FDP|
04.04.2016 - 13:30LINDNER-Rede zum Tod von Guido Westerwelle
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER hielt bei der Gedenkfeier für den langjährigen FDP-Vorsitzenden und ehemaligen Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE die folgende Rede:
Guido Westerwelle ist tot.
Diese Nachricht hat mich, diese Nachricht hat uns alle getroffen und berührt – seine Familie und seine Freunde, seine Gegner und Wegbegleiter sowie Millionen, denen er mit seinem Kampf gegen eine heimtückische Krankheit Zuversicht geschenkt hat.
Die Nachricht von seinem Tod war für mich wie für viele andere kaum zu begreifen. Guido war seit mehr als drei Jahrzehnten ein markanter Orientierungspunkt in unseren öffentlichen Debatten. Viele glaubten ihn daher lange und gut zu kennen. An ihm konnte man nicht vorbei. Er hat eine ganze Generation inspiriert – oder provoziert.
I.
Erwachsen wurde Guido Westerwelle in einer Zeit, als von „no future“ und „null Bock“ die Rede war. Er hat sein Leben dazu als Gegenentwurf geführt. Er war ein Optimist, der uns zum Gebrauch unserer Freiheit ermuntern wollte.
Guido hat oft über seine Schulzeit in Bonn erzählt. Über 68er Lehrer, die sich lieber unterhalten als unterrichten wollten. Er hat berichtet, wie viel Anstrengung es ihn gekostet hat, den Weg von der Realschule über das Abitur bis zum promovierten Juristen zu gehen.
Wenn der Politiker Westerwelle später davon sprach, Leistung müsse einen Unterschied machen, dann meinte er auch diesen, seinen Weg. Manche haben solche Sätze als Ausdruck der sozialen Härte interpretiert, die ein steter Wegbegleiter des Liberalismus sei. Sie haben den Liberalismus missverstanden – und sie haben auch Guido Westerwelle missverstanden. Er hat sich eben nicht mit den ohnehin Starken gemein gemacht, sondern sein Menschenbild war voller Vertrauen und Zutrauen – in die Kraft eines jeden Einzelnen. Ihn interessierte nicht, woher jemand kam, sondern wohin er wollte.
Als er 1980 begann, sich politisch zu engagieren, gehörte er folgerichtig zu den Gründern einer neuen Jugendorganisation der FDP, weil die vorherige sich weit vom Liberalismus und dem entfernt hatte, was man bürgerliche Werte nennt: Zukunftsvertrauen, Liebe zur Freiheit, Toleranz, Respekt vor individueller Leistung und Eigentum. Bald wurde er einer der ersten Bundesvorsitzenden der Jungen Liberalen.
1994 wurde Guido Generalsekretär unserer Partei. Zu einer Zeit, als die FDP sich nach dem großen Erfolg bei der ersten gesamtdeutschen Wahl bald als Regierungspartei konzeptionell erschöpft hatte. Als Schmied von Koalitionskompromissen hatte sie ihr eigenes Profil verloren.
Mit den „Wiesbadener Grundsätzen“ hat er ihr damals ein Wertegerüst zurückgegeben. Er forderte ein Ende der „Gefälligkeitspolitik“, die mehr verteilt, als die Gesellschaft an Wohlstand erwirtschaften kann. Auch dies war kein kaltes und hartes Konzept. Es war das Plädoyer eines der zu seiner Zeit jüngsten Spitzenpolitiker der Republik für Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Die Freien Demokraten waren so die Ersten, die eine Schuldenbremse für den Staat forderten.
Wir wissen, dass diese Gedanken nach zwanzig Jahren nichts an Aktualität verloren haben.
II.
Als Generalsekretär wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Er prägte das Bild der FDP in diesem Amt. Und dieses Amt prägte sein Bild in der Öffentlichkeit.
