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04.12.2015 - 13:45Militäreinsatz mit diplomatischen Bemühungen verknüpfen
Der Deutsche Bundestag hat mit großer Mehrheit den Bundeswehr-Einsatz zur Bekämpfung der IS-Miliz in Syrien gebilligt. Im "Deutschlandfunk" begrüßte FDP-Chef Christian Lindner den Schritt. Für ihn ist klar: Deutschland hätte sich die Bitte des engen Freundes und Verbündeten Frankreich nicht entziehen können. Neben der Frage der Bündnissolidarität trage die Bundesrepublik auch eine Verantwortung, sich für Frieden und Stabilität im Nahen Osten zu engagieren und so Fluchtursachen zu beseitigen. Dafür brauche es eine langfristige Strategie, die über den Militäreinsatz hinausgehe.
Ein Mandat der Vereinten Nationen für den Einsatz wäre natürlich wünschenswert, betonte Lindner. Daran sei auf diplomatischer Ebene weiter zu arbeiten. Die internationale Rechtslage reiche jedoch für den französischen sowie für den deutschen Einsatz aus. Allerdings hätte er eine Zustimmung im Bundestag an die Ausarbeitung von klaren Ausstiegsperspektiven und langfristigen Konzepten für die Region gebunden, gab Lindner zu bedenken. In der Syrien-Frage wünsche er sich, "dass das Tempo, das es gegeben hat bei der militärischen Begleitung Frankreichs, in gleicher und höherer Weise jetzt auch auf dem diplomatischen Parkett gezeigt wird, im Gespräch mit unseren Partnern und den Kräften der Region".
Erforderlich sei ein "System von Stabilität in der Levante und im ganzen Nahen und Mittleren Osten", das sich an den einstigen KSZE-Prozess für Europa anlehne, erläuterte der Freidemokrat. Dabei gehe es um die friedliche Koexistenz von religiösen und ethnischen Gruppen und die Anerkennung von Menschenrechten. Zur Realisierung dieser Vision seien Maßnahmen erforderlich, die über Jahrzehnte auf die Stabilisierung der Region und die Eindämmung von Gewalt hinwirken.
Keine Soldaten am Boden
Um den IS endgültig zu besiegen, brauche es außerdem eine Kappung seiner Versorgungslinien sowie eine weltanschauliche Auseinandersetzung mit dem islamistischen Extremismus, so der FDP-Chef. In dieser Frage dürfe die Rolle von Saudi-Arabien bei der Finanzierung und Verbreitung von radikalem Gedankengut nicht ignoriert werden. Einen Einsatz von deutschen oder westlichen Soldaten auf dem Boden lehnte Lindner allerdings entschieden ab – denn genau diesen Bodenkrieg suchten die IS-Terroristen.
Lesen Sie hier das gesamte Interview.
Als die FDP noch im Bundestag und Guido Westerwelle noch Außenminister war, da hat er Deutschland aus der Intervention gegen Libyen – das ist vier Jahre her – herausgehalten und dafür hat er viel Prügel eingesteckt. Heute ist die FDP APO, außerparlamentarische Opposition. Wenn Sie noch im Parlament wären, wie hätten Sie heute abgestimmt?
Die FDP ist in der Vergangenheit immer ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht geworden. Das bedeutet aber auch, dass wir jeden Einsatz der Bundeswehr, jedes Mandat für sich genau geprüft haben. Wir haben nicht allen zugestimmt, darauf will ich hinweisen. Auch zu unseren Oppositionszeiten haben wir da sehr differenziert. Konkret heute hätte ich zugestimmt, weil sich Deutschland einer Bitte unseres engsten Freundes und Verbündeten Frankreich nicht entziehen kann und weil Deutschland auch Verantwortung für Frieden und Stabilität in dieser Weltregion, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft trägt. Wir sprechen über eine Flüchtlingswelle, die uns erreicht; also muss auch an den langfristigen Fluchtursachen gearbeitet werden.
