FDP|
14.04.2014 - 11:15LINDNER/LUCKE-Streitgespräch für den „Spiegel“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und der AfD-Mitgründer und Sprecher BERND LUCKE im Streitgespräch für den „Spiegel“ (aktuelle Ausgabe). Die Fragen stellten RALF NEUKIRCH und MELANIE AMANN:
Frage: Herr Lucke, Christian Lindner hat Ihre Alternative für Deutschland als Bauernfängerpartei bezeichnet. Trifft Sie der Vorwurf?
LUCKE: Das ist Polemik unter Ihrem Niveau, Herr Lindner.
LINDNER: Es ist eine Tatsache, dass Sie Ängste schüren und an Ressentiments appellieren, obwohl Ihre Positionen den deutschen Interessen schaden. Das betrifft die Frage der Währungspolitik, aber auch andere Entwicklungen in Europa. Ich bin anders als Herr Lucke der Meinung, dass es eine Reihe von Problemen gibt, die wir nur mit mehr Europa lösen können.
Frage: Welche meinen Sie?
LINDNER: Beim Datenschutz kann nur Europa auf NSA und Google antworten. In der Energiepolitik würde ein gemeinsamer Binnenmarkt den Strom billiger und die Versorgung sicherer machen. Es ist ein Anachronismus, dass wir unsere Streitkräfte nicht stärker integrieren. Damit ließe sich Geld sparen, und es würde unsere Sicherheit verbessern.
LUCKE: Soll unser Energiemix von europäischen Mehrheiten bestimmt werden? Die Mehrheit unserer Bürger will beim Atomausstieg bleiben und ist froh, dass Deutschland das souverän entscheiden kann. Und wollen Sie wirklich deutsche Soldaten in einer europäischen Armee haben, die dann für französische Interessen in Mali eingesetzt wird?
LINDNER: Im Gegensatz zu Ihnen halte ich die deutsche Energiepolitik mit ihren Dauersubventionen und der einseitigen Fixierung auf den Klimaschutz für aberwitzig. Und selbst Sie sollte die Krim-Krise ins Nachdenken über mehr gemeinsame Sicherheitspolitik bringen.
Frage: Herr Lucke, die FDP will mehr Europa, die AfD weniger. Beschreibt das die Differenz zwischen beiden Parteien?
LUCKE: Die FDP will einen Bundesstaat, die Vereinigten Staaten von Europa. Die AfD möchte, dass die EU ein Bund unabhängiger, souveräner Staaten bleibt.
LINDNER: Wir sind da für mehr Europa, wo es sinnvoll ist. Wo es nichts zur Lösung der Probleme beiträgt, müssen Zuständigkeiten zurückgegeben werden – Stichwort Glühbirnenverbot. Wozu brauchen wir einen EU-Kommissar für Gesundheit, wenn Europa in diesem Bereich keine Kompetenzen hat?
LUCKE: Die FDP hat der EU gewaltige Kompetenzen geschaffen, die sie nach dem Maastrichter Vertrag nie hätte haben dürfen. Mit Hilfe der FDP wurde Europa zu einer Transfer- und Haftungsunion umgebaut und der Grundstein für eine europäische Wirtschaftsregierung gelegt.
Frage: Griechenland kehrt zurück an den Kapitalmarkt, die Euro-Zone wächst wieder. Wie passt das zu Ihren Euro-Untergangsprognosen, Herr Lucke?
LUCKE: Finanzinvestoren investieren jetzt risikolos in Griechenland, weil für die Verluste die Steuerzahler aufkommen. Wir tragen jetzt das Risiko, und nie waren die Schulden Griechenlands höher und die Wirtschaftsleistung schwächer als heute. Die Probleme der Euro-Zone sind ungelöst, sie werden nur mit viel Steuergeld übertüncht und verschleppt.
LINDNER: Herrn Luckes Analyse der griechischen Kapitalmarkt-Rückkehr ist richtig.
LUCKE: Danke schön!