Die in Deutschland tief verwurzelte Sehnsucht nach Erlösung von Politik und Parteienstreit war ihm ein Graus. Er glaubte an die Macht von Rede und Gegenrede. Denn er wusste, dass nur die Debatte, dass nur der Wettbewerb der Ideen für die Bürgerinnen und Bürger Alternativen zu Tage fördert, die Wahlentscheidungen ihren eigentlichen Sinn verleihen. Wenn alle Parteien dieselben Antworten geben, dann würde im Prinzip schließlich eine einzige genügen.
Rede und Gegenrede verlangen nach Abgrenzung. Guido scheute bei seinen politischen Botschaften die Zuspitzung nicht. Er provozierte, um zu bewegen. Er wollte die Debatten. Und er führte sie lieber scharf, als dass sie nicht geführt worden wären.
Er konnte laut sein. Und er konnte sprechen. Manche haben ihn den deswegen einen Lautsprecher genannt. In Wahrheit ist mit Guido Westerwelle die Stimme des Liberalismus unüberhörbar geworden. Das hat Zustimmung und Widerstand hervorgerufen – in jedem Fall aber die Klarheit, von der eine parlamentarische Demokratie lebt.
Polarisierung war für ihn nicht Zweck an sich. Es war ein Stilmittel zur Schärfung des Profils unserer Partei. Einige Beobachter begangen daher den Fehler, den politischen Redner mit der Persönlichkeit zu verwechseln. Sie unterstellten, dass wer in der Rede so brillant Schwarz und Weiß zu trennen verstand, dann wohl auch nur in Schwarz und Weiß denken könne. Das war ein Irrtum – und zugleich ein unfreiwilliges Kompliment.
Er hat niemanden in der Sache geschont – wie auch er niemals geschont wurde. Er hat die Auseinandersetzung aber nie als unversöhnliche Feindschaft geführt. Gregor Gysi, sein Kollege als Fraktionsvorsitzender, hat das dieser Tage ausgedrückt: „Er besaß Humor und benahm sich auch meiner Fraktion und mir gegenüber von Anfang an tolerant, wohlwollend, und immer gesprächsbereit.“ „Jeder weiß, dass Guido Westerwelle gut reden konnte, kaum jemand weiß, dass er auch gut zuhören konnte.“
Im Wahljahr 1998 erneuerte Guido Westerwelle das Bild einer eigenständigen FDP, die eine „Äquidistanz“ zu den größeren Parteien einnehmen solle. Er hatte den Mut auszusprechen, dass die „Nach-Kohl-Zeit“ begonnen habe. Er tat dies wohlgemerkt vor der Bundestagswahl 1998. Dies nicht nur zu benennen, sondern geradezu zu fordern, hat ihn seinen Platz in der Koalitionsrunde bei Helmut Kohl gekostet – und fast auch sein Parteiamt.
Als er wenig später Vorsitzender der FDP in der ungewohnten Oppositionsrolle wurde, hat er die FDP aus der „Golfplatz-Nische“ geführt. „Raus aus den Sälen, rauf auf die Plätze“, so waren seine Wahlkämpfe. Er sah die Liberalen nicht als Volkspartei, aber doch als „Partei für alle im Volk“. Es ging ihm nicht darum, unsere Grundsätze dafür zu verbiegen oder zu verwässern, aber eben liberale Politik so zu formulieren, dass ihre Anliegen auch von einer Mehrheit akzeptiert werden konnten.
Dennoch hat er auch in späteren Aufgaben auf die Stilmittel der Provokation und Polarisierung nie ganz verzichtet. Er wusste möglicherweise selbst am besten, dass sie ihm persönlich nicht immer geholfen, sondern manches Mal geschadet haben. Für die FDP aber waren die immerhin zehn Jahre des Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle eine äußerst erfolgreiche Ära. In allen Landesparlamenten waren liberale Fraktionen vertreten.
Ohne Zweifel hat Guido Menschen geweckt, begeistert und mitgerissen. Zumal viele junge. So auch mich. Fehlten zuvor viel junge Mitglieder, so kamen sie nun. Für die FDP war das eine Chance auf personelle Verbreiterung.
