FDP|
12.04.2014 - 12:00LINDNER/GÖRING-ECKARDT-Streitgespräch für die „Frankfurter Rundschau“ und die „Berliner Zeitung“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen KATRIN GÖRING-ECKARDT im Streitgespräch für die „Frankfurter Rundschau“ und die „Berliner Zeitung“ (Samstag-Ausgabe). Die Fragen stellten Thomas Kröter und Thorsten Knuf:
Frage: Zu Beginn eine kleine Quizfrage: Ein Kommunalpolitiker fordert, den Zapfenstreich für Biergärten um 22 Uhr aufzuheben. Ein anderer will Spontanpartys auf einer beliebten Wiese seiner Heimatstadt verbieten. Welchen Parteien gehören die beiden an?
Göring-Eckardt: Der erste ist ein Grüner aus Bayern.
Frage: Nein.
Göring-Eckardt: Aus Baden-Württemberg?
Frage: Auch nicht.
Göring-Eckardt: Dann aus dem Osten.
Frage: Fast. Es ist der grüne Bezirksstadtrat aus Berlin-Kreuzberg.
Lindner: Ich hab’s jetzt nicht mehr so schwer. Der zweite ist vermutlich FDP-Mitglied.
Frage: Richtig. Es ist der Fraktionschef in Halle/Saale.
Lindner: Das ist nicht überraschend, dem geht es offenbar um die Lärmbelastung der Anwohner. Freiheit darf man nicht auf Kosten anderer ausleben. Ich finde aber gut, dass es Grüne wie der Kreuzberger Stadtrat gibt, die auch mal ohne erhobenen Zeigefinger leben.
Göring-Eckardt: Als Bundestags-Vizepräsidentin hab ich mich immer für die Freigabe der großen Wiese vor dem Reichstag eingesetzt. Einer meiner wichtigsten Kontrahenten damals war Hermann-Otto Solms von der FDP.
Frage: Frau Göring-Eckardt, können Sie sich erinnern, wann sie zu ersten Mal das Wort „liberal“ gehört haben?
Göring-Eckardt: Ich habe keine genaue Erinnerung. Aber schon als Jugendliche in der DDR waren für mich die Freiheit zur eigenen Meinung, zur eigenen Entscheidung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden sehr wichtig. Liberales Gedankengut war attraktiv, hatte aber nichts mit einer Partei zu tun.
Frage: Hat Sie Hans-Dietrich Genscher nicht begeistert, wie er 1989 auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag stand und die DDR-Flüchtlinge rausgeholt hat?
Göring-Eckardt: Nein, nie. Die Revolution in der DDR hat nicht Genscher gemacht und auch nicht Helmut Kohl, sondern die Opposition auf der Straße. Politisch habe ich im Demokratischen Aufbruch begonnen. Als der sich in Richtung CDU entwickelte, habe ich ihn verlassen. Und die Liberalen in der DDR waren Blockpartei.
Frage: Herr Lindner, bei Wikipedia heißt es, Sie seien bei der FDP gelandet, weil Ihr Papa dazu geraten habe.
Lindner: Wikipedia nutzen Sie hoffentlich nicht zu oft für Recherchen. Mein Anstoß war nämlich ein anderer. Ich war aktiv in der Schülervertretung, bin früh zuhause ausgezogen und habe schon als Schüler meinen Lebensunterhalt selbst verdienen wollen. Diesen Geist des Anpackens und der Unabhängigkeit habe ich bei den Liberalen gefunden.
Frage: Haben Sie einen Lieblingsgrünen, Herr Lindner? Vielleicht so einen Partymacher wie Joschka Fischer?
Lindner: Es gibt in allen Parteien Politiker, denen ich Respekt zolle. Joschka Fischer gehört dazu. Er hat die Grünen zur Agenda 2010 geführt, von der Deutschland stark profitiert hat. Ich wundere mich deshalb, dass die Grünen nicht genauso wie wir kritisieren, dass die große Koalition vieles davon zurückdreht.
Frage: Und aktuell?
