FDP|
07.05.2014 - 08:15LINDNER-Interview für das „Handelsblatt“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Handelsblatt“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Für Abweichungen der Druckfassung ist die Redaktion verantwortlich. Die Fragen stellte TILL HOPPE:
Frage: Herr Lindner, Sie bezeichnen die Erneuerung der FDP als Marathonlauf. Haben Sie sich die ersten Kilometer so mühsam vorgestellt?
LINDNER: Wir haben uns keine Illusionen gemacht. Ich bin eher positiv überrascht, wie viel Aufmerksamkeit die FDP weiter hat. Nur einen Bruchteil der Einladungen können Wolfgang Kubicki, die Präsidiumskollegen und ich annehmen. Viele stellen jetzt fest, dass ohne die FDP eine Lücke in der öffentlichen Debatte klafft. Wer sich von den Bundestagsparteien nicht vertreten fühlt, kann wieder FDP wählen. Wir schärfen unser Profil als Partei für Marktwirtschaft und Bürgerrechte, um wieder mehr Menschen zu überzeugen.
Frage: Bislang gelingt Ihnen das ausweislich der Umfragen nicht so recht.
LINDNER: Nach vier enttäuschenden Jahren braucht auch der Wiederaufbau Zeit. Die FDP steht aber bei vielen Interessierten unter Beobachtung. Die schauen jetzt genau, wie sich die Partei entwickelt. Denen wollen wir ein seriöses und substanzvolles Angebot machen. Lassen Sie uns also über Inhalte sprechen!
Frage: Wie stark waren die Fliehkräfte in der Partei nach der Wahlpleite?
LINDNER: Beim Bundesparteitag im Dezember haben wir eine Richtungsentscheidung getroffen: Die FDP will eine konsequent liberale Partei sein, die weder dem Zeitgeist nachläuft noch sich in Populismus flüchtet. Wir stehen für eine Marktwirtschaft und solide Finanzen, verbunden mit gesellschaftlicher Liberalität und Weltoffenheit. Damit sprechen wir Menschen an, die sich etwas aufbauen wollen, die den Staat als Partner sehen und nicht als Vormund. Diese Menschen suchen eine Partei, die ihnen die Steine aus dem Weg räumt, gegen die sie bei der Verwirklichung ihrer Lebensziele stoßen. Was sie nicht suchen, ist eine Partei zur Wutabfuhr.
Frage: Ein Seitenhieb auf die AfD?
LINDNER: Ich denke gleichermaßen an die Linken wie an die AfD. Beide treten nicht an, um zu gestalten, sondern um in den Parlamenten ihren Protest zu Protokoll zu geben.
Frage: Warum plätschert der Europa-Wahlkampf so träge dahin, obwohl die EU durchaus polarisiert?
LINDNER: Die außenpolitischen Fragen dieser Tage überlagern in der Öffentlichkeit die wichtigen Entscheidungen, um die es bei der Europawahl geht. Die Parteien der Großen Koalition machen setzen wieder auf Gefälligkeitspolitik statt auf Stabilität. Es ist kein Zufall, dass die Spitzenkandidaten von Konservativen und Sozialdemokraten eine Vergemeinschaftung von Schulden ins Spiel bringen. Das sanfte Verständnis der Bundesregierung für das unsolide Wirtschaften in Frankreich wird uns alle teuer zu stehen kommen. Wir wollen Europa auf dem Kurs solider Finanzen durch strikte Reformen halten.
Frage: Sind die Parteien selbst schuld am schlechten Ruf der EU?
LINDNER: Die FDP ist eine Europa-Partei. Wer nur die Defizite betont, verliert den Blick für das Wesentliche: Sicherheit, Binnenmarkt, gemeinsame Gestaltung globaler Fragen. Bei der Bürokratie gab es Übertreibungen, die man jetzt korrigieren muss. Da setze ich auf mehr Subsidiarität. Gerade in Zeiten der Ukraine-Krise können wir aber froh sein, dass wir Europa während der Euro-Schuldenkrise zusammengehalten haben. Europa ist der Garant für unsere kollektive Sicherheit.
Frage: Können Sie die Sympathie in Deutschland für Russlands Präsidenten Putin nachvollziehen?