Herr Lindner, wenn Sie zugestimmt hätten, das heißt Ihnen hätte die Rechtsgrundlage ausgereicht?
Ja. Uns hätte die Rechtsgrundlage ausgereicht. Ein Mandat der Vereinten Nationen ist natürlich wünschenswert und daran ist auch auf diplomatischem Wege weiter zu arbeiten. Aber aus unserer Sicht lässt das internationale Recht eine Selbstverteidigung Frankreichs bereits zu, und dass Deutschland im System kollektiver Sicherheit mitwirken kann, ist ebenfalls höchstrichterlich in Deutschland auch bestätigt. Ich hätte aber, Herr Spengler, wenn ich das sagen darf, in der Debatte im Deutschen Bundestag auch meine Zustimmung zu diesem Mandat verbunden mit der Kritik daran, dass die Strategie der Bundesregierung und unserer europäischen Partner mir noch nicht klar ist. Die Ausstiegsperspektive, die Zielperspektive für die Region ist mir noch nicht klar. Und der Prozess zur Stabilisierung der Region und insbesondere für einen gerechten Ausgleich der Bevölkerungsgruppen in Syrien, er hat noch gar nicht wirklich begonnen.
Auch wenn Ihnen die Strategie noch nicht klar ist, und ja auch nicht nur Ihnen, wenn es noch keine Exit-Strategie gibt, das hätte Sie aber nicht davon abgehalten zu sagen, ja okay, wir fangen schon mal an?
Ich glaube, dass es ja keinen Zweifel daran geben kann, dass diese islamistische Sekte auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Ich glaube, dass eine militärische Komponente Teil der Krisenstrategie ist. Darüber darf aber nicht die diplomatische Lösung, darf nicht die diplomatische Komponente zunächst einmal aus dem Blick geraten. Die Gespräche in Wien sind erforderlich, sie haben zu spät begonnen, die Bundesregierung hat in der Ukraine-Krise eine wichtige Rolle gespielt, in der Frage Syrien ist sie erst sehr spät aktiv geworden. Ich wünsche mir, dass das Tempo, das es jetzt gegeben hat bei der militärischen Begleitung Frankreichs, dass dieses Tempo in gleicher und höherer Weise jetzt auch auf dem diplomatischen Parkett gezeigt wird im Gespräch mit unseren Partnern, mit den Kräften der Region und auch mit Russland.
Glauben Sie denn, dass man mit Militärschlägen den IS besiegen kann, oder stärkt man damit womöglich deren Anhänger, wie ja zum Beispiel die Linkspartei meint?
Den IS wird man damit nicht besiegen können. Aber denkbar ist natürlich, weitere Geländegewinne zu vermeiden, oder auch befriedete Zonen einzurichten als Zwischenschritte. Um den IS niederzuringen, brauchen wir auch eine weltanschauliche Auseinandersetzung. Wir wissen, dass aus Saudi-Arabien, nicht ausschließlich oder nur vom Staat, aber von manchem Scheich, diese sehr radikale Interpretation des Islams befördert wird. Das muss aufhören. Wir müssen die Finanzströme angehen. Die Frage ist, wo der IS noch seinen Nachschub an Waffen und Material erhält. All das gehört mit dazu und ohne das, ausdrücklich die weltanschauliche Auseinandersetzung, die Kappung seiner Versorgungslinien, ohne all das ist eine dauerhafte Zerschlagung dieser Sekte nicht möglich.
Haben Sie den Eindruck, dass wir besser aufgestellt sind als im Fall Afghanistans? Da sind wir ja nun seit über einem Jahrzehnt engagiert, sogar mit Bodentruppen, und trotzdem haben sich die Taliban einfach zurückgezogen und jetzt sind sie wieder da. Könnte das nicht auch mit IS passieren?