Lindner: Ich schätze Frau Göring-Eckardt, nicht nur weil sie jetzt hier sitzt. Und auch Johannes Remmel, den grünen Umweltminister von NRW. Er schafft es, der SPD in der Energiepolitik seinen Kurs aufzuzwingen. In der Sache kritisiere ich das, weil das Bürger belastet und Arbeitsplätze gefährdet – aber vor seiner Durchsetzungsstärke habe ich professionellen Respekt.
Frage: Liberal – was ist das für Sie beide: Ein politisches Etikett, eine Geisteshaltung, ein Lebensgefühl?
Göring-Eckardt: Eine Geisteshaltung und eine politische Aufgabe. Es geht darum, Entscheidungsfreiheit und Toleranz zu ermöglichen. Oft ist das aber ein Spannungsfeld. Das Beispiel mit dem Biergarten und den Nachbarn, die sich gestört fühlen, illustriert das ganz gut. Unsere Freiheit kann auch die Freiheit kommender Generationen einschränken. Oder die der Menschen am anderen Ende der Welt, auf deren Kosten wir unseren Konsum organisieren. Das ist schwer politisch durchzusetzen.
Frage: Kein Widerspruch, Herr Lindner?
Lindner: Nein, das teile ich im Prinzip. Es geht Liberalen darum, jedem den Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben zu ermöglichen, seine Entscheidungen und sein Eigentum zu achten. Dazu gehört die Bereitschaft, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Frage: Klingt gut. Aber warum brauchen wir eine liberale Partei?
Lindner: Weil diese Werte in der Politik verteidigt werden müssen. Wir brauchen alle einen starken Rechtsrahmen, der uns schützt, aber eben auch Raum für die freie Entfaltung lässt. Bürokratismus und Gleichmacherei bedrohen die Freiheit. Sie kann aber auch bedroht sein, wenn etwa ein Konzern zu viel Marktmacht hat. Dann brauchen wir den starken Staat.
Frage: Hört, hört! Der FDP-Chef ruft gerade nach dem starken Staat.
Lindner: Aber sicher! Die liberale Gesellschaft braucht den unabhängigen Staat als Schiedsrichter, aber bitte nicht als Mitspieler mit Bürokratie, Subventionen oder gar öffentlichen Bankpleiten wie bei der WestLB. Stark muss der Staat auch bei der Bildung sein, weil die erst die Voraussetzungen schafft, dass Menschen ihre Freiheit leben können. Ich vermute, Frau Göring-Eckardt und ich werden da im Ziel übereinstimmen. Auch wenn wir über die Wege streiten. Die Grünen reden häufig von Bildungsgerechtigkeit, meinen aber zu oft Leistungsrelativierung.
Göring-Eckardt: Gute Bildungspolitik braucht auch Wettbewerb. In meiner Heimat Thüringen haben die Grünen gegen die großkoalitionäre Landesregierung geklagt, weil sie die freien Schulen schlechter stellt als die staatlichen. Eine der größten Bedrohungen der Freiheit besteht zurzeit darin, was wir mit dem Wort „Überwachung“ beschreiben. Wichtig ist außerdem: Wir brauchen nicht nur starke Regeln, sondern auch Unterstützung für viele, damit sie ihre Chancen wahrnehmen können.
Frage: Gibt es in Deutschland Platz für zwei liberale Parteien?
Lindner: Das ist eine theoretische Frage. Denn es gibt nur eine liberale Partei.
Frage: Das ist eine sehr praktische Frage. Bei der jüngsten Wahl haben die Bürger die FDP mit Schimpf und Schande aus dem Bundestag gejagt.
Lindner: Die FDP ist in den vergangenen Jahren den Maßstäben einer liberalen Partei an sich selbst nicht gerecht geworden. Abgewählt wurde eine Partei, die als liberale Kraft zu wenig erkennbar war, aber nicht die liberale Idee.
Frage: Warum sind die Grünen für sie keine liberale Partei?
Lindner: Liberale rücken den Einzelnen in den Mittelpunkt ihrer Politik. Die Grünen wie auch die anderen Parteien gehen eher von kollektiven Ansätzen aus. Deshalb geht es so oft um Gleichmacherei und Verbote, während wir Vielfalt schätzen und dem freien Miteinander der Menschen mehr Vertrauen entgegenbringen.
