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07.04.2015 - 08:15LINDNER-Interview: Aus Angst wird Kapital geschlagen
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Handelsblatt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten TILL HOPPE und THOMAS SIGMUND:
Frage: Herr Lindner, die Regierung startet in Kürze ihren Bürgerdialog „Gut leben in Deutschland“. Kanzlerin Merkel und ihr Vizekanzler Gabriel wollen persönlich erfragen, was die Menschen unter Lebensqualität verstehen. Was würden Sie antworten?
LINDNER: Die Bundesregierung sollte sich für Zukunftsaufgaben des Landes interessieren, aber mein persönliches Lebensglück meine Sorge sein lassen. Im Bundeskanzleramt herrscht offenbar das Verständnis: Die Politik weiß besser, was für uns richtig ist. Justizminister Maas sagte neulich, man müsse den Menschen einen Anstupser geben, damit sie sich auch entsprechend verhalten.
Frage: Sie sprechen das sogenannte „Nudging“ an.
LINDNER: Das ist die Vorstufe zum harten Paternalismus: Wenn sich die Menschen durch Anstupsen nicht steuern lassen, macht die Regierung es mit Bürokratie, Verboten oder Subventionen. Ich bin da grundsätzlich anderer Auffassung. Natürlich gibt es Voraussetzungen für ein Gelingen des Lebens – Sicherheit, Bildung oder ein angemessener Arbeitsplatz etwa. Die Politik hat den Rahmen dafür zu schaffen, aber sie soll den Rahmen bitteschön nicht auch noch selbst füllen.
Frage: Die Bürger aber klammern sich an ihre Kümmer-Kanzlerin, die SPD scheint die nächste Bundestagswahl schon verloren zu geben. Und Sie wollen mit Selbstbestimmung und individueller Freiheit punkten?
LINDNER: Ja, genau. Es ist offensichtlich, dass die fundamentalen Veränderungen, vor denen wir stehen, viele ängstigen. Ich nenne die Globalisierung, die neuen Technologien oder die Alterung der Gesellschaft. Auf Angst folgt leider oft Besitzstandsdenken, manchmal auch Ressentiment oder Neid. Wir sollten eher die Chancen sehen. Man kann die Zukunft ja auch gewinnen, statt sie zu fürchten.
Frage: Seit zwei Wochen kennt das Land kaum ein anderes Thema als den Absturz der Germanwings-Maschine. Erleben wir die Rückkehr der „German Angst“?
LINDNER: Der Absturz ist eine schreckliche Tragödie, die uns alle ins Mark getroffen hat. Wir begeben uns täglich in die Hände von Menschen, denen wir vertrauen können müssen. In diesem Fall wurde das Vertrauen auf schreckliche Weise missbraucht. Wir sollten aber nicht nur diesen katastrophalen Einzelfall sehen, sondern auch die Millionen Menschen, die jeden Tag mit hohem Einsatz ihre Pflicht tun.
Frage: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen schreibt angesichts der Berichterstattung über das Unglück in der „Zeit“ von einem „Ausbruch medialer Hysterie“. Schüren wir Journalisten unnötig Ängste?
LINDNER: Angst oder Protest erzeugt natürlich viel Aufmerksamkeit. Ich würde mir wünschen, dass mehr über Positives, über Gelungenes berichtet würde. Aber das bleibt wahrscheinlich ein frommer Wunsch. In den sozialen Netzwerken findet ja auch Negatives die größte Aufmerksamkeit.
Frage: Die drohende Griechenland-Pleite bereitet ebenfalls vielen Menschen Sorgen. Ihr Parteifreund Alexander Graf Lambsdorff aber fordert, Athen nicht um jeden Preis in der Euro-Zone zu halten. Ist das vertrauensbildend?
LINDNER: Die größte Gefahr heute ist nicht mehr das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone, sondern der Verbleib des Landes unter den falschen Bedingungen. Die Strategie, befristete Rettungsschirme aufzuspannen, unter denen marktwirtschaftliche Reformen erfolgen, war richtig. Das zeigen zum Beispiel Irland oder Portugal. Wenn die neue griechische Regierung aber Zusagen nicht einhalten will, dann wird das Vertrauen in die geschärften Regeln zerstört. Es wäre für alle gut, wenn Griechenland im Euro bleibt. Die Voraussetzung muss die Bereitschaft zu echten Veränderungen sein.
Frage: Wie sollte die Bundesregierung also mit Athen umgehen?
