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15.07.2015 - 10:00GENSCHER-Interview: Ohne Vertrauen geht nichts
Berlin. Der FDP-Ehrenvorsitzende HANS-DIETRICH GENSCHER gab der „Schweriner Volkszeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte RASMUS BUCHSTEINER:
Frage: Herr Genscher, mit welchen Hoffnungen sind Sie damals in den Kaukasus gefahren?
GENSCHER: Ich war zuversichtlich, dass wir die noch offenen Fragen, die vor allen Dingen das deutsch-russische Verhältnis betrafen, würden lösen können. Diese Zuversicht begründete sich auf die vorausgegangene Begegnung von Präsident Gorbatschow und Außenminister Schewardnadse mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush und Außenminister James Baker. Bei diesem Treffen war die entscheidende Frage – kann das vereinte Deutschland Mitglied der Nato bleiben? – von Gorbatschow zum Erstaunen auch seiner eigenen Umgebung positiv beantwortet worden.
Frage: Seit wann war Ihnen klar, dass die historische Chance bestand, die Deutsche Einheit innerhalb kurzer Zeit zu erreichen?
GENSCHER: Seit Sommer 1988 ging ich davon aus, dass es im Sommer 1989 im sowjetischen Machtbereich zu grundlegenden Veränderungen kommen würde – vor allem auch in der DDR. Darauf sprach ich Schewardnadse im September 1988 in New York an und fügte hinzu, es dürfe sich nicht wiederholen, was 1953 geschehen war, nämlich dass sowjetische Panzer gegen deutsche Bürger eingesetzt werden.
Frage: Was hat den Ausschlag für den Durchbruch bei den Verhandlungen gegeben?
GENSCHER: Die Antwort auf diese Frage gibt der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der in Moskau von den Außenministern am 12. September 1990 unterzeichnet wurde. Es ging darum sicherzustellen, dass sich aus der Deutschen Vereinigung keine sicherheitspolitische Verschlechterung der Lage Moskaus ergibt. Deshalb die Regelungen über das Verbot von Massenvernichtungswaffen, die Beschränkung der Zahl deutscher Soldaten, nämlich weniger als Westdeutschland in der Zeit der Teilung hatte und natürlich die endgültige Beantwortung der Frage der deutschen Grenzen. Allerdings muss gesagt werden, dass es weder zu Gorbatschow als Generalsekretär noch zu Verhandlungen über die deutsche Einheit gekommen wäre, wenn die KSZE und die deutschen Ostverträge, insbesondere der Moskauer Vertrag, nicht vorangegangen wären. Diese waren die Wegbereiter für die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands. In Deutschland waren diese Verträge hart umstritten, wurden aber schließlich durch die SPD/FDP-Regierung durchgesetzt.
Frage: War Gorbatschows Zustimmung eher ein Zeichen seiner Schwäche oder von staatsmännischer Stärke?
GENSCHER: Wenn es noch eines Hinweises bedurft hätte, dann erhielt ich ihn von Frau Gorbatschow, die zu mir unter vier Augen sagte: „Sie wissen hoffentlich, was es bedeutet, was mein Mann in Bezug auf Deutschland tut.“
Frage: Was war aus heutiger Sicht das größte Zugeständnis, dass die deutsche Seite für die Deutsche Einheit machen musste?
GENSCHER: Wichtig und entscheidend war, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihrer Gründung an eine verlässliche und berechenbare Politik betrieb. Es begann mit der Entscheidung für die Westbindung Deutschlands und dann für die Entspannungspolitik mit Moskau.
Frage: Die historischen Bilder von damals zeigen Sie mit Kohl, Gorbatschow und Ihrem damaligen sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse in den kaukasischen Wäldern. Wie wichtig war das gute persönliche Miteinander für den Erfolg der Gespräche?
GENSCHER: Entscheidend war, dass es gelungen war, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen. Eine Politik des „Heute-so-und-morgen-anders“ erweckt dagegen Misstrauen. Deshalb ist es entscheidend, dass Politiker ihre Worte genau wägen, weil sie nur dann das Prädikat zuverlässig für sich erwerben können.
Frage: Die Ausdehnung der Nato nach Osten wirkt bis heute nach, wie der Ukraine-Konflikt und die Spannungen im Baltikum zeigen. Welche Fehler hat der Westen gemacht?
GENSCHER: Vorab muss hierzu gesagt werden, dass Gorbatschow bei seinem Besuch in Berlin im letzten Jahr für jedermann hörbar im deutschen Fernsehen erklärte, dass es Zusagen zu der Nichtausdehnung der Nato auf andere Länder nicht gegeben habe. Aber natürlich hat man in Moskau mit einem gewissen Misstrauen die Aufnahme neuer Mitglieder beobachtet. Dennoch wären manche Missverständnisse in dieser Frage unterblieben, wenn man gewisse Fragen vorausschauend und vertrauensvoll mit Moskau besprochen hätte. Es gab aber leider im Westen Leute, die die Beendigung des Kalten Krieges als eine Frage von Sieg oder Niederlage betrachteten. Für mich war die Wiederherstellung der Deutschen Einheit das Ende der Teilung Europas und nicht die Verlegung der Teilungsgrenze aus der Mitte des Kontinents nach Osten. Man kann es nicht oft genug sagen: Europa bedeutet im KSZE-Verständnis von Vancouver bis Wladiwostok. An der polnischen Ostgrenze beginnt Osteuropa und nicht Westasien. Russland gehört zu Europa, man sollte es deshalb auch nicht aus Europa ausschließen.
