FDP|
27.05.2014 - 10:45LINDNER-Interview für „Welt“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Welt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JOCHEN GAUGELE:
Frage: Herr Lindner, wie viel Zeit geben Sie sich noch, um die FDP zu retten?
LINDNER: Nach der Bundestagswahl habe ich gesagt, wir brauchen vier Jahre. Die FDP hat während der letzten Regierungszeit ihre Glaubwürdigkeit als bürgerliche Reformpartei verloren. Wenn ich jetzt über unideologische Energiepolitik, individuell-flexiblen Renteneintritt oder Schuldenabbau spreche, nicken die Leute. Aber sie wählen noch nicht. Das kann man nicht in einigen wenigen Monaten reparieren. Wir brauchen Durchhaltevermögen und haben einen Fahrplan.
Frage: Die FDP ist bei der Europawahl von elf auf etwas mehr als drei Prozent abgestürzt. Ihr Stellvertreter Kubicki spricht von einem „hundsmiserablen Ergebnis“. Kann man es treffender ausdrücken?
LINDNER: Wir sind im politischen Abklingbecken auf dem Niveau des Jahres 1999. Damals waren wir aus der Regierung mit Helmut Kohl abgewählt worden. Das ist die Basis, von der aus wir aufbauen müssen. Das sind die Treuesten der Treuen, die auch jetzt zur liberalen Partei gestanden haben. Von den 1,1 Millionen Wählern, die wir verloren haben, sind 800 000 in das Lager der Nichtwähler gewechselt. Die müssen wir wieder zur Fahne rufen.
Frage: Die Ausgangslage war günstig, die große Koalition lieferte der FDP eine Vorlage nach der anderen – allen voran die Rente mit 63. Außerdem hofften die Liberalen auf den Lindner-Effekt...
LINDNER: Ist es ernsthaft Ihre Auffassung, dass man in sechs Monaten das während 48 Monaten beschädigte Vertrauen zurückgewinnen kann?
Frage: Der FDP dürfte es in drei Jahren nicht leichter fallen, eine Wahl zu gewinnen.
LINDNER: Das geht auch vorher. Also Profil schärfen, Vertrauen zurückgewinnen und mit Konzepten überzeugen.
Frage: Auf welchen Feldern?
LINDNER: Die FDP ist der klarste Kontrast zum Zeitgeist der Staatsgläubigkeit, Umverteilung und Bevormundung. Wenn die große Koalition bei den Bürgern abkassiert, dann wird die FDP dazu nicht schweigen. Wenn Zukunftsaufgaben verschleppt werden, schalten wir uns ein. Ein wichtiger neuer Aspekt, den wir uns erarbeiten müssen, ist ein Bildungskonzept, das Gerechtigkeit nicht dadurch erreicht, dass auf Qualitätsansprüche verzichtet wird.
Frage: Bedeutet konkret?
LINDNER: Ich sehe einen Trend zu Einheitsbildung und zu weniger Leistungsfreude. Die Durchlässigkeit der Gesellschaft entscheidet sich an der Durchlässigkeit des Bildungssystems. Aber der Wohlstand unserer Gesellschaft entscheidet sich an der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems. Auch in dieser Frage muss die FDP den Kontrapunkt zu den Zeitgeistparteien bilden. Mit Gleichmacherei und Nivellierung nimmt man jungen Menschen die natürliche Freude an der eigenen Leistung.
Frage: Die euroskeptische AfD hat aus dem Stand sieben Prozent geholt und wähnt sich auf dem Weg zur Volkspartei. Wächst da der nächste Koalitionspartner der Union heran?
LINDNER: Im Augenblick scheint die AfD eher der Angstgegner der Union zu sein. Man muss ja nur die CSU befragen, die sich aus Opportunismus hinter der AfD hergestürzt – und dadurch verloren hat. Die FDP hat ein realistisches Bild von Europa. Wir wollen es besser machen, aber die Idee der Einigung Europas dabei nicht preisgeben. Ich bin froh, dass wir diese Haltung im Wahlkampf klargemacht haben. Wir haben zwar diese Wahl krachend verloren, aber nicht unsere Selbstachtung.
Frage: Sind AfD-Wähler potenzielle FDP-Wähler?
