FDP|
04.06.2005 - 02:00WESTERWELLE-Interview für die "Berliner Zeitung"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Berliner Zeitung" (Samstag Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SIGRID AVERESCH und BETTINA VESTRING:
Frage: Herr Westerwelle, sollten Union und FDP die Wahlen gewinnen: Was muß eine schwarz-gelbe Regierung in den ersten hundert Tagen tun?
WESTERWELLE: Sie muß Maßnahmen beschließen, die den psychologischen Knoten in Deutschland durchschlagen. Die Menschen müssen in dieser Zeit erkennen, daß wir einen großen Wurf wagen. Für die Umsetzung dieser Maßnahmen haben wir maximal zwei Jahre Zeit. In dieser Zeit muß die wesentliche Arbeit der neuer Regierung getan sein, bis hin zur Föderalismus-Reform. Wenn uns das nicht gelänge, stellten wir die Weichen für unser Scheitern.
Frage: Welche Maßnahmen schweben Ihnen vor?
WESTERWELLE: Eine neue schwarz-gelbe Regierung muß in den ersten hundert Tagen den Weg frei machen für ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. Unser derzeitiges System setzt die beiden Grundregeln der sozialen Marktwirtschaft außer Kraft: Daß sich Leistung lohnen muß und daß derjenige, der arbeitet, mehr haben muß als der, der nicht arbeitet.
Frage: Was noch?
WESTERWELLE: Wir müssen uns zügig an den Bürokratieabbau heranmachen. Wir sollten innerhalb der ersten hundert Tagen das Ladenschlußgesetz aufheben und die Zuständigkeit vollständig den Ländern übergeben. Wir werden uns auch klar zur Bio- und Gentechnologie bekennen. Konkret heißt das, daß wir das Gentechnik-Gesetz von Rot-Grün aufheben. Genauso ist es besser, wir stellen die modernsten Medikamente in Deutschland her, als daß wir sie in zehn Jahren teuer aus dem Ausland einkaufen.
Frage: Wo bleibt die Deregulierung des Arbeitsmarktes? Die Reform der sozialen Sicherungssysteme?
WESTERWELLE: Ich habe nur drei Beispiele genannt. Das heißt nicht, daß in den ersten hundert Tagen nicht noch mehr angegangen werden muß.
Frage: Wie schwer wird es, Ihre Politik gegenüber der Union durchzusetzen?
WESTERWELLE: Das hängt vom Wahlergebnis ab. Je stärker wir sind, um so mehr können wir auf gesellschaftliche Vielfalt, auf den Schutz der Bürgerrechte und auf marktwirtschaftliche Vernunft dringen. Wenn die Union allein regieren könnte - was ich für unwahrscheinlich halte -, würde das automatisch bedeuten, daß sich dort die sozialdemokratischen Verteilungskräfte durchsetzen. Bei einer Alleinregierung der Union ohne das Korrektiv FDP drohte die Fortsetzung der Mutlosigkeit von Rot-Grün, nur in anderer Färbung.
Frage: Gibt es etwas, was die FDP in den Koalitionsverhandlungen auf gar keinen Fall preisgeben wird?
WESTERWELLE: Ja. Das ist ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. Das ist eine Bedingung für jede Koalition. Ich schwöre keinen heiligen Eid auf jeden einzelnen Prozentpunkt unseres Steuergesetzes. Aber den Neuanfang im deutschen Steuersystem muß es geben. Den garantiere ich, wenn wir den Regierungsauftrag bekommen.
Frage: Wie ist es mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer?
WESTERWELLE: Dagegen wendet sich die FDP strikt. Es stimmt, daß unter dem Diktat leerer Kassen einige auch in der Union den leichten Weg gehen wollen, wichtigere Strukturmaßnahmen zu vermeiden, indem sie kurzerhand die Mehrwertsteuer anheben. Sie sehen zum Beispiel, daß in ein, zwei Jahren die Überschüsse in der Pflegeversicherung aufgebraucht sind und wollen darauf mit Steuererhöhungen antworten. Das ist ein Fehler. Richtig ist es, die Pflegeversicherung umzustellen auf Kapitaldeckung. Die FDP steht für wirkliche Strukturveränderungen, und dafür sind Steuersenkungen der Eisbrecher und nicht Erhöhungen.
Frage: Sind denn die Etatlöcher auf dem jetzigen Steuerniveau zu beheben?
WESTERWELLE: Die Staatsfinanzen sind schlecht, weil die Steuersätze zu hoch und das Steuersystem zu kompliziert ist. Nur mehr Arbeitsplätze bringen mehr Steuerzahler und weniger Leistungsempfänger. Wachstum ist der Schlüssel für gesunde Staatsfinanzen.
Frage: Wollen Sie Vergünstigungen wie die Eigenheimzulage abschaffen?