Ich werde nie seinen Anruf am 13. Dezember 2009 vergessen. Es gab Spekulationen, wen Guido Westerwelle als neuen Generalsekretär der Regierungspartei FDP vorschlagen werde. Auch mein Name wurde in den Medien genannt, obwohl ich mit Guido zuvor niemals darüber gesprochen hatte. Am Sonntagabend vor der Wahl im Bundesvorstand rief er mich dann aber an. Drei Fragen habe er an mich: „Weißt Du, was auf Dich zukommt? Traust Du Dir das zu? Und liegt was gegen Dich vor?“ Nach einer Minute war das geklärt.
Guido eröffnete mir, dass er mich dann am nächsten Vormittag vorschlagen werde, und ansonsten wünsche er nun einen schönen Abend. Ich war perplex und habe ihn gefragt, ob wir nicht zumindest das Statement für die Pressekonferenz besprechen müssten. „Nein“, hat er geantwortet, „ich stelle Dich vor. Danach machst Du aus dem Amt das, was Du für die FDP für richtig hältst.“
So war er. Guido Westerwelle hat geführt – stark geführt sogar. Aber er hat anderen immer ihre Chance und ihren Raum gelassen. Er ist zu früh gestorben, um ihm dafür wirklich richtig danken zu können.
III.
Guido Westerwelle war ein Europäer.
Ich erinnere mich daran, wie er von einem Schüleraustausch nach Frankreich erzählte. Beeindruckt hatte ihn der Besuch bei einer Familie, die unter deutschen Besatzungstruppen gelitten hatte, aber dennoch die Gäste aus Deutschland offen empfangen hat. Er sagte, diese Begegnung habe sein Bild von Europa, einem Europa der Versöhnung, geprägt.
Natürlich war Guido Westerwelle auch ein überzeugter Anhänger des Binnenmarktes. Natürlich wusste er, dass Deutschland auf der Weltbühne zukünftig nur Einfluss behalten und seinen Lebensstil behaupten kann, wenn es seine Interessen europäisch einbindet. Im Kern war die Europäische Union für ihn aber ein Friedensprojekt. Guido Westerwelle gehört deshalb in die Tradition der liberalen Außenminister und insbesondere in die von Hans-Dietrich Genscher.
In der Staatsschuldenkrise seit 2010 hat er so entschieden allen widersprochen, die die europäische Einigung abwickeln wollten. Er hat die von Deutschland ausgehende Stabilitätspolitik, die sich im Kern als richtig erwiesen hat, mit geprägt. Er hat in der Öffentlichkeit, im Parlament und in seiner Partei dafür gestritten – trotz aller Angriffe und trotz Unsicherheiten in der eigenen Anhängerschaft. Guido Westerwelle hat daran erinnert, dass Europa nicht nur einen Preis hat, sondern auch einen Wert. Dieser Satz wird bleiben.
Manche fragen, ob die FDP nicht politisch davon profitiert hätte, wenn sie in das Lager der Euro-Gegner gewechselt wäre. Ich weiß, dass sich Guido Westerwelle diese Frage nicht einmal gestellt hat. Denn Deutschland kann es nicht besser gehen, wenn es Europa schlecht geht. Von Walter Scheel stammt der Gedanke, dass Staatsmann nicht jener ist, der das Populäre macht, sondern derjenige, der das Notwendige populär macht. Guido Westerwelle ist diesem Anspruch gerecht geworden.
Das Streben nach Frieden prägte auch seinen Blick auf die Welt. Er ging davon aus, dass sich die komplexen und asymmetrischen Konflikte unserer Zeit nicht oder zumindest nicht nur mit militärischen Mitteln lösen lassen. Mancher hat seinen Einsatz für Abrüstung und insbesondere für den Verzicht auf nukleare Rüstung geradezu belächelt. Aber ist das Ziel einer Welt ohne Kernwaffen nicht zumindest erstrebenswert?
IV.
Guido Westerwelle war ein Freund des Lebens.
