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04.05.2015 - 10:45Hilfe für Athen nur bei Reformen
FDP-Chef Christian Lindner hat sich im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gegen weitere Hilfen für Griechenland ausgesprochen, sollte sich Athen Reformen verweigern: "Unsere Strategie war Solidarität gegen Reformen . Dazu stehen wir - aber in aller Konsequenz. Wenn sich Griechenland Reformen verweigert, darf es keine weiteren Hilfen geben." Er betonte zugleich: "Für uns alle wäre die beste Lösung, dass Griechenland noch eine 180-Grad-Wende macht und die Reformen anpackt." Im Interview mit der „Huffington Post“ hatte er betont: "Niemand kann aktiv wünschen, dass Griechenland aus dem Euro ausscheidet. Jedenfalls niemand mit Verstand."
Der Bundesregierung warf er vor, keinen Plan zu haben für den Fall, dass Griechenland sich weiter Reformen verweigert. Er schlägt vor: "Wir müssten ein Insolvenzrecht für Staaten entwickeln." Der Bundestag habe auf Initiative der FDP 2010 den Finanzminister dazu aufgefordert, einen solchen Plan zu entwickeln. Das sei unterblieben. "Nun zeigt sich, was das für ein Versäumnis ist. Jetzt müssten wir eigentlich klare Regeln für den Fall des Falles haben. Dazu gehört auch ein Bankeninsolvenzrecht, das Eigentümer und Gläubiger in die Haftung nimmt und die Steuerzahler schützt. Wir sind auch davon noch weit entfernt."
Über ein drittes Hilfspaket für Griechenland zu reden, lehnt er ab: "Allein darüber zu spekulieren verbietet sich, solange die Zusagen aus dem zweiten noch nicht vollständig abgearbeitet sind." Für ihn ist klar: "Niemand kann aktiv wünschen, dass Griechenland aus dem Euro ausscheidet. Jedenfalls niemand mit Verstand. Aber wenn uns die griechische Regierung am Nasenring durch die Manege ziehen will, darf sie keinen Erfolg damit haben."
In einem Beschluss des Präsidiums heißt es dazu: "Sollte die Regierung in Athen die geschlossenen Verträge aufkündigen, dann schlägt sie ihren Partnern die Tür zur griechischen Euro-Mitgliedschaft zu – nicht umgekehrt."
Das Interview mit der "FAZ" im Wortlaut
Frage: Herr Lindner, die FDP hat Angela Merkels Politik unter dem Motto „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ bislang mitgetragen. Das Motto der Kanzlerin ist ja auch das des FDP-Ehrenvorsitzenden Genscher. Mittlerweile fordert Ihr Parteifreund Alexander Graf Lambsdorff, Athen nicht um jeden Preis im Euroraum zu halten. Und Sie haben Merkel gemahnt, einen Plan B zu erarbeiten, wenn Athen Reformen verweigert. Hat die FDP unter Christian Lindner ihre Position zur Euro-Rettung geändert? Gehen Sie auf Distanz zu Genscher?
LINDNER: Unsere Strategie war Solidarität gegen Reformen. Dazu stehen wir – aber in aller Konsequenz. Wenn sich Griechenland Reformen verweigert, darf es keine weiteren Hilfen geben. 2010 und 2012 hatten wir einen Dominoeffekt befürchtet im Fall eines chaotischen Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro. Das war damals die größte Gefahr, deshalb musste interveniert werden. Jetzt gibt es Fortschritte etwa in Portugal und neue Institutionen, die uns nicht mehr erpressbar machen. Deshalb ist heute die größte Gefahr ein Verbleiben Griechenlands im Euro unter den falschen Bedingungen.
Frage: Welche wären das?
LINDNER: Wenn Tsipras einen Reformrabatt erhält, obwohl Europa sich auf den Weg zurück zum Maastricht-Vertrag machen wollte, droht ein Ansteckungseffekt. Spanische Linkspopulisten würden dem Beispiel Athens folgen. Und in Großbritannien würden jene Oberwasser bekommen, die die Briten aus der EU herausführen wollen. Die würden darauf verweisen, dass in Europa wieder verabredete Regeln gebrochen werden. Politik auf Pump darf nicht über Marktwirtschaft siegen.
