FDP|
05.01.2015 - 12:45LINDNER-Interview: Wir müssen uns nicht neu erfinden
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS MARON:
Frage: Herr Lindner, in Zeiten allgemeiner Verunsicherung wächst das Bedürfnis nach einem starken Staat. Wie kann man dem als liberale Kraft begegnen?
LINDNER: Die Freiheit des Einzelnen ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Das halte ich allen politischen Moden entgegen. Wowereits Baukatastrophe am Flughafen Berlin hat die Grenzen von Staatstätigkeit ja in Erinnerung gerufen. Was wir für das freiheitliche Miteinander wollen, sind faire Regeln eines Rechtsstaat. Denn die Probleme unserer Zeit sind ganz sicher nicht wegen einer zu liberalen Politik entstanden, sondern deshalb, weil die Regeln der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr galten. Es ist nicht liberal, wenn Banken Gewinne privatisieren, ihre Risiken aber von Staaten absichern lassen. Ich würde das sogar die Perversion des wirtschafsliberalen Gedankens nennen, der ja immer auch die Haftung als risikodämmendes Regulativ vorsieht. Banken sollten pleite gehen können wie jeder Handwerksbetrieb.
Frage: Erschwert die AfD ihre Genesung?
LINDNER: Ich sehe nichts Liberales an dieser Partei. Sie zeigt Verständnis für die Völkerrechtsverletzungen Putins, lehnt den Freihandel mit den USA ab, schürt Ressentiments gegen Minderheiten. Die AfD ist eine Partei, die sich eine Zeit zurücksehnt, in der man sich hinter nationalen Grenzen verschanzen konnte. Und Putin wird vor allem deshalb geschont, weil die AfD dessen autoritäres Gesellschaftsbild teilt.
Frage: Die Pegida-Demonstrationen kann man auch als Ausdruck der eben erwähnten Verunsicherung begreifen. Wie muss man damit umgehen? Ausgrenzen oder zuhören?
LINDNER: Ich halte nichts davon, wenn die Politik Bürger als Mischpoke oder Nazis in Nadelstreifen beschimpft, wie teilweise geschehen. Die Kanzlerin hat da bessere Worte gefunden. Richtig ist aber, dass es bei diesen Demonstrationen längst nicht mehr um unbestreitbare Integrationsprobleme geht. Für die Pegida-Bewegung sind diese nur Vorwand, um alle möglichen anderen gefährliche Ressentiments zu bedienen, übrigens auch gegen die freie Presse. Die innere Liberalität unserer Gesellschaft dürfen wir uns weder von Salafisten streitig machen lassen, die Gotteskrieger rekrutieren, noch von jenen Pegida-Leuten, die als Biedermänner auftreten, in Wahrheit aber Brandstifter sind.
Frage: Die CSU will Asylverfahren verkürzen und schneller abschieben. Bestätigt sie damit die Haltung Pegidas?
LINDNER: Die CSU betreibt ein gefährliches Spiel. Sie schießt deshalb alle möglichen absurden, angeblich konservativen Forderungen aus der Hüfte, versucht diese erst gegen den gesunden Menschenverstand durchzusetzen und setzt sich dann an die Spitze der Empörten und Politikverdrossenen, die von dieser politischen Schnappatmung enttäuscht sind.
Frage: Soll dann alles beim Alten bleiben?
LINDNER: Natürlich müssen wir unsere Zuwanderungspolitik ändern, aber doch nicht deshalb, weil uns irgendwer bedrohen würde. Asyl ist ein Gebot der Humanität. Menschen, die zu uns kommen, haben ein Recht auf würdige Unterbringung und auf rasche, unbürokratische Bearbeitung ihres Anliegens. Wer Asyl bekommt, muss hier arbeiten dürfen. Darüber hinaus müssen wir uns weiter öffnen. Die Qualifizierten dieser Welt, die hierzulande für ihre Familien etwas aufbauen, die mit uns gemeinsam den Sozialstaat stabilisieren wollen und die sich an unsere Regeln halten, die sollen uns willkommen sein. Denen müssten wir sogar den roten Teppich ausrollen angesichts des demografischen Wandels.
Frage: Darf man Fragen der nationalen Identität den Rechtsaußenparteien überlassen?
LINDNER: Wieso sollte man? Unsere nationale Identität hat sehr viel mit den liberalen Werten unseres Grundgesetzes zu tun. Die gelten für alle, egal an welchen Gott man glaubt. Die Freiheit des Einzelnen, die Persönlichkeitsrechte werden da gespiegelt, die preußische Toleranz Friedrichs des Großen lebt darin fort, der sagte: jeder soll nach seiner Facon selig werden. Das, was Pegida fordert, ist deshalb auch das Gegenteil dessen, was das angeblich vom Untergang bedrohte Abendland auszeichnet, nämlich Toleranz und Aufklärung.
