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13.09.2014 - 18:30LAMBSDORFF-Interview: Kompromissweg mit Russen und Ukrainern auszuloten, ist richtig
Berlin. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte JÜRGEN ZURHEIDE:
Frage: Jetzt fangen wir mal an, was ist das für ein Signal: Das Assoziierungsabkommen ja, diese Woche, Freihandel aber erst später. Ist das ein richtiges Signal oder ist das ein Kotau vor Moskau?
LAMBSDORFF: Ich glaube, was man in der letzten Woche gesehen hat, ist, dass sich ja einige Regierungen sehr schwer getan haben damit, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, deswegen sind sie ja auch verspätet erst in Kraft getreten. Gleichzeitig ist das Freihandelsabkommen im Assoziierungsabkommen der für Moskau schwierigste Teil. Ich halte es deswegen für eigentlich ein vernünftiges Vorgehen von Karel De Gucht hier, mit beiden Konfliktparteien, also den Russen und den Ukrainern einen Kompromissweg hier auszuloten, auf dem dann alle gehen können und über den sichergestellt ist, dass man auch über die nächsten Monate im Gespräch bleibt. Das ist eine komplizierte Operation, die auch ohne Weiteres nicht so leicht verständlich ist, aber ich halte sie dennoch für richtig.
Frage: Jetzt könnte man natürlich fragen: Viele sehen das so wie Sie inzwischen, warum hat man das in Brüssel nicht eigentlich viel eher begriffen? Und wenn man das viel eher getan hätte, hätte man vielleicht ein Ganzteil der Zuspitzung nicht gehabt, die wir jetzt haben auch auf kriegerischer Ebene! Oder ist das zu weit hergeholt?
LAMBSDORFF: Na ja, es ist ja so, dass die Russen sich mit ihrer Kritik an dem Abkommen sehr, sehr spät gemeldet haben. Es ist ja eine Mähr erstens, dass man die Ukraine vor die Wahl gestellt hätte, Russland oder die EU, das stimmt nicht. Und das Zweite ist: Moskau hat behauptet, es wüsste gar nichts von den Verhandlungen, die zwischen Brüssel und Kiew geführt wurden. Auch das ist nachweislich falsch. Ich glaube, dass jetzt, leider, angesichts der schrecklichen Entwicklungen im Osten der Ukraine leider viel zu spät auch die Russen hingegangen sind und gesagt haben, wir führen einen Dialog, wir sagen genau, was unsere Schwierigkeiten sind, und dann können wir mit den Ukrainern und den Europäern einen gemeinsamen Weg finden auf diesem Feld. Das war eben vorher nicht so, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, die ja Janukowitsch wollte, die hat in Russland zu einer brachialen Reaktion geführt beim letzten Mal, und das war einfach eine Situation, die wir heute nicht mehr haben. Wir haben heute im Osten der Ukraine eine dramatisch eskalierte Situation, aber ich bin froh, dass es hier wieder Gespräche gegeben hat zwischen den drei Seiten.
Frage: Auf der anderen Seite kann man natürlich grundsätzlich fragen: Wo ist die Rolle der Ukraine? Ist nicht – und das sehen viele so – eigentlich die Rolle der Ukraine, der Mittler zwischen Ost und West zu sein? Das heißt, eine vollständige Integration – und geschweige denn NATO – kann eigentlich nie zur Debatte stehen. Wie sehen Sie das?
