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09.02.2015 - 12:00Engagement gegen Extremismus statt Totalüberwachung
In ihrer Amtszeit hat Justizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unermüdlich gegen die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung gekämpft. Jetzt warnt sie erneut davor, die Bürgerrechte dem Überwachungsstaat zu opfern. Im Interview mit dem "Weser-Kurier" sprach sie über das Verhältnis zwischen Datenschutz und Sicherheit. Ihre Ablehnung des anlasslosen Speicherns personenbezogener Daten sei durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen Jahr noch einmal zusätzlich bestärkt worden, betonte sie.
Für Leutheusser-Schnarrenberger ist klar: Der potenzielle Mehrwert dieser Vorratsdatenspeicherung für die Sicherheit wird überschätzt. Zur Bekämpfung von islamistischem Terrorismus brauche es vielmehr Ursachenanalyse sowie Initiativen wie Exit-Programme und Anlaufstellen für junge Menschen. Darüber hinaus sei mehr Personal bei der Polizei erforderlich, um die tatsächlich gewaltbereiten und den Sicherheitsbehörden bekannten Personen besser zu beobachten.
Außerdem sprach die Liberale ausführlich über die Bedrohung der Privatsphäre unbescholtener Bürger durch Geheimdienste und Großkonzerne. Sie forderte US-Präsident Barack Obama auf, wirksame Vorgaben zur Einschränkung der NSA-Datensammelei einzuführen, und verlangte von der EU, sich auf bindende Standards gegenüber mächtigen Konzernen wie Google und Facebook zu einigen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview mit dem "Weser-Kurier"
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung ist nach den Anschlägen von Paris wieder aktuell geworden. Hat sich an Ihrer Position dadurch etwas verändert?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Meine Grundhaltung gegen anlassloses, flächendeckendes Speichern von personenbezogenen Daten ist ja durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom März vergangenen Jahres noch einmal zusätzlich gestärkt worden. Es wird in meinen Augen einmal überschätzt, was diese Vorratsdatenspeicherung für Sicherheit bringen kann. Auf der anderen Seite wird die Bedeutung der Entscheidung vom Europäischen Gerichtshof unterschätzt, die nämlich ausdrücklich sagt, dass man solche Daten nicht anlasslos, sondern nur bei einer konkreten Gefährdung für einen bestimmten Personenkreis speichern darf.
Welche Wege sind Ihrer Meinung nach besser geeignet, um gegen Terrorismus vorzugehen?
Wir haben jetzt Terrorismus, der islamistisch begründet ist. Hier geht es gerade um junge Leute, die radikalisiert werden. Wir brauchen dringend mehr Ursachenanalyse. Es gibt schon erste Studien, wie junge Menschen in diese Radikalisierung kommen. Wir brauchen natürlich Exit-Programme, um an die, die in dieser Szene sind, heranzukommen. Mit diesen Programmen muss man die Menschen, die sich dort hingezogen fühlen, wieder herausholen. Dazu braucht man Anlaufstellen, was wir bei den Rechtsextremisten inzwischen mit viel Erfahrung praktizieren.
Und gibt es im Bereich der islamistischen Exit-Gruppen schon Erfahrungen?
Da fängt man nicht ganz bei null an, steht aber doch eher am Anfang. Es gibt Wissenschaftler, die diesen „ideologischen“ Hintergrund untersuchen, wie mit entsprechend ausgerichteten Videos und Filmen Menschen angesprochen werden. Das haben wir aber noch nicht so erforscht, wie wir es im Bereich des Rechtsextremismus haben. Da muss mehr passieren, wir brauchen mehr Geld. Da ist der Staat gefragt, es bedarf der Fachleute und muss mit Nachdruck betrieben werden. Dazu müssen wir keine Gesetze ändern. Die Sicherheitsbehörden reden von 500 bis 600 Menschen, die man dem Bereich der Gewaltbereitschaft zurechnen kann. Wir müssen versuchen, sie, so weit es geht, zu beobachten. Dass man dafür mehr Polizei braucht, da gebe ich der Polizeigewerkschaft recht.
