FDP|
24.05.2016 - 10:15EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen
Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, spricht sich in der Flüchtlingsfrage für einen strikten Kurs gegenüber der Türkei aus. Solange die Antiterrorgesetze nicht wie vereinbart geändert würden, dürfe es keine Liberalisierung der Visafreiheit geben, sagte er im Interview mit dem Deutschlandfunk. Er plädierte dafür, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. Stattdessen solle die EU pragamatisch schauen, wo man mit der Türkei zusammenarbeiten könne. Lambsdorff äußerte sich auch zum Ausgang der Wahl in Österreich. Dass die Rechtspopulisten überall in Europa erstarkten, sei besorgniserregend. Die FPÖ segele "hart am rechten Rand".
Er hoffe, dass die österreichische Regierung unter dem neuen Kanzler Christian Kern einen "politischen Aufbruch aus der Mitte" schaffe. Die Wähler hätten mit ihrem Votum vor allem auch den "permanenten" Großen Koalitionen in Österreich eine Absage erteilt: "Das österreichische politische System ist im Wandel begriffen."
Flüchtlingspakt noch nicht gescheitert
In der Debatte um die Visafreiheit für Türken schlägt er vor, mit einer Teilliberalisierung zu beginnen. "Man kann eine ganze Menge praktisch verbessern, unterhalb der Ebene einer vollständigen Visumsliberalisierung." Am Flüchtlingspakt der Türkei mit der EU will er aber weiterhin festhalten. Er glaube, "dass man jetzt anfängt, in Gespräche einzutreten mit allen Beteiligten, auch den Parlamenten, um einen Kompromiss auszuhandeln, der Vorteile für beide Seiten bringt."
Im SWR-Tagesgespräch bekannte Lambsdorff, dass er nicht daran glaube, dass der türkische Präsident Erdogan in absehbarer Zeit einlenkt und die umstrittenen Anti-Terrorgesetze ändert, mit denen er auch ihm missliebige Journalisten verfolgen lässt. Daher sei es richtig, die vereinbarte Visafreiheit für türkische Bürger vorerst zu verschieben.
Von der Kanzlerin hätte sich Lambsdorff allerdings bei ihrem Gespräch mit Erdogan mehr Druck gewünscht. Die Türkei sei ein Nato-Partner, sie strebe nach wie vor in die EU – da könne man schon deutlicher artikulieren, dass die Drangsalierung der Kurden und der kurdischen Abgeordneten nicht in Ordnung ist. Hier hätte die Kanzlerin deutlicher auftreten können, findet Lambsdorff.
Lesen hier das vollständige Interview im Deutschlandfunk
Frage: Herr Lambsdorff, kann man den Österreichern aus dem Ausland noch Ratschläge erteilen?
LAMBSDORFF: Es ist immer verfehlt, glaube ich, wenn man versucht, in Wahlen Ratschläge zu erteilen. Man kann natürlich mit zittern, mit fiebern und hoffen, dass es gut ausgeht, aber Ratschläge zu erteilen, das halte ich immer für etwas schwierig.
Frage: Muss denn Europa mit einer starken FPÖ rechnen?
LAMBSDORFF: Nun, die Rechtspopulisten sind ja schon stark in Europa, nicht nur in Österreich, und das ist etwas, was uns Sorge macht. In Deutschland haben wir ja zum ersten Mal auch in unseren Parlamenten jetzt eine rechtspopulistisch, teilweise völkisch denkende Partei. Wir sehen das in den Niederlanden, wir sehen das in Frankreich. Mit anderen Worten: Wir haben hier eine Bewegung, die nicht Österreich spezifisch ist, sondern die tatsächlich in Europa sich breitgemacht hat. Auch im Europäischen Parlament haben wir ja eine Fraktion aus diesen Parteien, die sich hier gebildet hat.
Frage: Ist das denn wirklich eine so schlimme Entwicklung, oder können wir nicht auch sagen, das sind einfach auch Parteien, die bestimmte Ängste der Menschen aufnehmen und kanalisieren?