Er hatte viele persönliche Interessen, von denen die Kunst nur eine ist. Er hat mit seiner Herkunft aus dem Rheinland kokettiert. Er liebte das blühende Mallorca, wo er in seinem Haus nun mehr Zeit verbringen wollte, als es zu seiner aktiven Zeit möglich war. Seine letzten Interviews waren die Aufforderung an uns alle, das Leben zu genießen und über Kleinigkeiten hinwegzusehen.
Gelebt hat er selbst lange jedoch nur für seine Partei. Sie war über viele Jahre sein Freundeskreis, sein Lebensmittelpunkt und vielleicht sogar etwas wie eine Familie.
Mit Dir, Michael, hat er dann seinen Lebenspartner gefunden. Bei seinem 50. Geburtstag hat er beschrieben, wie viel Du und Eure Ehe ihm bedeuten. Und jeder konnte sehen und spüren, was für eine große Liebe Euch verbindet. Nicht nur mich, sondern viele andere hat tief bewegt, wie Du Guido in der Zeit der Krankheit Kraft gegeben hast und wie Du ihn geschützt hast.
Für Guido war sein Bekenntnis zur Homosexualität eine persönliche Befreiung. Er ging damit offen um, ohne dass er es zu einem bestimmenden Thema gemacht hat. Deshalb hat er sich von Dir ganz selbstverständlich in Länder begleiten lassen, in denen Schwule diskriminiert werden. Er brauchte dort keine lauten Appelle, sondern er hat Euren aufgeklärten, toleranten Lebensentwurf vertreten. „Bevor ich sterbe, wird Schwulsein eine Selbstverständlichkeit sein“, hat er nach seinem Ausstieg aus der aktiven Politik gesagt. Leider ist das bisher weder weltweit noch bei uns der Fall. Aber Ihr habt gezeigt wie sie sein könnte, diese Normalität.
V.
Guido Westerwelle ist tot.
Guido Westerwelle hat das Leben geliebt – deshalb hat er für seines gekämpft. Wir sind in Trauer, weil er diesen Kampf verloren hat.
Guido Westerwelle hat die Freiheit geliebt – deshalb hat er für sie gestritten. Diese Aufgabe hat er an uns weitergegeben.
Er wird uns dabei fehlen.
LINDNER-Rede zum Tod von Guido Westerwelle
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER hielt bei der Gedenkfeier für den langjährigen FDP-Vorsitzenden und ehemaligen Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE die folgende Rede:
Guido Westerwelle ist tot.
Diese Nachricht hat mich, diese Nachricht hat uns alle getroffen und berührt – seine Familie und seine Freunde, seine Gegner und Wegbegleiter sowie Millionen, denen er mit seinem Kampf gegen eine heimtückische Krankheit Zuversicht geschenkt hat.
Die Nachricht von seinem Tod war für mich wie für viele andere kaum zu begreifen. Guido war seit mehr als drei Jahrzehnten ein markanter Orientierungspunkt in unseren öffentlichen Debatten. Viele glaubten ihn daher lange und gut zu kennen. An ihm konnte man nicht vorbei. Er hat eine ganze Generation inspiriert – oder provoziert.
I.
Erwachsen wurde Guido Westerwelle in einer Zeit, als von „no future“ und „null Bock“ die Rede war. Er hat sein Leben dazu als Gegenentwurf geführt. Er war ein Optimist, der uns zum Gebrauch unserer Freiheit ermuntern wollte.
Guido hat oft über seine Schulzeit in Bonn erzählt. Über 68er Lehrer, die sich lieber unterhalten als unterrichten wollten. Er hat berichtet, wie viel Anstrengung es ihn gekostet hat, den Weg von der Realschule über das Abitur bis zum promovierten Juristen zu gehen.
Wenn der Politiker Westerwelle später davon sprach, Leistung müsse einen Unterschied machen, dann meinte er auch diesen, seinen Weg. Manche haben solche Sätze als Ausdruck der sozialen Härte interpretiert, die ein steter Wegbegleiter des Liberalismus sei. Sie haben den Liberalismus missverstanden – und sie haben auch Guido Westerwelle missverstanden. Er hat sich eben nicht mit den ohnehin Starken gemein gemacht, sondern sein Menschenbild war voller Vertrauen und Zutrauen – in die Kraft eines jeden Einzelnen. Ihn interessierte nicht, woher jemand kam, sondern wohin er wollte.