WESTERWELLE: Wir dürfen keine einzige Steuervergünstigung ausnehmen, aber dieses Geld brauchen wir für Strukturreformen, nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern. Unser Ziel ist: Mehr Netto vom Brutto für alle.
Frage: Wie konkret muß man den Wählern sagen, was sie erwartet?
WESTERWELLE: Ganz konkret. Die FDP hat in allen Politikbereichen ausführliche Programme beschlossen und Gesetzentwürfe vorgelegt.
Frage: Erwarten Sie das auch von ihrem möglichen Koalitionspartner?
WESTERWELLE: Soweit ich weiß, ist das bei der Union in Arbeit.
Frage: Braucht man eine solche Ankündigung, um die Legitimation für das 100-Tage-Programm zu haben?
WESTERWELLE: Ja. Wir haben nur eine große Chance: Am Anfang mit der Legitimation einer gewonnen Bundestagswahl und gleichen Mehrheitsverhältnissen in Bundestag und Bundesrat den Neuanfang konsequent durchzusetzen. Wir müssen eine neue Gründerzeit einleiten. Ein Wirtschaftswunder ist auch in Deutschland möglich, wenn es in anderen Ländern Europas gelingt.
Frage: Vermutlich wird es Massenproteste gegen Ihr Programm geben.
WESTERWELLE: Ich will nicht ausschließen, daß Gewerkschaftsfunktionäre wie Frau Engelen-Kefer und Herr Bsirske mobilisieren, um ihre eigene Funktionärsherrschaft zu verteidigen. Trotzdem glaube ich, daß Arbeitnehmerrechte am besten von den Mitarbeitern und Betriebsräten in den Betrieben vertreten werden. Daß in Aufsichtsräten Gewerkschaftsfunktionäre sitzen, die noch nicht mal eine Nanosekunde im Betrieb gearbeitet haben, ist falsch.
Frage: Ist die Union druckempfindlicher?
WESTERWELLE: Das ist sie sicher. Deshalb setze ich auf eine starke FDP. Sie kann eine Art Mutmacher sein zu Gunsten des Neuanfangs. Wir werden den Kompromiß in Richtung mehr Freiheit, mehr privat, mehr Wachstum durchsetzen. Das ist die sozialste Politik, die man machen kann. Wohlstand für alle, ist die liberale Devise. Nicht Wohlstand für wenige.
WESTERWELLE-Interview für die "Berliner Zeitung"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Berliner Zeitung" (Samstag Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SIGRID AVERESCH und BETTINA VESTRING:
Frage: Herr Westerwelle, sollten Union und FDP die Wahlen gewinnen: Was muß eine schwarz-gelbe Regierung in den ersten hundert Tagen tun?
WESTERWELLE: Sie muß Maßnahmen beschließen, die den psychologischen Knoten in Deutschland durchschlagen. Die Menschen müssen in dieser Zeit erkennen, daß wir einen großen Wurf wagen. Für die Umsetzung dieser Maßnahmen haben wir maximal zwei Jahre Zeit. In dieser Zeit muß die wesentliche Arbeit der neuer Regierung getan sein, bis hin zur Föderalismus-Reform. Wenn uns das nicht gelänge, stellten wir die Weichen für unser Scheitern.
Frage: Welche Maßnahmen schweben Ihnen vor?
WESTERWELLE: Eine neue schwarz-gelbe Regierung muß in den ersten hundert Tagen den Weg frei machen für ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. Unser derzeitiges System setzt die beiden Grundregeln der sozialen Marktwirtschaft außer Kraft: Daß sich Leistung lohnen muß und daß derjenige, der arbeitet, mehr haben muß als der, der nicht arbeitet.
Frage: Was noch?
WESTERWELLE: Wir müssen uns zügig an den Bürokratieabbau heranmachen. Wir sollten innerhalb der ersten hundert Tagen das Ladenschlußgesetz aufheben und die Zuständigkeit vollständig den Ländern übergeben. Wir werden uns auch klar zur Bio- und Gentechnologie bekennen. Konkret heißt das, daß wir das Gentechnik-Gesetz von Rot-Grün aufheben. Genauso ist es besser, wir stellen die modernsten Medikamente in Deutschland her, als daß wir sie in zehn Jahren teuer aus dem Ausland einkaufen.
Frage: Wo bleibt die Deregulierung des Arbeitsmarktes? Die Reform der sozialen Sicherungssysteme?
WESTERWELLE: Ich habe nur drei Beispiele genannt. Das heißt nicht, daß in den ersten hundert Tagen nicht noch mehr angegangen werden muß.
Frage: Wie schwer wird es, Ihre Politik gegenüber der Union durchzusetzen?