LINDNER: Alle roten Linien sind mehr als gedehnt. Die griechische Regierung brüskierte den IWF und will Rückzahlungen verschieben, hat aber nach wie vor keine konkrete Liste mit Reformzusagen vorgelegt. Das schwächt das Vertrauen in einen gemeinsamen weiteren Weg.
Frage: Noch einmal: Wie sollte die Kanzlerin darauf reagieren?
LINDNER: Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie umgehend einen Plan B erarbeitet, falls die Regierung Tsipras sich weiter einer Rückkehr auf den Reformkurs verweigert. Europa ist nicht mehr erpressbar. 2010 haben wir die ökonomische Ansteckungsgefahr des Grexit gefürchtet. Heute ist es die politische Ansteckungsgefahr, denn ein Rabatt wäre ein Konjunkturprogramm für Linkspopulisten in Spanien.
Frage: Innenpolitisch treibt das Thema Fracking viele Menschen um. Der Gesetzentwurf der Regierung setzt dem Einsatz der Erdgasfördertechnik enge Grenzen. Haben Sie Verständnis dafür?
LINDNER: Ich habe kein Verständnis dafür, dass es bei uns nicht einmal die Bereitschaft gibt, die Potenziale dieser Technologie genau zu untersuchen. Das Trinkwasser ist auch mir heilig. Aber es gibt ja nicht mal eine Mehrheit dafür zu prüfen, ob Fracking nicht auch ohne Gefahr verantwortbar ist. Denn es ist durchaus vorstellbar, dass Schiefergas einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leisten könnte.
Frage: Auch beim Freihandelsabkommen TTIP mit den USA haben die Gegner inzwischen die Deutungshoheit errungen. Wird Deutschland zum Land der Neinsager?
LINDNER: Da bin ich optimistischer. Es ist eher so, dass bestimmte Argumente nur noch verhalten vorgetragen werden. Das hängt auch mit der Entwicklung der CDU zusammen, die innenpolitisch keine Angriffsfläche bieten will. Die Angst vor den Chlorhühnchen ist jedenfalls im Land der Antibiotika-Broiler irrational.
Frage: Mit dem Chlorhühnchen argumentieren die TTIP-Gegner inzwischen ja auch kaum noch.
LINDNER: TTIP ist ja nicht nur deshalb eine Riesenchance, weil es Wachstum und Arbeitsplätze bringt. Es bietet zugleich die Gelegenheit, gewisse Standards im Welthandel zu definieren, an denen sich dann andere in der Welt orientieren müssen - sei es im Sozialbereich, bei der Umwelt oder bei Lebensmitteln. Diese Chance wird ausgerechnet von jenen Freihandelsgegnern vertändelt, die sonst mehr Regeln für die Globalisierung fordern. Da erwarte ich mir übrigens auch vom Bundeswirtschaftsminister viel mehr Klarheit. Stattdessen fährt er Schlangenlinien.
Frage: Liegt die Skepsis auch im fehlenden ökonomischen Verständnis in der Bevölkerung begründet?
LINDNER: Ich beobachte einen wachsenden ökonomischen Analphabetismus. Es mischt sich im Falle von TTIP mit Antiamerikanismus und mit schlichter Desinformation. Mein Verdacht ist, dass es in Deutschland eine regelrechte Protestindustrie gibt, die Kapital daraus schlagen will, dass sie gegen neue Technologien oder solch große zivilisatorische Vorhaben wie den Freihandel mobilmacht. Auch aus der Angst vor dem Klimawandel wird Kapital geschlagen.
Frage: Von wem?
LINDNER: Den Beziehern von Subventionen für Ökoenergie. Erneuerbare Energien würden sich auch in einem marktwirtschaftlichen Modell rechnen. Die Bundesregierung hat sich auf einen klimapolitischen Alleingang in Europa begeben, der einen enormen Bestand an volkswirtschaftlichem Vermögen in der Industrie vernichtet. Ganze Branchen verschwinden, ohne dass es eine globale Wirkung hätte. Denn jede in Deutschland zusätzlich eingesparte Tonne C02 kann ja woanders zusätzlich verfeuert werden.
Frage: Sie spielen auf Pläne von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel an, Kohlekraftwerke stärker zu belasten?
LINDNER: Gabriel stranguliert unsere grundlastsichernde Energieversorgung. Deutschland muss seine Klimaziele bis 2020 korrigieren. Die europäischen Vorgaben sollten eins zu eins umgesetzt werden, nationale Alleingänge darüber hinaus bringen nichts. Die Aufgabe ist ja, Schwellenländer von einem ressourcenschonenden Wachstum zu überzeugen. Das wird nicht gelingen, wenn wir aus Deutschland ein industrielles Freilichtmuseum gemacht haben. Da würde niemand folgen.
