FDP|
03.01.2014 - 11:00BEER-Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“
Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER schrieb für die „Frankfurter Rundschau“ den folgenden Gastbeitrag:
Seehofers Angriff auf Europa
Gerade erst haben wir die Reisewelle zum Jahreswechsel erlebt. Kinder besuchten ihre Familien in Cottbus, Leipzig oder Düsseldorf – viele reisten aus anderen europäischen Mitgliedsländern an, weil sie in österreichischen Hotels oder in europäischen Unternehmen ein Auskommen gefunden haben.
Neben den großen Erfolgen der Friedenssicherung und der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes sind es die vielen kleinen Freiheitsgewinne, die Europa unmittelbar spürbar machen. Mit jeder Aufnahme einer neuen Arbeit im EU-Ausland, mit jedem Grenzübertritt ohne Kontrollen, ist ein Stück Freiheitsgewinn verbunden, denn es zeigt dem Einzelnen, zur europäischen Idee dazuzugehören und als vollwertiger EU-Bürger akzeptiert zu sein. Die Grundlage dafür sind die europäischen Grundfreiheiten.
Diese Freiheiten wurden seit ihrem Bestehen nicht ohne Einschränkungen gewährt. So wurde im Zuge der Osterweiterung vor zehn Jahren, insbesondere auf Druck von Gewerkschaften, Arbeitnehmern aus den Beitrittsländern der ungehinderte Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verwehrt. Die Folge war, dass gut ausgebildete Ärzte, Ingenieure und Facharbeiter einen großen Bogen um Deutschland machten und in Länder wie Großbritannien zogen, die ihnen die unbeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit früher als Deutschland bescherten. Fachkräfte, die der deutschen Wirtschaft und dem Mittelstand heute und in Zukunft fehlen.
Mit der Einschränkung von europäischen Grundfreiheiten hat Deutschland keine guten Erfahrungen gemacht. Dennoch schlägt die CSU lautstark Alarm und warnt vor dem Missbrauch durch eine massenhafte Armutsmigration in unsere Sozialsysteme. Dabei leugnet niemand, dass es Probleme in den Großstädten wie Offenbach, Berlin oder Duisburg gibt. Mit einer erhöhten Zuwanderung in bestimmte Städte, ja bestimmte Stadtteile, ist eine spürbare Steigerung von Kosten für die Kommunen und Städte durch die zu übernehmende medizinische Versorgung, für Sozialarbeiter, Dolmetscher oder Sprachkurse sowie Beschulung zu verzeichnen. Der Umstand, dass nach Angaben des Deutschen Städtetages diese erhöhte Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien bereits seit 2006 zu verzeichnen ist, lässt jedoch an den lauteren Motiven der CSU heute zweifeln.
Die Veränderung ganzer Stadtteile, jeder vermeintlich rumänische Bettler oder jede negative Kriminalitätserfahrung wird als Problem europäischen Ursprungs wahrgenommen. Dies allein ist schon Grund genug, eine schnelle Lösung zu finden. Denn auch diese Erfahrungen prägen das Bild Europas in den Augen der Menschen. Bund und Länder sind deshalb aufgerufen, schnellstmöglich die betroffenen Kommunen zu unterstützen. Warum kann es keine finanzielle Unterstützung der betroffenen Kommunen durch europäische Mittel geben?
Wogegen ich mich aber ausdrücklich stelle, ist daraus eine politische Kampagne für den Europawahl- und Kommunalwahlkampf zu machen, wie derzeit die CSU. Der Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ hat nichts mehr mit einem seriösen Problemlösungsansatz oder einer wahlkampfbedingten Verkürzung der Botschaft zu tun, sondern ist schlicht mit europakritischer Feder geschrieben. Gerade weil ich der CSU unterstelle, dass sie sich mit den Sozialgesetzen in Deutschland gut auskennt, verzichte ich hier auf eine vertiefte Gesamtbetrachtung der Zahlen, wonach von den gut sechs Millionen Beziehern von Hartz IV lediglich ein halbes Prozent aus Bulgarien oder Rumänien stammen. Der CSU geht es weniger um die inhaltliche Diskussion als um einen Angriff auf den gesamten weiteren Integrationsprozess.