LAMBSDORFF: Die Ukraine ist zu schwach, um ein Mittler zwischen der Europäischen Union und Russland zu sein. Wenn man sich die Realitäten anschaut, dann muss man feststellen, dass die Ukraine in den letzten 20, 25 Jahren, im Grunde seit ihrer Unabhängigkeit, aus dem großen Potenzial, das dieses Land ja hat, nicht wirklich viel gemacht hat. Die Wirtschaft ist nicht sehr hoch entwickelt, obwohl die Menschen gut ausgebildet sind, das politische System ist von systemischer Korruption gekennzeichnet, das Land hat insgesamt es eben nicht geschafft – anders als zum Beispiel Polen, das ja vergleichbare Startvoraussetzungen hatte –, etwas aus sich zu machen. Und Russland lässt sich auch von der Ukraine ganz sicher nicht irgendwie vertreten oder über die Ukraine nach Westen hinweg seine Kontakte vermitteln. Insofern, da muss man realistisch sein. Was die Zukunft angeht, da bin ich bei Ihnen, ich glaube in der Tat, dass das Land zwischen Russland und der Europäischen Union, wenn beide Seiten das anerkennen – und das ist das Problem bei Russland –, wenn es von beiden Seiten anerkannt wird, eine Brückenfunktion haben kann, ja. Aber sicher keine Vermittlerrolle.
Frage: Jetzt haben Sie gerade in der Tat eines der Kernprobleme angesprochen, die Ukraine selbst ist innenpolitisch und von der inneren Verfasstheit eher schwach, Sie haben auch das Stichwort Korruption angesprochen. Darüber reden wir nach meiner Beobachtung im Moment viel zu wenig, welch weiten Weg dieses Land eigentlich noch vor sich hat!
LAMBSDORFF: Ja, wir dürfen ja eines nicht vergessen: Die Ukraine wollte ja 2008 ganz klar Richtung NATO marschieren, auch mithilfe der Amerikaner. Und damals hat Deutschland gesagt, Nein, wir dehnen die NATO nicht bis auf die Krim aus, sondern die Ukraine sollte sich für einen Weg entscheiden, der in der Tat zwischen Russland und dem Westen liegt. Die Amerikaner waren damals sehr verstimmt über diese deutsche Haltung, ich halte die aber nach wie vor für richtig. Und auf der anderen Seite sehen wir, dass das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, das die Ukraine abgeschlossen hat, eine Hilfe sein sollte auf dem Weg, das Land wirtschaftlich weiterzubringen. Das ist eben in den vergangenen 20 Jahren vor diesem Abkommen nicht gelungen, die Oligarchenherrschaft war so ausgeprägt, dass beispielsweise das Parlament auch im Grunde nichts anderes war als ein Spielball wirtschaftlicher Interessen, ein Spielball der Oligarchen. All das muss die Ukraine überwinden, das kann sie. Wenn man nach Kiew fährt, mit den Menschen dort spricht, das sind Europäerinnen und Europäer, das ist überhaupt kein Problem. Das Bildungsniveau ist hoch, die Ressourcen sind groß, die Landwirtschaft ist im Prinzip leistungsfähig, also, es gibt keinen Grund, warum das Land es nicht schaffen sollte.
Frage: Ist der Oligarch Poroschenko dann der Richtige, genau diesen Weg, diese innere Modernisierung hinzukriegen?
LAMBSDORFF: Herr Zurheide, das ist eine ein bisschen paradoxe Situation, aber die Antwort lautet: Ja. Denn Poroschenko ist nicht in die Politik gegangen, um reich zu werden, sondern…
Frage: Er war es schon, ja!
LAMBSDORFF: Genau! Ja, ich meine, das ist im ukrainischen politischen System so, dass die meisten in dieses System reingegangen sind, um dort über Korruption – das gilt übrigens auch für Frau Timoschenko…
Frage: Eben.
LAMBSDORFF: …, es gilt auch für Herrn Krawtschuk davor –, über dieses politische System, über die Kontrolle, über die Transittransporte von Gas und Öl reich zu werden. Das ist bei Poroschenko nicht nötig, deswegen haben ihm die Leute das Vertrauen geschenkt. Im Übrigen ganz ähnlich wie beim Bürgermeister von Kiew, Herrn Klitschko, der natürlich auch durch das Boxen vorher sehr wohlhabend geworden ist. Die Menschen haben dann einfach das Vertrauen, dass der eben, was Korruption angeht, weniger anfällig sein würde.