LINDNER: Aber Ihre Gesamtschau ist falsch. Sie blenden die Fortschritte aus, die seit 2010 gemacht wurden. Staaten verlassen die Rettungsschirme. Diesen Stabilitätskurs gefährdet jetzt Finanzminister Wolfgang Schäuble, weil er zu nachsichtig über französische Schulden spricht und schon wieder ein Griechenland-Rettungspaket ins Schaufenster stellt. Wo bleiben da Anreize für die Griechen, den Reformkurs zu halten?
LUCKE: Säße Ihre Partei noch in der Regierung, würden Sie Schäubles Kurs genauso mittragen wie früher.
LINDNER: Sie vergessen, dass nur dank der FDP die Krisenländer von den Experten der Troika geprüft werden, nicht von Politikern. Seit wir nicht mehr dabei sind, ändert sich der Kurs. Jetzt plädieren beide europäischen Volksparteien für Euro-Bonds und verabschieden sich von den Stabilitätskriterien.
Frage: Trotzdem hat die FDP doch das liberale Prinzip über Bord geworfen, dass jeder für seine Schulden haftet.
LINDNER: Nein, im Gegenteil wollen wir die finanzpolitische Eigenverantwortung der Länder wiederherstellen. Im April 2010 stellte sich aber die Frage, wie wir dieses Ziel mit verantwortbaren Risiken erreichen. Uns ging es nicht um eine Euro-Rettung um jeden Preis...
LUCKE: Sie haben aber jeden Preis gezahlt!
LINDNER: Und Ihnen geht es darum, den Euro um jeden Preis nicht zu retten. Ohne zeitweise aufgespannte Rettungsschirme drohten chaotische Staatspleiten. Die hätten uns härter getroffen als die Pleite der Lehman-Bank, die unserer Wirtschaft schon einen dramatischen Dämpfer beschert hat.
LUCKE: Ja, bloß keine Staatspleite, bloß keine Verluste für Banken, sonst geht die Welt unter. Aber 2012 wurden Griechenland 100 Milliarden Euro erlassen. Die Banken haben die Verluste getragen, und nirgendwo ist Chaos ausgebrochen. Das hätte man zwei Jahre früher machen müssen, ehe Griechenland in die schwere Rezession kam.
LINDNER: Ohne die Euro-Rettung hätten die Leute möglicherweise ihre Altersvorsorge eingebüßt. Banken wären zusammen gebrochen, Arbeitsplätze verlorengegangen. Da hätten auch höhere Zinsen nichts genutzt. Sie, Herr Lucke, wären sogar bereit, die bisherigen Stabilisierungserfolge aufs Spiel zu setzen.
Frage: Machen Sie den Leuten mutwillig Angst, Herr Lucke?
LUCKE: Herr Lindner spielt doch mit der Angst. Er hat aus lauter Angst sogar Zypern gerettet. Griechenland und Zypern tragen nur wenig zum europäischen BIP bei. In den letzten 15 Jahren gab es Staatsinsolvenzen in Russland, der Ukraine und Argentinien. Wenn wir das verkraftet haben, verkraften wir auch Zypern.
LINDNER: Wir reden nicht von Zypern, sondern von Griechenland, Portugal und Spanien. Viele parteipolitisch unabhängige Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Lars Feld warnen vor einem Dominoeffekt, wenn ein Euro-Staat kollabiert.
LUCKE: Deshalb sind wir für geordnete Staatsinsolvenzen. Dafür haben sich zu Beginn der Euro-Krise 300 VWL-Professoren eingesetzt. Sagen Sie mir konkret: Wie viele Milliarden Euro würden Sie und Ihre Partei für die Euro-Rettung geben? Wo liegt Ihre Schmerzgrenze?
LINDNER: Dann möchte ich die Gegenfrage stellen: Wie viel hat Deutschland bisher durch die Euro-Rettung verloren?
LUCKE: Wir haben mehr als 50 Milliarden Euro verloren, durch uneinbringbare Kredite und Verzicht auf Zinszahlungen.
