FDP|
05.03.2017 - 12:00LAMBSDORFF-Interview: Trump sollte konservativen Parteien eine Warnung sein
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab der „B.Z. am Sonntag“ (heutige Ausgabe) und „bz-berlin.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Ulrike Ruppel:
Frage: Welt-Korrespondenten Deniz Yücel sitzt in der Türkei wegen seiner kritischen Berichte in Untersuchungshaft. Kann ein Land, das Presse und Justiz so massiv einschränkt, jemals in die EU aufgenommen werden?
Lambsdorff: Die Meinung der FDP in dieser Frage ist glasklar: Nein! Auch das EU-Parlament, wo ich in meiner Fraktion für das Thema Türkei zuständig bin, sagt, dass die Verhandlungen ausgesetzt werden müssen.
Frage: Wie könnte Europa Druck in Menschenrechtsfragen auf Ankara ausüben?
Lambsdorff: Eine klare Sprache, wie sie das EU-Parlament gefunden hat, ist der richtige Weg. Wir sollten aber eines nicht vergessen: Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger Nachbar Europas. Wir haben gemeinsame Interessen. Schauen Sie nur auf die Bundeswehr-Soldaten, die in Incirlik stationiert sind.
Frage: Was also tun?
Lambsdorff: Die Türkei-Politik der Großen Koalition in Berlin ist auf ganzer Linie gescheitert. Ankara beschimpft Berlin, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Gleichzeitig tut Frau Merkel immer noch so, als ob die Türkei in die EU eintreten könnte. Das ist doch unehrlich. Die Beziehungen müssen auf eine neue ehrliche Grundlage gestellt werden. Das heißt konkret: Schluss mit den Beitrittsverhandlungen, pragmatische Zusammenarbeit dort, wo es im beiderseitigen Interesse ist, aber klare Ansagen zu Freiheit und Bürgerrechten.
Frage: Themenwechsel. Vor einigen Wochen geisterte ein Unions-Papier aus Brüssel durch die deutschen Medien, das vermeintliche Angriffspunkte bei SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auflistete. Sie haben jahrelang im Parlament mit ihm zusammengearbeitet. Was sagen Sie zu den Anwürfen?
Lambsdorff: Ich finde sie überwiegend kleinteilig und banal. Der einzig ernsthafte Vorwurf ist, dass Schulz einen persönlichen Mitarbeiter im Berliner Büro des Parlaments nicht selber bezahlt hat, sondern das Parlament hat zahlen lassen. Das prüft jetzt die Parlamentsverwaltung.
Frage: Was halten Sie denn von Martin Schulz, ganz persönlich?
Lambsdorff: Obwohl wir politisch völlig unterschiedlich aufgestellt sind – ich bin Marktwirtschaftler, er ist Sozialdemokrat, ich bin fürs Erwirtschaften, er fürs Umverteilen –, verbindet uns ein klares Bekenntnis zu Europa. Er war ein sehr engagierter Parlamentspräsident, der es geschafft hat, das Europäische Parlament nach vorne zu kämpfen, der unsere Debatten sichtbarer gemacht hat. Das qualifiziert ihn aber noch lange nicht zum Bundeskanzler.
Frage: Warum nicht?
Lambsdorff: Ein Beispiel: Martin Schulz ist für die Vergemeinschaftung von Schulden der südeuropäischen Länder zu Lasten des deutschen Steuerzahlers. Er will die Agenda 2010 rückabwickeln, er setzt auf Umverteilung, höhere Steuern und Bürokratie. Dagegen stehen die Freien Demokraten für Marktwirtschaft, für weniger Bürokratie und für ein optimistisches Bekenntnis zu Unternehmertum und Wachstum.
Frage: Derzeit fokussiert sich der Wahlkampf sehr stark auf das Duell Merkel gegen Schulz. Die anderen Parteien verlieren in den Umfragen. Fürchten Sie um die Chancen für den Wiedereinzug ihrer Partei?
