FDP|
30.03.2016 - 13:30Differenzieren statt assimilieren
Marco Buschmann befasst sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Politik-Stil Angela Merkels und seinen Folgen für die deutsche Politik. In seinem Gastbeitrag stellt der FDP-Bundesgeschäftsführer die Diagnose: "Der Merkelismus ist in Merkelitis übergegangen." Seine Therapie lautet: "Differenzieren statt assimilieren!" Denn: "Der Kurs kontinuierlicher Assimilation statt konzeptioneller Auswahl hat die AfD überhaupt erst stark gemacht."
Den Rahmen seiner Analyse stellt das Bild des israelischen Historikers Yuval Harari dar, der in seiner "kurzen Geschichte der Menschheit" geschrieben hat, dass politische Konzepte wie Infekte wirken können. Buschmann nimmt den Faden auf und beschreibt den Politikstil Merkels wie die Entstehung einer Erkrankung. Dafür schlägt er den Bogen vom Leipziger CDU-Bundesparteitag 2005 bis zu den Landtagswahlen im März diesen Jahres.
Lesen Sie hier den vollständigen Gastbeitrag
In seinem Bestseller "Sapiens" schreibt der israelische Starhistoriker Yuval Harari, dass politische Konzepte wie Infekte wirken können. Angesichts der Folgen des Politikstils Angela Merkels besticht der Gedanke. Denn lange galt dieser Stil als Krönung strategischer Defensivpolitik. Seit dem 13. März 2016 aber ist klar, dass es sich eher um eine Pathologie handelt. Um in Hararis Bild zu bleiben: Der Merkelismus ist in Merkelitis übergegangen. Es wird Zeit für den Versuch einer Pathogenese.
Infektionen beginnen mit dem Eindringen eines Fremdkörpers. So empfanden die Honoratioren der CDU wohl das Vorgehen Merkels, als sie Wolfgang Schäuble stürzte und die Macht an sich riss. Doch das Immunsystem reagierte schnell. Noch 2005 begrenzte der Leipziger Parteitag ihren Bewegungsspielraum mit einem konturierten Reformprogramm. Friedrich Merz, Christian Wulff oder Roland Koch wachten über die Parteiidentität. Dazu gehörten damals konservative Gesellschaftspolitik, aber auch eine Grundsympathie für soziale Marktwirtschaft. Doch die ungesunde Konstellation einer großen Koalition ermöglichte es Merkel, sowohl diese Identität wie auch ihre Wächter zu minorisieren. Das Immunsystem der Partei war geschwächt. Häufig unterschätzt man die ersten Symptome einer Infektion. Die programmatische Indifferenz zwischen CDU und SPD hielten viele Beobachter im Jahr 2009 bloß für einen geschickten Schachzug. Asymmetrische Mobilisierung hieß das Zauberwort: Die Union betreibe Mimikry, damit die SPD keinen Hebel findet, um Wähler durch konzeptionelle Differenzen mobilisieren zu können. Durch die Stärkung der FDP stand am Ende sogar eine parlamentarische Mehrheit für Union und FDP.
Virale Infekte führen zur Veränderung der DNA in Körperzellen. Politisch änderte sich nun keine Molekülkette in einem Zellkern, sondern die politische Kerntruppe: Die Dominanz der traditionell sozialdemokratischen CDA in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurde erdrückend. Die Indifferenz war fortan nicht nur Taktik, sondern neue Identität. Während der zweiten großen Koalition passte sich die CDU der SPD so sehr an, dass die Meinungsforschung im Dezember 2015 feststellte, dass eine Mehrheit der Menschen die Union als "linke" Partei wahrnehme. Vor diesem Hintergrund klagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, dass sich die konservative Partei weigere, konservativ zu sein. Dies lasse zahllose Wähler heimatlos zurück.