Man muss realistische Ziele haben für einen Einsatz. Aus Afghanistan eine westliche Demokratie mit Marktwirtschaft zu machen, wie es am Beginn des Einsatzes stand, das war mit Sicherheit nicht realistisch. Und aus diesem Einsatz, diesem langjährigen Engagement muss man lernen. Eine Komponente ist, dass wir die regionalen Kräfte einbinden müssen. Das ist sehr voraussetzungsvoll, sehr schwierig, weil das auch mindestens kurzfristig Gespräche mit Herrn Assad bedeutet, der ja seinerseits ein Fluchtgrund ist und dessen Armee für enorm viele Tote und Opfer verantwortlich zeichnet.
Aber den würden Sie nicht außen vor lassen?
Man wird mindestens in der jetzigen Phase mit ihm sprechen müssen. Aber er kann nicht Teil der Zukunft Syriens sein, denn ein gerechter Ausgleich zwischen den vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und religiösen Überzeugungen in Syrien ist mit Herrn Assad nicht nur nicht vorstellbar; ich glaube, er wäre sogar ausgeschlossen.
Nun bombardieren die USA und andere ja schon seit über einem Jahr die Ziele des IS in Irak und Syrien. Braucht es die deutschen Tornados überhaupt?
Deutschland hat Fähigkeiten, die nachgefragt worden sind: Luftbetankung, Aufklärung. Da sind wir auch ganz gut. Ich glaube aber, dass unser Beitrag nicht im Zentrum jetzt der militärischen Auseinandersetzung steht.
Also symbolisch eher?
Ja ich habe das Wort symbolisch, Herr Spengler, zu vermeiden versucht, weil ich ethisch und politisch keinen Unterschied mache zwischen Aufklärung, Feuerleitfunktion und dann dem Abdrücken einer Waffe. Das ist schon mehr als symbolisch. Aber sicherlich haben unsere Fähigkeiten einen ergänzenden Beitrag. Wenn die nachgefragt werden, stellen wir sie zur Verfügung.
Das heißt, es geht vor allen Dingen um ein Zeichen der Solidarität mit Frankreich?
Ja, es ist Bündnissolidarität, und ich will wie gesagt auch nicht ausschließen, dass bestimmte Fähigkeiten erforderlich sind. Jetzt interessiert uns der weitere Fahrplan, die Strategie, sowohl in militärischer, aber ich unterstreiche noch mal vor allen Dingen in diplomatischer Hinsicht. Insbesondere muss dann gefragt werden, wie wird die Lage auf dem Boden stabilisiert, und hier will ich für meine Partei sehr klar machen: Für mich ist nicht vorstellbar, dass Deutschland oder westliche Mächte auf dem Boden operieren. Genau das würde sich diese islamistische Sekte ja wünschen, eine Auseinandersetzung mit einer, wie dann gesagt werden würde, christlichen Interventionsarmee. Hier sind also wiederum Kräfte der Region gefordert, an dieser Stelle einen Beitrag zu leisten. Das wird noch sehr viel von der Bundesregierung an diplomatischer Arbeit abverlangen.
Um noch mal auf die Solidarität mit Frankreich zu sprechen zu kommen. Es wäre für die Europapartei FDP nicht vorstellbar gewesen, Frankreich die Solidarität zu verweigern?
Ausgeschlossen.
Und wenn Sie sagen, es fehlt eine Exit-Strategie, wie sollte die denn aussehen?