LAMBSDORFF: Das wäre dann kein Problem, wenn die Kanalisation von Ängsten und Besorgnissen, die man ja ernst nehmen muss, wenn die mit Lösungsvorschlägen versehen wären, die eine, ich sage mal, Zukunft Europas oder Zukunft des jeweiligen Landes garantieren würden, die friedlich ist. In der das Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen geregelt werden könnte, die wirtschaftspolitisch Erfolg versprechend ist und die, ich sage mal, das jeweilige Land und unseren Kontinent in der Globalisierung starkmachen würde. All das ist aber nicht zu sehen, sondern hier geht es um Abschottung, hier geht es um Ausgrenzung, hier geht es um Diskriminierung, hier geht es um Unfrieden zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, und insofern kann ich daran überhaupt nichts Positives erkennen.
Das österreichische politische System ist im Wandel
Frage: Aber wenn wir uns mal die Lage in Österreich und die FPÖ dort ansehen, die hat ja in den vergangenen 20 Jahren auch eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Die Tage von Jörg Haider sind in gewisser Weise vergessen. Sie hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder an Regierungskonstellationen beteiligt. Und dass es dabei zu einem Abrutschen in den Rechtsextremismus in Österreich gekommen wäre, kann man ja nun nicht beobachten, oder?
LAMBSDORFF: Na ja. Wenn Sie manche Formulierungen hören von Herrn Strache, dem Vorsitzenden der FPÖ, das ist schon hart dran am Rechtsextremismus. Wenn Sie dann auch das bewusste Zitieren rechtsextremistischer Symbole sehen, wie beispielsweise dieses Kornblumen-Ansteckteil, das er am Revers trägt und das ganz klar eine Anspielung auf die Nationalsozialisten ist, die in den 30er-Jahren in Österreich verboten waren und die sich deswegen diese Kornblumen als Erkennungsmerkmal gegeben haben, dann merken Sie schon, dass die FPÖ, die leider – das muss man so deutlich sagen – von der ÖVP, also den Christdemokraten auch teilweise salonfähig gemacht worden ist, dass die FPÖ immer noch sehr hart am rechten Rand segelt und einige der politischen Ansichten, die dort geäußert werden, die sind nicht weit von der AfD entfernt in ihrem Extremismus und in ihrem Willen zur Ausgrenzung.
Frage: Wie optimistisch sind Sie denn dann, dass die ÖVP und die SPÖ dieser Partei, der FPÖ noch Paroli bieten können?
LAMBSDORFF: Ich hoffe, dass der neue Bundeskanzler Christian Kern, der ja eine sehr bemerkenswerte Antrittsrede gehalten hat, es schafft, einen politischen Aufbruch aus der Mitte heraus zu machen. Aber eines ist auch klar: Österreichs Wählerinnen und Wähler haben ja auch diesem System der permanenten Großen Koalition eine Absage erteilt. Das ist anders als in Deutschland. Hier ist die Große Koalition eher eine Ausnahme. In Österreich ist es fast die Regel. Die Verfilzung und Verkrustung des politischen Systems in Österreich geht weit über das hinaus, was wir aus Deutschland kennen. Insofern: Ich glaube nicht, dass ÖVP und SPÖ es aus eigener Kraft schaffen. Es gibt eine neue liberale Kraft, Neos, das neue Österreich. Die Grünen spielen eine maßgebliche Rolle. Mit anderen Worten: Das österreichische politische System, die Zweite Republik in Österreich, die ist in einem Wandel begriffen. Wenn es gelingt, aus der Mitte heraus die Probleme der Menschen aufzunehmen, glaubwürdige Lösungen anzubieten, dann wäre das das Beste, um Rechtspopulisten entgegenzutreten.
Anti-Terror-Gesetz muss geändert werden
Frage: Herr Lambsdorff, wir wollen heute an diesem Dienstagmorgen mit Ihnen noch über ein anderes Thema sprechen, was durchaus einige Schnittmengen mit der Wahl in Österreich hat. Es geht um die Flüchtlingskrise. Wir hatten gestern das Gespräch in Istanbul zwischen Angela Merkel und dem türkischen Präsidenten Erdogan. Die haben sich unterhalten über die Vereinbarung, die die EU und die Türkei getroffen haben. Und wir haben danach gehört, dass es zunächst einmal nichts wird mit der Visaliberalisierung für die Türkei. Da sind wir jetzt ein bisschen ratlos an diesem Dienstagmorgen. Das heißt ja, dass Europa sich nicht an seinen Teil dieser Verabredung mit der Türkei halten möchte oder halten kann. Müssen wir uns denn jetzt darauf einstellen, dass diese Vereinbarung, dieses Abkommen aufgekündigt wird von Ankara?