Frage: Gegen ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro wird jetzt das außenpolitische Argument vorgebracht, dass die Griechen sich Russland zuwenden könnten. Was sagen Sie denen, die die Griechen aus geostrategischen Gründen im Euro halten wollen?
LINDNER: Geostrategisch ist die erste Priorität der Zusammenhalt Europas. Wie stünden wir heute gegenüber Russland da, hätte man seinerzeit zugelassen, dass etwa Deutschland und Frankreich wieder in unterschiedlichen Währungszonen sind? Solche unhistorischen Ideen von Nord- und Süd-Euro wurden ja debattiert. Der Gedanke des vereinten Europas wird aber im Zweifel gestärkt, wenn ein chronisch unsolides Mitglied die Eurozone mindestens zeitweise verlässt. Wird die Autorität des gerade erneuerten Rechts wieder relativiert, würden Fliehkräfte in der EU größer. Der Brexit, das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, wäre geostrategisch gefährlicher als der Grexit aus dem Euro.
Frage: Wie lange haben Sie noch Geduld mit Tsipras?
LINDNER: Fraglich ist doch, wie lange er Europa noch am Nasenring durch die Manege ziehen kann. Es darf keine zusätzlichen Auszahlungen aus dem zweiten Rettungspaket geben, geschweige denn eine Spekulation über ein drittes Paket, solange nicht die Reformzusagen eingelöst wurden. Umso dringlicher ist der Plan B.
Frage: Wie sähe der aus?
LINDNER: Der Plan B müsste ein Staaten-Insolvenzrecht umfassen. Der Bundestag hatte auf Initiative der FDP 2010 den Finanzminister dazu aufgefordert, einen solchen Plan zu entwickeln. Das ist unterblieben. Nun zeigt sich, was das für ein Versäumnis ist. Jetzt müssten wir eigentlich klare Regeln für den Fall des Falles haben. Dazu gehört auch ein Bankeninsolvenzrecht, das Eigentümer und Gläubiger in die Haftung nimmt und die Steuerzahler schützt. Wir sind auch davon noch weit entfernt. Die Bankenunion in Europa ist dafür kein Ersatz. Sie weckt eher Zweifel, ob nicht doch wieder ein Haftungsverbund geschaffen wird.
Frage: Sie wollen aber nicht warten, bis das alles installiert ist?
LINDNER: Nein, auf keinen Fall. Die ökonomische Ansteckungsgefahr ist inzwischen kalkulierbar. Und wir haben Institutionen geschaffen, die sie zusätzlich begrenzen.
Frage: Aber müsste die Initiative zum Verlassen des Euros nicht von Griechenland ausgehen, und wie sähe ein Ausscheiden technisch aus?
LINDNER: Um es klar zu sagen: Ich wünsche mir nicht, dass der Plan B nötig wird. Für uns alle wäre die beste Lösung, dass Griechenland noch eine 180-Grad-Wende macht und die Reformen anpackt. Über technische Details für das Krisenszenario will ich nicht öffentlich spekulieren. Das ist Aufgabe der Regierung. Politisch wichtig ist, in jedem Fall fair mit dem griechischen Volk umzugehen. Korrigiert werden müssen deshalb die Europäischen Verträge, damit ein Verlassen des Euros nicht auch zum automatischen Ausscheiden aus der EU führt.
Frage: Die Verträge anzupassen dauert aber doch viel zu lange.
LINDNER: Ich halte es für wahrscheinlich, dass in so einem Fall mehr Tempo möglich wäre.
Frage: Die Europäische Zentralbank hält die griechischen Banken mit Ela-Notkrediten am Leben. Wird es nicht Zeit, dass die EZB mehr Druck macht?
LINDNER: Ja, aber ich möchte mich dennoch am pauschalen EZB-Bashing nicht beteiligen. Seit Herbst 2013 haben sich viele Regierungen von der Stabilitätspolitik verabschiedet, auch Deutschland. Die Rente mit 63 war das Fanal, dass auch Union und SPD bereit sind, Überzeugungen aus kurzfristigen Erwägungen zu verraten. Wie soll man dann anderen sagen, reformiert eure Wohlfahrtsstaaten? Die EZB ist in die Bresche gesprungen mit dem Anleihekaufprogramm und der Notfallliquidität für griechische Banken. Damit hat sie die Zinsunterschiede in Europa eingeebnet. Nun unterscheidet der Markt nicht mehr zwischen soliden und unsoliden Regierungen.