LINDNER: Unter dem Strich ist das Gegenteil richtig, denn Staat und Wirtschaft
finanzieren sich extrem günstig. Es ist eine Schande, dass die Große Koalition das nicht für Schuldentilgung und Investitionen nutzt, damit die von niedrigen Zinsen betroffenen Sparer wenigstens so entlastet werden.
LUCKE: Nicht Deutschland profitiert von den niedrigen Zinsen, sondern die Schuldner. Die Sparer, ohne die wir nicht investieren können, aber verlieren Zinseinkommen und Altersversorgung. Hier findet eine Umverteilung von den Sparern zu den Schuldnern statt. Ich dachte immer, die FDP sei gegen Umverteilung.
Frage: Herr Lindner, sehen Sie Herrn Lucke und die AfD als direkte Konkurrenten um Wählerstimmen?
LINDNER: Nein, wir stehen nicht in einem Wettbewerb mit Herrn Lucke.
LUCKE: Natürlich tun Sie das.
LINDNER: Sie sagen von sich, Sie seien kein Liberaler. Ich sage, ich bin ein Liberaler. Das bedeutet, marktwirtschaftliche Überzeugungen mit Weltoffenheit und Toleranz zu verbinden. Ich mache keine abfälligen Kommentare, wenn sich jemand als homosexuell outet.
Frage: Sie spielen auf die Äußerung von Herrn Lucke an, das Outing des homosexuellen Fußballers Thomas Hitzlsperger habe keinen besonderen Mut erfordert.
LUCKE: Stimmt. Und es ist wichtiger, sich um die Situation von Familien in unserem Land zu kümmern als darum, ob ein Einzelner schwul ist. Das hat nichts mit Ressentiments zu tun, sondern mit politischen Prioritäten. Wir haben in Deutschland zu wenige Kinder. Einkommensschwache Familien kriegen beim zweiten Kind nicht genug Entlastung, um ohne Hartz IV auch nur das Existenzminimum des Kindes zu sichern. Ich bin in der Tat kein Liberaler, denn ich sehe neben der Wichtigkeit freiheitlichen Gedankenguts auch die Notwendigkeit, die Schwachen in der Gesellschaft sozial zu stützen.
LINDNER: Familienförderung und Toleranz gegeneinander auszuspielen, das ist Gesellschaftspolitik der fünfziger Jahre. Sind Sie dafür, dass homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen?
LUCKE: Wenn es das leibliche Kind eines der Partner ist, ja. Sonst sollte ein elternloses Kind durch die Adoption sowohl Vater als auch Mutter erleben dürfen. Es gibt genug Paare, die sich danach sehnen.
LINDNER: Ich sehe keine Gefährdung des Kindeswohls, von zwei sich liebenden und füreinander Verantwortung tragenden Menschen aufgezogen zu werden.
Frage: Derzeit versuchen Tausende von Flüchtlingen, aus Afrika nach Europa zu gelangen, oft aus wirtschaftlichen Gründen. Wie sollen Deutschland und seine Partner mit diesem Problem umgehen?
LUCKE: Wir müssen Menschen in Seenot retten, aber wir müssen klarmachen, dass ein überladener Kahn keine Eintrittskarte in die EU ist. Sonst machen sich immer mehr auf die waghalsige Reise. Ich möchte einen Vorschlag machen, der sich an Ideen des früheren Innenministers Otto Schily anlehnt: Illegal eingereiste Flüchtlinge müssen zunächst in ein sicheres afrikanisches Land zurückkehren und dort einen Einreiseantrag stellen. Darüber wird im Rahmen eines Zuwanderungsgesetzes entschieden, das auf die Qualifikation und Integrationsfähigkeit des Zuwanderers abstellt.
Frage: Schily wollte die Flüchtlinge in Lagern, sogenannten Aufnahmeeinrichtungen, unterbringen lassen.