Horst Seehofer testet, inwieweit es sich lohnt, gegen die europäische Einigung Wahlkampf zu machen. Er will das Gefühl konservieren, Deutschland könne abgeschottet als Insel der Glückseeligen wirtschaftlich erfolgreich sein. Damit setzt er fort, was zu Beginn des letzten Jahres anfing. Bereits im Frühjahr des Bundestagswahljahres trat der damalige CSU-Bundesinnenminister für die Einschränkung der Reisefreiheit ein und verband sein Veto zum Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens mit dem Hinweis auf die Armutsmigration. Erfolgreicher war später Seehofers Ausländer-Maut. Dies waren keine individuellen Fehltritte, sondern erscheint heute, ergänzt um die Diskussion zur Armutsmigration, die neue europakritische Strategie der CSU zu sein. Damit schadet die CSU deutschen Interessen und dem Ansehen unseres Landes in der Europäischen Union.
Die Liberalen treten seit langen für eine gesteuerte Zuwanderung ein. Ein Blick auf die demografische Entwicklung und den Fachkräftebedarf unserer Wirtschaft reicht aus, dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Nahezu in allen Bereichen, seien es Pflegekräfte, Ingenieure oder auf Ebene der Facharbeiter fehlen in Deutschland qualifizierte Zuwanderer. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind als Herkunftsländer für Fachkräfte gerade zu prädestiniert. Vergleichbare Bildungsabschlüsse, ungehinderte Mobilität und zum Teil dieselbe Währung. Allein deshalb sollte Deutschland Sachwalter der europäischen Grundfreiheiten und nicht deren Totengräber sein. Die FDP wird dies im anstehenden Europawahlkampf zum Ausdruck bringen, ohne die Probleme in den Städten oder in den Herkunftsländern zu ignorieren.
Eines steht für mich als Liberale aber unmissverständlich fest: Wir werden Probleme nicht dadurch lösen, indem wir Bulgaren und Rumänen zu Europäern zweiter Klasse degradieren.
BEER-Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“
Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER schrieb für die „Frankfurter Rundschau“ den folgenden Gastbeitrag:
Seehofers Angriff auf Europa
Gerade erst haben wir die Reisewelle zum Jahreswechsel erlebt. Kinder besuchten ihre Familien in Cottbus, Leipzig oder Düsseldorf – viele reisten aus anderen europäischen Mitgliedsländern an, weil sie in österreichischen Hotels oder in europäischen Unternehmen ein Auskommen gefunden haben.
Neben den großen Erfolgen der Friedenssicherung und der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes sind es die vielen kleinen Freiheitsgewinne, die Europa unmittelbar spürbar machen. Mit jeder Aufnahme einer neuen Arbeit im EU-Ausland, mit jedem Grenzübertritt ohne Kontrollen, ist ein Stück Freiheitsgewinn verbunden, denn es zeigt dem Einzelnen, zur europäischen Idee dazuzugehören und als vollwertiger EU-Bürger akzeptiert zu sein. Die Grundlage dafür sind die europäischen Grundfreiheiten.
Diese Freiheiten wurden seit ihrem Bestehen nicht ohne Einschränkungen gewährt. So wurde im Zuge der Osterweiterung vor zehn Jahren, insbesondere auf Druck von Gewerkschaften, Arbeitnehmern aus den Beitrittsländern der ungehinderte Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verwehrt. Die Folge war, dass gut ausgebildete Ärzte, Ingenieure und Facharbeiter einen großen Bogen um Deutschland machten und in Länder wie Großbritannien zogen, die ihnen die unbeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit früher als Deutschland bescherten. Fachkräfte, die der deutschen Wirtschaft und dem Mittelstand heute und in Zukunft fehlen.
