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03.04.2017 - 11:00THEURER-Interview: Kreuzzug gegen den Diesel
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab dem „Badischen Tagblatt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Trittmann:
Frage: Herr Theurer, die FDP hat ihr Programm für die Bundestagswahl vorgelegt. Überzeugen Sie mich: Warum sollte ich im September mein Kreuz bei der FDP machen?
Theurer: Die zentrale Botschaft lautet „German Mut“. Wir stehen vor den beiden großen Herausforderungen Globalisierung und Digitalisierung, und wir wollen, dass hierbei in Deutschland stärker die Chancen gesehen werden. Und nicht nur die Risiken. Dazu setzen wir auf klassische liberale Werte: Eigeninitiative und Selbstbestimmung in allen Lebenslagen.
Frage: Findet bislang zu wenig Selbstbestimmung statt?
Theurer: Uns geht es darum, dass die Menschen Freiräume bekommen, um ihr Leben selbst zu gestalten. Dazu gehört, dass wir in Deutschland eine Gründerkultur schaffen wollen. Wir sehen, dass in anderen Ländern sehr viele Start-ups gegründet werden. Allein 50 Milliarden Euro an Risikokapital fließen jährlich in die USA; in Deutschland waren es 2016 nur zwei Milliarden. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht abgehängt werden, sondern attraktiv bleiben. Selbstbestimmung in allen Lebenslagen gilt aber natürlich nicht nur für junge Menschen, sondern auch für ältere – zum Beispiel beim Renteneintritt, wo wir möglichst flexible Regelungen brauchen.
Frage: Die große Koalition hat das Eintrittsalter gesenkt, Stichwort: Rente mit 63.
Theurer: Wir kritisieren die Absenkung des Renteneintrittsalters, weil wir das für nicht nachhaltig erachten. Dieser Schritt, das ganze Rentenpaket der Koalition belastet kommende Generationen erheblich. Wir brauchen flexible Übergänge. Wer länger arbeiten will, soll das auch können.
Frage: Durch den demografischen Wandel sinkt das Rentenniveau. Die FDP als Partei der Selbstbestimmung ist seit jeher für private Vorsorge. Kann man diese aber den Menschen in Nullzinszeiten schmackhaft machen?
Theurer: Ich kritisiere die Nullzinspolitik der EZB. Unabhängig davon: Das Rentenniveau hängt von der Einkommensentwicklung ab. Die Einkommen können aber nur steigen, wenn die Produktivität steigt. Von zentraler Wichtigkeit ist daher die Wettbewerbsfähigkeit. Der zweite, entscheidende Faktor ist die Demografie. Heute finanzieren zwei Arbeitnehmer einen Rentner, doch das Verhältnis wird sich bis 2050 nahezu umdrehen. Aber so hoch können die Beiträge gar nicht steigen, um das auszugleichen, das wäre eine unverhältnismäßige Belastung der jungen Generation. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass das Rentensystem nachhaltig wird. Und das bedeutet: Wir brauchen den Demografiefaktor, wir brauchen einen flexiblen Renteneintritt und wir brauchen eine Stärkung der anderen Säulen der Altersvorsorge. Also zum einen der Betriebsrenten und zum anderen der privaten Vorsorge.
Frage: Herrscht hierzulande tatsächlich ein Übermaß an „German Angst“?
Theurer: Die Frage ist, ob wir die Zukunftsaufgaben wirklich anpacken. Nehmen wir nur die Digitalisierung – da fängt es schon bei den Netzen an. Wenn ich von Horb aus über den Schwarzwald fahre, reißt immer wieder die Verbindung ab. Da gibt es noch zu viele Lücken. Südkorea wird in wenigen Monaten den 5-G-Mobilfunkstandard einführen, der bei uns für 2025 angekündigt ist. Das ist zu spät. Auch beim Thema Glasfaser für alle geht es zwar voran, aber nicht schnell genug. Wir liegen hier in Europa nur im unteren Mittelfeld. Auch bei anderen Themen – Stichwort Biotech – stellen wir fest: Die Diskussionen hierzulande beleuchten vor allem die Risiken. Manche Diskussion ist angstgetrieben. Wir laufen dadurch Gefahr, Zukunftschancen leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Hier sagt die FDP: Wir brauchen eine andere Einstellung. Eine, die stärker die Chancen betont.
Frage: Also tatsächlich zu viel Angst?