Frage: Warum wird Politik oft nur noch als interessant wahr genommen, wenn sie sich gegen etablierte Parteien richtet?
LINDNER: Viele Menschen sind enttäuscht, weil die großen Zukunftsfragen nicht angepackt werden. Der Wandel, den die Demografie, die Digitalisierung, die Globalisierung und die Pluralität unserer Gesellschaft erzwingen, wird nicht politisch gestaltet. Viele fühlen sich dieser Dynamik deshalb schutzlos ausgeliefert. Die Menschen fragen sich: weshalb gibt es im Bundestag nur eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners trotz größtmöglicher Mehrheit? Wir dürfen die Reformbereitschaft der Deutschen nicht weiter unterfordern. Sonst verlieren zu viele den Glauben an die gestaltende Kraft der Demokratie.
Frage: Die FDP hat sich lange mit sich selbst beschäftigt und über den künftigen Kurs diskutiert. Wie wird der aussehen?
LINDNER: Wir müssen uns nicht neu erfinden, wollen weiter für eine Marktwirtschaft eintreten, die dem Gestaltungswillen Raum gibt, die aber niemanden aus der Verantwortung für das eigene Handeln entlässt. Wir bieten eine weltoffene Politik an, die gesellschaftliche Freiheit und Toleranz garantiert. Ein solches Angebot fehlt in Deutschland.
Frage: Sie sagen, FDP-Forderungen müssten radikaler werden. Müssen wir uns fürchten?
LINDNER: Nein. Mir geht es darum, nicht mehr nur Symptome zu kurieren, sondern an die Wurzeln der Probleme zu gelangen. Ich mache das nochmal am Beispiel Finanzmarkt und Europapolitik deutlich. Die Europäische Zentralbank will jetzt Staatsanleihen kaufen und die EU-Kommission bringt einen Milliardenfonds auf den Weg, um privaten Investoren das Risiko für ihre Geschäfte abzunehmen. Außerdem ist Griechenland kurz davor, Reformen als Gegenleistung für Solidarität zu verweigern. Das ist weniger Verantwortung, obwohl wir mehr Verantwortung brauchen. Wenn diese Haltung sich durchsetzt, dann werden wieder nur Symptome behandelt. Die EZB muss wieder vernünftigen Wettbewerb bei Staatsanleihen zulassen, damit Länder wie Griechenland, Italien oder Frankreich über steigende Zinsen das klare Marktsignal bekommen, dass ihre Politik nicht solide ist.
Frage: Kann Griechenland im Euro-Raum bleiben?
LINDNER: Die Euro-Zone ist in den vergangenen fünf Jahren stabiler geworden, so dass die griechische Politik kein Erpressungspotenzial mehr gegenüber Europa hat. Mit Reformverweigerung und einem Austritt aus dem Euro-Zone würde sich Griechenland nur noch selbst schaden. Entsprechend konsequent sollte die Troika auftreten. Ich halte einen Euro-Austritt Griechenlands inzwischen für verkraftbar. Das ist ist eine späte Bestätigung der Stabilitätspolitik, die die FDP mitgetragen hat. Denn nur wegen der damal geschaffenen Institutionen, die die AfD ablehnt, und wegen der Fortschritte in Europa, die Herr Lucke leugnet, kann man heute die Frage nach einem möglichen Grexit anders beantworten als 2010 oder 2012. Ein wünschenswertes Szenario ist das aber nicht, denn die politischen und ökonomischen Risiken bleiben äußerst hoch. Die Fortsetzung der Reformpolitik in Athen wäre auch für Deutschland besser.
Frage: Sie wollen der FDP auch eine neue Optik verpassen. Was war schlecht an Blaugelb?
LINDNER: Die FDP wird auch weiterhin an Blau- und Gelbtönen erkennbar sein. Wir wollen aber nach dem intensiven Prozess der Selbstvergewisserung auch nach außen dokumentieren, dass sich in der FDP etwas getan hat. Wir tun dies übrigens nicht zuletzt auch in der Art unseres Miteinanders. Wir haben uns geöffnet für neue Persönlichkeiten. In Bremen wird mit Lencke Steiner die Bundesvorsitzende der Jungen Familienunternehmer für die FDP in die Landtagswahl ziehen. Die hat zwar kein FDP-Parteibuch, teilt aber unsere Überzeugungen. So etwas wäre früher bei uns nicht denkbar gewesen.