LUCKE: Nein, keine Lager. Deutschland sollte die Länder, die die Flüchtlinge bei sich leben lassen, finanziell entschädigen. Das ist allemal billiger, als Menschen jahrelang bei uns leben zu lassen, bis ihr Aufenthaltsstatus geklärt ist. Und es wären viel weniger, die diesen Weg gehen.
LINDNER: Sie sind gegen Griechenland-Hilfe, wollen aber sogar noch Sozialleistungen in Afrika bezahlen? Das ist absurd. Wie passt das zu dem Beschluss Ihrer Partei, Asylbewerber in Deutschland sofort zu gestatten, eine Arbeit aufzunehmen?
LUCKE: Da diese Menschen nun mal hier sind, ist es falsch, sie zur Untätigkeit zu zwingen. Das fördert Kriminalität und Alkoholismus. Es ist schlicht menschenunwürdig.
LINDNER: Ihr Vorschlag führt zu einer chaotischen Zuwanderungspolitik. Es werden dann massenhaft Härtefälle produziert, die Sie auch nach abgelehntem Asylantrag nicht mehr ausweisen können.
Frage: Herr Lindner, wie würden Sie mit den Flüchtlingen aus Afrika umgehen?
LINDNER: Wir brauchen ein Zuwanderungsrecht, das es Menschen ermöglicht, legal nach Deutschland zu kommen. In Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten müssen wir verhindern, dass die Flüchtlinge sich überhaupt auf den Weg nach Europa machen. Und Asylsuchende müssen fairer auf die EU Staaten verteilt werden.
Frage: Herr Lindner, Ihr Stellvertreter Wolfgang Kubicki hat fünf Prozent plus als Ziel für die Europawahl ausgegeben. Ist das die Zahl, an der Sie sich messen lassen wollen?
LINDNER: Wir wollen so gut wie möglich abschneiden, weil wir im Parlament mit der liberalen Fraktion eine große Rolle spielen wollen.
Frage: Herr Lucke, welches Ergebnis streben Sie für die AfD an?
LUCKE: Sechs bis acht Prozent.
LINDNER/LUCKE-Streitgespräch für den „Spiegel“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und der AfD-Mitgründer und Sprecher BERND LUCKE im Streitgespräch für den „Spiegel“ (aktuelle Ausgabe). Die Fragen stellten RALF NEUKIRCH und MELANIE AMANN:
Frage: Herr Lucke, Christian Lindner hat Ihre Alternative für Deutschland als Bauernfängerpartei bezeichnet. Trifft Sie der Vorwurf?
LUCKE: Das ist Polemik unter Ihrem Niveau, Herr Lindner.
LINDNER: Es ist eine Tatsache, dass Sie Ängste schüren und an Ressentiments appellieren, obwohl Ihre Positionen den deutschen Interessen schaden. Das betrifft die Frage der Währungspolitik, aber auch andere Entwicklungen in Europa. Ich bin anders als Herr Lucke der Meinung, dass es eine Reihe von Problemen gibt, die wir nur mit mehr Europa lösen können.
Frage: Welche meinen Sie?
LINDNER: Beim Datenschutz kann nur Europa auf NSA und Google antworten. In der Energiepolitik würde ein gemeinsamer Binnenmarkt den Strom billiger und die Versorgung sicherer machen. Es ist ein Anachronismus, dass wir unsere Streitkräfte nicht stärker integrieren. Damit ließe sich Geld sparen, und es würde unsere Sicherheit verbessern.
LUCKE: Soll unser Energiemix von europäischen Mehrheiten bestimmt werden? Die Mehrheit unserer Bürger will beim Atomausstieg bleiben und ist froh, dass Deutschland das souverän entscheiden kann. Und wollen Sie wirklich deutsche Soldaten in einer europäischen Armee haben, die dann für französische Interessen in Mali eingesetzt wird?
LINDNER: Im Gegensatz zu Ihnen halte ich die deutsche Energiepolitik mit ihren Dauersubventionen und der einseitigen Fixierung auf den Klimaschutz für aberwitzig. Und selbst Sie sollte die Krim-Krise ins Nachdenken über mehr gemeinsame Sicherheitspolitik bringen.