Als er 1980 begann, sich politisch zu engagieren, gehörte er folgerichtig zu den Gründern einer neuen Jugendorganisation der FDP, weil die vorherige sich weit vom Liberalismus und dem entfernt hatte, was man bürgerliche Werte nennt: Zukunftsvertrauen, Liebe zur Freiheit, Toleranz, Respekt vor individueller Leistung und Eigentum. Bald wurde er einer der ersten Bundesvorsitzenden der Jungen Liberalen.
1994 wurde Guido Generalsekretär unserer Partei. Zu einer Zeit, als die FDP sich nach dem großen Erfolg bei der ersten gesamtdeutschen Wahl bald als Regierungspartei konzeptionell erschöpft hatte. Als Schmied von Koalitionskompromissen hatte sie ihr eigenes Profil verloren.
Mit den „Wiesbadener Grundsätzen“ hat er ihr damals ein Wertegerüst zurückgegeben. Er forderte ein Ende der „Gefälligkeitspolitik“, die mehr verteilt, als die Gesellschaft an Wohlstand erwirtschaften kann. Auch dies war kein kaltes und hartes Konzept. Es war das Plädoyer eines der zu seiner Zeit jüngsten Spitzenpolitiker der Republik für Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Die Freien Demokraten waren so die Ersten, die eine Schuldenbremse für den Staat forderten.
Wir wissen, dass diese Gedanken nach zwanzig Jahren nichts an Aktualität verloren haben.
II.
Als Generalsekretär wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Er prägte das Bild der FDP in diesem Amt. Und dieses Amt prägte sein Bild in der Öffentlichkeit.
Die in Deutschland tief verwurzelte Sehnsucht nach Erlösung von Politik und Parteienstreit war ihm ein Graus. Er glaubte an die Macht von Rede und Gegenrede. Denn er wusste, dass nur die Debatte, dass nur der Wettbewerb der Ideen für die Bürgerinnen und Bürger Alternativen zu Tage fördert, die Wahlentscheidungen ihren eigentlichen Sinn verleihen. Wenn alle Parteien dieselben Antworten geben, dann würde im Prinzip schließlich eine einzige genügen.
Rede und Gegenrede verlangen nach Abgrenzung. Guido scheute bei seinen politischen Botschaften die Zuspitzung nicht. Er provozierte, um zu bewegen. Er wollte die Debatten. Und er führte sie lieber scharf, als dass sie nicht geführt worden wären.
Er konnte laut sein. Und er konnte sprechen. Manche haben ihn den deswegen einen Lautsprecher genannt. In Wahrheit ist mit Guido Westerwelle die Stimme des Liberalismus unüberhörbar geworden. Das hat Zustimmung und Widerstand hervorgerufen – in jedem Fall aber die Klarheit, von der eine parlamentarische Demokratie lebt.
Polarisierung war für ihn nicht Zweck an sich. Es war ein Stilmittel zur Schärfung des Profils unserer Partei. Einige Beobachter begangen daher den Fehler, den politischen Redner mit der Persönlichkeit zu verwechseln. Sie unterstellten, dass wer in der Rede so brillant Schwarz und Weiß zu trennen verstand, dann wohl auch nur in Schwarz und Weiß denken könne. Das war ein Irrtum – und zugleich ein unfreiwilliges Kompliment.
Er hat niemanden in der Sache geschont – wie auch er niemals geschont wurde. Er hat die Auseinandersetzung aber nie als unversöhnliche Feindschaft geführt. Gregor Gysi, sein Kollege als Fraktionsvorsitzender, hat das dieser Tage ausgedrückt: „Er besaß Humor und benahm sich auch meiner Fraktion und mir gegenüber von Anfang an tolerant, wohlwollend, und immer gesprächsbereit.“ „Jeder weiß, dass Guido Westerwelle gut reden konnte, kaum jemand weiß, dass er auch gut zuhören konnte.“
Im Wahljahr 1998 erneuerte Guido Westerwelle das Bild einer eigenständigen FDP, die eine „Äquidistanz“ zu den größeren Parteien einnehmen solle. Er hatte den Mut auszusprechen, dass die „Nach-Kohl-Zeit“ begonnen habe. Er tat dies wohlgemerkt vor der Bundestagswahl 1998. Dies nicht nur zu benennen, sondern geradezu zu fordern, hat ihn seinen Platz in der Koalitionsrunde bei Helmut Kohl gekostet – und fast auch sein Parteiamt.