LAMBSDORFF: Herr Armbrüster, ich finde, zunächst sollte man erst mal fragen, wer ist hier Europa. Wer ist diese Zusage eingegangen. Das war die Bundeskanzlerin in allererster Linie und dann die anderen Staats- und Regierungschefs. Aber es gibt immer noch ein Europäisches Parlament, das demokratisch über diese Dinge abzustimmen hat, und bei uns war vollkommen klar: Erstens: Ein Zeitplan, der schon im Juni abschließend Beratung und Beschlussfassung vorsieht, ist völlig unrealistisch von Anfang an gewesen. Mit anderen Worten: Die Kanzlerin hat hier eine Zusage gemacht, die überhaupt nicht einzuhalten war. Das ist das Verfahrenstechnische. Das Inhaltliche ist, dass solange sich die Anti-Terror-Gesetze in der Türkei nicht ändern, worauf das Europäische Parlament ja seit vielen Jahren hinweist, dass das nötig ist, kann es auch keine volle Visumsfreiheit geben. Ich glaube nicht, dass dieses Abkommen vollständig enden wird. Ich glaube nicht, dass es, wie viele das erwarten, kollabieren wird. Sondern ich glaube, dass man jetzt anfängt, in Gespräche einzutreten mit allen Beteiligten, auch den Parlamenten, um einen Kompromiss auszuhandeln, der Vorteile für beide Seiten bringt, ohne gleich, wie die Kanzlerin es zugesagt hatte, die Schleusen vollkommen aufzumachen, was die Visumsliberalisierung angeht.
Frage: Aber wir reden hier über einen gewissen Zeitdruck. Wie lange kann denn Europa oder das Europaparlament die Türkei noch hinhalten?
LAMBSDORFF: Nun, es ist vollkommen klar. Wir haben 72 Kriterien. Eines davon sind Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit. Dazu gehört die Änderung der Anti-Terror-Gesetze. Das ist vielleicht ganz wichtig, dass man sich das vor Augen führt, was diese Anti-Terror-Gesetze eigentlich sind. Es reicht, dass Sie einen Artikel schreiben oder einen Tweet absetzen, indem Sie beispielsweise kritisieren das Vorgehen der Regierung im Südosten des Landes gegen die Kurden. Dann können Sie schon wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor den Kadi gezerrt werden. Da gehen ganze berufliche Laufbahnen kaputt, da werden Familien kaputtgemacht. Dieses Anti-Terror-Gesetz muss geändert werden. Ansonsten ist nach unserem Dafürhalten jedenfalls die volle Visumsliberalisierung nicht vorstellbar. Ich glaube auch, man muss über die Frage des EU-Beitrittsprozesses neu reden. Der ist nach meinem Dafürhalten, auch nach Dafürhalten der FDP am Ende angelangt, den sollte man abbrechen und stattdessen pragmatisch schauen, wo man mit diesem wichtigen Land Türkei konkret zusammenarbeiten kann, um Dinge voranzutreiben.
Frage: Da haben Sie gerade schon das Stichwort Kompromisse genannt. Könnte es denn einen Kompromiss geben in dieser Frage der Anti-Terror-Gesetze zum Beispiel?
LAMBSDORFF: Was wir gesagt haben und seit vielen Jahren sagen, auch als FDP, ist, dass man eine volle Visumsliberalisierung erst mal nicht ins Auge fassen sollte. Stattdessen aber für bestimmte Gruppen von Reisenden kann man natürlich Erleichterungen machen, ob das Künstler sind, ob das Akademiker sind, ob das Geschäftsleute sind, ob das auch Angehörige von türkischen Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union sind, die sicher und verlässlich wieder zurückreisen. Man kann eine ganze Menge praktisch verbessern, unterhalb der Ebene einer vollständigen Visumsliberalisierung, die unter Umständen – das hat die Bundeskanzlerin, glaube ich, nicht bedacht, als sie es zugesagt hat – eine neue Fluchtwelle nach Europa auslösen kann, denn wir haben im Südosten der Türkei in den kurdischen Gebieten teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände. Ich glaube, das kann nicht in unserem Interesse sein, dass wir zur Bewältigung der einen Flüchtlingskrise die andere dann veranlassen.
EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen
Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, spricht sich in der Flüchtlingsfrage für einen strikten Kurs gegenüber der Türkei aus. Solange die Antiterrorgesetze nicht wie vereinbart geändert würden, dürfe es keine Liberalisierung der Visafreiheit geben, sagte er im Interview mit dem Deutschlandfunk. Er plädierte dafür, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. Stattdessen solle die EU pragamatisch schauen, wo man mit der Türkei zusammenarbeiten könne. Lambsdorff äußerte sich auch zum Ausgang der Wahl in Österreich. Dass die Rechtspopulisten überall in Europa erstarkten, sei besorgniserregend. Die FPÖ segele "hart am rechten Rand".
Er hoffe, dass die österreichische Regierung unter dem neuen Kanzler Christian Kern einen "politischen Aufbruch aus der Mitte" schaffe. Die Wähler hätten mit ihrem Votum vor allem auch den "permanenten" Großen Koalitionen in Österreich eine Absage erteilt: "Das österreichische politische System ist im Wandel begriffen."
Flüchtlingspakt noch nicht gescheitert
In der Debatte um die Visafreiheit für Türken schlägt er vor, mit einer Teilliberalisierung zu beginnen. "Man kann eine ganze Menge praktisch verbessern, unterhalb der Ebene einer vollständigen Visumsliberalisierung." Am Flüchtlingspakt der Türkei mit der EU will er aber weiterhin festhalten. Er glaube, "dass man jetzt anfängt, in Gespräche einzutreten mit allen Beteiligten, auch den Parlamenten, um einen Kompromiss auszuhandeln, der Vorteile für beide Seiten bringt."
Im SWR-Tagesgespräch [1] bekannte Lambsdorff, dass er nicht daran glaube, dass der türkische Präsident Erdogan in absehbarer Zeit einlenkt und die umstrittenen Anti-Terrorgesetze ändert, mit denen er auch ihm missliebige Journalisten verfolgen lässt. Daher sei es richtig, die vereinbarte Visafreiheit für türkische Bürger vorerst zu verschieben.
Von der Kanzlerin hätte sich Lambsdorff allerdings bei ihrem Gespräch mit Erdogan mehr Druck gewünscht. Die Türkei sei ein Nato-Partner, sie strebe nach wie vor in die EU – da könne man schon deutlicher artikulieren, dass die Drangsalierung der Kurden und der kurdischen Abgeordneten nicht in Ordnung ist. Hier hätte die Kanzlerin deutlicher auftreten können, findet Lambsdorff.
Lesen hier das vollständige Interview im Deutschlandfunk
Frage: Herr Lambsdorff, kann man den Österreichern aus dem Ausland noch Ratschläge erteilen?
LAMBSDORFF: Es ist immer verfehlt, glaube ich, wenn man versucht, in Wahlen Ratschläge zu erteilen. Man kann natürlich mit zittern, mit fiebern und hoffen, dass es gut ausgeht, aber Ratschläge zu erteilen, das halte ich immer für etwas schwierig.
Frage: Muss denn Europa mit einer starken FPÖ rechnen?
LAMBSDORFF: Nun, die Rechtspopulisten sind ja schon stark in Europa, nicht nur in Österreich, und das ist etwas, was uns Sorge macht. In Deutschland haben wir ja zum ersten Mal auch in unseren Parlamenten jetzt eine rechtspopulistisch, teilweise völkisch denkende Partei. Wir sehen das in den Niederlanden, wir sehen das in Frankreich. Mit anderen Worten: Wir haben hier eine Bewegung, die nicht Österreich spezifisch ist, sondern die tatsächlich in Europa sich breitgemacht hat. Auch im Europäischen Parlament haben wir ja eine Fraktion aus diesen Parteien, die sich hier gebildet hat.
Frage: Ist das denn wirklich eine so schlimme Entwicklung, oder können wir nicht auch sagen, das sind einfach auch Parteien, die bestimmte Ängste der Menschen aufnehmen und kanalisieren?