Göring-Eckardt: So einfach ist das nicht. Die individuelle Freiheit gehört zur Grundsubstanz der grünen Bewegung im Westen wie im Osten. Der grüne Teil der 68er-Bewegung hat für Selbstbestimmung und Emanzipation gekämpft und viel erreicht, und Bündnis 90 ist eine Bürgerrechtsbewegung! Freiheit muss aber für alle möglich sein. Deshalb ist der grüne Freiheitsbegriff ein solidarischer. Er hat zugleich eine ökologische und eine soziale Komponente.
Lindner: Natürlich gibt es ökologische Belastungsgrenzen. Aber ich halte es für falsch, wenn daraus eine vollständige Bremse für gesellschaftliche und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten abgeleitet wird. Ich habe den Verdacht, dass der Umweltschutz manchmal instrumentalisiert wird, um in Wahrheit andere ideologische Ziele zu erreichen. Wenn etwa in NRW Städte daran gehindert werden, neue Bau- und Gewerbegebiete auszuweisen.
Frage: Herr Linder hat jetzt erklärt, warum aus seiner Sicht die Grünen keine liberale Partei sind. Ist aus ihrer Sicht die FDP denn eine, Frau Göring-Eckardt?
Göring-Eckardt: Die FDP ist bei der jüngsten Bundestagswahl untergegangen, weil die Wähler mit der Partei nicht Liberalismus, sondern dessen Gegenteil, Klientelismus, in Verbindung gebracht haben. Wenn die FDP in der Vergangenheit über Freiheit sprach, meinte sie das Recht des Stärkeren und die Interessen bestimmter Milieus. Sie hatte immer nur jene im Sinn, die sich Liberalismus finanziell leisten können. Herr Lindner möchte die FDP zum Liberalismus zurückführen, doch dafür muss er sich gegen alle stellen, die die FDP in den letzten Jahren noch unterstützt haben.
Frage: Die Grünen wiederum haben bei der Wahl auch deshalb schlecht abgeschnitten, weil sie nicht mit Freiheit, sondern mit Bevormundung in Verbindung gebracht worden sind. Es gab die Debatte um den Veggie-Day, den vegetarischen Pflichttag in deutschen Kantinen. Das hängt Ihnen bis heute nach.
Göring-Eckardt: Das stimmt. Und das ist für mich persönlich besonders schmerzhaft. Für meine politische Sozialisierung war es prägend, dass ich für die Freiheit auf die Straße gegangen bin. Natürlich sollte jeder wählen können, ob und wann er Fleisch isst oder nicht. Aber zur Verantwortung gehört eben auch, dass wir darüber reden, wie unsere Nahrungsmittel hergestellt werden und zu wessen Lasten wir konsumieren. Man muss kein Genie sein, um zu verstehen, dass Konsum sowohl Freiheit bedeutet als auch Freiheit einschränken kann.
Frage: Sie machen doch munter weiter mit Ihren Verbotsplänen: Im Bundestag bereitet Ihre Fraktion einen Gesetzentwurf zur Einführung der Null-Promille-Grenze im Straßenverkehr vor. Und im EU-Parlament haben die Grünen allen Ernstes einen Entschließungsantrag eingebracht, der Altkanzler Schröder dazu aufforderte, wegen seiner Verbindungen zu Gazprom in Sachen Ukraine den Mund zu halten. Sind die Grünen nicht lernfähig?
Göring-Eckardt: Die Sache mit dem Entschließungsantrag ist gleich am nächsten Tag wieder eingesammelt worden. Das sollte man nicht zu hoch hängen. Was den Straßenverkehr betrifft: Wir planen keinen Antrag zur Promillegrenze. Aber mir soll niemand kommen und sagen, wer sich für die Verbesserung von Verkehrssicherheit einsetzt und Gedanken macht, wie es gehen kann, wird reflexhaft zum Gegner von Freiheit gemacht. Die Rechnung, mehr Alkohol am Steuer hieße mehr Freiheit, wäre ja absurd. Die Freiheit des einen endet bekanntlich da, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird.