Lambsdorff: Überhaupt nicht, denn die FDP hat als einzige dieser Parteien zuletzt sogar noch hinzugewonnen. Es macht mir auch überhaupt nichts aus, wenn die Linke und die AfD sinken. Ganz im Gegenteil: Extremistische Kräfte wollen und brauchen wir in Deutschland nicht.
Frage: Wenn Ihnen Herr Schulz den Außenministerposten anbieten würde, würden Sie dann für eine Koalition mit ihm und den Grünen bereitstehen?
Lambsdorff: Wir sind als FDP derzeit nicht im Bundestag und ich finde, wir sollten jetzt nicht die Backen aufblasen und schon Koalitionsdiskussionen führen. Uns geht es darum, dass der Liberalismus wieder eine Stimme in der deutschen Politik bekommt. Denn Liberalismus ist ja keine Modeerscheinung, sondern eine prägende politische Philosophie, die in Deutschland viel Gutes bewirkt hat. Sogar Menschen, die uns bisher nie gewählt haben, sagen jetzt, dass es wieder Liberale braucht, damit die Marktwirtschaft einen Anwalt im Parlament hat.
Frage: Sie haben Grundwehrdienst bei der Bundeswehr geleistet, waren später Reserveoffizier. Was halten Sie von Forderungen, die Wehrpflicht wieder einzuführen, damit Deutschland in der Nato eine aktivere Rolle einnehmen kann?
Lambsdorff: Das wäre ein Fehler. Sicherlich muss die Bundeswehr leistungsfähiger werden, etwa im Cyberraum. Aber dafür braucht sie Experten und keine flächendeckende Rekrutierung junger Männer für wenige Monate. Zudem: Wir sind durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag bei der Zahl der Soldaten eingeschränkt. Und bei unseren Nachbarn, etwa Russland, kann ein solcher Schritt Unsicherheit auslösen.
Frage: Sie haben in den USA studiert und mehrere Jahre in Washington gelebt. Welche Stimmung nehmen Sie dort nach dem Wechsel zu Trump wahr?
Lambsdorff: Meine Freunde – typische Ostküsten-Amerikaner – sind überwiegend entgeistert. Besonders meine republikanischen Freunde erkennen ihre eigene Partei nicht wieder, die ihre Seele verkauft hat und sich getrieben von der Tea-Party-Bewegung von einer konservativen zu einer nationalistisch-populistischen Partei gewandelt hat. Das sollte auch konservativen Parteien in Europa eine Warnung sein. Aber ich bin nicht sicher, ob die CSU zum Beispiel das verstanden hat.
Frage: Wenn Sie den Aufstieg des Rechtspopulismus bei uns sehen, machen Sie sich dann Sorgen um Europa?
Lambsdorff: Natürlich. Wir haben eine ganz schwierige Entwicklung um uns herum, in der Türkei, in Russland, die großen ungelösten Probleme in Afrika, und zugleich eine unvorhersehbare Lage in Großbritannien mit dem Brexit und in den USA mit Donald Trump. Für mich ist die Schlussfolgerung ganz klar: Wir müssen in Europa zusammenrücken. Kein einzelnes Land kann mit dieser Fülle an Herausforderungen allein zurechtkommen.
Frage: Europa aber treibt eher auseinander.
Lambsdorff: Mein Eindruck ist, dass in vielen Hauptstädten viel zu oft noch sehr kleinteilig und in engen nationalstaatlichen Kategorien gedacht wird, auch im Berliner Regierungsviertel. In einem Zeitalter, in dem große Länder wie China aufsteigen und sich die Welt fundamental verändert, muss man den Flickenteppich der Kleinstaaterei einmotten und konsequent in größeren Zusammenhängen denken.
Frage: Populisten wie Geert Wilders in den Niederlanden und Marine Le Pen in Frankreich können in der Bevölkerung mit Kritik an Brüssel punkten. Wie hat die EU so viel Vertrauen verspielt?
