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16.03.2017 - 14:45BUSCHMANN-Gastbeitrag: Wehrhafte Demokratie
Der FDP-Bundesgeschäftsführer Dr. Marco Buschmann schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Türkische Regierungsmitglieder wollen in Deutschland für Zustimmung zu einem Verfassungsreferendum werben. Es geht um den Umbau der Türkei in eine Autokratie. Verschiedene deutsche Stellen haben angefangen, diese Auftritte zu unterbinden. Der türkische Außenminister fordert Deutschland nun auf, zu „lernen, wie sie sich uns gegenüber zu benehmen haben“. Selbst die Gegner der Verfassungsreform kritisieren das Vorgehen. Der sozialdemokratische Oppositionsführer Kilicdaroglu meint, Deutschland könne niemandem „Nachhilfe in Sachen Demokratie“ erteilen, wenn Auftritte von türkischen Ministern eingeschränkt würden. Befindet sich Deutschland also im Selbstwiderspruch? Nein. Das ergibt sich aus dem Konzept der wehrhaften Demokratie. Sie ist Teil der deutschen Verfassungsidentität und Ergebnis der Erfahrung mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933: nämlich dass sich Demokratie auf legalistischem Wege selbst abschafft. Insofern ist es grotesk, wenn der türkische Präsident Erdogan Deutschland nun ausgerechnet „Nazipraktiken“ vorwirft.
Wehrhafte Demokratie ist nicht Verwendung, sondern Verneinung nationalsozialistischen Gedankenguts. Sie ist die Reaktion des Grundgesetzes auf die scheinbar legale Selbstentleibung der Weimarer Republik durch parlamentarischen Mehrheitsentscheid. Der Staatsrechtler Carlo Schmid umschrieb die Idee so: „Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“ Natürlich darf der Gedanke der wehrhaften Demokratie selbst nicht zum Totschlagargument werden, um unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Ihre Instrumente dürfen nicht in ein „Weltanschauungs- und Gesinnungsverbot“ umschlagen, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil zum NPD-Verbot schreibt.
Um diese Gefahr zu kontrollieren, hat das Verfassungsgericht in dieser Entscheidung ein klares Kriterium entwickelt: die Potentialität des Erfolgs. Das bedeutet, dass etwa das schärfste Schwert der wehrhaften Demokraten des Grundgesetzes, das Parteienverbot, nur dann zur Anwendung gelangen darf, wenn eine verfassungsfeindliche Kraft „über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen“. Wer nur seine Meinung kundtut, der genießt dafür Freiheit. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass sich das Prinzip der wehrhaften Demokratie gegen jeden richtet, der sich etwa durch Propaganda in die Lage versetzt, Demokratie und Menschenwürde real zu gefährden. Bei einer solchen „Potentialität des Erfolgs“ darf Demokratie diese Propaganda nicht passiv erdulden, sondern muss aktiv wehrhaft sein. Dieses Kriterium hilft dem Geiste nach auch hier weiter. Denn natürlich erträgt Deutschland grundsätzlich politische Propaganda und Wahlkampfauftritte der AKP. Das war so und wird auch in Zukunft so sein. Aber hier geht es um ein Referendum, das die Türkei in eine Autokratie verwandeln soll und Demokratie und Menschenwürde bedroht. Deutschland kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Denn unter den in Deutschland lebenden Stimmberechtigten genießt Präsident Erdogan besonders große Zustimmung: Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 lag sein Stimmanteil hier um 17 Prozentpunkte höher als im Durchschnitt der Türkei. Die Mobilisierung dieser Wähler wird wohl entscheidend sein.
Deshalb kann man den Ereignissen in der Türkei zuschauen – oder aber man handelt als wehrhafter Demokrat. Und wenn sich schon die Bundesregierung dazu nicht in der Lage sieht, dann sollten wir in jedem Falle denen den Rücken stärken, die „den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen“.
BUSCHMANN-Gastbeitrag: Wehrhafte Demokratie
Der FDP-Bundesgeschäftsführer Dr. Marco Buschmann schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Türkische Regierungsmitglieder wollen in Deutschland für Zustimmung zu einem Verfassungsreferendum werben. Es geht um den Umbau der Türkei in eine Autokratie. Verschiedene deutsche Stellen haben angefangen, diese Auftritte zu unterbinden. Der türkische Außenminister fordert Deutschland nun auf, zu „lernen, wie sie sich uns gegenüber zu benehmen haben“. Selbst die Gegner der Verfassungsreform kritisieren das Vorgehen. Der sozialdemokratische Oppositionsführer Kilicdaroglu meint, Deutschland könne niemandem „Nachhilfe in Sachen Demokratie“ erteilen, wenn Auftritte von türkischen Ministern eingeschränkt würden. Befindet sich Deutschland also im Selbstwiderspruch? Nein. Das ergibt sich aus dem Konzept der wehrhaften Demokratie. Sie ist Teil der deutschen Verfassungsidentität und Ergebnis der Erfahrung mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933: nämlich dass sich Demokratie auf legalistischem Wege selbst abschafft. Insofern ist es grotesk, wenn der türkische Präsident Erdogan Deutschland nun ausgerechnet „Nazipraktiken“ vorwirft.
Wehrhafte Demokratie ist nicht Verwendung, sondern Verneinung nationalsozialistischen Gedankenguts. Sie ist die Reaktion des Grundgesetzes auf die scheinbar legale Selbstentleibung der Weimarer Republik durch parlamentarischen Mehrheitsentscheid. Der Staatsrechtler Carlo Schmid umschrieb die Idee so: „Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“ Natürlich darf der Gedanke der wehrhaften Demokratie selbst nicht zum Totschlagargument werden, um unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Ihre Instrumente dürfen nicht in ein „Weltanschauungs- und Gesinnungsverbot“ umschlagen, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil zum NPD-Verbot schreibt.
Um diese Gefahr zu kontrollieren, hat das Verfassungsgericht in dieser Entscheidung ein klares Kriterium entwickelt: die Potentialität des Erfolgs. Das bedeutet, dass etwa das schärfste Schwert der wehrhaften Demokraten des Grundgesetzes, das Parteienverbot, nur dann zur Anwendung gelangen darf, wenn eine verfassungsfeindliche Kraft „über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen“. Wer nur seine Meinung kundtut, der genießt dafür Freiheit. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass sich das Prinzip der wehrhaften Demokratie gegen jeden richtet, der sich etwa durch Propaganda in die Lage versetzt, Demokratie und Menschenwürde real zu gefährden. Bei einer solchen „Potentialität des Erfolgs“ darf Demokratie diese Propaganda nicht passiv erdulden, sondern muss aktiv wehrhaft sein. Dieses Kriterium hilft dem Geiste nach auch hier weiter. Denn natürlich erträgt Deutschland grundsätzlich politische Propaganda und Wahlkampfauftritte der AKP. Das war so und wird auch in Zukunft so sein. Aber hier geht es um ein Referendum, das die Türkei in eine Autokratie verwandeln soll und Demokratie und Menschenwürde bedroht. Deutschland kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Denn unter den in Deutschland lebenden Stimmberechtigten genießt Präsident Erdogan besonders große Zustimmung: Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 lag sein Stimmanteil hier um 17 Prozentpunkte höher als im Durchschnitt der Türkei. Die Mobilisierung dieser Wähler wird wohl entscheidend sein.
Deshalb kann man den Ereignissen in der Türkei zuschauen – oder aber man handelt als wehrhafter Demokrat. Und wenn sich schon die Bundesregierung dazu nicht in der Lage sieht, dann sollten wir in jedem Falle denen den Rücken stärken, die „den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen“.