LINDNER: Es ist gut, dass Deutschland fest in den Westen eingebunden ist. Die Idee einer Äquidistanz zu Russland und den USA, wie sie Linke und AfD propagieren, lehne ich ausdrücklich ab. Damit würden wir uns Russland ausliefern, wie sich Gerhard Schröder persönlich Wladimir Putin ausgeliefert hat. Wir gehören an die Seite derer, die sich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat engagieren.
Frage: Wie sollte der Westen reagieren?
LINDNER: Der Westen sollte sich an der liberalen Entspannungspolitik orientieren. Sicherheit kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben. Es müssen Wege zu neuer Kooperation besprochen werden. Die amerikanischen Drohungen, Russland zu isolieren, reduzieren die Gesprächsmöglichkeiten. Das kritisiert sogar Henry Kissinger. Allerdings muss Wladimir Putin verstehen, dass man nicht hinnehmen kann, wenn er ein Recht des Stärkeren und geopolitische Einflussbereiche durchsetzen will. Das ist ein historischer Rückschritt.
Frage: Sollte Moskau härter sanktioniert werden?
LINDNER: Über Sanktionen sollte nicht öffentlich gequasselt werden, solange sie nicht beschlossen sind. Das dokumentiert nur Unsicherheit. Wir brauchen gleichermaßen mehr Dialog und mehr Entschlossenheit im Verhältnis zu Russland.
Frage: Welche Perspektive bleibt der Ukraine Ihrer Meinung nach?
LINDNER: Der Schlüssel liegt darin, dass der Westen und Russland das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine respektieren. Es ist nicht an Herrn Putin, die Föderalisierung der Ukraine durchzusetzen. Es ist aber auch nicht an den USA, der Ukraine föderale Strukturen zu untersagen. Das Land darf nicht zum Schauplatz von Stellvertreterkriegen werden.
Frage: Sie wollen der EU auch in der Energiepolitik eine stärkere Rolle geben. Was kann Europa dort leisten?
LINDNER: Deutschland muss aus seiner kollektiven Selbsthypnose in der Energiepolitik aufwachen. Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit sind genauso wichtig wie der Klimaschutz, dem aus ideologischen Gründen Vorrang eingeräumt wird. Die Schmalspurreform des EEG von Sigmar Gabriel wird den rapiden Kostenanstieg nicht stoppen. Wir brauchen daher einen Energie-Binnenmarkt. Mehr europäischer Wettbewerb macht unsere Energieversorgung sicher und bezahlbar.
Frage: Wie soll das funktionieren?
LINDNER: Warum kann ich in Europa ein Buch aus Luxemburg bestellen, aber nicht den günstigen Energieanbieter aussuchen? Dadurch hätten die Bürger schon 2012 rund 13 Milliarden Euro sparen können, denn Wettbewerb belebt das Geschäft.
Frage: Unterlaufen Sie damit nicht die Energiewende, wenn die Deutschen französischen Atomstrom kaufen können?
LINDNER: Warum vertrauen wir nicht den Verbrauchern? Es geht um den günstigsten Anbieter, unsere Strompreise sind die höchsten in der gesamten EU. Der Strom in Polen ist ein Drittel günstiger, aber auch ohne Kernenergie gewonnen.
Frage: Der Parteivorstand hat kürzlich ein vergleichsweise radikales Konzept zur Energiewende erarbeitet. Nur: Es hat kaum jemand gemerkt.
LINDNER: Ja, wir wollen als einzige politische Kraft in Deutschland mehr Markt, das aberwitzige Tempo der Energiewende reduzieren und die europaweite Perspektive eröffnen. Das EEG mit seinen aberwitzigen Subventionen sollte abgeschafft werden - sofort! Klimaschutz ist eines von drei gleichberechtigten Zielen. Es ist zu Beginn einer Legislaturperiode immer und für alle Oppositionsparteien schwierig, gegen die breite Berichterstattung über die Regierung eigene Konzepte sichtbar zu machen. Da braucht man Nerven. Das wird sich mit der Zeit aber ändern.
Frage: Klaut Ihnen Finanzminister Schäuble bei Steuersenkungen das Thema, wenn er die kalte Progression beseitigen will?