Frage: Was sollte die EZB tun?
LINDNER: Erstens sollte die EZB Regierungen und Märkte darauf vorbereiten, dass die Zinsen nicht für alle Zeit so niedrig bleiben können. Zweitens sollte sie ihr Anleihekaufprogramm aussetzen. Nicht, weil es nicht erfolgreich wäre, sondern weil es zu erfolgreich ist. Drittens ist es notwendig, Staatsanleihen in den Bankbilanzen dem Risiko entsprechend zu gewichten, um wieder Marktwirtschaft an den Kapitalmarkt zu bekommen.
Frage: Für die Regierungen ist es aber sehr bequem, wenn ihnen die EZB immer weiter Zeit kauft.
LINDNER: Die Lirafizierung des Euros muss gestoppt werden, damit die Reformpolitik wiederaufgenommen wird. Die Bequemlichkeit aufgrund des Niedrigzinses und des geringen Außenwerts des Euros hat einen Preis. Die deutsche Wirtschaft hat kurzfristig Vorteile auf den Weltmärkten, langfristig reduziert sich der Anreiz, produktiver zu werden. Bundesfinanzminister Schäuble kann seinen Etat ohne Mühe aufstellen, weil er jährlich Milliarden Euro Zinsdienst spart und im Geld schwimmt. Das ist eine gigantische Umverteilung zwischen Staat und Privat und von der Zukunft in die Gegenwart.
Frage: Auch der Zinseszinseffekt ist weg, private Altersvorsorge wird dadurch stark erschwert. Was müsste man tun, damit sich Sparen wieder lohnt und Investieren einen Preis hat?
LINDNER: Wir können den Zins nicht befehlen. Aktuell haben wir einen politischen Zins, das darf nicht so bleiben. Herr Schäuble muss den Unternehmen umgehend durch die Anpassung des Rechnungszinses bei der Betrieblichen Altersvorsorge helfen. Vor allem sollte er seinen Finanzierungsvorteil für eine Steuerentlastung nutzen. Stattdessen wird der Solidaritätszuschlag verlängert und die Erbschaftsteuer in eine Vermögensteuer umgebaut. Der Etatismus hat jedes Maß verloren.
Frage: Eine Währungsunion hat aber nun mal nur einen Zins zum Steuern, wie kann man die Zinsdifferenz herstellen?
LINDNER: Die amerikanische Fed hat auch nur einen Zins. Das Kernproblem liegt im Anleihekauf, dass die EZB auch über den Markt keine Zinsdifferenzierung mehr zulässt.
Frage: Kommen wir zum Klimaschutz. Nach der Kernenergie stellt die Bundesregierung die Kohle zur Disposition, sie plant eine Strafabgabe für alte Kohlekraftwerke. Unter diesem Doppelausstieg wird Nordrhein-Westfalen am meisten leiden. Die Energiekonzerne zerteilen sich schon und bauen Arbeitsplätze ab. Trotzdem hält die Koalition an ihren Klimazielen fest, obwohl jede zusätzliche CO2-Reduzierung überproportional teuer wird.
LINDNER: Es war auch unser Versäumnis, die Klimaziele nach dem beschleunigten Verzicht auf die Kernenergie nicht angepasst zu haben. Sie sollte ja als Brückentechnologie ins Zeitalter der Erneuerbaren reichen. Eigentlich hätte jedem klar sein müssen, dass wir dann Braunkohle noch auf unabsehbare Zeit benötigen. Die Idee eines Kohleausstiegs, die ja nur von den Grünen offen ausgesprochen – von den anderen Parteien aber toleriert – wird, wäre das zweite Hauruckprojekt in einer zentralen Frage unserer Volkswirtschaft. Da wird die FDP nicht schweigend zuschauen.
Frage: Bis 2020 will Deutschland (gegenüber 1990) 40 Prozent Kohlendioxid einsparen, die EU hingegen nur 30 Prozent. Sollte das ehrgeizige deutsche Klimaziel nicht ausgesetzt werden?