Theurer: Auch die ganze Klimadiskussion ist angstgetrieben. Es ist wahr, dass es den Klimawandel gibt. Die Frage aber ist, warum sich Deutschland das teuerste Umverteilungssystem leistet – wir reden von 24 Milliarden Euro jährlich –, das am Ende dem Klima aber gar nichts nützt. Jede Tonne CO2, die durch Wind- oder Solarenergie eingespart wird, steht über das europäische Emissionshandelssystem anderen Ländern zur Verfügung.
Frage: Noch mehr Ängste?
Theurer: Bedenkenträgerei gibt es auch aus einer ganz anderen Richtung. Uns fehlen Zehntausende Fachkräfte. Ingenieure, Programmierer, Facharbeiter. Wir fordern als Freie Demokraten seit Jahren ein Zuwanderungsgesetz, das Arbeitsmigration steuert. Doch wir merken immer wieder, dass dieses Thema angstbesetzt ist. Insbesondere die Unionsparteien sind dagegen, und die AfD ist mit diesem Thema massiv unterwegs. Sie predigt die Abschottung und schürt die Ängste der Bevölkerung. Doch Abschottung kann für Deutschland, für Baden-Württemberg nur ein Irrweg sein.
Frage: Wie würde die FDP denn Klimapolitik gestalten?
Theurer: Wir müssen weltweite Effekte erzielen, alles andere rettet das Weltklima nicht. Wir in Deutschland können unseren Beitrag leisten, indem wir Technologien entwickeln und marktfähig machen, die CO2 reduzieren. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz war ja als Hilfe zur Markteinführung richtig. Doch jetzt sind Wind und Solar ohne Subventionen konkurrenzfähig.
Frage: Zählt zu den Technologien auch das Elektroauto?
Theurer: Absolut. Auch hier wurden große technologische Fortschritte erzielt. Das kritische Element ist die Ladeinfrastruktur. E-Mobilität wird aber erst dann vom Kunden angenommen, wenn sie genauso komfortabel ist wie der Verbrennungsmotor. Ein Verbot des Verbrennungsmotors, wie es die Grünen fordern, lehnen wir ab. Wir bauen in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg, die besten Verbrennungsmotoren der Welt. Ein Verbot wäre aberwitzig. Wenn das käme, wenn auch der Kreuzzug gegen den Diesel fortgesetzt würde, besteht die Gefahr, dass Baden-Württemberg das Ruhrgebiet des 21. Jahrhunderts wird. Wir wollen das nicht.
Frage: Aber die Diesel sind nun mal deutlich dreckiger als angegeben.
Theurer: Die Autokonzerne haben diese Antriebstechnik diskreditiert, das stimmt. Fakt ist aber auch, dass ein batteriebetriebenes Fahrzeug über die gesamte Nutzungszeit nicht CO2-freundlicher abschneidet als ein Diesel. Daher sollte man eine eingeführte, weltweit konkurrenzfähige Technologie nicht vorschnell abschreiben. Die spielt nur den Chinesen in die Hände. Und es gibt ja Technologien, um das Stickoxid-Problem zu lösen.
Frage: Es geht auch um die Feinstaubproblematik.
Theurer: Wir haben den Eindruck, dass hier eine gezielte Desinformation stattfindet. Am Stuttgarter Neckartor kommen nur sieben Prozent des Feinstaubs aus dem Auspuff. 54 Prozent kommen aus anderen Quellen, etwa aus Heizungen. Ein weiterer großer Teil kommt aus Reifen- und Bremsabrieb, was sich auch durch E-Autos nicht ändern wird. Was Stadt und Land beabsichtigen, ist eine kalte Enteignung der Menschen, die ein Diesel-Fahrzeug haben. Am Feinstaub wird sich aber nichts ändern.
Frage: Nun wird über die Einführung einer blauen Plakette für Euro-6-Fahrzeuge diskutiert.
Theurer: Fahrverbote werden wegen des Feinstaubs angeordnet. Aber: Euro-5-Fahrzeuge stoßen gar nicht mehr Feinstaub aus als Euro-6-Fahrzeuge, sondern mehr Stickoxide. Deshalb ist es hoch problematisch, solche Verbote zu verhängen.
Frage: Sie haben eine Reihe von FDP-Positionen für den heraufziehenden Wahlkampf benannt. Ärgert es Sie, dass die erste Schlagzeile zu Ihrem Wahlprogramm trotzdem lautete: FDP will Steuern senken?