LINDNER: Daran glaube ich erst, wenn das im Bundesgesetzblatt steht. Der CDU-Generalsekretär sagt nämlich, man könnte erst über die kalte Progression reden, wenn Geld dafür da wäre. Es ist doch skandalös, dass Union und SPD auf eine stille Enteignung der Bürger setzen, indem sie durch Unterlassen deutliche Steuererhöhungen verursachen. Wir werden bis 2017 wieder bei der Besteuerung auf dem Niveau des Jahres 2000 sein. Besonders die mittleren Einkommen werden überdurchschnittlich belastet. Dabei wäre Steuergerechtigkeit jetzt möglich, wenn die Große Koalition auf ihre teuren Wahlgeschenke verzichten würde.
Frage: Was schlagen Sie vor?
LINDNER: Wir sollten den Tarif auf Rollen stellen, um sie automatisch an die Preissteigerung anzupassen. Dann müsste sich die Politik rechtfertigen, wenn sie Steuererhöhungen will. Allein durch Unterlassen die Bürger zu belasten, ist illegitim und vordemokratisch.
Frage: Werden Sie das Thema Steuersenkungen wieder in den Mittelpunkt von Wahlkämpfen stellen?
LINDNER: Die FDP wird nicht den Fehler machen, sich auf ein Thema zu verengen. Aber natürlich gehören Steuergerechtigkeit und die Solidität der öffentlichen Finanzen weiter zu unseren Kernkompetenzen. Bei aller gebotenen Bescheidenheit, aber die FDP ist in ihrer Regierungszeit sorgfältiger mit dem Geld der Bürger umgegangen als jetzt die Große Koalition.
Frage: Die FDP will Bürgerrechtspartei sein. Dort punkten gerade dank NSA-Untersuchungsausschuss vor allem die Grünen.
LINDNER: Bei der größten Herausforderung, nämlich eine Marktordnung für den Datenkapitalismus zu beschreiben, die unsere Privatsphäre schützt, sind die Grünen sprachlos. Frau Göring-Eckhard hat in einem Artikel das Problem sogar regelrecht abgestritten.
Frage: Wie wollen Sie Datensammlern wie Google Grenzen setzen?
LINDNER: Wir müssen verhindern, dass jemand gegen seinen Willen zum gläsernen Bürger wird. Dafür brauchen wir in Europa ein einheitliches Datenschutzrecht, das bei Verstößen empfindliche Strafen für die kommerziellen Datensammler vorsieht. Das verhindert die Große Koalition. Außerdem halte ich etwa Google für einen Fall, der eine strenge Beobachtung durch das Bundeskartellamt rechtfertigt.
Frage: Ist der Konzern zu mächtig?
LINDNER: Wenn der Chef eines großen Verlages wie Axel Springer von seiner Angst spricht, dass sein Unternehmen in Abhängigkeit von Google gerät, dann sollte man sich darüber Gedanken machen, wie das mit einer fairen Marktordnung vereinbar ist. Eine Entflechtung des Geschäftsmodells, eine Regulierung oder eine Beaufsichtigung – all das muss man sich vorbehalten. In der Wirtschaftsordnung von Ludwig Erhard darf kein Unternehmen so mächtig werden, dass andere alleine wegen seiner Machtstellung Angst vor ihm haben.
Frage: Nach der Europawahl stehen noch drei Landtagswahlen an. Wie groß wird die Unruhe in der Partei, wenn diese Wahlen schiefgehen?
LINDNER: Ich bin optimistisch. Viele der 2,2 Millionen Wähler, die wir bei der Bundestagswahl an die CDU verloren haben, reiben sich jetzt die Augen, wie die Union den Stabilitätskurs verlässt und Wahlgeschenke verteilt. Das ist unsere Chance.
Frage: Bekommen Sie die Zeit bis 2017, wenn die Wahlerfolge ausbleiben?
LINDNER: Jedem in der FDP ist klar, dass wir nicht binnen weniger Monate bei den Bürgern das reparieren können, was in den vier Jahren zuvor beschädigt worden ist.
Frage: Wie groß wird dann die Verlockung des Populismus?
LINDNER: Nur die seriöse Strategie wird erfolgreich sein. Die FDP wird nur dann überflüssig, wenn sie ihre Substanz dem Effekt opfert. Das wird es mit mir nicht geben.