LINDNER: Exakt. Wir sollten die europäischen Klimaziele achten und uns Flexibilität zubilligen, was das Erreichen des 40-Prozent-Ziels angeht. Zwei Alleingänge in wenigen Jahren, in der Kernenergie und im Klimaschutz, gefährden die industrielle Basis, zerstören Arbeitsplätze und vernichten volkswirtschaftliches Vermögen in Milliardenhöhe. Wenn Europa 30 Prozent erreichen will und wir 40, kann das nur bedeuten, dass wir für andere die Kastanien aus dem Feuer holen, die sich dann weniger anstrengen müssen. Für das Weltklima ist da nichts gewonnen.
Frage: Politisch sind Sie damit isoliert.
LINDNER: Einige Debatten, auch beim Klimaschutz, werden in Deutschland aus politischer Korrektheit oder mangelnder Courage nicht ehrlich geführt. Was glauben Sie, wie viele Kollegen aus Union oder SPD mir hinter vorgehaltener Hand bestätigen, ob wir das 40-Prozent-Ziel nun ein paar Jahre früher oder später erreichen, ist global unerheblich. Eine rationale Betrachtung zeigt, dass man beim Klimaschutz mehr Flexibilität braucht. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass der Klimaschutz instrumentalisiert wird, um ganz andere Ziele zum Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft anzustreben.
Frage: Welche meinen Sie?
LINDNER: In bestimmten Kreisen unserer Gesellschaft gibt es eine generelle Ablehnung von Industrieproduktion oder großflächiger Logistik. Auch gegen Innovationen wie Nanotechnologie und Stammzellenforschung, gegen Freihandel und Einwanderung oder die wirtschaftliche Nutzung von Daten wird Stimmung gemacht. Skepsis ist die Abrissbirne der Möglichkeiten. Der „German Angst“ wollen wir als Freie Demokraten daher „German Mut“ entgegensetzen. Wir glauben, dass die Deutschen Grund zum Optimismus haben.
Hilfe für Athen nur bei Reformen
FDP-Chef Christian Lindner hat sich im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" [1]gegen weitere Hilfen für Griechenland ausgesprochen, sollte sich Athen Reformen verweigern: "Unsere Strategie war Solidarität gegen Reformen [2]. Dazu stehen wir - aber in aller Konsequenz. Wenn sich Griechenland Reformen verweigert, darf es keine weiteren Hilfen geben." Er betonte zugleich: "Für uns alle wäre die beste Lösung, dass Griechenland noch eine 180-Grad-Wende macht und die Reformen anpackt." Im Interview mit der „Huffington Post“ [3] hatte er betont: "Niemand kann aktiv wünschen, dass Griechenland aus dem Euro ausscheidet. Jedenfalls niemand mit Verstand."
Der Bundesregierung warf er vor, keinen Plan zu haben [1] für den Fall, dass Griechenland sich weiter Reformen verweigert. Er schlägt vor: "Wir müssten ein Insolvenzrecht für Staaten entwickeln." Der Bundestag habe auf Initiative der FDP 2010 den Finanzminister dazu aufgefordert, einen solchen Plan zu entwickeln. Das sei unterblieben. "Nun zeigt sich, was das für ein Versäumnis ist. Jetzt müssten wir eigentlich klare Regeln für den Fall des Falles haben. Dazu gehört auch ein Bankeninsolvenzrecht, das Eigentümer und Gläubiger in die Haftung nimmt und die Steuerzahler schützt. Wir sind auch davon noch weit entfernt."
Über ein drittes Hilfspaket für Griechenland zu reden, lehnt er ab: "Allein darüber zu spekulieren verbietet sich, solange die Zusagen aus dem zweiten noch nicht vollständig abgearbeitet [4]sind." Für ihn ist klar: "Niemand kann aktiv wünschen, dass Griechenland aus dem Euro ausscheidet. Jedenfalls niemand mit Verstand. Aber wenn uns die griechische Regierung am Nasenring durch die Manege ziehen will, darf sie keinen Erfolg damit haben."