LINDNER: Einige gibt es, aber unsere Hauptwettbewerber sind die Parteien der großen Koalition. Die Liberalen in der AfD sind dort inzwischen auch nur noch Spurenelemente. Es gibt ein breites Milieu in Deutschland, das liberal denkt und das von Wahl zu Wahl neu angesprochen werden muss. Ich will, dass die FDP wieder die respektierte Heimat der Selberdenker und Selbermacher wird.
Frage: Gibt es etwas, das die FDP von der AfD lernen könnte?
LINDNER: Der Charakter der AfD ist ein völlig anderer. Wir sind als Liberale frei von Ressentiments. Und wir sind eine Gestaltungspartei, die nicht nur Protest zu Protokoll geben will.
Frage: Erwarten Sie die Wende bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg?
LINDNER: Die nächste Wahl ist immer die wichtigste. Das ist Sachsen. Gerade in den neuen Ländern geht es darum, dass man für wirtschaftliche Dynamik und Innovationskraft wirbt. Es darf nicht zu einer Abkoppelung von den alten Ländern kommen.
Frage: Was sind Ihre Ziele?
LINDNER: In Sachsen hat die FDP bei der Kommunalwahl 5,2 Prozent erhalten. Dort wollen wir natürlich unsere Regierungsbeteiligung verteidigen. Die Regierung in Brandenburg, die den Flughafen BER mit verbockt hat, und die Regierung in Thüringen, die sich eine Affäre nach der anderen leistet, brauchen ein starkes Gegengewicht in der Opposition.
Frage: Herr Lindner, Sie sind vor einigen Jahren zusammen mit Philipp Rösler und Daniel Bahr angetreten, um die FDP zu erneuern. Rösler arbeitet inzwischen für das Weltwirtschaftsforum in Genf, Bahr berät den amerikanischen Präsidenten bei der Gesundheitsreform. Gibt es Augenblicke, in denen Sie die beiden beneiden?
LINDNER: Nie, ganz im Gegenteil. Ich bin gerne Parteivorsitzender. Ich empfinde mein Amt auch nicht als zu anstrengend oder zu schwierig. Ich habe jeden Tag Freude an der sehr sportiven Aufgabe, die FDP aus der Defensive herauszuführen und neu aufzubauen. Es gibt auch genug Platz für eine Partei, die den Bürgern etwas zutraut und ihnen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger entgegenkommt.
LINDNER-Interview für „Welt“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Welt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JOCHEN GAUGELE:
Frage: Herr Lindner, wie viel Zeit geben Sie sich noch, um die FDP zu retten?
LINDNER: Nach der Bundestagswahl habe ich gesagt, wir brauchen vier Jahre. Die FDP hat während der letzten Regierungszeit ihre Glaubwürdigkeit als bürgerliche Reformpartei verloren. Wenn ich jetzt über unideologische Energiepolitik, individuell-flexiblen Renteneintritt oder Schuldenabbau spreche, nicken die Leute. Aber sie wählen noch nicht. Das kann man nicht in einigen wenigen Monaten reparieren. Wir brauchen Durchhaltevermögen und haben einen Fahrplan.
Frage: Die FDP ist bei der Europawahl von elf auf etwas mehr als drei Prozent abgestürzt. Ihr Stellvertreter Kubicki spricht von einem „hundsmiserablen Ergebnis“. Kann man es treffender ausdrücken?
LINDNER: Wir sind im politischen Abklingbecken auf dem Niveau des Jahres 1999. Damals waren wir aus der Regierung mit Helmut Kohl abgewählt worden. Das ist die Basis, von der aus wir aufbauen müssen. Das sind die Treuesten der Treuen, die auch jetzt zur liberalen Partei gestanden haben. Von den 1,1 Millionen Wählern, die wir verloren haben, sind 800 000 in das Lager der Nichtwähler gewechselt. Die müssen wir wieder zur Fahne rufen.
Frage: Die Ausgangslage war günstig, die große Koalition lieferte der FDP eine Vorlage nach der anderen – allen voran die Rente mit 63. Außerdem hofften die Liberalen auf den Lindner-Effekt...
LINDNER: Ist es ernsthaft Ihre Auffassung, dass man in sechs Monaten das während 48 Monaten beschädigte Vertrauen zurückgewinnen kann?
Frage: Der FDP dürfte es in drei Jahren nicht leichter fallen, eine Wahl zu gewinnen.
LINDNER: Das geht auch vorher. Also Profil schärfen, Vertrauen zurückgewinnen und mit Konzepten überzeugen.