Lambsdorff: Das ist Teil einer viel größeren Krise. Es gibt einen Vertrauensverlust in die parlamentarische Demokratie insgesamt. Donald Trump wurde ja nicht gewählt, weil die Amerikaner unzufrieden mit der EU waren. Die Menschen sind von der Politik genervt, weil sie viel zu selten Lösungen liefert. Zudem rücken die Medien manchmal Randthemen in den Mittelpunkt. Manches an der Gender-Debatte zum Beispiel nervt die Menschen. Die EU ist da meines Erachtens nur ein Teil des Problems.
Frage: Wie aber wollen Sie dem begegnen?
Lambsdorff: Wir müssen in der Politik so ehrlich sein zu sagen, dass man gelegentlich Projekte gegen den Widerstand von lautstarken Kleingruppen auch mal durchziehen muss. Ob das die dritte Landebahn in München ist oder eine Ortsumfahrung in Brandenburg. Die schweigende Mehrheit ist frustriert, weil die Projekte nicht realisiert werden. Zudem müssen Politiker realisieren, dass die oft abgehobenen Debatten im Berliner Regierungsviertel nichts mit dem Alltag der Menschen zu tun hat. Ist mein Job sicher? Was bedeutet die Digitalisierung für mich? Bekommen meine Kinder eine gute Ausbildung? Die Politik muss raus gehen, die Berliner Käseglocke verlassen.
Frage: Noch einmal zurück zu Trump: Wie schwierig wird der Umgang mit ihm für die EU?
Lambsdorff: Die Antwort wird vielleicht überraschen, aber ich glaube, dass sich das einpendeln wird. Auch eine Regierung Trump wird erkennen, dass die großen Herausforderungen für die USA nicht in Europa, sondern im pazifischen Raum liegen: ein unberechenbarer Diktator in Nordkorea, eine aufsteigende, ausgreifende Hegemonialmacht China, unverheilte Wunden der Vergangenheit. Viele Streitfragen und wenige Mechanismen, wie wir sie in Europa haben, um diese Streitfragen zu klären. Im Pazifik wird die Vorherrschaft der USA direkt herausgefordert, während in Europa die Überzeugung besteht, an der Partnerschaft festzuhalten, auch wenn die USA nun ein schwierigerer Partner sind.
Frage: Sie kümmern sich im EU-Parlament auch um Handelsfragen. Glauben Sie, dass TTIP mit Trump noch zustande kommt?
Lambsdorff: TTIP ist aktuell eindeutig im Tiefkühlfach. Ich will da keine Prognose abgeben, wie das in einem Jahr aussieht. Ich würde mich freuen, wenn wir für unsere Unternehmen in Deutschland und Europa den Zugang zu den Märkten der Zukunft erleichtern können, und die USA sind ein interessanter Markt. Die FDP wird das mit Sicherheit unterstützen.
Frage: Die britische Regierung bereitet derzeit den Brexit vor. Sehen Sie schon jetzt erste Auswirkungen?
Lambsdorff: Ja. Mehrere Banken haben angekündigt, Teile ihres Geschäfts auf den Kontinent verlagern zu wollen. Das ist auch richtig so. Denn wenn sie mit Euros handeln und europäische Transaktionen durchführen wollen, müssen sie einer europäischen Aufsicht unterliegen. Man könnte es ihnen sonst einfach verbieten.
Frage: Klingt so, als würde die EU vom Brexit profitieren.
Lambsdorff: Nein, wir hätten die Engländer gerne dabei gehalten. Aber wer riskante Geschäfte betreibt, die Europa betreffen, der muss auch akzeptieren, dass Europa da genau hinsieht.
Frage: Sie wollen im Herbst in den Bundestag wechseln. Worauf blicken Sie in Brüssel zurück?
Lambsdorff: Ich bin persönlich stolz darauf, dass wir im Parlament den Türkei-Beschluss zur Aussetzung der Verhandlungen gefasst und das Handelsabkommen mit Kanada zum Abschluss gebracht haben. Ich glaube, dass das Projekt Europa jeden Einsatz lohnt. Jetzt aber hoffe ich, dass der deutsche Wähler im Herbst die Freien Demokraten wieder in den Bundestag wählt und mich damit nach Berlin entsendet.