In einem Beschluss des Präsidiums [2] heißt es dazu: "Sollte die Regierung in Athen die geschlossenen Verträge aufkündigen, dann schlägt sie ihren Partnern die Tür zur griechischen Euro-Mitgliedschaft zu – nicht umgekehrt."
Das Interview mit der "FAZ" im Wortlaut
Frage: Herr Lindner, die FDP hat Angela Merkels Politik unter dem Motto „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ bislang mitgetragen. Das Motto der Kanzlerin ist ja auch das des FDP-Ehrenvorsitzenden Genscher. Mittlerweile fordert Ihr Parteifreund Alexander Graf Lambsdorff, Athen nicht um jeden Preis im Euroraum zu halten. Und Sie haben Merkel gemahnt, einen Plan B zu erarbeiten, wenn Athen Reformen verweigert. Hat die FDP unter Christian Lindner ihre Position zur Euro-Rettung geändert? Gehen Sie auf Distanz zu Genscher?
LINDNER: Unsere Strategie war Solidarität gegen Reformen. Dazu stehen wir – aber in aller Konsequenz. Wenn sich Griechenland Reformen verweigert, darf es keine weiteren Hilfen geben. 2010 und 2012 hatten wir einen Dominoeffekt befürchtet im Fall eines chaotischen Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro. Das war damals die größte Gefahr, deshalb musste interveniert werden. Jetzt gibt es Fortschritte etwa in Portugal und neue Institutionen, die uns nicht mehr erpressbar machen. Deshalb ist heute die größte Gefahr ein Verbleiben Griechenlands im Euro unter den falschen Bedingungen.
Frage: Welche wären das?
LINDNER: Wenn Tsipras einen Reformrabatt erhält, obwohl Europa sich auf den Weg zurück zum Maastricht-Vertrag machen wollte, droht ein Ansteckungseffekt. Spanische Linkspopulisten würden dem Beispiel Athens folgen. Und in Großbritannien würden jene Oberwasser bekommen, die die Briten aus der EU herausführen wollen. Die würden darauf verweisen, dass in Europa wieder verabredete Regeln gebrochen werden. Politik auf Pump darf nicht über Marktwirtschaft siegen.
Frage: Gegen ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro wird jetzt das außenpolitische Argument vorgebracht, dass die Griechen sich Russland zuwenden könnten. Was sagen Sie denen, die die Griechen aus geostrategischen Gründen im Euro halten wollen?
LINDNER: Geostrategisch ist die erste Priorität der Zusammenhalt Europas. Wie stünden wir heute gegenüber Russland da, hätte man seinerzeit zugelassen, dass etwa Deutschland und Frankreich wieder in unterschiedlichen Währungszonen sind? Solche unhistorischen Ideen von Nord- und Süd-Euro wurden ja debattiert. Der Gedanke des vereinten Europas wird aber im Zweifel gestärkt, wenn ein chronisch unsolides Mitglied die Eurozone mindestens zeitweise verlässt. Wird die Autorität des gerade erneuerten Rechts wieder relativiert, würden Fliehkräfte in der EU größer. Der Brexit, das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, wäre geostrategisch gefährlicher als der Grexit aus dem Euro.
Frage: Wie lange haben Sie noch Geduld mit Tsipras?
LINDNER: Fraglich ist doch, wie lange er Europa noch am Nasenring durch die Manege ziehen kann. Es darf keine zusätzlichen Auszahlungen aus dem zweiten Rettungspaket geben, geschweige denn eine Spekulation über ein drittes Paket, solange nicht die Reformzusagen eingelöst wurden. Umso dringlicher ist der Plan B.
Frage: Wie sähe der aus?
LINDNER: Der Plan B müsste ein Staaten-Insolvenzrecht umfassen. Der Bundestag hatte auf Initiative der FDP 2010 den Finanzminister dazu aufgefordert, einen solchen Plan zu entwickeln. Das ist unterblieben. Nun zeigt sich, was das für ein Versäumnis ist. Jetzt müssten wir eigentlich klare Regeln für den Fall des Falles haben. Dazu gehört auch ein Bankeninsolvenzrecht, das Eigentümer und Gläubiger in die Haftung nimmt und die Steuerzahler schützt. Wir sind auch davon noch weit entfernt. Die Bankenunion in Europa ist dafür kein Ersatz. Sie weckt eher Zweifel, ob nicht doch wieder ein Haftungsverbund geschaffen wird.