LAMBSDORFF: Das wäre dann kein Problem, wenn die Kanalisation von Ängsten und Besorgnissen, die man ja ernst nehmen muss, wenn die mit Lösungsvorschlägen versehen wären, die eine, ich sage mal, Zukunft Europas oder Zukunft des jeweiligen Landes garantieren würden, die friedlich ist. In der das Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen geregelt werden könnte, die wirtschaftspolitisch Erfolg versprechend ist und die, ich sage mal, das jeweilige Land und unseren Kontinent in der Globalisierung starkmachen würde. All das ist aber nicht zu sehen, sondern hier geht es um Abschottung, hier geht es um Ausgrenzung, hier geht es um Diskriminierung, hier geht es um Unfrieden zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, und insofern kann ich daran überhaupt nichts Positives erkennen.
Das österreichische politische System ist im Wandel
Frage: Aber wenn wir uns mal die Lage in Österreich und die FPÖ dort ansehen, die hat ja in den vergangenen 20 Jahren auch eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Die Tage von Jörg Haider sind in gewisser Weise vergessen. Sie hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder an Regierungskonstellationen beteiligt. Und dass es dabei zu einem Abrutschen in den Rechtsextremismus in Österreich gekommen wäre, kann man ja nun nicht beobachten, oder?
LAMBSDORFF: Na ja. Wenn Sie manche Formulierungen hören von Herrn Strache, dem Vorsitzenden der FPÖ, das ist schon hart dran am Rechtsextremismus. Wenn Sie dann auch das bewusste Zitieren rechtsextremistischer Symbole sehen, wie beispielsweise dieses Kornblumen-Ansteckteil, das er am Revers trägt und das ganz klar eine Anspielung auf die Nationalsozialisten ist, die in den 30er-Jahren in Österreich verboten waren und die sich deswegen diese Kornblumen als Erkennungsmerkmal gegeben haben, dann merken Sie schon, dass die FPÖ, die leider – das muss man so deutlich sagen – von der ÖVP, also den Christdemokraten auch teilweise salonfähig gemacht worden ist, dass die FPÖ immer noch sehr hart am rechten Rand segelt und einige der politischen Ansichten, die dort geäußert werden, die sind nicht weit von der AfD entfernt in ihrem Extremismus und in ihrem Willen zur Ausgrenzung.
Frage: Wie optimistisch sind Sie denn dann, dass die ÖVP und die SPÖ dieser Partei, der FPÖ noch Paroli bieten können?
LAMBSDORFF: Ich hoffe, dass der neue Bundeskanzler Christian Kern, der ja eine sehr bemerkenswerte Antrittsrede gehalten hat, es schafft, einen politischen Aufbruch aus der Mitte heraus zu machen. Aber eines ist auch klar: Österreichs Wählerinnen und Wähler haben ja auch diesem System der permanenten Großen Koalition eine Absage erteilt. Das ist anders als in Deutschland. Hier ist die Große Koalition eher eine Ausnahme. In Österreich ist es fast die Regel. Die Verfilzung und Verkrustung des politischen Systems in Österreich geht weit über das hinaus, was wir aus Deutschland kennen. Insofern: Ich glaube nicht, dass ÖVP und SPÖ es aus eigener Kraft schaffen. Es gibt eine neue liberale Kraft, Neos, das neue Österreich. Die Grünen spielen eine maßgebliche Rolle. Mit anderen Worten: Das österreichische politische System, die Zweite Republik in Österreich, die ist in einem Wandel begriffen. Wenn es gelingt, aus der Mitte heraus die Probleme der Menschen aufzunehmen, glaubwürdige Lösungen anzubieten, dann wäre das das Beste, um Rechtspopulisten entgegenzutreten.
Anti-Terror-Gesetz muss geändert werden
Frage: Herr Lambsdorff, wir wollen heute an diesem Dienstagmorgen mit Ihnen noch über ein anderes Thema sprechen, was durchaus einige Schnittmengen mit der Wahl in Österreich hat. Es geht um die Flüchtlingskrise. Wir hatten gestern das Gespräch in Istanbul zwischen Angela Merkel und dem türkischen Präsidenten Erdogan. Die haben sich unterhalten über die Vereinbarung, die die EU und die Türkei getroffen haben. Und wir haben danach gehört, dass es zunächst einmal nichts wird mit der Visaliberalisierung für die Türkei. Da sind wir jetzt ein bisschen ratlos an diesem Dienstagmorgen. Das heißt ja, dass Europa sich nicht an seinen Teil dieser Verabredung mit der Türkei halten möchte oder halten kann. Müssen wir uns denn jetzt darauf einstellen, dass diese Vereinbarung, dieses Abkommen aufgekündigt wird von Ankara?