LINDNER-Interview: Aus Angst wird Kapital geschlagen
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Handelsblatt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten TILL HOPPE und THOMAS SIGMUND:
Frage: Herr Lindner, die Regierung startet in Kürze ihren Bürgerdialog „Gut leben in Deutschland“. Kanzlerin Merkel und ihr Vizekanzler Gabriel wollen persönlich erfragen, was die Menschen unter Lebensqualität verstehen. Was würden Sie antworten?
LINDNER: Die Bundesregierung sollte sich für Zukunftsaufgaben des Landes interessieren, aber mein persönliches Lebensglück meine Sorge sein lassen. Im Bundeskanzleramt herrscht offenbar das Verständnis: Die Politik weiß besser, was für uns richtig ist. Justizminister Maas sagte neulich, man müsse den Menschen einen Anstupser geben, damit sie sich auch entsprechend verhalten.
Frage: Sie sprechen das sogenannte „Nudging“ an.
LINDNER: Das ist die Vorstufe zum harten Paternalismus: Wenn sich die Menschen durch Anstupsen nicht steuern lassen, macht die Regierung es mit Bürokratie, Verboten oder Subventionen. Ich bin da grundsätzlich anderer Auffassung. Natürlich gibt es Voraussetzungen für ein Gelingen des Lebens – Sicherheit, Bildung oder ein angemessener Arbeitsplatz etwa. Die Politik hat den Rahmen dafür zu schaffen, aber sie soll den Rahmen bitteschön nicht auch noch selbst füllen.
Frage: Die Bürger aber klammern sich an ihre Kümmer-Kanzlerin, die SPD scheint die nächste Bundestagswahl schon verloren zu geben. Und Sie wollen mit Selbstbestimmung und individueller Freiheit punkten?
LINDNER: Ja, genau. Es ist offensichtlich, dass die fundamentalen Veränderungen, vor denen wir stehen, viele ängstigen. Ich nenne die Globalisierung, die neuen Technologien oder die Alterung der Gesellschaft. Auf Angst folgt leider oft Besitzstandsdenken, manchmal auch Ressentiment oder Neid. Wir sollten eher die Chancen sehen. Man kann die Zukunft ja auch gewinnen, statt sie zu fürchten.
Frage: Seit zwei Wochen kennt das Land kaum ein anderes Thema als den Absturz der Germanwings-Maschine. Erleben wir die Rückkehr der „German Angst“?
LINDNER: Der Absturz ist eine schreckliche Tragödie, die uns alle ins Mark getroffen hat. Wir begeben uns täglich in die Hände von Menschen, denen wir vertrauen können müssen. In diesem Fall wurde das Vertrauen auf schreckliche Weise missbraucht. Wir sollten aber nicht nur diesen katastrophalen Einzelfall sehen, sondern auch die Millionen Menschen, die jeden Tag mit hohem Einsatz ihre Pflicht tun.
Frage: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen schreibt angesichts der Berichterstattung über das Unglück in der „Zeit“ von einem „Ausbruch medialer Hysterie“. Schüren wir Journalisten unnötig Ängste?
LINDNER: Angst oder Protest erzeugt natürlich viel Aufmerksamkeit. Ich würde mir wünschen, dass mehr über Positives, über Gelungenes berichtet würde. Aber das bleibt wahrscheinlich ein frommer Wunsch. In den sozialen Netzwerken findet ja auch Negatives die größte Aufmerksamkeit.
Frage: Die drohende Griechenland-Pleite bereitet ebenfalls vielen Menschen Sorgen. Ihr Parteifreund Alexander Graf Lambsdorff aber fordert, Athen nicht um jeden Preis in der Euro-Zone zu halten. Ist das vertrauensbildend?
LINDNER: Die größte Gefahr heute ist nicht mehr das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone, sondern der Verbleib des Landes unter den falschen Bedingungen. Die Strategie, befristete Rettungsschirme aufzuspannen, unter denen marktwirtschaftliche Reformen erfolgen, war richtig. Das zeigen zum Beispiel Irland oder Portugal. Wenn die neue griechische Regierung aber Zusagen nicht einhalten will, dann wird das Vertrauen in die geschärften Regeln zerstört. Es wäre für alle gut, wenn Griechenland im Euro bleibt. Die Voraussetzung muss die Bereitschaft zu echten Veränderungen sein.
Frage: Wie sollte die Bundesregierung also mit Athen umgehen?
LINDNER: Alle roten Linien sind mehr als gedehnt. Die griechische Regierung brüskierte den IWF und will Rückzahlungen verschieben, hat aber nach wie vor keine konkrete Liste mit Reformzusagen vorgelegt. Das schwächt das Vertrauen in einen gemeinsamen weiteren Weg.