LINDNER-Interview für das „Handelsblatt“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Handelsblatt“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Für Abweichungen der Druckfassung ist die Redaktion verantwortlich. Die Fragen stellte TILL HOPPE:
Frage: Herr Lindner, Sie bezeichnen die Erneuerung der FDP als Marathonlauf. Haben Sie sich die ersten Kilometer so mühsam vorgestellt?
LINDNER: Wir haben uns keine Illusionen gemacht. Ich bin eher positiv überrascht, wie viel Aufmerksamkeit die FDP weiter hat. Nur einen Bruchteil der Einladungen können Wolfgang Kubicki, die Präsidiumskollegen und ich annehmen. Viele stellen jetzt fest, dass ohne die FDP eine Lücke in der öffentlichen Debatte klafft. Wer sich von den Bundestagsparteien nicht vertreten fühlt, kann wieder FDP wählen. Wir schärfen unser Profil als Partei für Marktwirtschaft und Bürgerrechte, um wieder mehr Menschen zu überzeugen.
Frage: Bislang gelingt Ihnen das ausweislich der Umfragen nicht so recht.
LINDNER: Nach vier enttäuschenden Jahren braucht auch der Wiederaufbau Zeit. Die FDP steht aber bei vielen Interessierten unter Beobachtung. Die schauen jetzt genau, wie sich die Partei entwickelt. Denen wollen wir ein seriöses und substanzvolles Angebot machen. Lassen Sie uns also über Inhalte sprechen!
Frage: Wie stark waren die Fliehkräfte in der Partei nach der Wahlpleite?
LINDNER: Beim Bundesparteitag im Dezember haben wir eine Richtungsentscheidung getroffen: Die FDP will eine konsequent liberale Partei sein, die weder dem Zeitgeist nachläuft noch sich in Populismus flüchtet. Wir stehen für eine Marktwirtschaft und solide Finanzen, verbunden mit gesellschaftlicher Liberalität und Weltoffenheit. Damit sprechen wir Menschen an, die sich etwas aufbauen wollen, die den Staat als Partner sehen und nicht als Vormund. Diese Menschen suchen eine Partei, die ihnen die Steine aus dem Weg räumt, gegen die sie bei der Verwirklichung ihrer Lebensziele stoßen. Was sie nicht suchen, ist eine Partei zur Wutabfuhr.
Frage: Ein Seitenhieb auf die AfD?
LINDNER: Ich denke gleichermaßen an die Linken wie an die AfD. Beide treten nicht an, um zu gestalten, sondern um in den Parlamenten ihren Protest zu Protokoll zu geben.
Frage: Warum plätschert der Europa-Wahlkampf so träge dahin, obwohl die EU durchaus polarisiert?
LINDNER: Die außenpolitischen Fragen dieser Tage überlagern in der Öffentlichkeit die wichtigen Entscheidungen, um die es bei der Europawahl geht. Die Parteien der Großen Koalition machen setzen wieder auf Gefälligkeitspolitik statt auf Stabilität. Es ist kein Zufall, dass die Spitzenkandidaten von Konservativen und Sozialdemokraten eine Vergemeinschaftung von Schulden ins Spiel bringen. Das sanfte Verständnis der Bundesregierung für das unsolide Wirtschaften in Frankreich wird uns alle teuer zu stehen kommen. Wir wollen Europa auf dem Kurs solider Finanzen durch strikte Reformen halten.
Frage: Sind die Parteien selbst schuld am schlechten Ruf der EU?
LINDNER: Die FDP ist eine Europa-Partei. Wer nur die Defizite betont, verliert den Blick für das Wesentliche: Sicherheit, Binnenmarkt, gemeinsame Gestaltung globaler Fragen. Bei der Bürokratie gab es Übertreibungen, die man jetzt korrigieren muss. Da setze ich auf mehr Subsidiarität. Gerade in Zeiten der Ukraine-Krise können wir aber froh sein, dass wir Europa während der Euro-Schuldenkrise zusammengehalten haben. Europa ist der Garant für unsere kollektive Sicherheit.
Frage: Können Sie die Sympathie in Deutschland für Russlands Präsidenten Putin nachvollziehen?