Theurer: Wir dürfen uns nie mehr auf eine ausschließliche Steuersenkungspartei reduzieren lassen. Das FDP-Programm ist breit angelegt. Dennoch: Wenn wir Überschüsse im Bundeshaushalt erzielen, ist es legitim, zu schauen, wo wir kleine und mittlere Einkommen entlasten können. Zum Beispiel durch die Abschaffung der kalten Progression oder des „Soli“.
Frage: Der Absturz der FDP 2013 war beispiellos. Glauben Sie, dass seither genügend Menschen die FDP vermisst haben?
Theurer: Ich glaube schon, dass uns die Menschen als Stimme der Sozialen Marktwirtschaft und der Rechtsstaatlichkeit im Bundestag haben möchten. Wenn Sie die anderen Parteien anschauen, werden Sie feststellen: Wir sind die einzige Partei, die für Marktwirtschaft, für Eigeninitiative steht und gegen etatistische Eingriffe. Da haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. Wir sind zudem weltoffen und proeuropäisch. In dieser Kombination sehe ich eine große Chance. Aber – wir müssen um den Einzug in den Bundestag kämpfen, und dabei kommt es auf ein gutes Ergebnis in Baden-Württemberg an.
Frage: Sind Sie für Volksentscheide?
Theurer: Wir sind auf kommunaler Ebene dafür. Bei Volksentscheiden auf Bundesebene ist unsere Position noch nicht festgelegt. Ich könnte mir Volksentscheide durchaus vorstellen, sie sind für mich allerdings kein Allheilmittel. Man muss mit diesem Instrument sehr verantwortungsvoll umgehen, das lehrt nicht zuletzt der Brexit. Es muss auch die Möglichkeit geben, Fehlentscheidungen durch ein zweites Referendum zu korrigieren, wie es etwa in der Schweiz praktiziert wird.
Frage: Manche Bürger gehen nicht zu Wahlen, weil sie glauben, damit nichts bewegen zu können.
Theurer: Da widerspreche ich entschieden. Wenn zum Beispiel die Franzosen Marine Le Pen wählen, eine Person, die erklärt hat, sie wolle die EU zerstören – dann wird die EU zerstört. Das ist Demokratie. Man könnte es auch anders formulieren: Wenn die Demokraten zu Hause bleiben, dann kommt die Diktatur. Ungarn und Polen als mahnende Beispiele.
Frage: Sehen Sie die Gefahr, dass die EU zerstört wird?
Theurer: Leider ja. Die größte historische Leistung in unserer Geschichte war die europäische Einigung. Frieden in Europa ist genauso wenig eine Selbstverständlichkeit wie der europäische Binnenmarkt, der uns Wohlstand und Arbeitsplätze sichert. Ja, dieses historische Einigungsprojekt ist akut gefährdet, wenn Antieuropäer in Regierungen gewählt werden. Wir erleben in Ländern, in denen Neo-Rechte, Neo-Nationalisten in die Regierung gewählt werden – in demokratischen Wahlen –, dass dort sofort die Spielregeln geändert werden. In Ungarn wird die Pressefreiheit eingeschränkt, werden ausländische Investoren diskriminiert, wird das Wahlgesetz zulasten der Minderheiten geändert. Oder in Polen, wo alles noch viel schneller ging. Pressefreiheit wurde eingeschränkt und sogar die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts ausgehöhlt. Angesichts dessen kann man nur sagen: Wachsamkeit ist oberste Bürgerpflicht.
Frage: Zurück zur anstehenden Bundestagswahl. Wie lautet das Ziel der FDP?
Theurer: Wiedereinzug in den Bundestag. Der wird nur gelingen, wenn das Ergebnis in Baden-Württemberg überdurchschnittlich ist. Unser Ziel sind acht Prozent im Land.
Frage: Mit wem wollen Sie koalieren?
Theurer: Unser Ausscheiden aus dem Parlament 2013 war eine tiefe Zäsur. Es geht uns um Inhalte, um einen Politikwechsel. Wir werden uns Gesprächen mit den Parteien des Verfassungsbogens – zu dem die Linke und die AfD nicht gehören – nicht verschließen. Aber wir werden in keine Koalition eintreten, wenn nicht wesentliche Inhalte unseres Programms umgesetzt werden können. Das ist die Lehre aus den negativen Erfahrungen in der schwarz-gelben Koalition bis 2013. Die enge Anlehnung an die CDU, fast bis zur Ununterscheidbarkeit, war ein großer Fehler. Den werden wir mit Sicherheit kein zweites Mal machen.