Viele Infektionen wirken ansteckend. Die Grünen etwa suchten in der Hoffnung auf künftige Regierungsämter an der Seite Merkels ihre Nähe. Damit übertrug sich ein Stück Indifferenz: Im Rahmen der Landtagswahlkämpfe reklamierten sie für sich, dass eine Stimme für die Grünen Unterstützung der Politik Merkels sei. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt führte diese Ansteckung fast in die politische Katastrophe. Die Partei verlor in Rheinland-Pfalz etwa 10 Prozentpunkte und schaffte es in beiden Ländern nur äußerst knapp in den Landtag.
Viele Infektionen führen zur Funktionsbeeinträchtigung von Organen - in diesem Fall von Staatsorganen. Das Parlament ist der Ort, um konzeptionelle Vorschläge und Unterschiede herauszuarbeiten. Bietet das Parlament aber keine ausreichende Vielfalt politischer Konzepte, dann entsteht zunächst nur Langeweile. Später folgt Frust. Es entstehen substanzlose Stimmungsformationen wie die AfD. Ihr starkes Abschneiden betoniert den Frust, denn Lösungen bietet sie nicht. Zugleich drängen sie andere Parteien bei der Bildung einer Regierung mit stabiler Mehrheit im Parlament zur Überwindung letzter inhaltlicher Differenzierungsmerkmale. Man denke hier nur an Gregor Gysis Vorschlag, dass Union und Linkspartei in Sachsen-Anhalt koalieren mögen.
Das Organ "Volkspartei" ist auch in Mitleidenschaft gezogen. Die SPD jedenfalls kann weder in Baden-Württemberg noch in Sachsen-Anhalt länger diese Funktion für sich beanspruchen. Aber auch die herben Verluste für die Union bei allen drei Wahlen mögen ihr zu denken geben. Denn der Kurs kontinuierlicher Assimilation statt konzeptioneller Auswahl hat die AfD überhaupt erst stark gemacht. Ihrer Aufgabe, durch Integration in das demokratische Spektrum dafür zu sorgen, dass rechts von ihr keine Partei Fuß fassen kann, verweigert sie sich. Die Therapie kann nur lauten: differenzieren statt assimilieren!
Differenzieren statt assimilieren
Marco Buschmann befasst sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Politik-Stil Angela Merkels und seinen Folgen für die deutsche Politik. In seinem Gastbeitrag stellt der FDP-Bundesgeschäftsführer die Diagnose: "Der Merkelismus ist in Merkelitis übergegangen." Seine Therapie lautet: "Differenzieren statt assimilieren!" Denn: "Der Kurs kontinuierlicher Assimilation statt konzeptioneller Auswahl hat die AfD überhaupt erst stark gemacht."
Den Rahmen seiner Analyse stellt das Bild des israelischen Historikers Yuval Harari dar, der in seiner "kurzen Geschichte der Menschheit" geschrieben hat, dass politische Konzepte wie Infekte wirken können. Buschmann nimmt den Faden auf und beschreibt den Politikstil Merkels wie die Entstehung einer Erkrankung. Dafür schlägt er den Bogen vom Leipziger CDU-Bundesparteitag 2005 bis zu den Landtagswahlen im März diesen Jahres.
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In seinem Bestseller "Sapiens" schreibt der israelische Starhistoriker Yuval Harari, dass politische Konzepte wie Infekte wirken können. Angesichts der Folgen des Politikstils Angela Merkels besticht der Gedanke. Denn lange galt dieser Stil als Krönung strategischer Defensivpolitik. Seit dem 13. März 2016 aber ist klar, dass es sich eher um eine Pathologie handelt. Um in Hararis Bild zu bleiben: Der Merkelismus ist in Merkelitis übergegangen. Es wird Zeit für den Versuch einer Pathogenese.