LINDNER-Interview: Wir müssen uns nicht neu erfinden
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS MARON:
Frage: Herr Lindner, in Zeiten allgemeiner Verunsicherung wächst das Bedürfnis nach einem starken Staat. Wie kann man dem als liberale Kraft begegnen?
LINDNER: Die Freiheit des Einzelnen ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Das halte ich allen politischen Moden entgegen. Wowereits Baukatastrophe am Flughafen Berlin hat die Grenzen von Staatstätigkeit ja in Erinnerung gerufen. Was wir für das freiheitliche Miteinander wollen, sind faire Regeln eines Rechtsstaat. Denn die Probleme unserer Zeit sind ganz sicher nicht wegen einer zu liberalen Politik entstanden, sondern deshalb, weil die Regeln der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr galten. Es ist nicht liberal, wenn Banken Gewinne privatisieren, ihre Risiken aber von Staaten absichern lassen. Ich würde das sogar die Perversion des wirtschafsliberalen Gedankens nennen, der ja immer auch die Haftung als risikodämmendes Regulativ vorsieht. Banken sollten pleite gehen können wie jeder Handwerksbetrieb.
Frage: Erschwert die AfD ihre Genesung?
LINDNER: Ich sehe nichts Liberales an dieser Partei. Sie zeigt Verständnis für die Völkerrechtsverletzungen Putins, lehnt den Freihandel mit den USA ab, schürt Ressentiments gegen Minderheiten. Die AfD ist eine Partei, die sich eine Zeit zurücksehnt, in der man sich hinter nationalen Grenzen verschanzen konnte. Und Putin wird vor allem deshalb geschont, weil die AfD dessen autoritäres Gesellschaftsbild teilt.
Frage: Die Pegida-Demonstrationen kann man auch als Ausdruck der eben erwähnten Verunsicherung begreifen. Wie muss man damit umgehen? Ausgrenzen oder zuhören?
LINDNER: Ich halte nichts davon, wenn die Politik Bürger als Mischpoke oder Nazis in Nadelstreifen beschimpft, wie teilweise geschehen. Die Kanzlerin hat da bessere Worte gefunden. Richtig ist aber, dass es bei diesen Demonstrationen längst nicht mehr um unbestreitbare Integrationsprobleme geht. Für die Pegida-Bewegung sind diese nur Vorwand, um alle möglichen anderen gefährliche Ressentiments zu bedienen, übrigens auch gegen die freie Presse. Die innere Liberalität unserer Gesellschaft dürfen wir uns weder von Salafisten streitig machen lassen, die Gotteskrieger rekrutieren, noch von jenen Pegida-Leuten, die als Biedermänner auftreten, in Wahrheit aber Brandstifter sind.
Frage: Die CSU will Asylverfahren verkürzen und schneller abschieben. Bestätigt sie damit die Haltung Pegidas?
LINDNER: Die CSU betreibt ein gefährliches Spiel. Sie schießt deshalb alle möglichen absurden, angeblich konservativen Forderungen aus der Hüfte, versucht diese erst gegen den gesunden Menschenverstand durchzusetzen und setzt sich dann an die Spitze der Empörten und Politikverdrossenen, die von dieser politischen Schnappatmung enttäuscht sind.
Frage: Soll dann alles beim Alten bleiben?
LINDNER: Natürlich müssen wir unsere Zuwanderungspolitik ändern, aber doch nicht deshalb, weil uns irgendwer bedrohen würde. Asyl ist ein Gebot der Humanität. Menschen, die zu uns kommen, haben ein Recht auf würdige Unterbringung und auf rasche, unbürokratische Bearbeitung ihres Anliegens. Wer Asyl bekommt, muss hier arbeiten dürfen. Darüber hinaus müssen wir uns weiter öffnen. Die Qualifizierten dieser Welt, die hierzulande für ihre Familien etwas aufbauen, die mit uns gemeinsam den Sozialstaat stabilisieren wollen und die sich an unsere Regeln halten, die sollen uns willkommen sein. Denen müssten wir sogar den roten Teppich ausrollen angesichts des demografischen Wandels.
Frage: Darf man Fragen der nationalen Identität den Rechtsaußenparteien überlassen?
LINDNER: Wieso sollte man? Unsere nationale Identität hat sehr viel mit den liberalen Werten unseres Grundgesetzes zu tun. Die gelten für alle, egal an welchen Gott man glaubt. Die Freiheit des Einzelnen, die Persönlichkeitsrechte werden da gespiegelt, die preußische Toleranz Friedrichs des Großen lebt darin fort, der sagte: jeder soll nach seiner Facon selig werden. Das, was Pegida fordert, ist deshalb auch das Gegenteil dessen, was das angeblich vom Untergang bedrohte Abendland auszeichnet, nämlich Toleranz und Aufklärung.