Als er wenig später Vorsitzender der FDP in der ungewohnten Oppositionsrolle wurde, hat er die FDP aus der „Golfplatz-Nische“ geführt. „Raus aus den Sälen, rauf auf die Plätze“, so waren seine Wahlkämpfe. Er sah die Liberalen nicht als Volkspartei, aber doch als „Partei für alle im Volk“. Es ging ihm nicht darum, unsere Grundsätze dafür zu verbiegen oder zu verwässern, aber eben liberale Politik so zu formulieren, dass ihre Anliegen auch von einer Mehrheit akzeptiert werden konnten.
Dennoch hat er auch in späteren Aufgaben auf die Stilmittel der Provokation und Polarisierung nie ganz verzichtet. Er wusste möglicherweise selbst am besten, dass sie ihm persönlich nicht immer geholfen, sondern manches Mal geschadet haben. Für die FDP aber waren die immerhin zehn Jahre des Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle eine äußerst erfolgreiche Ära. In allen Landesparlamenten waren liberale Fraktionen vertreten.
Ohne Zweifel hat Guido Menschen geweckt, begeistert und mitgerissen. Zumal viele junge. So auch mich. Fehlten zuvor viel junge Mitglieder, so kamen sie nun. Für die FDP war das eine Chance auf personelle Verbreiterung.
Ich werde nie seinen Anruf am 13. Dezember 2009 vergessen. Es gab Spekulationen, wen Guido Westerwelle als neuen Generalsekretär der Regierungspartei FDP vorschlagen werde. Auch mein Name wurde in den Medien genannt, obwohl ich mit Guido zuvor niemals darüber gesprochen hatte. Am Sonntagabend vor der Wahl im Bundesvorstand rief er mich dann aber an. Drei Fragen habe er an mich: „Weißt Du, was auf Dich zukommt? Traust Du Dir das zu? Und liegt was gegen Dich vor?“ Nach einer Minute war das geklärt.
Guido eröffnete mir, dass er mich dann am nächsten Vormittag vorschlagen werde, und ansonsten wünsche er nun einen schönen Abend. Ich war perplex und habe ihn gefragt, ob wir nicht zumindest das Statement für die Pressekonferenz besprechen müssten. „Nein“, hat er geantwortet, „ich stelle Dich vor. Danach machst Du aus dem Amt das, was Du für die FDP für richtig hältst.“
So war er. Guido Westerwelle hat geführt – stark geführt sogar. Aber er hat anderen immer ihre Chance und ihren Raum gelassen. Er ist zu früh gestorben, um ihm dafür wirklich richtig danken zu können.
III.
Guido Westerwelle war ein Europäer.
Ich erinnere mich daran, wie er von einem Schüleraustausch nach Frankreich erzählte. Beeindruckt hatte ihn der Besuch bei einer Familie, die unter deutschen Besatzungstruppen gelitten hatte, aber dennoch die Gäste aus Deutschland offen empfangen hat. Er sagte, diese Begegnung habe sein Bild von Europa, einem Europa der Versöhnung, geprägt.
Natürlich war Guido Westerwelle auch ein überzeugter Anhänger des Binnenmarktes. Natürlich wusste er, dass Deutschland auf der Weltbühne zukünftig nur Einfluss behalten und seinen Lebensstil behaupten kann, wenn es seine Interessen europäisch einbindet. Im Kern war die Europäische Union für ihn aber ein Friedensprojekt. Guido Westerwelle gehört deshalb in die Tradition der liberalen Außenminister und insbesondere in die von Hans-Dietrich Genscher.