LAMBSDORFF-Interview: Kompromissweg mit Russen und Ukrainern auszuloten, ist richtig
Berlin. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte JÜRGEN ZURHEIDE:
Frage: Jetzt fangen wir mal an, was ist das für ein Signal: Das Assoziierungsabkommen ja, diese Woche, Freihandel aber erst später. Ist das ein richtiges Signal oder ist das ein Kotau vor Moskau?
LAMBSDORFF: Ich glaube, was man in der letzten Woche gesehen hat, ist, dass sich ja einige Regierungen sehr schwer getan haben damit, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, deswegen sind sie ja auch verspätet erst in Kraft getreten. Gleichzeitig ist das Freihandelsabkommen im Assoziierungsabkommen der für Moskau schwierigste Teil. Ich halte es deswegen für eigentlich ein vernünftiges Vorgehen von Karel De Gucht hier, mit beiden Konfliktparteien, also den Russen und den Ukrainern einen Kompromissweg hier auszuloten, auf dem dann alle gehen können und über den sichergestellt ist, dass man auch über die nächsten Monate im Gespräch bleibt. Das ist eine komplizierte Operation, die auch ohne Weiteres nicht so leicht verständlich ist, aber ich halte sie dennoch für richtig.
Frage: Jetzt könnte man natürlich fragen: Viele sehen das so wie Sie inzwischen, warum hat man das in Brüssel nicht eigentlich viel eher begriffen? Und wenn man das viel eher getan hätte, hätte man vielleicht ein Ganzteil der Zuspitzung nicht gehabt, die wir jetzt haben auch auf kriegerischer Ebene! Oder ist das zu weit hergeholt?
LAMBSDORFF: Na ja, es ist ja so, dass die Russen sich mit ihrer Kritik an dem Abkommen sehr, sehr spät gemeldet haben. Es ist ja eine Mähr erstens, dass man die Ukraine vor die Wahl gestellt hätte, Russland oder die EU, das stimmt nicht. Und das Zweite ist: Moskau hat behauptet, es wüsste gar nichts von den Verhandlungen, die zwischen Brüssel und Kiew geführt wurden. Auch das ist nachweislich falsch. Ich glaube, dass jetzt, leider, angesichts der schrecklichen Entwicklungen im Osten der Ukraine leider viel zu spät auch die Russen hingegangen sind und gesagt haben, wir führen einen Dialog, wir sagen genau, was unsere Schwierigkeiten sind, und dann können wir mit den Ukrainern und den Europäern einen gemeinsamen Weg finden auf diesem Feld. Das war eben vorher nicht so, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, die ja Janukowitsch wollte, die hat in Russland zu einer brachialen Reaktion geführt beim letzten Mal, und das war einfach eine Situation, die wir heute nicht mehr haben. Wir haben heute im Osten der Ukraine eine dramatisch eskalierte Situation, aber ich bin froh, dass es hier wieder Gespräche gegeben hat zwischen den drei Seiten.
Frage: Auf der anderen Seite kann man natürlich grundsätzlich fragen: Wo ist die Rolle der Ukraine? Ist nicht – und das sehen viele so – eigentlich die Rolle der Ukraine, der Mittler zwischen Ost und West zu sein? Das heißt, eine vollständige Integration – und geschweige denn NATO – kann eigentlich nie zur Debatte stehen. Wie sehen Sie das?