Deutschland und die EU können Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung verabschieden, Organisationen wie die NSA sind davon unberührt. Welche Möglichkeiten gibt es für Deutschland, sich vor der Datenspeicherung aus dem Ausland zu schützen?
Natürlich kann Deutschland als wichtiger Faktor der Europäischen Union dazu beitragen, dass keine neue Richtlinie zum anlasslosen Speichern von Daten verabschiedet wird. Aber wir haben keine Möglichkeit, etwas gesetzgeberisch über die EU hinaus zu bewirken. Das geht nur auf politischer Ebene, also in Gesprächen mit amerikanischen Verantwortlichen aus der Politik und den Sicherheitsbehörden. Da gab es bisher zwar Gesprächskontakt, aber es ist nichts passiert. Umso wichtiger ist, dass der amerikanische Präsident Barack Obama es jetzt ernst meint, wenn er Vorgaben schaffen will, um die NSA beim Speichern von Daten von Ausländern einzuschränken.
Auch Unternehmen wie Facebook und Google sammeln Daten. Inwieweit sehen Sie den Staat in der Pflicht, das einzuschränken?
Man muss immer Staat und Unternehmen zusammen nennen und darf sich nicht einseitig auf den Staat konzentrieren, wenn es darum geht, die Datenverwendung einzuschränken. Hier kann auch die EU mit aktuellen Datenschutzregelungen handeln. Diese müssen sich dem Prinzip verpflichtet fühlen, dass nicht entscheidend ist, wo der Sitz des Unternehmens ist, sondern wo er die Dienstleistungen anbietet und wo die Bürger wohnen, deren Daten verarbeitet werden. Diese Regelung ist jetzt in einem Entwurf einer europäischen Gesetzgebung enthalten. Das ist erstmals die Möglichkeit, wirklich bindende Standards gegenüber diesen Konzernen zu setzen. Der Europäische Gerichtshof hat außerdem Google dazu verpflichtet, Links zu alten Zeitungsartikeln zu löschen, wenn Bürger das wollen, sofern sie nicht Personen des öffentlichen Lebens sind. Es geht alles viel zu langsam, aber allmählich sieht man nicht nur die Vorteile der digitalen Entwicklung.
Wie sehen Sie die Eigenverantwortung der Internetnutzer?
Es ist falsch zu sagen, der Nutzer müsse sich selbst schützen, der Staat brauche nichts zu tun. Natürlich ist es sehr wichtig, dass jeder Nutzer sich überlegt, was er selbst tun kann. Beispielsweise bei Facebook: Was mache ich jetzt mit den neuen AGB, wie sparsam gehe ich mit meinen Informationen um? Das ist alles wichtig, ersetzt aber nicht die Aufgabe des Gesetzgebers.
Was hält die Wirtschaft von diesen gesetzlichen Einschränkungen?
Konzerne wie Google oder Social-Media-Anbieter haben schon ein Interesse daran, Empfehlungen wahrzunehmen, aber sie würden nie ihre Geschäftsidee aufgeben. Sie drängen ganz offensiv, teilweise aggressiv auf europäische Märkte und einige setzen sich leider über nationale Regelungen komplett hinweg. Das ist nicht akzeptabel.
Welche Gefahren sehen Sie bei der Erfassung von Daten seitens der Unternehmen?
Gefahren bestehen zum Beispiel in der Totalvernetzung, bei der der Bürger mehr zum Objekt wird. Zum Beispiel können Versicherungen mit günstigen Prämien locken, um an die Gesundheitsdaten zu kommen. Der Versicherte wird dann regelmäßig aufgefordert, mehr Sport zu treiben, sich besser zu ernähren. Damit wird das Verhalten der Bürger manipuliert. Da muss ein Rahmen der Gesetzgebung geschaffen werden. Wir befinden uns in einer riesigen Umbruchsituation.