Frage: Herr Lucke, die FDP will mehr Europa, die AfD weniger. Beschreibt das die Differenz zwischen beiden Parteien?
LUCKE: Die FDP will einen Bundesstaat, die Vereinigten Staaten von Europa. Die AfD möchte, dass die EU ein Bund unabhängiger, souveräner Staaten bleibt.
LINDNER: Wir sind da für mehr Europa, wo es sinnvoll ist. Wo es nichts zur Lösung der Probleme beiträgt, müssen Zuständigkeiten zurückgegeben werden – Stichwort Glühbirnenverbot. Wozu brauchen wir einen EU-Kommissar für Gesundheit, wenn Europa in diesem Bereich keine Kompetenzen hat?
LUCKE: Die FDP hat der EU gewaltige Kompetenzen geschaffen, die sie nach dem Maastrichter Vertrag nie hätte haben dürfen. Mit Hilfe der FDP wurde Europa zu einer Transfer- und Haftungsunion umgebaut und der Grundstein für eine europäische Wirtschaftsregierung gelegt.
Frage: Griechenland kehrt zurück an den Kapitalmarkt, die Euro-Zone wächst wieder. Wie passt das zu Ihren Euro-Untergangsprognosen, Herr Lucke?
LUCKE: Finanzinvestoren investieren jetzt risikolos in Griechenland, weil für die Verluste die Steuerzahler aufkommen. Wir tragen jetzt das Risiko, und nie waren die Schulden Griechenlands höher und die Wirtschaftsleistung schwächer als heute. Die Probleme der Euro-Zone sind ungelöst, sie werden nur mit viel Steuergeld übertüncht und verschleppt.
LINDNER: Herrn Luckes Analyse der griechischen Kapitalmarkt-Rückkehr ist richtig.
LUCKE: Danke schön!
LINDNER: Aber Ihre Gesamtschau ist falsch. Sie blenden die Fortschritte aus, die seit 2010 gemacht wurden. Staaten verlassen die Rettungsschirme. Diesen Stabilitätskurs gefährdet jetzt Finanzminister Wolfgang Schäuble, weil er zu nachsichtig über französische Schulden spricht und schon wieder ein Griechenland-Rettungspaket ins Schaufenster stellt. Wo bleiben da Anreize für die Griechen, den Reformkurs zu halten?
LUCKE: Säße Ihre Partei noch in der Regierung, würden Sie Schäubles Kurs genauso mittragen wie früher.
LINDNER: Sie vergessen, dass nur dank der FDP die Krisenländer von den Experten der Troika geprüft werden, nicht von Politikern. Seit wir nicht mehr dabei sind, ändert sich der Kurs. Jetzt plädieren beide europäischen Volksparteien für Euro-Bonds und verabschieden sich von den Stabilitätskriterien.
Frage: Trotzdem hat die FDP doch das liberale Prinzip über Bord geworfen, dass jeder für seine Schulden haftet.
LINDNER: Nein, im Gegenteil wollen wir die finanzpolitische Eigenverantwortung der Länder wiederherstellen. Im April 2010 stellte sich aber die Frage, wie wir dieses Ziel mit verantwortbaren Risiken erreichen. Uns ging es nicht um eine Euro-Rettung um jeden Preis...
LUCKE: Sie haben aber jeden Preis gezahlt!
LINDNER: Und Ihnen geht es darum, den Euro um jeden Preis nicht zu retten. Ohne zeitweise aufgespannte Rettungsschirme drohten chaotische Staatspleiten. Die hätten uns härter getroffen als die Pleite der Lehman-Bank, die unserer Wirtschaft schon einen dramatischen Dämpfer beschert hat.