LAMBSDORFF-Interview: Trump sollte konservativen Parteien eine Warnung sein
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab der „B.Z. am Sonntag“ (heutige Ausgabe) und „bz-berlin.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Ulrike Ruppel:
Frage: Welt-Korrespondenten Deniz Yücel sitzt in der Türkei wegen seiner kritischen Berichte in Untersuchungshaft. Kann ein Land, das Presse und Justiz so massiv einschränkt, jemals in die EU aufgenommen werden?
Lambsdorff: Die Meinung der FDP in dieser Frage ist glasklar: Nein! Auch das EU-Parlament, wo ich in meiner Fraktion für das Thema Türkei zuständig bin, sagt, dass die Verhandlungen ausgesetzt werden müssen.
Frage: Wie könnte Europa Druck in Menschenrechtsfragen auf Ankara ausüben?
Lambsdorff: Eine klare Sprache, wie sie das EU-Parlament gefunden hat, ist der richtige Weg. Wir sollten aber eines nicht vergessen: Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger Nachbar Europas. Wir haben gemeinsame Interessen. Schauen Sie nur auf die Bundeswehr-Soldaten, die in Incirlik stationiert sind.
Frage: Was also tun?
Lambsdorff: Die Türkei-Politik der Großen Koalition in Berlin ist auf ganzer Linie gescheitert. Ankara beschimpft Berlin, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Gleichzeitig tut Frau Merkel immer noch so, als ob die Türkei in die EU eintreten könnte. Das ist doch unehrlich. Die Beziehungen müssen auf eine neue ehrliche Grundlage gestellt werden. Das heißt konkret: Schluss mit den Beitrittsverhandlungen, pragmatische Zusammenarbeit dort, wo es im beiderseitigen Interesse ist, aber klare Ansagen zu Freiheit und Bürgerrechten.
Frage: Themenwechsel. Vor einigen Wochen geisterte ein Unions-Papier aus Brüssel durch die deutschen Medien, das vermeintliche Angriffspunkte bei SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auflistete. Sie haben jahrelang im Parlament mit ihm zusammengearbeitet. Was sagen Sie zu den Anwürfen?
Lambsdorff: Ich finde sie überwiegend kleinteilig und banal. Der einzig ernsthafte Vorwurf ist, dass Schulz einen persönlichen Mitarbeiter im Berliner Büro des Parlaments nicht selber bezahlt hat, sondern das Parlament hat zahlen lassen. Das prüft jetzt die Parlamentsverwaltung.
Frage: Was halten Sie denn von Martin Schulz, ganz persönlich?
Lambsdorff: Obwohl wir politisch völlig unterschiedlich aufgestellt sind – ich bin Marktwirtschaftler, er ist Sozialdemokrat, ich bin fürs Erwirtschaften, er fürs Umverteilen –, verbindet uns ein klares Bekenntnis zu Europa. Er war ein sehr engagierter Parlamentspräsident, der es geschafft hat, das Europäische Parlament nach vorne zu kämpfen, der unsere Debatten sichtbarer gemacht hat. Das qualifiziert ihn aber noch lange nicht zum Bundeskanzler.
Frage: Warum nicht?
Lambsdorff: Ein Beispiel: Martin Schulz ist für die Vergemeinschaftung von Schulden der südeuropäischen Länder zu Lasten des deutschen Steuerzahlers. Er will die Agenda 2010 rückabwickeln, er setzt auf Umverteilung, höhere Steuern und Bürokratie. Dagegen stehen die Freien Demokraten für Marktwirtschaft, für weniger Bürokratie und für ein optimistisches Bekenntnis zu Unternehmertum und Wachstum.
Frage: Derzeit fokussiert sich der Wahlkampf sehr stark auf das Duell Merkel gegen Schulz. Die anderen Parteien verlieren in den Umfragen. Fürchten Sie um die Chancen für den Wiedereinzug ihrer Partei?