Engagement gegen Extremismus statt Totalüberwachung
In ihrer Amtszeit hat Justizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unermüdlich gegen die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung gekämpft. Jetzt warnt sie erneut davor, die Bürgerrechte dem Überwachungsstaat zu opfern. Im Interview mit dem "Weser-Kurier" [1]sprach sie über das Verhältnis zwischen Datenschutz und Sicherheit. Ihre Ablehnung des anlasslosen Speicherns personenbezogener Daten sei durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen Jahr noch einmal zusätzlich bestärkt worden, betonte sie.
Für Leutheusser-Schnarrenberger ist klar: Der potenzielle Mehrwert dieser Vorratsdatenspeicherung für die Sicherheit wird überschätzt. Zur Bekämpfung von islamistischem Terrorismus brauche es vielmehr Ursachenanalyse sowie Initiativen wie Exit-Programme und Anlaufstellen für junge Menschen. Darüber hinaus sei mehr Personal bei der Polizei erforderlich, um die tatsächlich gewaltbereiten und den Sicherheitsbehörden bekannten Personen besser zu beobachten.
Außerdem sprach die Liberale ausführlich über die Bedrohung der Privatsphäre unbescholtener Bürger durch Geheimdienste und Großkonzerne. Sie forderte US-Präsident Barack Obama auf, wirksame Vorgaben zur Einschränkung der NSA-Datensammelei einzuführen, und verlangte von der EU, sich auf bindende Standards gegenüber mächtigen Konzernen wie Google und Facebook zu einigen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview mit dem "Weser-Kurier"
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung ist nach den Anschlägen von Paris wieder aktuell geworden. Hat sich an Ihrer Position dadurch etwas verändert?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Meine Grundhaltung gegen anlassloses, flächendeckendes Speichern von personenbezogenen Daten ist ja durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom März vergangenen Jahres noch einmal zusätzlich gestärkt worden. Es wird in meinen Augen einmal überschätzt, was diese Vorratsdatenspeicherung für Sicherheit bringen kann. Auf der anderen Seite wird die Bedeutung der Entscheidung vom Europäischen Gerichtshof unterschätzt, die nämlich ausdrücklich sagt, dass man solche Daten nicht anlasslos, sondern nur bei einer konkreten Gefährdung für einen bestimmten Personenkreis speichern darf.
Welche Wege sind Ihrer Meinung nach besser geeignet, um gegen Terrorismus vorzugehen?
Wir haben jetzt Terrorismus, der islamistisch begründet ist. Hier geht es gerade um junge Leute, die radikalisiert werden. Wir brauchen dringend mehr Ursachenanalyse. Es gibt schon erste Studien, wie junge Menschen in diese Radikalisierung kommen. Wir brauchen natürlich Exit-Programme, um an die, die in dieser Szene sind, heranzukommen. Mit diesen Programmen muss man die Menschen, die sich dort hingezogen fühlen, wieder herausholen. Dazu braucht man Anlaufstellen, was wir bei den Rechtsextremisten inzwischen mit viel Erfahrung praktizieren.
Und gibt es im Bereich der islamistischen Exit-Gruppen schon Erfahrungen?
Da fängt man nicht ganz bei null an, steht aber doch eher am Anfang. Es gibt Wissenschaftler, die diesen „ideologischen“ Hintergrund untersuchen, wie mit entsprechend ausgerichteten Videos und Filmen Menschen angesprochen werden. Das haben wir aber noch nicht so erforscht, wie wir es im Bereich des Rechtsextremismus haben. Da muss mehr passieren, wir brauchen mehr Geld. Da ist der Staat gefragt, es bedarf der Fachleute und muss mit Nachdruck betrieben werden. Dazu müssen wir keine Gesetze ändern. Die Sicherheitsbehörden reden von 500 bis 600 Menschen, die man dem Bereich der Gewaltbereitschaft zurechnen kann. Wir müssen versuchen, sie, so weit es geht, zu beobachten. Dass man dafür mehr Polizei braucht, da gebe ich der Polizeigewerkschaft recht.