Mit der Einschränkung von europäischen Grundfreiheiten hat Deutschland keine guten Erfahrungen gemacht. Dennoch schlägt die CSU lautstark Alarm und warnt vor dem Missbrauch durch eine massenhafte Armutsmigration in unsere Sozialsysteme. Dabei leugnet niemand, dass es Probleme in den Großstädten wie Offenbach, Berlin oder Duisburg gibt. Mit einer erhöhten Zuwanderung in bestimmte Städte, ja bestimmte Stadtteile, ist eine spürbare Steigerung von Kosten für die Kommunen und Städte durch die zu übernehmende medizinische Versorgung, für Sozialarbeiter, Dolmetscher oder Sprachkurse sowie Beschulung zu verzeichnen. Der Umstand, dass nach Angaben des Deutschen Städtetages diese erhöhte Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien bereits seit 2006 zu verzeichnen ist, lässt jedoch an den lauteren Motiven der CSU heute zweifeln.
Die Veränderung ganzer Stadtteile, jeder vermeintlich rumänische Bettler oder jede negative Kriminalitätserfahrung wird als Problem europäischen Ursprungs wahrgenommen. Dies allein ist schon Grund genug, eine schnelle Lösung zu finden. Denn auch diese Erfahrungen prägen das Bild Europas in den Augen der Menschen. Bund und Länder sind deshalb aufgerufen, schnellstmöglich die betroffenen Kommunen zu unterstützen. Warum kann es keine finanzielle Unterstützung der betroffenen Kommunen durch europäische Mittel geben?
Wogegen ich mich aber ausdrücklich stelle, ist daraus eine politische Kampagne für den Europawahl- und Kommunalwahlkampf zu machen, wie derzeit die CSU. Der Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ hat nichts mehr mit einem seriösen Problemlösungsansatz oder einer wahlkampfbedingten Verkürzung der Botschaft zu tun, sondern ist schlicht mit europakritischer Feder geschrieben. Gerade weil ich der CSU unterstelle, dass sie sich mit den Sozialgesetzen in Deutschland gut auskennt, verzichte ich hier auf eine vertiefte Gesamtbetrachtung der Zahlen, wonach von den gut sechs Millionen Beziehern von Hartz IV lediglich ein halbes Prozent aus Bulgarien oder Rumänien stammen. Der CSU geht es weniger um die inhaltliche Diskussion als um einen Angriff auf den gesamten weiteren Integrationsprozess.
Horst Seehofer testet, inwieweit es sich lohnt, gegen die europäische Einigung Wahlkampf zu machen. Er will das Gefühl konservieren, Deutschland könne abgeschottet als Insel der Glückseeligen wirtschaftlich erfolgreich sein. Damit setzt er fort, was zu Beginn des letzten Jahres anfing. Bereits im Frühjahr des Bundestagswahljahres trat der damalige CSU-Bundesinnenminister für die Einschränkung der Reisefreiheit ein und verband sein Veto zum Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens mit dem Hinweis auf die Armutsmigration. Erfolgreicher war später Seehofers Ausländer-Maut. Dies waren keine individuellen Fehltritte, sondern erscheint heute, ergänzt um die Diskussion zur Armutsmigration, die neue europakritische Strategie der CSU zu sein. Damit schadet die CSU deutschen Interessen und dem Ansehen unseres Landes in der Europäischen Union.
Die Liberalen treten seit langen für eine gesteuerte Zuwanderung ein. Ein Blick auf die demografische Entwicklung und den Fachkräftebedarf unserer Wirtschaft reicht aus, dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Nahezu in allen Bereichen, seien es Pflegekräfte, Ingenieure oder auf Ebene der Facharbeiter fehlen in Deutschland qualifizierte Zuwanderer. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind als Herkunftsländer für Fachkräfte gerade zu prädestiniert. Vergleichbare Bildungsabschlüsse, ungehinderte Mobilität und zum Teil dieselbe Währung. Allein deshalb sollte Deutschland Sachwalter der europäischen Grundfreiheiten und nicht deren Totengräber sein. Die FDP wird dies im anstehenden Europawahlkampf zum Ausdruck bringen, ohne die Probleme in den Städten oder in den Herkunftsländern zu ignorieren.
Eines steht für mich als Liberale aber unmissverständlich fest: Wir werden Probleme nicht dadurch lösen, indem wir Bulgaren und Rumänen zu Europäern zweiter Klasse degradieren.