Infektionen beginnen mit dem Eindringen eines Fremdkörpers. So empfanden die Honoratioren der CDU wohl das Vorgehen Merkels, als sie Wolfgang Schäuble stürzte und die Macht an sich riss. Doch das Immunsystem reagierte schnell. Noch 2005 begrenzte der Leipziger Parteitag ihren Bewegungsspielraum mit einem konturierten Reformprogramm. Friedrich Merz, Christian Wulff oder Roland Koch wachten über die Parteiidentität. Dazu gehörten damals konservative Gesellschaftspolitik, aber auch eine Grundsympathie für soziale Marktwirtschaft. Doch die ungesunde Konstellation einer großen Koalition ermöglichte es Merkel, sowohl diese Identität wie auch ihre Wächter zu minorisieren. Das Immunsystem der Partei war geschwächt. Häufig unterschätzt man die ersten Symptome einer Infektion. Die programmatische Indifferenz zwischen CDU und SPD hielten viele Beobachter im Jahr 2009 bloß für einen geschickten Schachzug. Asymmetrische Mobilisierung hieß das Zauberwort: Die Union betreibe Mimikry, damit die SPD keinen Hebel findet, um Wähler durch konzeptionelle Differenzen mobilisieren zu können. Durch die Stärkung der FDP stand am Ende sogar eine parlamentarische Mehrheit für Union und FDP.
Virale Infekte führen zur Veränderung der DNA in Körperzellen. Politisch änderte sich nun keine Molekülkette in einem Zellkern, sondern die politische Kerntruppe: Die Dominanz der traditionell sozialdemokratischen CDA in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurde erdrückend. Die Indifferenz war fortan nicht nur Taktik, sondern neue Identität. Während der zweiten großen Koalition passte sich die CDU der SPD so sehr an, dass die Meinungsforschung im Dezember 2015 feststellte, dass eine Mehrheit der Menschen die Union als "linke" Partei wahrnehme. Vor diesem Hintergrund klagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, dass sich die konservative Partei weigere, konservativ zu sein. Dies lasse zahllose Wähler heimatlos zurück.
Viele Infektionen wirken ansteckend. Die Grünen etwa suchten in der Hoffnung auf künftige Regierungsämter an der Seite Merkels ihre Nähe. Damit übertrug sich ein Stück Indifferenz: Im Rahmen der Landtagswahlkämpfe reklamierten sie für sich, dass eine Stimme für die Grünen Unterstützung der Politik Merkels sei. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt führte diese Ansteckung fast in die politische Katastrophe. Die Partei verlor in Rheinland-Pfalz etwa 10 Prozentpunkte und schaffte es in beiden Ländern nur äußerst knapp in den Landtag.
Viele Infektionen führen zur Funktionsbeeinträchtigung von Organen - in diesem Fall von Staatsorganen. Das Parlament ist der Ort, um konzeptionelle Vorschläge und Unterschiede herauszuarbeiten. Bietet das Parlament aber keine ausreichende Vielfalt politischer Konzepte, dann entsteht zunächst nur Langeweile. Später folgt Frust. Es entstehen substanzlose Stimmungsformationen wie die AfD. Ihr starkes Abschneiden betoniert den Frust, denn Lösungen bietet sie nicht. Zugleich drängen sie andere Parteien bei der Bildung einer Regierung mit stabiler Mehrheit im Parlament zur Überwindung letzter inhaltlicher Differenzierungsmerkmale. Man denke hier nur an Gregor Gysis Vorschlag, dass Union und Linkspartei in Sachsen-Anhalt koalieren mögen.
Das Organ "Volkspartei" ist auch in Mitleidenschaft gezogen. Die SPD jedenfalls kann weder in Baden-Württemberg noch in Sachsen-Anhalt länger diese Funktion für sich beanspruchen. Aber auch die herben Verluste für die Union bei allen drei Wahlen mögen ihr zu denken geben. Denn der Kurs kontinuierlicher Assimilation statt konzeptioneller Auswahl hat die AfD überhaupt erst stark gemacht. Ihrer Aufgabe, durch Integration in das demokratische Spektrum dafür zu sorgen, dass rechts von ihr keine Partei Fuß fassen kann, verweigert sie sich. Die Therapie kann nur lauten: differenzieren statt assimilieren!