LAMBSDORFF: Herr Armbrüster, ich finde, zunächst sollte man erst mal fragen, wer ist hier Europa. Wer ist diese Zusage eingegangen. Das war die Bundeskanzlerin in allererster Linie und dann die anderen Staats- und Regierungschefs. Aber es gibt immer noch ein Europäisches Parlament, das demokratisch über diese Dinge abzustimmen hat, und bei uns war vollkommen klar: Erstens: Ein Zeitplan, der schon im Juni abschließend Beratung und Beschlussfassung vorsieht, ist völlig unrealistisch von Anfang an gewesen. Mit anderen Worten: Die Kanzlerin hat hier eine Zusage gemacht, die überhaupt nicht einzuhalten war. Das ist das Verfahrenstechnische. Das Inhaltliche ist, dass solange sich die Anti-Terror-Gesetze in der Türkei nicht ändern, worauf das Europäische Parlament ja seit vielen Jahren hinweist, dass das nötig ist, kann es auch keine volle Visumsfreiheit geben. Ich glaube nicht, dass dieses Abkommen vollständig enden wird. Ich glaube nicht, dass es, wie viele das erwarten, kollabieren wird. Sondern ich glaube, dass man jetzt anfängt, in Gespräche einzutreten mit allen Beteiligten, auch den Parlamenten, um einen Kompromiss auszuhandeln, der Vorteile für beide Seiten bringt, ohne gleich, wie die Kanzlerin es zugesagt hatte, die Schleusen vollkommen aufzumachen, was die Visumsliberalisierung angeht.
Frage: Aber wir reden hier über einen gewissen Zeitdruck. Wie lange kann denn Europa oder das Europaparlament die Türkei noch hinhalten?
LAMBSDORFF: Nun, es ist vollkommen klar. Wir haben 72 Kriterien. Eines davon sind Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit. Dazu gehört die Änderung der Anti-Terror-Gesetze. Das ist vielleicht ganz wichtig, dass man sich das vor Augen führt, was diese Anti-Terror-Gesetze eigentlich sind. Es reicht, dass Sie einen Artikel schreiben oder einen Tweet absetzen, indem Sie beispielsweise kritisieren das Vorgehen der Regierung im Südosten des Landes gegen die Kurden. Dann können Sie schon wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor den Kadi gezerrt werden. Da gehen ganze berufliche Laufbahnen kaputt, da werden Familien kaputtgemacht. Dieses Anti-Terror-Gesetz muss geändert werden. Ansonsten ist nach unserem Dafürhalten jedenfalls die volle Visumsliberalisierung nicht vorstellbar. Ich glaube auch, man muss über die Frage des EU-Beitrittsprozesses neu reden. Der ist nach meinem Dafürhalten, auch nach Dafürhalten der FDP am Ende angelangt, den sollte man abbrechen und stattdessen pragmatisch schauen, wo man mit diesem wichtigen Land Türkei konkret zusammenarbeiten kann, um Dinge voranzutreiben.
Frage: Da haben Sie gerade schon das Stichwort Kompromisse genannt. Könnte es denn einen Kompromiss geben in dieser Frage der Anti-Terror-Gesetze zum Beispiel?
LAMBSDORFF: Was wir gesagt haben und seit vielen Jahren sagen, auch als FDP, ist, dass man eine volle Visumsliberalisierung erst mal nicht ins Auge fassen sollte. Stattdessen aber für bestimmte Gruppen von Reisenden kann man natürlich Erleichterungen machen, ob das Künstler sind, ob das Akademiker sind, ob das Geschäftsleute sind, ob das auch Angehörige von türkischen Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union sind, die sicher und verlässlich wieder zurückreisen. Man kann eine ganze Menge praktisch verbessern, unterhalb der Ebene einer vollständigen Visumsliberalisierung, die unter Umständen – das hat die Bundeskanzlerin, glaube ich, nicht bedacht, als sie es zugesagt hat – eine neue Fluchtwelle nach Europa auslösen kann, denn wir haben im Südosten der Türkei in den kurdischen Gebieten teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände. Ich glaube, das kann nicht in unserem Interesse sein, dass wir zur Bewältigung der einen Flüchtlingskrise die andere dann veranlassen.