Lambsdorff: Überhaupt nicht, denn die FDP hat als einzige dieser Parteien zuletzt sogar noch hinzugewonnen. Es macht mir auch überhaupt nichts aus, wenn die Linke und die AfD sinken. Ganz im Gegenteil: Extremistische Kräfte wollen und brauchen wir in Deutschland nicht.
Frage: Wenn Ihnen Herr Schulz den Außenministerposten anbieten würde, würden Sie dann für eine Koalition mit ihm und den Grünen bereitstehen?
Lambsdorff: Wir sind als FDP derzeit nicht im Bundestag und ich finde, wir sollten jetzt nicht die Backen aufblasen und schon Koalitionsdiskussionen führen. Uns geht es darum, dass der Liberalismus wieder eine Stimme in der deutschen Politik bekommt. Denn Liberalismus ist ja keine Modeerscheinung, sondern eine prägende politische Philosophie, die in Deutschland viel Gutes bewirkt hat. Sogar Menschen, die uns bisher nie gewählt haben, sagen jetzt, dass es wieder Liberale braucht, damit die Marktwirtschaft einen Anwalt im Parlament hat.
Frage: Sie haben Grundwehrdienst bei der Bundeswehr geleistet, waren später Reserveoffizier. Was halten Sie von Forderungen, die Wehrpflicht wieder einzuführen, damit Deutschland in der Nato eine aktivere Rolle einnehmen kann?
Lambsdorff: Das wäre ein Fehler. Sicherlich muss die Bundeswehr leistungsfähiger werden, etwa im Cyberraum. Aber dafür braucht sie Experten und keine flächendeckende Rekrutierung junger Männer für wenige Monate. Zudem: Wir sind durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag bei der Zahl der Soldaten eingeschränkt. Und bei unseren Nachbarn, etwa Russland, kann ein solcher Schritt Unsicherheit auslösen.
Frage: Sie haben in den USA studiert und mehrere Jahre in Washington gelebt. Welche Stimmung nehmen Sie dort nach dem Wechsel zu Trump wahr?
Lambsdorff: Meine Freunde – typische Ostküsten-Amerikaner – sind überwiegend entgeistert. Besonders meine republikanischen Freunde erkennen ihre eigene Partei nicht wieder, die ihre Seele verkauft hat und sich getrieben von der Tea-Party-Bewegung von einer konservativen zu einer nationalistisch-populistischen Partei gewandelt hat. Das sollte auch konservativen Parteien in Europa eine Warnung sein. Aber ich bin nicht sicher, ob die CSU zum Beispiel das verstanden hat.
Frage: Wenn Sie den Aufstieg des Rechtspopulismus bei uns sehen, machen Sie sich dann Sorgen um Europa?
Lambsdorff: Natürlich. Wir haben eine ganz schwierige Entwicklung um uns herum, in der Türkei, in Russland, die großen ungelösten Probleme in Afrika, und zugleich eine unvorhersehbare Lage in Großbritannien mit dem Brexit und in den USA mit Donald Trump. Für mich ist die Schlussfolgerung ganz klar: Wir müssen in Europa zusammenrücken. Kein einzelnes Land kann mit dieser Fülle an Herausforderungen allein zurechtkommen.
Frage: Europa aber treibt eher auseinander.
Lambsdorff: Mein Eindruck ist, dass in vielen Hauptstädten viel zu oft noch sehr kleinteilig und in engen nationalstaatlichen Kategorien gedacht wird, auch im Berliner Regierungsviertel. In einem Zeitalter, in dem große Länder wie China aufsteigen und sich die Welt fundamental verändert, muss man den Flickenteppich der Kleinstaaterei einmotten und konsequent in größeren Zusammenhängen denken.
Frage: Populisten wie Geert Wilders in den Niederlanden und Marine Le Pen in Frankreich können in der Bevölkerung mit Kritik an Brüssel punkten. Wie hat die EU so viel Vertrauen verspielt?