Frage: Das müsste Ihnen doch gefallen, Herr Lindner!
Lindner: Ich erkenne gerne an, dass Frau Göring-Eckardt eine kluge Grüne ist. Aber ich sehe, dass sie noch viel Überzeugungsarbeit vor sich hat. In ihrem Programm haben die Grünen die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zum Ziel erklärt. Die Grünen haben ihre Lebensweise und die wollen sie für alle verbindlich machen. Dafür müssen Menschen erzogen werden. Das maßen sich Liberale nicht an.
Frage: Sie setzen auf Laisser-faire, so wie Ihre gescheiterten Vorgänger Guido Westerwelle und Philipp Rösler?
Lindner: Ich bin für klare Regeln und einen festen Rahmen des Zusammenlebens. Aber innerhalb dieses Rahmens sollen sich Wirtschaft, Gesellschaft und jeder Einzelne frei entwickeln dürfen. Die Politik sollte die Widerstände aus dem Weg räumen, die unseren Zielen im Leben entgegenstehen. Über die Richtung der Gesellschaft entscheiden wir aber alle gemeinsam.
Frage: Wer sind „wir“?
Lindner: Bei uns sind das die 80 Millionen Menschen, die jeden Tag viele kleine und große Entscheidungen treffen. Wenn Frau Göring-Eckardt von „wir“ redet, meint sie im Zweifel doch eher die Politiker und Beamten, die die Menschen zu ihrem Glück zwingen wollen.
Göring-Eckardt: Nein. Der Unterschied zwischen Grünen und FDP besteht darin, dass wir im Gegensatz zu Ihnen über das Hier und Jetzt hinausdenken.
Frage: Nach der Wahl unternehmen fast alle Parteien politische Lockerungsübungen: Abgeordnete von Union und Grünen treffen sich regelmäßig bei Pasta und Pizza. Auch die rot-rot-grüne Option wird in informellen Zirkeln vorbereitet. Können Sie sich eigentlich auch einen Gesprächskreis aus Grünen und FDP vorstellen?
Göring-Eckardt: Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, dass man mit anderen Parteien redet und schaut, wo es die größten Unterschiede und mögliche Gemeinsamkeiten gibt. Parteien müssen untereinander sprechfähig sein.
Lindner: Wir haben Kontakte zu allen demokratischen Parteien, natürlich auch zu den Grünen.
Frage: Beziehen Sie das auf Ihr Heimatland Nordrhein-Westfalen oder auf Berlin?
Lindner: Sowohl im Land als auch im Bund. In einzelnen Fragen kommen die Liberalen und die Grünen durchaus zu ähnlichen Einschätzungen.
Frage: Wo denn?
Lindner: Das Thema Digitalisierung und Schutz der Privatsphäre haben wir bereits angesprochen. FDP und Grüne eint auch die Sorge um den Zustand der Sozialversicherungen. Die große Koalition in Berlin verteilt gerade Wahlgeschenke zu Lasten der jüngeren und der mittleren Generation.
Frage: Können Sie sich vorstellen, mit den Grünen zu regieren?
Lindner: Die FDP ist jetzt erst einmal in einer Phase, in der sie sich selbst wieder aufrichtet. Dafür muss sie unabhängig sein von Interessen einzelner Gruppen. Und sie muss eigenständig sein gegenüber den anderen Parteien. Da definiere ich nun nicht Nähe oder Ferne zu anderen.
Frage: Können Sie sich vorstellen, mit der FDP gemeinsame Sache zu machen?
Göring-Eckardt: Ich nehme zur Kenntnis, dass Herr Lindner Gemeinsamkeiten herausstreicht. Und es ist interessant, dass Herr Lindner auch wieder versucht, an die Tradition als Bürgerrechtspartei anzuknüpfen. In dieser Hinsicht war ja nicht viel los in den vergangenen 20 Jahren. Bei der ökologischen Frage allerdings kann ich nicht sehen, wie wir mit der FDP auf einen gemeinsamen Nenner kommen könnten. Das ist für uns essenziell, während bei der FDP stets von Belastungen die Rede ist. Das zeigt doch, dass uns Entscheidendes trennt.