Frage: Auf welchen Feldern?
LINDNER: Die FDP ist der klarste Kontrast zum Zeitgeist der Staatsgläubigkeit, Umverteilung und Bevormundung. Wenn die große Koalition bei den Bürgern abkassiert, dann wird die FDP dazu nicht schweigen. Wenn Zukunftsaufgaben verschleppt werden, schalten wir uns ein. Ein wichtiger neuer Aspekt, den wir uns erarbeiten müssen, ist ein Bildungskonzept, das Gerechtigkeit nicht dadurch erreicht, dass auf Qualitätsansprüche verzichtet wird.
Frage: Bedeutet konkret?
LINDNER: Ich sehe einen Trend zu Einheitsbildung und zu weniger Leistungsfreude. Die Durchlässigkeit der Gesellschaft entscheidet sich an der Durchlässigkeit des Bildungssystems. Aber der Wohlstand unserer Gesellschaft entscheidet sich an der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems. Auch in dieser Frage muss die FDP den Kontrapunkt zu den Zeitgeistparteien bilden. Mit Gleichmacherei und Nivellierung nimmt man jungen Menschen die natürliche Freude an der eigenen Leistung.
Frage: Die euroskeptische AfD hat aus dem Stand sieben Prozent geholt und wähnt sich auf dem Weg zur Volkspartei. Wächst da der nächste Koalitionspartner der Union heran?
LINDNER: Im Augenblick scheint die AfD eher der Angstgegner der Union zu sein. Man muss ja nur die CSU befragen, die sich aus Opportunismus hinter der AfD hergestürzt – und dadurch verloren hat. Die FDP hat ein realistisches Bild von Europa. Wir wollen es besser machen, aber die Idee der Einigung Europas dabei nicht preisgeben. Ich bin froh, dass wir diese Haltung im Wahlkampf klargemacht haben. Wir haben zwar diese Wahl krachend verloren, aber nicht unsere Selbstachtung.
Frage: Sind AfD-Wähler potenzielle FDP-Wähler?
LINDNER: Einige gibt es, aber unsere Hauptwettbewerber sind die Parteien der großen Koalition. Die Liberalen in der AfD sind dort inzwischen auch nur noch Spurenelemente. Es gibt ein breites Milieu in Deutschland, das liberal denkt und das von Wahl zu Wahl neu angesprochen werden muss. Ich will, dass die FDP wieder die respektierte Heimat der Selberdenker und Selbermacher wird.
Frage: Gibt es etwas, das die FDP von der AfD lernen könnte?
LINDNER: Der Charakter der AfD ist ein völlig anderer. Wir sind als Liberale frei von Ressentiments. Und wir sind eine Gestaltungspartei, die nicht nur Protest zu Protokoll geben will.
Frage: Erwarten Sie die Wende bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg?
LINDNER: Die nächste Wahl ist immer die wichtigste. Das ist Sachsen. Gerade in den neuen Ländern geht es darum, dass man für wirtschaftliche Dynamik und Innovationskraft wirbt. Es darf nicht zu einer Abkoppelung von den alten Ländern kommen.
Frage: Was sind Ihre Ziele?
LINDNER: In Sachsen hat die FDP bei der Kommunalwahl 5,2 Prozent erhalten. Dort wollen wir natürlich unsere Regierungsbeteiligung verteidigen. Die Regierung in Brandenburg, die den Flughafen BER mit verbockt hat, und die Regierung in Thüringen, die sich eine Affäre nach der anderen leistet, brauchen ein starkes Gegengewicht in der Opposition.
Frage: Herr Lindner, Sie sind vor einigen Jahren zusammen mit Philipp Rösler und Daniel Bahr angetreten, um die FDP zu erneuern. Rösler arbeitet inzwischen für das Weltwirtschaftsforum in Genf, Bahr berät den amerikanischen Präsidenten bei der Gesundheitsreform. Gibt es Augenblicke, in denen Sie die beiden beneiden?
LINDNER: Nie, ganz im Gegenteil. Ich bin gerne Parteivorsitzender. Ich empfinde mein Amt auch nicht als zu anstrengend oder zu schwierig. Ich habe jeden Tag Freude an der sehr sportiven Aufgabe, die FDP aus der Defensive herauszuführen und neu aufzubauen. Es gibt auch genug Platz für eine Partei, die den Bürgern etwas zutraut und ihnen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger entgegenkommt.