LINDNER: Es ist gut, dass Deutschland fest in den Westen eingebunden ist. Die Idee einer Äquidistanz zu Russland und den USA, wie sie Linke und AfD propagieren, lehne ich ausdrücklich ab. Damit würden wir uns Russland ausliefern, wie sich Gerhard Schröder persönlich Wladimir Putin ausgeliefert hat. Wir gehören an die Seite derer, die sich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat engagieren.
Frage: Wie sollte der Westen reagieren?
LINDNER: Der Westen sollte sich an der liberalen Entspannungspolitik orientieren. Sicherheit kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben. Es müssen Wege zu neuer Kooperation besprochen werden. Die amerikanischen Drohungen, Russland zu isolieren, reduzieren die Gesprächsmöglichkeiten. Das kritisiert sogar Henry Kissinger. Allerdings muss Wladimir Putin verstehen, dass man nicht hinnehmen kann, wenn er ein Recht des Stärkeren und geopolitische Einflussbereiche durchsetzen will. Das ist ein historischer Rückschritt.
Frage: Sollte Moskau härter sanktioniert werden?
LINDNER: Über Sanktionen sollte nicht öffentlich gequasselt werden, solange sie nicht beschlossen sind. Das dokumentiert nur Unsicherheit. Wir brauchen gleichermaßen mehr Dialog und mehr Entschlossenheit im Verhältnis zu Russland.
Frage: Welche Perspektive bleibt der Ukraine Ihrer Meinung nach?
LINDNER: Der Schlüssel liegt darin, dass der Westen und Russland das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine respektieren. Es ist nicht an Herrn Putin, die Föderalisierung der Ukraine durchzusetzen. Es ist aber auch nicht an den USA, der Ukraine föderale Strukturen zu untersagen. Das Land darf nicht zum Schauplatz von Stellvertreterkriegen werden.
Frage: Sie wollen der EU auch in der Energiepolitik eine stärkere Rolle geben. Was kann Europa dort leisten?
LINDNER: Deutschland muss aus seiner kollektiven Selbsthypnose in der Energiepolitik aufwachen. Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit sind genauso wichtig wie der Klimaschutz, dem aus ideologischen Gründen Vorrang eingeräumt wird. Die Schmalspurreform des EEG von Sigmar Gabriel wird den rapiden Kostenanstieg nicht stoppen. Wir brauchen daher einen Energie-Binnenmarkt. Mehr europäischer Wettbewerb macht unsere Energieversorgung sicher und bezahlbar.
Frage: Wie soll das funktionieren?
LINDNER: Warum kann ich in Europa ein Buch aus Luxemburg bestellen, aber nicht den günstigen Energieanbieter aussuchen? Dadurch hätten die Bürger schon 2012 rund 13 Milliarden Euro sparen können, denn Wettbewerb belebt das Geschäft.
Frage: Unterlaufen Sie damit nicht die Energiewende, wenn die Deutschen französischen Atomstrom kaufen können?
LINDNER: Warum vertrauen wir nicht den Verbrauchern? Es geht um den günstigsten Anbieter, unsere Strompreise sind die höchsten in der gesamten EU. Der Strom in Polen ist ein Drittel günstiger, aber auch ohne Kernenergie gewonnen.
Frage: Der Parteivorstand hat kürzlich ein vergleichsweise radikales Konzept zur Energiewende erarbeitet. Nur: Es hat kaum jemand gemerkt.
LINDNER: Ja, wir wollen als einzige politische Kraft in Deutschland mehr Markt, das aberwitzige Tempo der Energiewende reduzieren und die europaweite Perspektive eröffnen. Das EEG mit seinen aberwitzigen Subventionen sollte abgeschafft werden - sofort! Klimaschutz ist eines von drei gleichberechtigten Zielen. Es ist zu Beginn einer Legislaturperiode immer und für alle Oppositionsparteien schwierig, gegen die breite Berichterstattung über die Regierung eigene Konzepte sichtbar zu machen. Da braucht man Nerven. Das wird sich mit der Zeit aber ändern.
Frage: Klaut Ihnen Finanzminister Schäuble bei Steuersenkungen das Thema, wenn er die kalte Progression beseitigen will?