LINDNER/GÖRING-ECKARDT-Streitgespräch für die „Frankfurter Rundschau“ und die „Berliner Zeitung“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen KATRIN GÖRING-ECKARDT im Streitgespräch für die „Frankfurter Rundschau“ und die „Berliner Zeitung“ (Samstag-Ausgabe). Die Fragen stellten Thomas Kröter und Thorsten Knuf:
Frage: Zu Beginn eine kleine Quizfrage: Ein Kommunalpolitiker fordert, den Zapfenstreich für Biergärten um 22 Uhr aufzuheben. Ein anderer will Spontanpartys auf einer beliebten Wiese seiner Heimatstadt verbieten. Welchen Parteien gehören die beiden an?
Göring-Eckardt: Der erste ist ein Grüner aus Bayern.
Frage: Nein.
Göring-Eckardt: Aus Baden-Württemberg?
Frage: Auch nicht.
Göring-Eckardt: Dann aus dem Osten.
Frage: Fast. Es ist der grüne Bezirksstadtrat aus Berlin-Kreuzberg.
Lindner: Ich hab’s jetzt nicht mehr so schwer. Der zweite ist vermutlich FDP-Mitglied.
Frage: Richtig. Es ist der Fraktionschef in Halle/Saale.
Lindner: Das ist nicht überraschend, dem geht es offenbar um die Lärmbelastung der Anwohner. Freiheit darf man nicht auf Kosten anderer ausleben. Ich finde aber gut, dass es Grüne wie der Kreuzberger Stadtrat gibt, die auch mal ohne erhobenen Zeigefinger leben.
Göring-Eckardt: Als Bundestags-Vizepräsidentin hab ich mich immer für die Freigabe der großen Wiese vor dem Reichstag eingesetzt. Einer meiner wichtigsten Kontrahenten damals war Hermann-Otto Solms von der FDP.
Frage: Frau Göring-Eckardt, können Sie sich erinnern, wann sie zu ersten Mal das Wort „liberal“ gehört haben?
Göring-Eckardt: Ich habe keine genaue Erinnerung. Aber schon als Jugendliche in der DDR waren für mich die Freiheit zur eigenen Meinung, zur eigenen Entscheidung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden sehr wichtig. Liberales Gedankengut war attraktiv, hatte aber nichts mit einer Partei zu tun.
Frage: Hat Sie Hans-Dietrich Genscher nicht begeistert, wie er 1989 auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag stand und die DDR-Flüchtlinge rausgeholt hat?
Göring-Eckardt: Nein, nie. Die Revolution in der DDR hat nicht Genscher gemacht und auch nicht Helmut Kohl, sondern die Opposition auf der Straße. Politisch habe ich im Demokratischen Aufbruch begonnen. Als der sich in Richtung CDU entwickelte, habe ich ihn verlassen. Und die Liberalen in der DDR waren Blockpartei.
Frage: Herr Lindner, bei Wikipedia heißt es, Sie seien bei der FDP gelandet, weil Ihr Papa dazu geraten habe.
Lindner: Wikipedia nutzen Sie hoffentlich nicht zu oft für Recherchen. Mein Anstoß war nämlich ein anderer. Ich war aktiv in der Schülervertretung, bin früh zuhause ausgezogen und habe schon als Schüler meinen Lebensunterhalt selbst verdienen wollen. Diesen Geist des Anpackens und der Unabhängigkeit habe ich bei den Liberalen gefunden.
Frage: Haben Sie einen Lieblingsgrünen, Herr Lindner? Vielleicht so einen Partymacher wie Joschka Fischer?
Lindner: Es gibt in allen Parteien Politiker, denen ich Respekt zolle. Joschka Fischer gehört dazu. Er hat die Grünen zur Agenda 2010 geführt, von der Deutschland stark profitiert hat. Ich wundere mich deshalb, dass die Grünen nicht genauso wie wir kritisieren, dass die große Koalition vieles davon zurückdreht.
Frage: Und aktuell?