Wir brauchen ein System von Stabilität in der Levante und im ganzen Nahen und Mittleren Osten. Das ist die Langfriststrategie. Ich glaube, dass man anlehnen sich kann am früheren Helsinki-, also KSZE-Prozess, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die in den 1970er-Jahren stattgefunden hat. Dort hat es dann eine Schlussakte gegeben, die einen Modus der friedlichen Koexistenz, die Anerkennung von Menschenrechten ermöglicht hat. Die Zielperspektive – vielleicht ergibt sich das aus den Gesprächen jetzt in Wien. Wir reden jetzt wirklich über eine sehr langfristige Dimension. Nach dem KSZE-Prozess hat es auch bald zwei Jahrzehnte gedauert, bis man in der Praxis Stabilität und den Fall des Eisernen Vorhangs gesehen hat. Ich glaube, dass ein daran orientierter Prozess einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten, zwischen den unterschiedlichen Religionsgruppen, Ethnien, den Stämmen, dass das dereinst ein Mittel der Wahl sein kann. Darauf muss man jetzt vorbereiten, indem zunächst einmal die akute Gewalt eingedämmt wird.
Herr Lindner, ich möchte noch ganz kurz auf den Anfang unseres Gesprächs zurückkommen. Da habe ich den Ex-Außenminister Guido Westerwelle erwähnt. Der war damals gegen den Libyen-Einsatz. Was macht für Sie den Unterschied Libyen und heute Syrien aus?
Die damalige Entscheidung muss man in ihrem Kontext sehen. Sie ist ja auch ...
Das muss man immer!
Ja. Sie ist vielfach diskutiert worden. Ich hatte damals durchaus mit dieser Entscheidung der Bundesregierung Bedenken, weil akute Gewalt von Herrn Gaddafi einzelnen Bevölkerungsgruppen angedroht war. Sicherlich ist richtig, dass wir seinerzeit nicht kopflos in ein Abenteuer gestürzt sind. Man sieht, wie die Folgen jetzt auch des Arabischen Frühlings insgesamt sind. Für mich ist hier klar: Es gibt eine akute Bedrohung, eine Bedrohung, die auch uns hier erreicht. Klar ist durch die Flüchtlingszahlen, dass wir unmittelbare Auswirkungen in Europa und auch in Deutschland sehen. Hier kann sich niemand wegducken. Auch Deutschland muss Verantwortung für die Stabilität übernehmen, auch im ganz wohlverstandenen Eigeninteresse.
Militäreinsatz mit diplomatischen Bemühungen verknüpfen
Der Deutsche Bundestag hat mit großer Mehrheit den Bundeswehr-Einsatz zur Bekämpfung der IS-Miliz in Syrien gebilligt. Im "Deutschlandfunk" [1] begrüßte FDP-Chef Christian Lindner den Schritt. Für ihn ist klar: Deutschland hätte sich die Bitte des engen Freundes und Verbündeten Frankreich nicht entziehen können. Neben der Frage der Bündnissolidarität trage die Bundesrepublik auch eine Verantwortung, sich für Frieden und Stabilität im Nahen Osten zu engagieren und so Fluchtursachen zu beseitigen. Dafür brauche es eine langfristige Strategie, die über den Militäreinsatz hinausgehe.
Ein Mandat der Vereinten Nationen für den Einsatz wäre natürlich wünschenswert, betonte Lindner. Daran sei auf diplomatischer Ebene weiter zu arbeiten. Die internationale Rechtslage reiche jedoch für den französischen sowie für den deutschen Einsatz aus. Allerdings hätte er eine Zustimmung im Bundestag an die Ausarbeitung von klaren Ausstiegsperspektiven und langfristigen Konzepten für die Region gebunden, gab Lindner zu bedenken. In der Syrien-Frage wünsche er sich, "dass das Tempo, das es gegeben hat bei der militärischen Begleitung Frankreichs, in gleicher und höherer Weise jetzt auch auf dem diplomatischen Parkett gezeigt wird, im Gespräch mit unseren Partnern und den Kräften der Region".
Erforderlich sei ein "System von Stabilität in der Levante und im ganzen Nahen und Mittleren Osten", das sich an den einstigen KSZE-Prozess für Europa anlehne, erläuterte der Freidemokrat. Dabei gehe es um die friedliche Koexistenz von religiösen und ethnischen Gruppen und die Anerkennung von Menschenrechten. Zur Realisierung dieser Vision seien Maßnahmen erforderlich, die über Jahrzehnte auf die Stabilisierung der Region und die Eindämmung von Gewalt hinwirken.