LINDNER: Daran glaube ich erst, wenn das im Bundesgesetzblatt steht. Der CDU-Generalsekretär sagt nämlich, man könnte erst über die kalte Progression reden, wenn Geld dafür da wäre. Es ist doch skandalös, dass Union und SPD auf eine stille Enteignung der Bürger setzen, indem sie durch Unterlassen deutliche Steuererhöhungen verursachen. Wir werden bis 2017 wieder bei der Besteuerung auf dem Niveau des Jahres 2000 sein. Besonders die mittleren Einkommen werden überdurchschnittlich belastet. Dabei wäre Steuergerechtigkeit jetzt möglich, wenn die Große Koalition auf ihre teuren Wahlgeschenke verzichten würde.
Frage: Was schlagen Sie vor?
LINDNER: Wir sollten den Tarif auf Rollen stellen, um sie automatisch an die Preissteigerung anzupassen. Dann müsste sich die Politik rechtfertigen, wenn sie Steuererhöhungen will. Allein durch Unterlassen die Bürger zu belasten, ist illegitim und vordemokratisch.
Frage: Werden Sie das Thema Steuersenkungen wieder in den Mittelpunkt von Wahlkämpfen stellen?
LINDNER: Die FDP wird nicht den Fehler machen, sich auf ein Thema zu verengen. Aber natürlich gehören Steuergerechtigkeit und die Solidität der öffentlichen Finanzen weiter zu unseren Kernkompetenzen. Bei aller gebotenen Bescheidenheit, aber die FDP ist in ihrer Regierungszeit sorgfältiger mit dem Geld der Bürger umgegangen als jetzt die Große Koalition.
Frage: Die FDP will Bürgerrechtspartei sein. Dort punkten gerade dank NSA-Untersuchungsausschuss vor allem die Grünen.
LINDNER: Bei der größten Herausforderung, nämlich eine Marktordnung für den Datenkapitalismus zu beschreiben, die unsere Privatsphäre schützt, sind die Grünen sprachlos. Frau Göring-Eckhard hat in einem Artikel das Problem sogar regelrecht abgestritten.
Frage: Wie wollen Sie Datensammlern wie Google Grenzen setzen?
LINDNER: Wir müssen verhindern, dass jemand gegen seinen Willen zum gläsernen Bürger wird. Dafür brauchen wir in Europa ein einheitliches Datenschutzrecht, das bei Verstößen empfindliche Strafen für die kommerziellen Datensammler vorsieht. Das verhindert die Große Koalition. Außerdem halte ich etwa Google für einen Fall, der eine strenge Beobachtung durch das Bundeskartellamt rechtfertigt.
Frage: Ist der Konzern zu mächtig?
LINDNER: Wenn der Chef eines großen Verlages wie Axel Springer von seiner Angst spricht, dass sein Unternehmen in Abhängigkeit von Google gerät, dann sollte man sich darüber Gedanken machen, wie das mit einer fairen Marktordnung vereinbar ist. Eine Entflechtung des Geschäftsmodells, eine Regulierung oder eine Beaufsichtigung – all das muss man sich vorbehalten. In der Wirtschaftsordnung von Ludwig Erhard darf kein Unternehmen so mächtig werden, dass andere alleine wegen seiner Machtstellung Angst vor ihm haben.
Frage: Nach der Europawahl stehen noch drei Landtagswahlen an. Wie groß wird die Unruhe in der Partei, wenn diese Wahlen schiefgehen?
LINDNER: Ich bin optimistisch. Viele der 2,2 Millionen Wähler, die wir bei der Bundestagswahl an die CDU verloren haben, reiben sich jetzt die Augen, wie die Union den Stabilitätskurs verlässt und Wahlgeschenke verteilt. Das ist unsere Chance.
Frage: Bekommen Sie die Zeit bis 2017, wenn die Wahlerfolge ausbleiben?
LINDNER: Jedem in der FDP ist klar, dass wir nicht binnen weniger Monate bei den Bürgern das reparieren können, was in den vier Jahren zuvor beschädigt worden ist.
Frage: Wie groß wird dann die Verlockung des Populismus?
LINDNER: Nur die seriöse Strategie wird erfolgreich sein. Die FDP wird nur dann überflüssig, wenn sie ihre Substanz dem Effekt opfert. Das wird es mit mir nicht geben.