Frage: Sie wollen aber nicht warten, bis das alles installiert ist?
LINDNER: Nein, auf keinen Fall. Die ökonomische Ansteckungsgefahr ist inzwischen kalkulierbar. Und wir haben Institutionen geschaffen, die sie zusätzlich begrenzen.
Frage: Aber müsste die Initiative zum Verlassen des Euros nicht von Griechenland ausgehen, und wie sähe ein Ausscheiden technisch aus?
LINDNER: Um es klar zu sagen: Ich wünsche mir nicht, dass der Plan B nötig wird. Für uns alle wäre die beste Lösung, dass Griechenland noch eine 180-Grad-Wende macht und die Reformen anpackt. Über technische Details für das Krisenszenario will ich nicht öffentlich spekulieren. Das ist Aufgabe der Regierung. Politisch wichtig ist, in jedem Fall fair mit dem griechischen Volk umzugehen. Korrigiert werden müssen deshalb die Europäischen Verträge, damit ein Verlassen des Euros nicht auch zum automatischen Ausscheiden aus der EU führt.
Frage: Die Verträge anzupassen dauert aber doch viel zu lange.
LINDNER: Ich halte es für wahrscheinlich, dass in so einem Fall mehr Tempo möglich wäre.
Frage: Die Europäische Zentralbank hält die griechischen Banken mit Ela-Notkrediten am Leben. Wird es nicht Zeit, dass die EZB mehr Druck macht?
LINDNER: Ja, aber ich möchte mich dennoch am pauschalen EZB-Bashing nicht beteiligen. Seit Herbst 2013 haben sich viele Regierungen von der Stabilitätspolitik verabschiedet, auch Deutschland. Die Rente mit 63 war das Fanal, dass auch Union und SPD bereit sind, Überzeugungen aus kurzfristigen Erwägungen zu verraten. Wie soll man dann anderen sagen, reformiert eure Wohlfahrtsstaaten? Die EZB ist in die Bresche gesprungen mit dem Anleihekaufprogramm und der Notfallliquidität für griechische Banken. Damit hat sie die Zinsunterschiede in Europa eingeebnet. Nun unterscheidet der Markt nicht mehr zwischen soliden und unsoliden Regierungen.
Frage: Was sollte die EZB tun?
LINDNER: Erstens sollte die EZB Regierungen und Märkte darauf vorbereiten, dass die Zinsen nicht für alle Zeit so niedrig bleiben können. Zweitens sollte sie ihr Anleihekaufprogramm aussetzen. Nicht, weil es nicht erfolgreich wäre, sondern weil es zu erfolgreich ist. Drittens ist es notwendig, Staatsanleihen in den Bankbilanzen dem Risiko entsprechend zu gewichten, um wieder Marktwirtschaft an den Kapitalmarkt zu bekommen.
Frage: Für die Regierungen ist es aber sehr bequem, wenn ihnen die EZB immer weiter Zeit kauft.
LINDNER: Die Lirafizierung des Euros muss gestoppt werden, damit die Reformpolitik wiederaufgenommen wird. Die Bequemlichkeit aufgrund des Niedrigzinses und des geringen Außenwerts des Euros hat einen Preis. Die deutsche Wirtschaft hat kurzfristig Vorteile auf den Weltmärkten, langfristig reduziert sich der Anreiz, produktiver zu werden. Bundesfinanzminister Schäuble kann seinen Etat ohne Mühe aufstellen, weil er jährlich Milliarden Euro Zinsdienst spart und im Geld schwimmt. Das ist eine gigantische Umverteilung zwischen Staat und Privat und von der Zukunft in die Gegenwart.
Frage: Auch der Zinseszinseffekt ist weg, private Altersvorsorge wird dadurch stark erschwert. Was müsste man tun, damit sich Sparen wieder lohnt und Investieren einen Preis hat?