THEURER-Interview: Kreuzzug gegen den Diesel
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab dem „Badischen Tagblatt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Trittmann:
Frage: Herr Theurer, die FDP hat ihr Programm für die Bundestagswahl vorgelegt. Überzeugen Sie mich: Warum sollte ich im September mein Kreuz bei der FDP machen?
Theurer: Die zentrale Botschaft lautet „German Mut“. Wir stehen vor den beiden großen Herausforderungen Globalisierung und Digitalisierung, und wir wollen, dass hierbei in Deutschland stärker die Chancen gesehen werden. Und nicht nur die Risiken. Dazu setzen wir auf klassische liberale Werte: Eigeninitiative und Selbstbestimmung in allen Lebenslagen.
Frage: Findet bislang zu wenig Selbstbestimmung statt?
Theurer: Uns geht es darum, dass die Menschen Freiräume bekommen, um ihr Leben selbst zu gestalten. Dazu gehört, dass wir in Deutschland eine Gründerkultur schaffen wollen. Wir sehen, dass in anderen Ländern sehr viele Start-ups gegründet werden. Allein 50 Milliarden Euro an Risikokapital fließen jährlich in die USA; in Deutschland waren es 2016 nur zwei Milliarden. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht abgehängt werden, sondern attraktiv bleiben. Selbstbestimmung in allen Lebenslagen gilt aber natürlich nicht nur für junge Menschen, sondern auch für ältere – zum Beispiel beim Renteneintritt, wo wir möglichst flexible Regelungen brauchen.
Frage: Die große Koalition hat das Eintrittsalter gesenkt, Stichwort: Rente mit 63.
Theurer: Wir kritisieren die Absenkung des Renteneintrittsalters, weil wir das für nicht nachhaltig erachten. Dieser Schritt, das ganze Rentenpaket der Koalition belastet kommende Generationen erheblich. Wir brauchen flexible Übergänge. Wer länger arbeiten will, soll das auch können.
Frage: Durch den demografischen Wandel sinkt das Rentenniveau. Die FDP als Partei der Selbstbestimmung ist seit jeher für private Vorsorge. Kann man diese aber den Menschen in Nullzinszeiten schmackhaft machen?
Theurer: Ich kritisiere die Nullzinspolitik der EZB. Unabhängig davon: Das Rentenniveau hängt von der Einkommensentwicklung ab. Die Einkommen können aber nur steigen, wenn die Produktivität steigt. Von zentraler Wichtigkeit ist daher die Wettbewerbsfähigkeit. Der zweite, entscheidende Faktor ist die Demografie. Heute finanzieren zwei Arbeitnehmer einen Rentner, doch das Verhältnis wird sich bis 2050 nahezu umdrehen. Aber so hoch können die Beiträge gar nicht steigen, um das auszugleichen, das wäre eine unverhältnismäßige Belastung der jungen Generation. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass das Rentensystem nachhaltig wird. Und das bedeutet: Wir brauchen den Demografiefaktor, wir brauchen einen flexiblen Renteneintritt und wir brauchen eine Stärkung der anderen Säulen der Altersvorsorge. Also zum einen der Betriebsrenten und zum anderen der privaten Vorsorge.
Frage: Herrscht hierzulande tatsächlich ein Übermaß an „German Angst“?
Theurer: Die Frage ist, ob wir die Zukunftsaufgaben wirklich anpacken. Nehmen wir nur die Digitalisierung – da fängt es schon bei den Netzen an. Wenn ich von Horb aus über den Schwarzwald fahre, reißt immer wieder die Verbindung ab. Da gibt es noch zu viele Lücken. Südkorea wird in wenigen Monaten den 5-G-Mobilfunkstandard einführen, der bei uns für 2025 angekündigt ist. Das ist zu spät. Auch beim Thema Glasfaser für alle geht es zwar voran, aber nicht schnell genug. Wir liegen hier in Europa nur im unteren Mittelfeld. Auch bei anderen Themen – Stichwort Biotech – stellen wir fest: Die Diskussionen hierzulande beleuchten vor allem die Risiken. Manche Diskussion ist angstgetrieben. Wir laufen dadurch Gefahr, Zukunftschancen leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Hier sagt die FDP: Wir brauchen eine andere Einstellung. Eine, die stärker die Chancen betont.
Frage: Also tatsächlich zu viel Angst?