GENSCHER-Interview: Ohne Vertrauen geht nichts
Berlin. Der FDP-Ehrenvorsitzende HANS-DIETRICH GENSCHER gab der „Schweriner Volkszeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte RASMUS BUCHSTEINER:
Frage: Herr Genscher, mit welchen Hoffnungen sind Sie damals in den Kaukasus gefahren?
GENSCHER: Ich war zuversichtlich, dass wir die noch offenen Fragen, die vor allen Dingen das deutsch-russische Verhältnis betrafen, würden lösen können. Diese Zuversicht begründete sich auf die vorausgegangene Begegnung von Präsident Gorbatschow und Außenminister Schewardnadse mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush und Außenminister James Baker. Bei diesem Treffen war die entscheidende Frage – kann das vereinte Deutschland Mitglied der Nato bleiben? – von Gorbatschow zum Erstaunen auch seiner eigenen Umgebung positiv beantwortet worden.
Frage: Seit wann war Ihnen klar, dass die historische Chance bestand, die Deutsche Einheit innerhalb kurzer Zeit zu erreichen?
GENSCHER: Seit Sommer 1988 ging ich davon aus, dass es im Sommer 1989 im sowjetischen Machtbereich zu grundlegenden Veränderungen kommen würde – vor allem auch in der DDR. Darauf sprach ich Schewardnadse im September 1988 in New York an und fügte hinzu, es dürfe sich nicht wiederholen, was 1953 geschehen war, nämlich dass sowjetische Panzer gegen deutsche Bürger eingesetzt werden.
Frage: Was hat den Ausschlag für den Durchbruch bei den Verhandlungen gegeben?
GENSCHER: Die Antwort auf diese Frage gibt der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der in Moskau von den Außenministern am 12. September 1990 unterzeichnet wurde. Es ging darum sicherzustellen, dass sich aus der Deutschen Vereinigung keine sicherheitspolitische Verschlechterung der Lage Moskaus ergibt. Deshalb die Regelungen über das Verbot von Massenvernichtungswaffen, die Beschränkung der Zahl deutscher Soldaten, nämlich weniger als Westdeutschland in der Zeit der Teilung hatte und natürlich die endgültige Beantwortung der Frage der deutschen Grenzen. Allerdings muss gesagt werden, dass es weder zu Gorbatschow als Generalsekretär noch zu Verhandlungen über die deutsche Einheit gekommen wäre, wenn die KSZE und die deutschen Ostverträge, insbesondere der Moskauer Vertrag, nicht vorangegangen wären. Diese waren die Wegbereiter für die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands. In Deutschland waren diese Verträge hart umstritten, wurden aber schließlich durch die SPD/FDP-Regierung durchgesetzt.
Frage: War Gorbatschows Zustimmung eher ein Zeichen seiner Schwäche oder von staatsmännischer Stärke?
GENSCHER: Wenn es noch eines Hinweises bedurft hätte, dann erhielt ich ihn von Frau Gorbatschow, die zu mir unter vier Augen sagte: „Sie wissen hoffentlich, was es bedeutet, was mein Mann in Bezug auf Deutschland tut.“
Frage: Was war aus heutiger Sicht das größte Zugeständnis, dass die deutsche Seite für die Deutsche Einheit machen musste?
GENSCHER: Wichtig und entscheidend war, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihrer Gründung an eine verlässliche und berechenbare Politik betrieb. Es begann mit der Entscheidung für die Westbindung Deutschlands und dann für die Entspannungspolitik mit Moskau.
Frage: Die historischen Bilder von damals zeigen Sie mit Kohl, Gorbatschow und Ihrem damaligen sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse in den kaukasischen Wäldern. Wie wichtig war das gute persönliche Miteinander für den Erfolg der Gespräche?
GENSCHER: Entscheidend war, dass es gelungen war, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen. Eine Politik des „Heute-so-und-morgen-anders“ erweckt dagegen Misstrauen. Deshalb ist es entscheidend, dass Politiker ihre Worte genau wägen, weil sie nur dann das Prädikat zuverlässig für sich erwerben können.
Frage: Die Ausdehnung der Nato nach Osten wirkt bis heute nach, wie der Ukraine-Konflikt und die Spannungen im Baltikum zeigen. Welche Fehler hat der Westen gemacht?
GENSCHER: Vorab muss hierzu gesagt werden, dass Gorbatschow bei seinem Besuch in Berlin im letzten Jahr für jedermann hörbar im deutschen Fernsehen erklärte, dass es Zusagen zu der Nichtausdehnung der Nato auf andere Länder nicht gegeben habe. Aber natürlich hat man in Moskau mit einem gewissen Misstrauen die Aufnahme neuer Mitglieder beobachtet. Dennoch wären manche Missverständnisse in dieser Frage unterblieben, wenn man gewisse Fragen vorausschauend und vertrauensvoll mit Moskau besprochen hätte. Es gab aber leider im Westen Leute, die die Beendigung des Kalten Krieges als eine Frage von Sieg oder Niederlage betrachteten. Für mich war die Wiederherstellung der Deutschen Einheit das Ende der Teilung Europas und nicht die Verlegung der Teilungsgrenze aus der Mitte des Kontinents nach Osten. Man kann es nicht oft genug sagen: Europa bedeutet im KSZE-Verständnis von Vancouver bis Wladiwostok. An der polnischen Ostgrenze beginnt Osteuropa und nicht Westasien. Russland gehört zu Europa, man sollte es deshalb auch nicht aus Europa ausschließen.