Lindner: Ich schätze Frau Göring-Eckardt, nicht nur weil sie jetzt hier sitzt. Und auch Johannes Remmel, den grünen Umweltminister von NRW. Er schafft es, der SPD in der Energiepolitik seinen Kurs aufzuzwingen. In der Sache kritisiere ich das, weil das Bürger belastet und Arbeitsplätze gefährdet – aber vor seiner Durchsetzungsstärke habe ich professionellen Respekt.
Frage: Liberal – was ist das für Sie beide: Ein politisches Etikett, eine Geisteshaltung, ein Lebensgefühl?
Göring-Eckardt: Eine Geisteshaltung und eine politische Aufgabe. Es geht darum, Entscheidungsfreiheit und Toleranz zu ermöglichen. Oft ist das aber ein Spannungsfeld. Das Beispiel mit dem Biergarten und den Nachbarn, die sich gestört fühlen, illustriert das ganz gut. Unsere Freiheit kann auch die Freiheit kommender Generationen einschränken. Oder die der Menschen am anderen Ende der Welt, auf deren Kosten wir unseren Konsum organisieren. Das ist schwer politisch durchzusetzen.
Frage: Kein Widerspruch, Herr Lindner?
Lindner: Nein, das teile ich im Prinzip. Es geht Liberalen darum, jedem den Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben zu ermöglichen, seine Entscheidungen und sein Eigentum zu achten. Dazu gehört die Bereitschaft, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Frage: Klingt gut. Aber warum brauchen wir eine liberale Partei?
Lindner: Weil diese Werte in der Politik verteidigt werden müssen. Wir brauchen alle einen starken Rechtsrahmen, der uns schützt, aber eben auch Raum für die freie Entfaltung lässt. Bürokratismus und Gleichmacherei bedrohen die Freiheit. Sie kann aber auch bedroht sein, wenn etwa ein Konzern zu viel Marktmacht hat. Dann brauchen wir den starken Staat.
Frage: Hört, hört! Der FDP-Chef ruft gerade nach dem starken Staat.
Lindner: Aber sicher! Die liberale Gesellschaft braucht den unabhängigen Staat als Schiedsrichter, aber bitte nicht als Mitspieler mit Bürokratie, Subventionen oder gar öffentlichen Bankpleiten wie bei der WestLB. Stark muss der Staat auch bei der Bildung sein, weil die erst die Voraussetzungen schafft, dass Menschen ihre Freiheit leben können. Ich vermute, Frau Göring-Eckardt und ich werden da im Ziel übereinstimmen. Auch wenn wir über die Wege streiten. Die Grünen reden häufig von Bildungsgerechtigkeit, meinen aber zu oft Leistungsrelativierung.
Göring-Eckardt: Gute Bildungspolitik braucht auch Wettbewerb. In meiner Heimat Thüringen haben die Grünen gegen die großkoalitionäre Landesregierung geklagt, weil sie die freien Schulen schlechter stellt als die staatlichen. Eine der größten Bedrohungen der Freiheit besteht zurzeit darin, was wir mit dem Wort „Überwachung“ beschreiben. Wichtig ist außerdem: Wir brauchen nicht nur starke Regeln, sondern auch Unterstützung für viele, damit sie ihre Chancen wahrnehmen können.
Frage: Gibt es in Deutschland Platz für zwei liberale Parteien?
Lindner: Das ist eine theoretische Frage. Denn es gibt nur eine liberale Partei.
Frage: Das ist eine sehr praktische Frage. Bei der jüngsten Wahl haben die Bürger die FDP mit Schimpf und Schande aus dem Bundestag gejagt.
Lindner: Die FDP ist in den vergangenen Jahren den Maßstäben einer liberalen Partei an sich selbst nicht gerecht geworden. Abgewählt wurde eine Partei, die als liberale Kraft zu wenig erkennbar war, aber nicht die liberale Idee.
Frage: Warum sind die Grünen für sie keine liberale Partei?
Lindner: Liberale rücken den Einzelnen in den Mittelpunkt ihrer Politik. Die Grünen wie auch die anderen Parteien gehen eher von kollektiven Ansätzen aus. Deshalb geht es so oft um Gleichmacherei und Verbote, während wir Vielfalt schätzen und dem freien Miteinander der Menschen mehr Vertrauen entgegenbringen.