Theurer: Auch die ganze Klimadiskussion ist angstgetrieben. Es ist wahr, dass es den Klimawandel gibt. Die Frage aber ist, warum sich Deutschland das teuerste Umverteilungssystem leistet – wir reden von 24 Milliarden Euro jährlich –, das am Ende dem Klima aber gar nichts nützt. Jede Tonne CO2, die durch Wind- oder Solarenergie eingespart wird, steht über das europäische Emissionshandelssystem anderen Ländern zur Verfügung.
Frage: Noch mehr Ängste?
Theurer: Bedenkenträgerei gibt es auch aus einer ganz anderen Richtung. Uns fehlen Zehntausende Fachkräfte. Ingenieure, Programmierer, Facharbeiter. Wir fordern als Freie Demokraten seit Jahren ein Zuwanderungsgesetz, das Arbeitsmigration steuert. Doch wir merken immer wieder, dass dieses Thema angstbesetzt ist. Insbesondere die Unionsparteien sind dagegen, und die AfD ist mit diesem Thema massiv unterwegs. Sie predigt die Abschottung und schürt die Ängste der Bevölkerung. Doch Abschottung kann für Deutschland, für Baden-Württemberg nur ein Irrweg sein.
Frage: Wie würde die FDP denn Klimapolitik gestalten?
Theurer: Wir müssen weltweite Effekte erzielen, alles andere rettet das Weltklima nicht. Wir in Deutschland können unseren Beitrag leisten, indem wir Technologien entwickeln und marktfähig machen, die CO2 reduzieren. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz war ja als Hilfe zur Markteinführung richtig. Doch jetzt sind Wind und Solar ohne Subventionen konkurrenzfähig.
Frage: Zählt zu den Technologien auch das Elektroauto?
Theurer: Absolut. Auch hier wurden große technologische Fortschritte erzielt. Das kritische Element ist die Ladeinfrastruktur. E-Mobilität wird aber erst dann vom Kunden angenommen, wenn sie genauso komfortabel ist wie der Verbrennungsmotor. Ein Verbot des Verbrennungsmotors, wie es die Grünen fordern, lehnen wir ab. Wir bauen in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg, die besten Verbrennungsmotoren der Welt. Ein Verbot wäre aberwitzig. Wenn das käme, wenn auch der Kreuzzug gegen den Diesel fortgesetzt würde, besteht die Gefahr, dass Baden-Württemberg das Ruhrgebiet des 21. Jahrhunderts wird. Wir wollen das nicht.
Frage: Aber die Diesel sind nun mal deutlich dreckiger als angegeben.
Theurer: Die Autokonzerne haben diese Antriebstechnik diskreditiert, das stimmt. Fakt ist aber auch, dass ein batteriebetriebenes Fahrzeug über die gesamte Nutzungszeit nicht CO2-freundlicher abschneidet als ein Diesel. Daher sollte man eine eingeführte, weltweit konkurrenzfähige Technologie nicht vorschnell abschreiben. Die spielt nur den Chinesen in die Hände. Und es gibt ja Technologien, um das Stickoxid-Problem zu lösen.
Frage: Es geht auch um die Feinstaubproblematik.
Theurer: Wir haben den Eindruck, dass hier eine gezielte Desinformation stattfindet. Am Stuttgarter Neckartor kommen nur sieben Prozent des Feinstaubs aus dem Auspuff. 54 Prozent kommen aus anderen Quellen, etwa aus Heizungen. Ein weiterer großer Teil kommt aus Reifen- und Bremsabrieb, was sich auch durch E-Autos nicht ändern wird. Was Stadt und Land beabsichtigen, ist eine kalte Enteignung der Menschen, die ein Diesel-Fahrzeug haben. Am Feinstaub wird sich aber nichts ändern.
Frage: Nun wird über die Einführung einer blauen Plakette für Euro-6-Fahrzeuge diskutiert.
Theurer: Fahrverbote werden wegen des Feinstaubs angeordnet. Aber: Euro-5-Fahrzeuge stoßen gar nicht mehr Feinstaub aus als Euro-6-Fahrzeuge, sondern mehr Stickoxide. Deshalb ist es hoch problematisch, solche Verbote zu verhängen.
Frage: Sie haben eine Reihe von FDP-Positionen für den heraufziehenden Wahlkampf benannt. Ärgert es Sie, dass die erste Schlagzeile zu Ihrem Wahlprogramm trotzdem lautete: FDP will Steuern senken?