WESTERWELLE: Das hängt vom Wahlergebnis ab. Je stärker wir sind, um so mehr können wir auf gesellschaftliche Vielfalt, auf den Schutz der Bürgerrechte und auf marktwirtschaftliche Vernunft dringen. Wenn die Union allein regieren könnte - was ich für unwahrscheinlich halte -, würde das automatisch bedeuten, daß sich dort die sozialdemokratischen Verteilungskräfte durchsetzen. Bei einer Alleinregierung der Union ohne das Korrektiv FDP drohte die Fortsetzung der Mutlosigkeit von Rot-Grün, nur in anderer Färbung.
Frage: Gibt es etwas, was die FDP in den Koalitionsverhandlungen auf gar keinen Fall preisgeben wird?
WESTERWELLE: Ja. Das ist ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. Das ist eine Bedingung für jede Koalition. Ich schwöre keinen heiligen Eid auf jeden einzelnen Prozentpunkt unseres Steuergesetzes. Aber den Neuanfang im deutschen Steuersystem muß es geben. Den garantiere ich, wenn wir den Regierungsauftrag bekommen.
Frage: Wie ist es mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer?
WESTERWELLE: Dagegen wendet sich die FDP strikt. Es stimmt, daß unter dem Diktat leerer Kassen einige auch in der Union den leichten Weg gehen wollen, wichtigere Strukturmaßnahmen zu vermeiden, indem sie kurzerhand die Mehrwertsteuer anheben. Sie sehen zum Beispiel, daß in ein, zwei Jahren die Überschüsse in der Pflegeversicherung aufgebraucht sind und wollen darauf mit Steuererhöhungen antworten. Das ist ein Fehler. Richtig ist es, die Pflegeversicherung umzustellen auf Kapitaldeckung. Die FDP steht für wirkliche Strukturveränderungen, und dafür sind Steuersenkungen der Eisbrecher und nicht Erhöhungen.
Frage: Sind denn die Etatlöcher auf dem jetzigen Steuerniveau zu beheben?
WESTERWELLE: Die Staatsfinanzen sind schlecht, weil die Steuersätze zu hoch und das Steuersystem zu kompliziert ist. Nur mehr Arbeitsplätze bringen mehr Steuerzahler und weniger Leistungsempfänger. Wachstum ist der Schlüssel für gesunde Staatsfinanzen.
Frage: Wollen Sie Vergünstigungen wie die Eigenheimzulage abschaffen?
WESTERWELLE: Wir dürfen keine einzige Steuervergünstigung ausnehmen, aber dieses Geld brauchen wir für Strukturreformen, nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern. Unser Ziel ist: Mehr Netto vom Brutto für alle.
Frage: Wie konkret muß man den Wählern sagen, was sie erwartet?
WESTERWELLE: Ganz konkret. Die FDP hat in allen Politikbereichen ausführliche Programme beschlossen und Gesetzentwürfe vorgelegt.
Frage: Erwarten Sie das auch von ihrem möglichen Koalitionspartner?
WESTERWELLE: Soweit ich weiß, ist das bei der Union in Arbeit.
Frage: Braucht man eine solche Ankündigung, um die Legitimation für das 100-Tage-Programm zu haben?
WESTERWELLE: Ja. Wir haben nur eine große Chance: Am Anfang mit der Legitimation einer gewonnen Bundestagswahl und gleichen Mehrheitsverhältnissen in Bundestag und Bundesrat den Neuanfang konsequent durchzusetzen. Wir müssen eine neue Gründerzeit einleiten. Ein Wirtschaftswunder ist auch in Deutschland möglich, wenn es in anderen Ländern Europas gelingt.
Frage: Vermutlich wird es Massenproteste gegen Ihr Programm geben.
WESTERWELLE: Ich will nicht ausschließen, daß Gewerkschaftsfunktionäre wie Frau Engelen-Kefer und Herr Bsirske mobilisieren, um ihre eigene Funktionärsherrschaft zu verteidigen. Trotzdem glaube ich, daß Arbeitnehmerrechte am besten von den Mitarbeitern und Betriebsräten in den Betrieben vertreten werden. Daß in Aufsichtsräten Gewerkschaftsfunktionäre sitzen, die noch nicht mal eine Nanosekunde im Betrieb gearbeitet haben, ist falsch.
Frage: Ist die Union druckempfindlicher?
WESTERWELLE: Das ist sie sicher. Deshalb setze ich auf eine starke FDP. Sie kann eine Art Mutmacher sein zu Gunsten des Neuanfangs. Wir werden den Kompromiß in Richtung mehr Freiheit, mehr privat, mehr Wachstum durchsetzen. Das ist die sozialste Politik, die man machen kann. Wohlstand für alle, ist die liberale Devise. Nicht Wohlstand für wenige.