposition.
Frage: Führende SPD-Politiker haben Rot-Rot-Grün im Bund eine Absage erteilt. Damit werden Sie immer mehr in eine Regierungsbeteiligung gedrängt.
Vogel: Uns drängt die Lage im Land, nicht Debatten anderer Parteien. Die SPD will von Rot-Rot-Grün ablenken und daher lieber über andere Koalitionen reden. Wir sollten aber darüber reden, was sich in Deutschland ändern muss. Darum muss es im Wahlkampf gehen.
Frage: Momentan entsteht der Eindruck, Sie wüssten selbst nicht, was Sie wollen. Christian Lindner betonte kürzlich, dass die Schnittmengen mit der Union größer seien als mit der SPD, und Ihr Vize Wolfgang Kubicki behauptete kurz darauf das Gegenteil.
Vogel: Die Situation ist doch ganz klar: Die SPD unter Martin Schulz scheint zurück in die 90er-Jahre zu wollen, die CDU verteidigt aktuell wenigstens die Reste der Agenda 2010, und wir wollen Deutschland fit machen für Digitalisierung und moderne Arbeitswelt. Da sieht man klar, dass uns die Union aktuell nähersteht – aber vor allem, was im Bundestag fehlt.