LUCKE: Ja, bloß keine Staatspleite, bloß keine Verluste für Banken, sonst geht die Welt unter. Aber 2012 wurden Griechenland 100 Milliarden Euro erlassen. Die Banken haben die Verluste getragen, und nirgendwo ist Chaos ausgebrochen. Das hätte man zwei Jahre früher machen müssen, ehe Griechenland in die schwere Rezession kam.
LINDNER: Ohne die Euro-Rettung hätten die Leute möglicherweise ihre Altersvorsorge eingebüßt. Banken wären zusammen gebrochen, Arbeitsplätze verlorengegangen. Da hätten auch höhere Zinsen nichts genutzt. Sie, Herr Lucke, wären sogar bereit, die bisherigen Stabilisierungserfolge aufs Spiel zu setzen.
Frage: Machen Sie den Leuten mutwillig Angst, Herr Lucke?
LUCKE: Herr Lindner spielt doch mit der Angst. Er hat aus lauter Angst sogar Zypern gerettet. Griechenland und Zypern tragen nur wenig zum europäischen BIP bei. In den letzten 15 Jahren gab es Staatsinsolvenzen in Russland, der Ukraine und Argentinien. Wenn wir das verkraftet haben, verkraften wir auch Zypern.
LINDNER: Wir reden nicht von Zypern, sondern von Griechenland, Portugal und Spanien. Viele parteipolitisch unabhängige Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Lars Feld warnen vor einem Dominoeffekt, wenn ein Euro-Staat kollabiert.
LUCKE: Deshalb sind wir für geordnete Staatsinsolvenzen. Dafür haben sich zu Beginn der Euro-Krise 300 VWL-Professoren eingesetzt. Sagen Sie mir konkret: Wie viele Milliarden Euro würden Sie und Ihre Partei für die Euro-Rettung geben? Wo liegt Ihre Schmerzgrenze?
LINDNER: Dann möchte ich die Gegenfrage stellen: Wie viel hat Deutschland bisher durch die Euro-Rettung verloren?
LUCKE: Wir haben mehr als 50 Milliarden Euro verloren, durch uneinbringbare Kredite und Verzicht auf Zinszahlungen.
LINDNER: Unter dem Strich ist das Gegenteil richtig, denn Staat und Wirtschaft
finanzieren sich extrem günstig. Es ist eine Schande, dass die Große Koalition das nicht für Schuldentilgung und Investitionen nutzt, damit die von niedrigen Zinsen betroffenen Sparer wenigstens so entlastet werden.
LUCKE: Nicht Deutschland profitiert von den niedrigen Zinsen, sondern die Schuldner. Die Sparer, ohne die wir nicht investieren können, aber verlieren Zinseinkommen und Altersversorgung. Hier findet eine Umverteilung von den Sparern zu den Schuldnern statt. Ich dachte immer, die FDP sei gegen Umverteilung.
Frage: Herr Lindner, sehen Sie Herrn Lucke und die AfD als direkte Konkurrenten um Wählerstimmen?
LINDNER: Nein, wir stehen nicht in einem Wettbewerb mit Herrn Lucke.
LUCKE: Natürlich tun Sie das.
LINDNER: Sie sagen von sich, Sie seien kein Liberaler. Ich sage, ich bin ein Liberaler. Das bedeutet, marktwirtschaftliche Überzeugungen mit Weltoffenheit und Toleranz zu verbinden. Ich mache keine abfälligen Kommentare, wenn sich jemand als homosexuell outet.
Frage: Sie spielen auf die Äußerung von Herrn Lucke an, das Outing des homosexuellen Fußballers Thomas Hitzlsperger habe keinen besonderen Mut erfordert.
LUCKE: Stimmt. Und es ist wichtiger, sich um die Situation von Familien in unserem Land zu kümmern als darum, ob ein Einzelner schwul ist. Das hat nichts mit Ressentiments zu tun, sondern mit politischen Prioritäten. Wir haben in Deutschland zu wenige Kinder. Einkommensschwache Familien kriegen beim zweiten Kind nicht genug Entlastung, um ohne Hartz IV auch nur das Existenzminimum des Kindes zu sichern. Ich bin in der Tat kein Liberaler, denn ich sehe neben der Wichtigkeit freiheitlichen Gedankenguts auch die Notwendigkeit, die Schwachen in der Gesellschaft sozial zu stützen.