Lambsdorff: Das ist Teil einer viel größeren Krise. Es gibt einen Vertrauensverlust in die parlamentarische Demokratie insgesamt. Donald Trump wurde ja nicht gewählt, weil die Amerikaner unzufrieden mit der EU waren. Die Menschen sind von der Politik genervt, weil sie viel zu selten Lösungen liefert. Zudem rücken die Medien manchmal Randthemen in den Mittelpunkt. Manches an der Gender-Debatte zum Beispiel nervt die Menschen. Die EU ist da meines Erachtens nur ein Teil des Problems.
Frage: Wie aber wollen Sie dem begegnen?
Lambsdorff: Wir müssen in der Politik so ehrlich sein zu sagen, dass man gelegentlich Projekte gegen den Widerstand von lautstarken Kleingruppen auch mal durchziehen muss. Ob das die dritte Landebahn in München ist oder eine Ortsumfahrung in Brandenburg. Die schweigende Mehrheit ist frustriert, weil die Projekte nicht realisiert werden. Zudem müssen Politiker realisieren, dass die oft abgehobenen Debatten im Berliner Regierungsviertel nichts mit dem Alltag der Menschen zu tun hat. Ist mein Job sicher? Was bedeutet die Digitalisierung für mich? Bekommen meine Kinder eine gute Ausbildung? Die Politik muss raus gehen, die Berliner Käseglocke verlassen.
Frage: Noch einmal zurück zu Trump: Wie schwierig wird der Umgang mit ihm für die EU?
Lambsdorff: Die Antwort wird vielleicht überraschen, aber ich glaube, dass sich das einpendeln wird. Auch eine Regierung Trump wird erkennen, dass die großen Herausforderungen für die USA nicht in Europa, sondern im pazifischen Raum liegen: ein unberechenbarer Diktator in Nordkorea, eine aufsteigende, ausgreifende Hegemonialmacht China, unverheilte Wunden der Vergangenheit. Viele Streitfragen und wenige Mechanismen, wie wir sie in Europa haben, um diese Streitfragen zu klären. Im Pazifik wird die Vorherrschaft der USA direkt herausgefordert, während in Europa die Überzeugung besteht, an der Partnerschaft festzuhalten, auch wenn die USA nun ein schwierigerer Partner sind.
Frage: Sie kümmern sich im EU-Parlament auch um Handelsfragen. Glauben Sie, dass TTIP mit Trump noch zustande kommt?
Lambsdorff: TTIP ist aktuell eindeutig im Tiefkühlfach. Ich will da keine Prognose abgeben, wie das in einem Jahr aussieht. Ich würde mich freuen, wenn wir für unsere Unternehmen in Deutschland und Europa den Zugang zu den Märkten der Zukunft erleichtern können, und die USA sind ein interessanter Markt. Die FDP wird das mit Sicherheit unterstützen.
Frage: Die britische Regierung bereitet derzeit den Brexit vor. Sehen Sie schon jetzt erste Auswirkungen?
Lambsdorff: Ja. Mehrere Banken haben angekündigt, Teile ihres Geschäfts auf den Kontinent verlagern zu wollen. Das ist auch richtig so. Denn wenn sie mit Euros handeln und europäische Transaktionen durchführen wollen, müssen sie einer europäischen Aufsicht unterliegen. Man könnte es ihnen sonst einfach verbieten.
Frage: Klingt so, als würde die EU vom Brexit profitieren.
Lambsdorff: Nein, wir hätten die Engländer gerne dabei gehalten. Aber wer riskante Geschäfte betreibt, die Europa betreffen, der muss auch akzeptieren, dass Europa da genau hinsieht.
Frage: Sie wollen im Herbst in den Bundestag wechseln. Worauf blicken Sie in Brüssel zurück?
Lambsdorff: Ich bin persönlich stolz darauf, dass wir im Parlament den Türkei-Beschluss zur Aussetzung der Verhandlungen gefasst und das Handelsabkommen mit Kanada zum Abschluss gebracht haben. Ich glaube, dass das Projekt Europa jeden Einsatz lohnt. Jetzt aber hoffe ich, dass der deutsche Wähler im Herbst die Freien Demokraten wieder in den Bundestag wählt und mich damit nach Berlin entsendet.