In der Staatsschuldenkrise seit 2010 hat er so entschieden allen widersprochen, die die europäische Einigung abwickeln wollten. Er hat die von Deutschland ausgehende Stabilitätspolitik, die sich im Kern als richtig erwiesen hat, mit geprägt. Er hat in der Öffentlichkeit, im Parlament und in seiner Partei dafür gestritten – trotz aller Angriffe und trotz Unsicherheiten in der eigenen Anhängerschaft. Guido Westerwelle hat daran erinnert, dass Europa nicht nur einen Preis hat, sondern auch einen Wert. Dieser Satz wird bleiben.
Manche fragen, ob die FDP nicht politisch davon profitiert hätte, wenn sie in das Lager der Euro-Gegner gewechselt wäre. Ich weiß, dass sich Guido Westerwelle diese Frage nicht einmal gestellt hat. Denn Deutschland kann es nicht besser gehen, wenn es Europa schlecht geht. Von Walter Scheel stammt der Gedanke, dass Staatsmann nicht jener ist, der das Populäre macht, sondern derjenige, der das Notwendige populär macht. Guido Westerwelle ist diesem Anspruch gerecht geworden.
Das Streben nach Frieden prägte auch seinen Blick auf die Welt. Er ging davon aus, dass sich die komplexen und asymmetrischen Konflikte unserer Zeit nicht oder zumindest nicht nur mit militärischen Mitteln lösen lassen. Mancher hat seinen Einsatz für Abrüstung und insbesondere für den Verzicht auf nukleare Rüstung geradezu belächelt. Aber ist das Ziel einer Welt ohne Kernwaffen nicht zumindest erstrebenswert?
IV.
Guido Westerwelle war ein Freund des Lebens.
Er hatte viele persönliche Interessen, von denen die Kunst nur eine ist. Er hat mit seiner Herkunft aus dem Rheinland kokettiert. Er liebte das blühende Mallorca, wo er in seinem Haus nun mehr Zeit verbringen wollte, als es zu seiner aktiven Zeit möglich war. Seine letzten Interviews waren die Aufforderung an uns alle, das Leben zu genießen und über Kleinigkeiten hinwegzusehen.
Gelebt hat er selbst lange jedoch nur für seine Partei. Sie war über viele Jahre sein Freundeskreis, sein Lebensmittelpunkt und vielleicht sogar etwas wie eine Familie.
Mit Dir, Michael, hat er dann seinen Lebenspartner gefunden. Bei seinem 50. Geburtstag hat er beschrieben, wie viel Du und Eure Ehe ihm bedeuten. Und jeder konnte sehen und spüren, was für eine große Liebe Euch verbindet. Nicht nur mich, sondern viele andere hat tief bewegt, wie Du Guido in der Zeit der Krankheit Kraft gegeben hast und wie Du ihn geschützt hast.
Für Guido war sein Bekenntnis zur Homosexualität eine persönliche Befreiung. Er ging damit offen um, ohne dass er es zu einem bestimmenden Thema gemacht hat. Deshalb hat er sich von Dir ganz selbstverständlich in Länder begleiten lassen, in denen Schwule diskriminiert werden. Er brauchte dort keine lauten Appelle, sondern er hat Euren aufgeklärten, toleranten Lebensentwurf vertreten. „Bevor ich sterbe, wird Schwulsein eine Selbstverständlichkeit sein“, hat er nach seinem Ausstieg aus der aktiven Politik gesagt. Leider ist das bisher weder weltweit noch bei uns der Fall. Aber Ihr habt gezeigt wie sie sein könnte, diese Normalität.
V.
Guido Westerwelle ist tot.
Guido Westerwelle hat das Leben geliebt – deshalb hat er für seines gekämpft. Wir sind in Trauer, weil er diesen Kampf verloren hat.
Guido Westerwelle hat die Freiheit geliebt – deshalb hat er für sie gestritten. Diese Aufgabe hat er an uns weitergegeben.
Er wird uns dabei fehlen.