Frage: Noch einmal: Wie sollte die Kanzlerin darauf reagieren?
LINDNER: Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie umgehend einen Plan B erarbeitet, falls die Regierung Tsipras sich weiter einer Rückkehr auf den Reformkurs verweigert. Europa ist nicht mehr erpressbar. 2010 haben wir die ökonomische Ansteckungsgefahr des Grexit gefürchtet. Heute ist es die politische Ansteckungsgefahr, denn ein Rabatt wäre ein Konjunkturprogramm für Linkspopulisten in Spanien.
Frage: Innenpolitisch treibt das Thema Fracking viele Menschen um. Der Gesetzentwurf der Regierung setzt dem Einsatz der Erdgasfördertechnik enge Grenzen. Haben Sie Verständnis dafür?
LINDNER: Ich habe kein Verständnis dafür, dass es bei uns nicht einmal die Bereitschaft gibt, die Potenziale dieser Technologie genau zu untersuchen. Das Trinkwasser ist auch mir heilig. Aber es gibt ja nicht mal eine Mehrheit dafür zu prüfen, ob Fracking nicht auch ohne Gefahr verantwortbar ist. Denn es ist durchaus vorstellbar, dass Schiefergas einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leisten könnte.
Frage: Auch beim Freihandelsabkommen TTIP mit den USA haben die Gegner inzwischen die Deutungshoheit errungen. Wird Deutschland zum Land der Neinsager?
LINDNER: Da bin ich optimistischer. Es ist eher so, dass bestimmte Argumente nur noch verhalten vorgetragen werden. Das hängt auch mit der Entwicklung der CDU zusammen, die innenpolitisch keine Angriffsfläche bieten will. Die Angst vor den Chlorhühnchen ist jedenfalls im Land der Antibiotika-Broiler irrational.
Frage: Mit dem Chlorhühnchen argumentieren die TTIP-Gegner inzwischen ja auch kaum noch.
LINDNER: TTIP ist ja nicht nur deshalb eine Riesenchance, weil es Wachstum und Arbeitsplätze bringt. Es bietet zugleich die Gelegenheit, gewisse Standards im Welthandel zu definieren, an denen sich dann andere in der Welt orientieren müssen - sei es im Sozialbereich, bei der Umwelt oder bei Lebensmitteln. Diese Chance wird ausgerechnet von jenen Freihandelsgegnern vertändelt, die sonst mehr Regeln für die Globalisierung fordern. Da erwarte ich mir übrigens auch vom Bundeswirtschaftsminister viel mehr Klarheit. Stattdessen fährt er Schlangenlinien.
Frage: Liegt die Skepsis auch im fehlenden ökonomischen Verständnis in der Bevölkerung begründet?
LINDNER: Ich beobachte einen wachsenden ökonomischen Analphabetismus. Es mischt sich im Falle von TTIP mit Antiamerikanismus und mit schlichter Desinformation. Mein Verdacht ist, dass es in Deutschland eine regelrechte Protestindustrie gibt, die Kapital daraus schlagen will, dass sie gegen neue Technologien oder solch große zivilisatorische Vorhaben wie den Freihandel mobilmacht. Auch aus der Angst vor dem Klimawandel wird Kapital geschlagen.
Frage: Von wem?
LINDNER: Den Beziehern von Subventionen für Ökoenergie. Erneuerbare Energien würden sich auch in einem marktwirtschaftlichen Modell rechnen. Die Bundesregierung hat sich auf einen klimapolitischen Alleingang in Europa begeben, der einen enormen Bestand an volkswirtschaftlichem Vermögen in der Industrie vernichtet. Ganze Branchen verschwinden, ohne dass es eine globale Wirkung hätte. Denn jede in Deutschland zusätzlich eingesparte Tonne C02 kann ja woanders zusätzlich verfeuert werden.
Frage: Sie spielen auf Pläne von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel an, Kohlekraftwerke stärker zu belasten?
LINDNER: Gabriel stranguliert unsere grundlastsichernde Energieversorgung. Deutschland muss seine Klimaziele bis 2020 korrigieren. Die europäischen Vorgaben sollten eins zu eins umgesetzt werden, nationale Alleingänge darüber hinaus bringen nichts. Die Aufgabe ist ja, Schwellenländer von einem ressourcenschonenden Wachstum zu überzeugen. Das wird nicht gelingen, wenn wir aus Deutschland ein industrielles Freilichtmuseum gemacht haben. Da würde niemand folgen.