LINDNER: Wir können den Zins nicht befehlen. Aktuell haben wir einen politischen Zins, das darf nicht so bleiben. Herr Schäuble muss den Unternehmen umgehend durch die Anpassung des Rechnungszinses bei der Betrieblichen Altersvorsorge helfen. Vor allem sollte er seinen Finanzierungsvorteil für eine Steuerentlastung nutzen. Stattdessen wird der Solidaritätszuschlag verlängert und die Erbschaftsteuer in eine Vermögensteuer umgebaut. Der Etatismus hat jedes Maß verloren.
Frage: Eine Währungsunion hat aber nun mal nur einen Zins zum Steuern, wie kann man die Zinsdifferenz herstellen?
LINDNER: Die amerikanische Fed hat auch nur einen Zins. Das Kernproblem liegt im Anleihekauf, dass die EZB auch über den Markt keine Zinsdifferenzierung mehr zulässt.
Frage: Kommen wir zum Klimaschutz. Nach der Kernenergie stellt die Bundesregierung die Kohle zur Disposition, sie plant eine Strafabgabe für alte Kohlekraftwerke. Unter diesem Doppelausstieg wird Nordrhein-Westfalen am meisten leiden. Die Energiekonzerne zerteilen sich schon und bauen Arbeitsplätze ab. Trotzdem hält die Koalition an ihren Klimazielen fest, obwohl jede zusätzliche CO2-Reduzierung überproportional teuer wird.
LINDNER: Es war auch unser Versäumnis, die Klimaziele nach dem beschleunigten Verzicht auf die Kernenergie nicht angepasst zu haben. Sie sollte ja als Brückentechnologie ins Zeitalter der Erneuerbaren reichen. Eigentlich hätte jedem klar sein müssen, dass wir dann Braunkohle noch auf unabsehbare Zeit benötigen. Die Idee eines Kohleausstiegs, die ja nur von den Grünen offen ausgesprochen – von den anderen Parteien aber toleriert – wird, wäre das zweite Hauruckprojekt in einer zentralen Frage unserer Volkswirtschaft. Da wird die FDP nicht schweigend zuschauen.
Frage: Bis 2020 will Deutschland (gegenüber 1990) 40 Prozent Kohlendioxid einsparen, die EU hingegen nur 30 Prozent. Sollte das ehrgeizige deutsche Klimaziel nicht ausgesetzt werden?
LINDNER: Exakt. Wir sollten die europäischen Klimaziele achten und uns Flexibilität zubilligen, was das Erreichen des 40-Prozent-Ziels angeht. Zwei Alleingänge in wenigen Jahren, in der Kernenergie und im Klimaschutz, gefährden die industrielle Basis, zerstören Arbeitsplätze und vernichten volkswirtschaftliches Vermögen in Milliardenhöhe. Wenn Europa 30 Prozent erreichen will und wir 40, kann das nur bedeuten, dass wir für andere die Kastanien aus dem Feuer holen, die sich dann weniger anstrengen müssen. Für das Weltklima ist da nichts gewonnen.
Frage: Politisch sind Sie damit isoliert.
LINDNER: Einige Debatten, auch beim Klimaschutz, werden in Deutschland aus politischer Korrektheit oder mangelnder Courage nicht ehrlich geführt. Was glauben Sie, wie viele Kollegen aus Union oder SPD mir hinter vorgehaltener Hand bestätigen, ob wir das 40-Prozent-Ziel nun ein paar Jahre früher oder später erreichen, ist global unerheblich. Eine rationale Betrachtung zeigt, dass man beim Klimaschutz mehr Flexibilität braucht. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass der Klimaschutz instrumentalisiert wird, um ganz andere Ziele zum Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft anzustreben.
Frage: Welche meinen Sie?
LINDNER: In bestimmten Kreisen unserer Gesellschaft gibt es eine generelle Ablehnung von Industrieproduktion oder großflächiger Logistik. Auch gegen Innovationen wie Nanotechnologie und Stammzellenforschung, gegen Freihandel und Einwanderung oder die wirtschaftliche Nutzung von Daten wird Stimmung gemacht. Skepsis ist die Abrissbirne der Möglichkeiten. Der „German Angst“ wollen wir als Freie Demokraten daher „German Mut“ entgegensetzen. Wir glauben, dass die Deutschen Grund zum Optimismus haben.