LINDNER: Familienförderung und Toleranz gegeneinander auszuspielen, das ist Gesellschaftspolitik der fünfziger Jahre. Sind Sie dafür, dass homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen?
LUCKE: Wenn es das leibliche Kind eines der Partner ist, ja. Sonst sollte ein elternloses Kind durch die Adoption sowohl Vater als auch Mutter erleben dürfen. Es gibt genug Paare, die sich danach sehnen.
LINDNER: Ich sehe keine Gefährdung des Kindeswohls, von zwei sich liebenden und füreinander Verantwortung tragenden Menschen aufgezogen zu werden.
Frage: Derzeit versuchen Tausende von Flüchtlingen, aus Afrika nach Europa zu gelangen, oft aus wirtschaftlichen Gründen. Wie sollen Deutschland und seine Partner mit diesem Problem umgehen?
LUCKE: Wir müssen Menschen in Seenot retten, aber wir müssen klarmachen, dass ein überladener Kahn keine Eintrittskarte in die EU ist. Sonst machen sich immer mehr auf die waghalsige Reise. Ich möchte einen Vorschlag machen, der sich an Ideen des früheren Innenministers Otto Schily anlehnt: Illegal eingereiste Flüchtlinge müssen zunächst in ein sicheres afrikanisches Land zurückkehren und dort einen Einreiseantrag stellen. Darüber wird im Rahmen eines Zuwanderungsgesetzes entschieden, das auf die Qualifikation und Integrationsfähigkeit des Zuwanderers abstellt.
Frage: Schily wollte die Flüchtlinge in Lagern, sogenannten Aufnahmeeinrichtungen, unterbringen lassen.
LUCKE: Nein, keine Lager. Deutschland sollte die Länder, die die Flüchtlinge bei sich leben lassen, finanziell entschädigen. Das ist allemal billiger, als Menschen jahrelang bei uns leben zu lassen, bis ihr Aufenthaltsstatus geklärt ist. Und es wären viel weniger, die diesen Weg gehen.
LINDNER: Sie sind gegen Griechenland-Hilfe, wollen aber sogar noch Sozialleistungen in Afrika bezahlen? Das ist absurd. Wie passt das zu dem Beschluss Ihrer Partei, Asylbewerber in Deutschland sofort zu gestatten, eine Arbeit aufzunehmen?
LUCKE: Da diese Menschen nun mal hier sind, ist es falsch, sie zur Untätigkeit zu zwingen. Das fördert Kriminalität und Alkoholismus. Es ist schlicht menschenunwürdig.
LINDNER: Ihr Vorschlag führt zu einer chaotischen Zuwanderungspolitik. Es werden dann massenhaft Härtefälle produziert, die Sie auch nach abgelehntem Asylantrag nicht mehr ausweisen können.
Frage: Herr Lindner, wie würden Sie mit den Flüchtlingen aus Afrika umgehen?
LINDNER: Wir brauchen ein Zuwanderungsrecht, das es Menschen ermöglicht, legal nach Deutschland zu kommen. In Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten müssen wir verhindern, dass die Flüchtlinge sich überhaupt auf den Weg nach Europa machen. Und Asylsuchende müssen fairer auf die EU Staaten verteilt werden.
Frage: Herr Lindner, Ihr Stellvertreter Wolfgang Kubicki hat fünf Prozent plus als Ziel für die Europawahl ausgegeben. Ist das die Zahl, an der Sie sich messen lassen wollen?
LINDNER: Wir wollen so gut wie möglich abschneiden, weil wir im Parlament mit der liberalen Fraktion eine große Rolle spielen wollen.
Frage: Herr Lucke, welches Ergebnis streben Sie für die AfD an?
LUCKE: Sechs bis acht Prozent.