LAMBSDORFF: Die Ukraine ist zu schwach, um ein Mittler zwischen der Europäischen Union und Russland zu sein. Wenn man sich die Realitäten anschaut, dann muss man feststellen, dass die Ukraine in den letzten 20, 25 Jahren, im Grunde seit ihrer Unabhängigkeit, aus dem großen Potenzial, das dieses Land ja hat, nicht wirklich viel gemacht hat. Die Wirtschaft ist nicht sehr hoch entwickelt, obwohl die Menschen gut ausgebildet sind, das politische System ist von systemischer Korruption gekennzeichnet, das Land hat insgesamt es eben nicht geschafft – anders als zum Beispiel Polen, das ja vergleichbare Startvoraussetzungen hatte –, etwas aus sich zu machen. Und Russland lässt sich auch von der Ukraine ganz sicher nicht irgendwie vertreten oder über die Ukraine nach Westen hinweg seine Kontakte vermitteln. Insofern, da muss man realistisch sein. Was die Zukunft angeht, da bin ich bei Ihnen, ich glaube in der Tat, dass das Land zwischen Russland und der Europäischen Union, wenn beide Seiten das anerkennen – und das ist das Problem bei Russland –, wenn es von beiden Seiten anerkannt wird, eine Brückenfunktion haben kann, ja. Aber sicher keine Vermittlerrolle.
Frage: Jetzt haben Sie gerade in der Tat eines der Kernprobleme angesprochen, die Ukraine selbst ist innenpolitisch und von der inneren Verfasstheit eher schwach, Sie haben auch das Stichwort Korruption angesprochen. Darüber reden wir nach meiner Beobachtung im Moment viel zu wenig, welch weiten Weg dieses Land eigentlich noch vor sich hat!
LAMBSDORFF: Ja, wir dürfen ja eines nicht vergessen: Die Ukraine wollte ja 2008 ganz klar Richtung NATO marschieren, auch mithilfe der Amerikaner. Und damals hat Deutschland gesagt, Nein, wir dehnen die NATO nicht bis auf die Krim aus, sondern die Ukraine sollte sich für einen Weg entscheiden, der in der Tat zwischen Russland und dem Westen liegt. Die Amerikaner waren damals sehr verstimmt über diese deutsche Haltung, ich halte die aber nach wie vor für richtig. Und auf der anderen Seite sehen wir, dass das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, das die Ukraine abgeschlossen hat, eine Hilfe sein sollte auf dem Weg, das Land wirtschaftlich weiterzubringen. Das ist eben in den vergangenen 20 Jahren vor diesem Abkommen nicht gelungen, die Oligarchenherrschaft war so ausgeprägt, dass beispielsweise das Parlament auch im Grunde nichts anderes war als ein Spielball wirtschaftlicher Interessen, ein Spielball der Oligarchen. All das muss die Ukraine überwinden, das kann sie. Wenn man nach Kiew fährt, mit den Menschen dort spricht, das sind Europäerinnen und Europäer, das ist überhaupt kein Problem. Das Bildungsniveau ist hoch, die Ressourcen sind groß, die Landwirtschaft ist im Prinzip leistungsfähig, also, es gibt keinen Grund, warum das Land es nicht schaffen sollte.
Frage: Ist der Oligarch Poroschenko dann der Richtige, genau diesen Weg, diese innere Modernisierung hinzukriegen?
LAMBSDORFF: Herr Zurheide, das ist eine ein bisschen paradoxe Situation, aber die Antwort lautet: Ja. Denn Poroschenko ist nicht in die Politik gegangen, um reich zu werden, sondern…
Frage: Er war es schon, ja!
LAMBSDORFF: Genau! Ja, ich meine, das ist im ukrainischen politischen System so, dass die meisten in dieses System reingegangen sind, um dort über Korruption – das gilt übrigens auch für Frau Timoschenko…
Frage: Eben.
LAMBSDORFF: …, es gilt auch für Herrn Krawtschuk davor –, über dieses politische System, über die Kontrolle, über die Transittransporte von Gas und Öl reich zu werden. Das ist bei Poroschenko nicht nötig, deswegen haben ihm die Leute das Vertrauen geschenkt. Im Übrigen ganz ähnlich wie beim Bürgermeister von Kiew, Herrn Klitschko, der natürlich auch durch das Boxen vorher sehr wohlhabend geworden ist. Die Menschen haben dann einfach das Vertrauen, dass der eben, was Korruption angeht, weniger anfällig sein würde.