Theurer: Wir dürfen uns nie mehr auf eine ausschließliche Steuersenkungspartei reduzieren lassen. Das FDP-Programm ist breit angelegt. Dennoch: Wenn wir Überschüsse im Bundeshaushalt erzielen, ist es legitim, zu schauen, wo wir kleine und mittlere Einkommen entlasten können. Zum Beispiel durch die Abschaffung der kalten Progression oder des „Soli“.
Frage: Der Absturz der FDP 2013 war beispiellos. Glauben Sie, dass seither genügend Menschen die FDP vermisst haben?
Theurer: Ich glaube schon, dass uns die Menschen als Stimme der Sozialen Marktwirtschaft und der Rechtsstaatlichkeit im Bundestag haben möchten. Wenn Sie die anderen Parteien anschauen, werden Sie feststellen: Wir sind die einzige Partei, die für Marktwirtschaft, für Eigeninitiative steht und gegen etatistische Eingriffe. Da haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. Wir sind zudem weltoffen und proeuropäisch. In dieser Kombination sehe ich eine große Chance. Aber – wir müssen um den Einzug in den Bundestag kämpfen, und dabei kommt es auf ein gutes Ergebnis in Baden-Württemberg an.
Frage: Sind Sie für Volksentscheide?
Theurer: Wir sind auf kommunaler Ebene dafür. Bei Volksentscheiden auf Bundesebene ist unsere Position noch nicht festgelegt. Ich könnte mir Volksentscheide durchaus vorstellen, sie sind für mich allerdings kein Allheilmittel. Man muss mit diesem Instrument sehr verantwortungsvoll umgehen, das lehrt nicht zuletzt der Brexit. Es muss auch die Möglichkeit geben, Fehlentscheidungen durch ein zweites Referendum zu korrigieren, wie es etwa in der Schweiz praktiziert wird.
Frage: Manche Bürger gehen nicht zu Wahlen, weil sie glauben, damit nichts bewegen zu können.
Theurer: Da widerspreche ich entschieden. Wenn zum Beispiel die Franzosen Marine Le Pen wählen, eine Person, die erklärt hat, sie wolle die EU zerstören – dann wird die EU zerstört. Das ist Demokratie. Man könnte es auch anders formulieren: Wenn die Demokraten zu Hause bleiben, dann kommt die Diktatur. Ungarn und Polen als mahnende Beispiele.
Frage: Sehen Sie die Gefahr, dass die EU zerstört wird?
Theurer: Leider ja. Die größte historische Leistung in unserer Geschichte war die europäische Einigung. Frieden in Europa ist genauso wenig eine Selbstverständlichkeit wie der europäische Binnenmarkt, der uns Wohlstand und Arbeitsplätze sichert. Ja, dieses historische Einigungsprojekt ist akut gefährdet, wenn Antieuropäer in Regierungen gewählt werden. Wir erleben in Ländern, in denen Neo-Rechte, Neo-Nationalisten in die Regierung gewählt werden – in demokratischen Wahlen –, dass dort sofort die Spielregeln geändert werden. In Ungarn wird die Pressefreiheit eingeschränkt, werden ausländische Investoren diskriminiert, wird das Wahlgesetz zulasten der Minderheiten geändert. Oder in Polen, wo alles noch viel schneller ging. Pressefreiheit wurde eingeschränkt und sogar die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts ausgehöhlt. Angesichts dessen kann man nur sagen: Wachsamkeit ist oberste Bürgerpflicht.
Frage: Zurück zur anstehenden Bundestagswahl. Wie lautet das Ziel der FDP?
Theurer: Wiedereinzug in den Bundestag. Der wird nur gelingen, wenn das Ergebnis in Baden-Württemberg überdurchschnittlich ist. Unser Ziel sind acht Prozent im Land.
Frage: Mit wem wollen Sie koalieren?
Theurer: Unser Ausscheiden aus dem Parlament 2013 war eine tiefe Zäsur. Es geht uns um Inhalte, um einen Politikwechsel. Wir werden uns Gesprächen mit den Parteien des Verfassungsbogens – zu dem die Linke und die AfD nicht gehören – nicht verschließen. Aber wir werden in keine Koalition eintreten, wenn nicht wesentliche Inhalte unseres Programms umgesetzt werden können. Das ist die Lehre aus den negativen Erfahrungen in der schwarz-gelben Koalition bis 2013. Die enge Anlehnung an die CDU, fast bis zur Ununterscheidbarkeit, war ein großer Fehler. Den werden wir mit Sicherheit kein zweites Mal machen.