Keine Soldaten am Boden
Um den IS endgültig zu besiegen, brauche es außerdem eine Kappung seiner Versorgungslinien sowie eine weltanschauliche Auseinandersetzung mit dem islamistischen Extremismus, so der FDP-Chef. In dieser Frage dürfe die Rolle von Saudi-Arabien bei der Finanzierung und Verbreitung von radikalem Gedankengut nicht ignoriert werden. Einen Einsatz von deutschen oder westlichen Soldaten auf dem Boden lehnte Lindner allerdings entschieden ab – denn genau diesen Bodenkrieg suchten die IS-Terroristen.
Lesen Sie hier das gesamte Interview.
Als die FDP noch im Bundestag und Guido Westerwelle noch Außenminister war, da hat er Deutschland aus der Intervention gegen Libyen – das ist vier Jahre her – herausgehalten und dafür hat er viel Prügel eingesteckt. Heute ist die FDP APO, außerparlamentarische Opposition. Wenn Sie noch im Parlament wären, wie hätten Sie heute abgestimmt?
Die FDP ist in der Vergangenheit immer ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht geworden. Das bedeutet aber auch, dass wir jeden Einsatz der Bundeswehr, jedes Mandat für sich genau geprüft haben. Wir haben nicht allen zugestimmt, darauf will ich hinweisen. Auch zu unseren Oppositionszeiten haben wir da sehr differenziert. Konkret heute hätte ich zugestimmt, weil sich Deutschland einer Bitte unseres engsten Freundes und Verbündeten Frankreich nicht entziehen kann und weil Deutschland auch Verantwortung für Frieden und Stabilität in dieser Weltregion, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft trägt. Wir sprechen über eine Flüchtlingswelle, die uns erreicht; also muss auch an den langfristigen Fluchtursachen gearbeitet werden.
Herr Lindner, wenn Sie zugestimmt hätten, das heißt Ihnen hätte die Rechtsgrundlage ausgereicht?
Ja. Uns hätte die Rechtsgrundlage ausgereicht. Ein Mandat der Vereinten Nationen ist natürlich wünschenswert und daran ist auch auf diplomatischem Wege weiter zu arbeiten. Aber aus unserer Sicht lässt das internationale Recht eine Selbstverteidigung Frankreichs bereits zu, und dass Deutschland im System kollektiver Sicherheit mitwirken kann, ist ebenfalls höchstrichterlich in Deutschland auch bestätigt. Ich hätte aber, Herr Spengler, wenn ich das sagen darf, in der Debatte im Deutschen Bundestag auch meine Zustimmung zu diesem Mandat verbunden mit der Kritik daran, dass die Strategie der Bundesregierung und unserer europäischen Partner mir noch nicht klar ist. Die Ausstiegsperspektive, die Zielperspektive für die Region ist mir noch nicht klar. Und der Prozess zur Stabilisierung der Region und insbesondere für einen gerechten Ausgleich der Bevölkerungsgruppen in Syrien, er hat noch gar nicht wirklich begonnen.
Auch wenn Ihnen die Strategie noch nicht klar ist, und ja auch nicht nur Ihnen, wenn es noch keine Exit-Strategie gibt, das hätte Sie aber nicht davon abgehalten zu sagen, ja okay, wir fangen schon mal an?