Göring-Eckardt: So einfach ist das nicht. Die individuelle Freiheit gehört zur Grundsubstanz der grünen Bewegung im Westen wie im Osten. Der grüne Teil der 68er-Bewegung hat für Selbstbestimmung und Emanzipation gekämpft und viel erreicht, und Bündnis 90 ist eine Bürgerrechtsbewegung! Freiheit muss aber für alle möglich sein. Deshalb ist der grüne Freiheitsbegriff ein solidarischer. Er hat zugleich eine ökologische und eine soziale Komponente.
Lindner: Natürlich gibt es ökologische Belastungsgrenzen. Aber ich halte es für falsch, wenn daraus eine vollständige Bremse für gesellschaftliche und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten abgeleitet wird. Ich habe den Verdacht, dass der Umweltschutz manchmal instrumentalisiert wird, um in Wahrheit andere ideologische Ziele zu erreichen. Wenn etwa in NRW Städte daran gehindert werden, neue Bau- und Gewerbegebiete auszuweisen.
Frage: Herr Linder hat jetzt erklärt, warum aus seiner Sicht die Grünen keine liberale Partei sind. Ist aus ihrer Sicht die FDP denn eine, Frau Göring-Eckardt?
Göring-Eckardt: Die FDP ist bei der jüngsten Bundestagswahl untergegangen, weil die Wähler mit der Partei nicht Liberalismus, sondern dessen Gegenteil, Klientelismus, in Verbindung gebracht haben. Wenn die FDP in der Vergangenheit über Freiheit sprach, meinte sie das Recht des Stärkeren und die Interessen bestimmter Milieus. Sie hatte immer nur jene im Sinn, die sich Liberalismus finanziell leisten können. Herr Lindner möchte die FDP zum Liberalismus zurückführen, doch dafür muss er sich gegen alle stellen, die die FDP in den letzten Jahren noch unterstützt haben.
Frage: Die Grünen wiederum haben bei der Wahl auch deshalb schlecht abgeschnitten, weil sie nicht mit Freiheit, sondern mit Bevormundung in Verbindung gebracht worden sind. Es gab die Debatte um den Veggie-Day, den vegetarischen Pflichttag in deutschen Kantinen. Das hängt Ihnen bis heute nach.
Göring-Eckardt: Das stimmt. Und das ist für mich persönlich besonders schmerzhaft. Für meine politische Sozialisierung war es prägend, dass ich für die Freiheit auf die Straße gegangen bin. Natürlich sollte jeder wählen können, ob und wann er Fleisch isst oder nicht. Aber zur Verantwortung gehört eben auch, dass wir darüber reden, wie unsere Nahrungsmittel hergestellt werden und zu wessen Lasten wir konsumieren. Man muss kein Genie sein, um zu verstehen, dass Konsum sowohl Freiheit bedeutet als auch Freiheit einschränken kann.
Frage: Sie machen doch munter weiter mit Ihren Verbotsplänen: Im Bundestag bereitet Ihre Fraktion einen Gesetzentwurf zur Einführung der Null-Promille-Grenze im Straßenverkehr vor. Und im EU-Parlament haben die Grünen allen Ernstes einen Entschließungsantrag eingebracht, der Altkanzler Schröder dazu aufforderte, wegen seiner Verbindungen zu Gazprom in Sachen Ukraine den Mund zu halten. Sind die Grünen nicht lernfähig?
Göring-Eckardt: Die Sache mit dem Entschließungsantrag ist gleich am nächsten Tag wieder eingesammelt worden. Das sollte man nicht zu hoch hängen. Was den Straßenverkehr betrifft: Wir planen keinen Antrag zur Promillegrenze. Aber mir soll niemand kommen und sagen, wer sich für die Verbesserung von Verkehrssicherheit einsetzt und Gedanken macht, wie es gehen kann, wird reflexhaft zum Gegner von Freiheit gemacht. Die Rechnung, mehr Alkohol am Steuer hieße mehr Freiheit, wäre ja absurd. Die Freiheit des einen endet bekanntlich da, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird.