Deutschland und die EU können Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung verabschieden, Organisationen wie die NSA sind davon unberührt. Welche Möglichkeiten gibt es für Deutschland, sich vor der Datenspeicherung aus dem Ausland zu schützen?
Natürlich kann Deutschland als wichtiger Faktor der Europäischen Union dazu beitragen, dass keine neue Richtlinie zum anlasslosen Speichern von Daten verabschiedet wird. Aber wir haben keine Möglichkeit, etwas gesetzgeberisch über die EU hinaus zu bewirken. Das geht nur auf politischer Ebene, also in Gesprächen mit amerikanischen Verantwortlichen aus der Politik und den Sicherheitsbehörden. Da gab es bisher zwar Gesprächskontakt, aber es ist nichts passiert. Umso wichtiger ist, dass der amerikanische Präsident Barack Obama es jetzt ernst meint, wenn er Vorgaben schaffen will, um die NSA beim Speichern von Daten von Ausländern einzuschränken.
Auch Unternehmen wie Facebook und Google sammeln Daten. Inwieweit sehen Sie den Staat in der Pflicht, das einzuschränken?
Man muss immer Staat und Unternehmen zusammen nennen und darf sich nicht einseitig auf den Staat konzentrieren, wenn es darum geht, die Datenverwendung einzuschränken. Hier kann auch die EU mit aktuellen Datenschutzregelungen handeln. Diese müssen sich dem Prinzip verpflichtet fühlen, dass nicht entscheidend ist, wo der Sitz des Unternehmens ist, sondern wo er die Dienstleistungen anbietet und wo die Bürger wohnen, deren Daten verarbeitet werden. Diese Regelung ist jetzt in einem Entwurf einer europäischen Gesetzgebung enthalten. Das ist erstmals die Möglichkeit, wirklich bindende Standards gegenüber diesen Konzernen zu setzen. Der Europäische Gerichtshof hat außerdem Google dazu verpflichtet, Links zu alten Zeitungsartikeln zu löschen, wenn Bürger das wollen, sofern sie nicht Personen des öffentlichen Lebens sind. Es geht alles viel zu langsam, aber allmählich sieht man nicht nur die Vorteile der digitalen Entwicklung.
Wie sehen Sie die Eigenverantwortung der Internetnutzer?
Es ist falsch zu sagen, der Nutzer müsse sich selbst schützen, der Staat brauche nichts zu tun. Natürlich ist es sehr wichtig, dass jeder Nutzer sich überlegt, was er selbst tun kann. Beispielsweise bei Facebook: Was mache ich jetzt mit den neuen AGB, wie sparsam gehe ich mit meinen Informationen um? Das ist alles wichtig, ersetzt aber nicht die Aufgabe des Gesetzgebers.
Was hält die Wirtschaft von diesen gesetzlichen Einschränkungen?
Konzerne wie Google oder Social-Media-Anbieter haben schon ein Interesse daran, Empfehlungen wahrzunehmen, aber sie würden nie ihre Geschäftsidee aufgeben. Sie drängen ganz offensiv, teilweise aggressiv auf europäische Märkte und einige setzen sich leider über nationale Regelungen komplett hinweg. Das ist nicht akzeptabel.
Welche Gefahren sehen Sie bei der Erfassung von Daten seitens der Unternehmen?
Gefahren bestehen zum Beispiel in der Totalvernetzung, bei der der Bürger mehr zum Objekt wird. Zum Beispiel können Versicherungen mit günstigen Prämien locken, um an die Gesundheitsdaten zu kommen. Der Versicherte wird dann regelmäßig aufgefordert, mehr Sport zu treiben, sich besser zu ernähren. Damit wird das Verhalten der Bürger manipuliert. Da muss ein Rahmen der Gesetzgebung geschaffen werden. Wir befinden uns in einer riesigen Umbruchsituation.