Ich glaube, dass es ja keinen Zweifel daran geben kann, dass diese islamistische Sekte auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Ich glaube, dass eine militärische Komponente Teil der Krisenstrategie ist. Darüber darf aber nicht die diplomatische Lösung, darf nicht die diplomatische Komponente zunächst einmal aus dem Blick geraten. Die Gespräche in Wien sind erforderlich, sie haben zu spät begonnen, die Bundesregierung hat in der Ukraine-Krise eine wichtige Rolle gespielt, in der Frage Syrien ist sie erst sehr spät aktiv geworden. Ich wünsche mir, dass das Tempo, das es jetzt gegeben hat bei der militärischen Begleitung Frankreichs, dass dieses Tempo in gleicher und höherer Weise jetzt auch auf dem diplomatischen Parkett gezeigt wird im Gespräch mit unseren Partnern, mit den Kräften der Region und auch mit Russland.
Glauben Sie denn, dass man mit Militärschlägen den IS besiegen kann, oder stärkt man damit womöglich deren Anhänger, wie ja zum Beispiel die Linkspartei meint?
Den IS wird man damit nicht besiegen können. Aber denkbar ist natürlich, weitere Geländegewinne zu vermeiden, oder auch befriedete Zonen einzurichten als Zwischenschritte. Um den IS niederzuringen, brauchen wir auch eine weltanschauliche Auseinandersetzung. Wir wissen, dass aus Saudi-Arabien, nicht ausschließlich oder nur vom Staat, aber von manchem Scheich, diese sehr radikale Interpretation des Islams befördert wird. Das muss aufhören. Wir müssen die Finanzströme angehen. Die Frage ist, wo der IS noch seinen Nachschub an Waffen und Material erhält. All das gehört mit dazu und ohne das, ausdrücklich die weltanschauliche Auseinandersetzung, die Kappung seiner Versorgungslinien, ohne all das ist eine dauerhafte Zerschlagung dieser Sekte nicht möglich.
Haben Sie den Eindruck, dass wir besser aufgestellt sind als im Fall Afghanistans? Da sind wir ja nun seit über einem Jahrzehnt engagiert, sogar mit Bodentruppen, und trotzdem haben sich die Taliban einfach zurückgezogen und jetzt sind sie wieder da. Könnte das nicht auch mit IS passieren?
Man muss realistische Ziele haben für einen Einsatz. Aus Afghanistan eine westliche Demokratie mit Marktwirtschaft zu machen, wie es am Beginn des Einsatzes stand, das war mit Sicherheit nicht realistisch. Und aus diesem Einsatz, diesem langjährigen Engagement muss man lernen. Eine Komponente ist, dass wir die regionalen Kräfte einbinden müssen. Das ist sehr voraussetzungsvoll, sehr schwierig, weil das auch mindestens kurzfristig Gespräche mit Herrn Assad bedeutet, der ja seinerseits ein Fluchtgrund ist und dessen Armee für enorm viele Tote und Opfer verantwortlich zeichnet.
Aber den würden Sie nicht außen vor lassen?
Man wird mindestens in der jetzigen Phase mit ihm sprechen müssen. Aber er kann nicht Teil der Zukunft Syriens sein, denn ein gerechter Ausgleich zwischen den vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und religiösen Überzeugungen in Syrien ist mit Herrn Assad nicht nur nicht vorstellbar; ich glaube, er wäre sogar ausgeschlossen.
Nun bombardieren die USA und andere ja schon seit über einem Jahr die Ziele des IS in Irak und Syrien. Braucht es die deutschen Tornados überhaupt?
Deutschland hat Fähigkeiten, die nachgefragt worden sind: Luftbetankung, Aufklärung. Da sind wir auch ganz gut. Ich glaube aber, dass unser Beitrag nicht im Zentrum jetzt der militärischen Auseinandersetzung steht.
Also symbolisch eher?
Ja ich habe das Wort symbolisch, Herr Spengler, zu vermeiden versucht, weil ich ethisch und politisch keinen Unterschied mache zwischen Aufklärung, Feuerleitfunktion und dann dem Abdrücken einer Waffe. Das ist schon mehr als symbolisch. Aber sicherlich haben unsere Fähigkeiten einen ergänzenden Beitrag. Wenn die nachgefragt werden, stellen wir sie zur Verfügung.