Frage: Warum wird Politik oft nur noch als interessant wahr genommen, wenn sie sich gegen etablierte Parteien richtet?
LINDNER: Viele Menschen sind enttäuscht, weil die großen Zukunftsfragen nicht angepackt werden. Der Wandel, den die Demografie, die Digitalisierung, die Globalisierung und die Pluralität unserer Gesellschaft erzwingen, wird nicht politisch gestaltet. Viele fühlen sich dieser Dynamik deshalb schutzlos ausgeliefert. Die Menschen fragen sich: weshalb gibt es im Bundestag nur eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners trotz größtmöglicher Mehrheit? Wir dürfen die Reformbereitschaft der Deutschen nicht weiter unterfordern. Sonst verlieren zu viele den Glauben an die gestaltende Kraft der Demokratie.
Frage: Die FDP hat sich lange mit sich selbst beschäftigt und über den künftigen Kurs diskutiert. Wie wird der aussehen?
LINDNER: Wir müssen uns nicht neu erfinden, wollen weiter für eine Marktwirtschaft eintreten, die dem Gestaltungswillen Raum gibt, die aber niemanden aus der Verantwortung für das eigene Handeln entlässt. Wir bieten eine weltoffene Politik an, die gesellschaftliche Freiheit und Toleranz garantiert. Ein solches Angebot fehlt in Deutschland.
Frage: Sie sagen, FDP-Forderungen müssten radikaler werden. Müssen wir uns fürchten?
LINDNER: Nein. Mir geht es darum, nicht mehr nur Symptome zu kurieren, sondern an die Wurzeln der Probleme zu gelangen. Ich mache das nochmal am Beispiel Finanzmarkt und Europapolitik deutlich. Die Europäische Zentralbank will jetzt Staatsanleihen kaufen und die EU-Kommission bringt einen Milliardenfonds auf den Weg, um privaten Investoren das Risiko für ihre Geschäfte abzunehmen. Außerdem ist Griechenland kurz davor, Reformen als Gegenleistung für Solidarität zu verweigern. Das ist weniger Verantwortung, obwohl wir mehr Verantwortung brauchen. Wenn diese Haltung sich durchsetzt, dann werden wieder nur Symptome behandelt. Die EZB muss wieder vernünftigen Wettbewerb bei Staatsanleihen zulassen, damit Länder wie Griechenland, Italien oder Frankreich über steigende Zinsen das klare Marktsignal bekommen, dass ihre Politik nicht solide ist.
Frage: Kann Griechenland im Euro-Raum bleiben?
LINDNER: Die Euro-Zone ist in den vergangenen fünf Jahren stabiler geworden, so dass die griechische Politik kein Erpressungspotenzial mehr gegenüber Europa hat. Mit Reformverweigerung und einem Austritt aus dem Euro-Zone würde sich Griechenland nur noch selbst schaden. Entsprechend konsequent sollte die Troika auftreten. Ich halte einen Euro-Austritt Griechenlands inzwischen für verkraftbar. Das ist ist eine späte Bestätigung der Stabilitätspolitik, die die FDP mitgetragen hat. Denn nur wegen der damal geschaffenen Institutionen, die die AfD ablehnt, und wegen der Fortschritte in Europa, die Herr Lucke leugnet, kann man heute die Frage nach einem möglichen Grexit anders beantworten als 2010 oder 2012. Ein wünschenswertes Szenario ist das aber nicht, denn die politischen und ökonomischen Risiken bleiben äußerst hoch. Die Fortsetzung der Reformpolitik in Athen wäre auch für Deutschland besser.
Frage: Sie wollen der FDP auch eine neue Optik verpassen. Was war schlecht an Blaugelb?
LINDNER: Die FDP wird auch weiterhin an Blau- und Gelbtönen erkennbar sein. Wir wollen aber nach dem intensiven Prozess der Selbstvergewisserung auch nach außen dokumentieren, dass sich in der FDP etwas getan hat. Wir tun dies übrigens nicht zuletzt auch in der Art unseres Miteinanders. Wir haben uns geöffnet für neue Persönlichkeiten. In Bremen wird mit Lencke Steiner die Bundesvorsitzende der Jungen Familienunternehmer für die FDP in die Landtagswahl ziehen. Die hat zwar kein FDP-Parteibuch, teilt aber unsere Überzeugungen. So etwas wäre früher bei uns nicht denkbar gewesen.