Frage: Das müsste Ihnen doch gefallen, Herr Lindner!
Lindner: Ich erkenne gerne an, dass Frau Göring-Eckardt eine kluge Grüne ist. Aber ich sehe, dass sie noch viel Überzeugungsarbeit vor sich hat. In ihrem Programm haben die Grünen die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zum Ziel erklärt. Die Grünen haben ihre Lebensweise und die wollen sie für alle verbindlich machen. Dafür müssen Menschen erzogen werden. Das maßen sich Liberale nicht an.
Frage: Sie setzen auf Laisser-faire, so wie Ihre gescheiterten Vorgänger Guido Westerwelle und Philipp Rösler?
Lindner: Ich bin für klare Regeln und einen festen Rahmen des Zusammenlebens. Aber innerhalb dieses Rahmens sollen sich Wirtschaft, Gesellschaft und jeder Einzelne frei entwickeln dürfen. Die Politik sollte die Widerstände aus dem Weg räumen, die unseren Zielen im Leben entgegenstehen. Über die Richtung der Gesellschaft entscheiden wir aber alle gemeinsam.
Frage: Wer sind „wir“?
Lindner: Bei uns sind das die 80 Millionen Menschen, die jeden Tag viele kleine und große Entscheidungen treffen. Wenn Frau Göring-Eckardt von „wir“ redet, meint sie im Zweifel doch eher die Politiker und Beamten, die die Menschen zu ihrem Glück zwingen wollen.
Göring-Eckardt: Nein. Der Unterschied zwischen Grünen und FDP besteht darin, dass wir im Gegensatz zu Ihnen über das Hier und Jetzt hinausdenken.
Frage: Nach der Wahl unternehmen fast alle Parteien politische Lockerungsübungen: Abgeordnete von Union und Grünen treffen sich regelmäßig bei Pasta und Pizza. Auch die rot-rot-grüne Option wird in informellen Zirkeln vorbereitet. Können Sie sich eigentlich auch einen Gesprächskreis aus Grünen und FDP vorstellen?
Göring-Eckardt: Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, dass man mit anderen Parteien redet und schaut, wo es die größten Unterschiede und mögliche Gemeinsamkeiten gibt. Parteien müssen untereinander sprechfähig sein.
Lindner: Wir haben Kontakte zu allen demokratischen Parteien, natürlich auch zu den Grünen.
Frage: Beziehen Sie das auf Ihr Heimatland Nordrhein-Westfalen oder auf Berlin?
Lindner: Sowohl im Land als auch im Bund. In einzelnen Fragen kommen die Liberalen und die Grünen durchaus zu ähnlichen Einschätzungen.
Frage: Wo denn?
Lindner: Das Thema Digitalisierung und Schutz der Privatsphäre haben wir bereits angesprochen. FDP und Grüne eint auch die Sorge um den Zustand der Sozialversicherungen. Die große Koalition in Berlin verteilt gerade Wahlgeschenke zu Lasten der jüngeren und der mittleren Generation.
Frage: Können Sie sich vorstellen, mit den Grünen zu regieren?
Lindner: Die FDP ist jetzt erst einmal in einer Phase, in der sie sich selbst wieder aufrichtet. Dafür muss sie unabhängig sein von Interessen einzelner Gruppen. Und sie muss eigenständig sein gegenüber den anderen Parteien. Da definiere ich nun nicht Nähe oder Ferne zu anderen.
Frage: Können Sie sich vorstellen, mit der FDP gemeinsame Sache zu machen?
Göring-Eckardt: Ich nehme zur Kenntnis, dass Herr Lindner Gemeinsamkeiten herausstreicht. Und es ist interessant, dass Herr Lindner auch wieder versucht, an die Tradition als Bürgerrechtspartei anzuknüpfen. In dieser Hinsicht war ja nicht viel los in den vergangenen 20 Jahren. Bei der ökologischen Frage allerdings kann ich nicht sehen, wie wir mit der FDP auf einen gemeinsamen Nenner kommen könnten. Das ist für uns essenziell, während bei der FDP stets von Belastungen die Rede ist. Das zeigt doch, dass uns Entscheidendes trennt.