Das heißt, es geht vor allen Dingen um ein Zeichen der Solidarität mit Frankreich?
Ja, es ist Bündnissolidarität, und ich will wie gesagt auch nicht ausschließen, dass bestimmte Fähigkeiten erforderlich sind. Jetzt interessiert uns der weitere Fahrplan, die Strategie, sowohl in militärischer, aber ich unterstreiche noch mal vor allen Dingen in diplomatischer Hinsicht. Insbesondere muss dann gefragt werden, wie wird die Lage auf dem Boden stabilisiert, und hier will ich für meine Partei sehr klar machen: Für mich ist nicht vorstellbar, dass Deutschland oder westliche Mächte auf dem Boden operieren. Genau das würde sich diese islamistische Sekte ja wünschen, eine Auseinandersetzung mit einer, wie dann gesagt werden würde, christlichen Interventionsarmee. Hier sind also wiederum Kräfte der Region gefordert, an dieser Stelle einen Beitrag zu leisten. Das wird noch sehr viel von der Bundesregierung an diplomatischer Arbeit abverlangen.
Um noch mal auf die Solidarität mit Frankreich zu sprechen zu kommen. Es wäre für die Europapartei FDP nicht vorstellbar gewesen, Frankreich die Solidarität zu verweigern?
Ausgeschlossen.
Und wenn Sie sagen, es fehlt eine Exit-Strategie, wie sollte die denn aussehen?
Wir brauchen ein System von Stabilität in der Levante und im ganzen Nahen und Mittleren Osten. Das ist die Langfriststrategie. Ich glaube, dass man anlehnen sich kann am früheren Helsinki-, also KSZE-Prozess, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die in den 1970er-Jahren stattgefunden hat. Dort hat es dann eine Schlussakte gegeben, die einen Modus der friedlichen Koexistenz, die Anerkennung von Menschenrechten ermöglicht hat. Die Zielperspektive – vielleicht ergibt sich das aus den Gesprächen jetzt in Wien. Wir reden jetzt wirklich über eine sehr langfristige Dimension. Nach dem KSZE-Prozess hat es auch bald zwei Jahrzehnte gedauert, bis man in der Praxis Stabilität und den Fall des Eisernen Vorhangs gesehen hat. Ich glaube, dass ein daran orientierter Prozess einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten, zwischen den unterschiedlichen Religionsgruppen, Ethnien, den Stämmen, dass das dereinst ein Mittel der Wahl sein kann. Darauf muss man jetzt vorbereiten, indem zunächst einmal die akute Gewalt eingedämmt wird.
Herr Lindner, ich möchte noch ganz kurz auf den Anfang unseres Gesprächs zurückkommen. Da habe ich den Ex-Außenminister Guido Westerwelle erwähnt. Der war damals gegen den Libyen-Einsatz. Was macht für Sie den Unterschied Libyen und heute Syrien aus?
Die damalige Entscheidung muss man in ihrem Kontext sehen. Sie ist ja auch ...
Das muss man immer!
Ja. Sie ist vielfach diskutiert worden. Ich hatte damals durchaus mit dieser Entscheidung der Bundesregierung Bedenken, weil akute Gewalt von Herrn Gaddafi einzelnen Bevölkerungsgruppen angedroht war. Sicherlich ist richtig, dass wir seinerzeit nicht kopflos in ein Abenteuer gestürzt sind. Man sieht, wie die Folgen jetzt auch des Arabischen Frühlings insgesamt sind. Für mich ist hier klar: Es gibt eine akute Bedrohung, eine Bedrohung, die auch uns hier erreicht. Klar ist durch die Flüchtlingszahlen, dass wir unmittelbare Auswirkungen in Europa und auch in Deutschland sehen. Hier kann sich niemand wegducken. Auch Deutschland muss Verantwortung für die Stabilität übernehmen, auch im ganz wohlverstandenen Eigeninteresse.