FDP|
27.09.2013 - 09:45LINDNER-Interview für „Spiegel Online“
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Spiegel Online“ (Donnerstag) das folgende Interview. Die Fragen stellte SEVERIN WEILAND:
Frage: Herr Lindner, 1971 hat Ihr Vorbild Karl-Hermann Flach , einst FDP-Generalsekretär, ein Buch mit dem Titel "Dem Liberalismus noch eine Chance" geschrieben. Mit ihm gesprochen - hat die FDP noch eine Chance?
LINDNER: Ich bin davon überzeugt, dass es eine Chance für eine liberale Partei gibt, wenn sie sich in der Mitte der Gesellschaft wieder Respekt erarbeitet. Für eine Partei, die für einen fair geordneten Markt steht, der die Fleißigen und nicht die Rücksichtslosen belohnt. Für eine Partei, die für eine vielfältige Gesellschaft eintritt und für einen Staat, der den Menschen Lebensentwürfe nicht diktiert, sondern Chancen eröffnet. Für eine Partei, die darauf achtet, dass der Staat die Bürger weder finanziell schröpft noch ausspioniert. Dieses klassische liberale Profil ist verschüttet - das müssen wir wieder freilegen.
Frage: Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik ist die FDP nicht mehr im Bundestag. Was sind die Gründe?
LINDNER: Es gibt viele, aber klar ist - wir haben zu viel von dem, was wir 2009 angekündigt haben, nicht umsetzen können. Im Koalitionsvertrag mit der Union haben wir uns zu oft mit Prüfaufträgen zufrieden gegeben - Papier ist aber geduldig. Außerdem war es zu kurzsichtig, angesichts der Staatsschuldenkrise in Europa auf Steuersenkungen zu bestehen. Wir wollten ja unbedingt Wort halten, das hat aber in der finanziellen Lage inkompetent und uneinsichtig gewirkt.
Frage: Welche Fehler hat die FDP-Führung um Philipp Rösler gemacht?
LINDNER: Ich bin für eine Aufarbeitung mit unserer Basis, aber gegen eine persönliche Abrechnung. Unsere Mitglieder haben viel aushalten müssen. Gerade deshalb muss eine neue Parteiführung ihnen jetzt zuhören, denn sie sind das Fundament für einen Neuanfang.
Frage: Zeitweise war die FDP nur mit sich selbst beschäftigt.
LINDNER: Die Personaldebatten haben uns geschadet. Selten ist uns ein kollegiales Miteinander gelungen. Das gilt auch für das Verhältnis zum Koalitionspartner.
Frage: In der letzten Woche vor dem 22. September haben Rösler und der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle mit "Jetzt geht's ums Ganze" um Zweitstimmen geradezu gebettelt. Ein Fehler?
LINDNER: Alle Parteien werben um Zweitstimmen. Eine Einladung zum Spott war bei uns aber der Eindruck, wir würden nur noch für Frau Merkel antreten. Das war unwürdig.
Frage: Sie haben in Nordrhein-Westfalen nur 5,2 Prozent bekommen, obwohl Sie im Bundestagswahlkampf mit ihrem NRW-Spitzenkandidaten Guido Westerwelle zusätzliche Einsätze gemacht haben. Ist Ihre Ausgangsbasis in NRW also auch schmal?
LINDNER: Dass wir in NRW über fünf Prozent liegen, ist nur ein schwacher Trost. Nirgendwo konnte sich die FDP dem Trend entziehen.
Frage: Welche Reaktionen bekommen Sie?
LINDNER: Ich habe seit Montag inzwischen Hunderte Mails und Briefe erhalten. Selbst FDP-Mitglieder haben mir geschrieben, sie hätten uns diesmal aus Notwehr nicht gewählt, um einen Neuanfang ihrer Partei zu erzwingen. Kaum je habe ich so erschütternde Zuschriften erhalten. Zugleich haben wir auch viele Eintrittserklärungen bekommen. Das bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass neues Vertrauen wachsen kann und die Menschen uns nicht aufgegeben haben.
Frage: Wäre eine Hoffnung der FDP auf eine Rückkehr in den Bundestag nicht baldige Neuwahlen?
LINDNER: Darüber spekuliere ich nicht. Ich nehme stattdessen wahr, welche Angebote die Union der SPD bei Steuererhöhungen machen will, obwohl noch nicht einmal förmlich Koalitionsverhandlungen aufgenommen wurden. Vier Tage sind seit der Wahl vergangen und die CDU wechselt bereits den Kurs. Die Bürger werden diese Wende einordnen können.
Frage: Es gibt ein Image der FDP in der Öffentlichkeit - Partei der Hoteliers, der Immobilienmakler, der Pharmabranche, der Zahnärzte, der Glückspielbetreiber. Wie wollen Sie davon weg kommen?
LINDNER: Die kommunikativ völlig verunglückte Hotel-Steuer, die im Prinzip alle Parteien im Programm hatten, war der Urgrund dieses Vorwurfs. Am Ende waren wir nahezu machtlos, diese Vorhaltungen auszuräumen. Dabei hat die FDP beispielsweise größte Einsparungen bei der Pharmabranche durchgesetzt, während die SPD-Gesundheitsministerin in dieser Frage zuvor zahnlos war. Die FDP ist von ihrer Mitgliedschaft und Wählerschaft her immer eine Partei gewesen, die in der Mitte der Gesellschaft zu Hause ist. Das muss wieder stärker zum Tragen kommen.
Frage: Wie?
LINDNER: Wir hätten zum Beispiel vernehmbarer erklären müssen, dass wir uns für kleine und mittlere Betriebe einsetzen, weil dort die Arbeits- und Ausbildungsplätze sind. Und nicht, weil wir die Interessenvertreter allein der Unternehmer sein wollten. Eine kluge Arbeitnehmerpolitik in Deutschland ist Mittelstandspolitik. Denn hier geht es um die Vielen, nicht um die Wenigen.
Frage: Bei den Europawahlen im Mai 2014 hat die FDP mit der AfD eine starke Konkurrenz, allein 440.000 FDP-Wähler haben bei der Bundestagswahl die Anti-Euro-Partei gewählt. Wollen Sie die zurückholen?
LINDNER: Wir sind eine Europa-Partei, wir wenden uns an 62 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland. Wir machen unsere Vorschläge - aber wir rennen keiner Partei hinterher, die sich außenpolitisch ernsthaft noch auf Bismarck beruft. Die FDP will, dass Europa eine Stabilitätsunion wird. Das heißt, Strukturprobleme können nicht mit deutschem Geld zugeschüttet werden, Europa braucht Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Nach dem Regierungswechsel ist nun aber zu befürchten, dass dieser Kurs abgeschwächt wird.
Frage:: Als möglicher neuer FDP-Chef müssen Sie die Partei personell neu aufstellen. Wolfgang Kubicki will Parteivize werden, ein Mann deutlicher Worte. Wie wollen Sie und der Feuerkopf aus dem Norden zusammenarbeiten?
LINDNER: Machen Sie sich keine Sorgen. Die FDP ist eine vielfältige Partei mit unterschiedlichen Temperamenten, das muss sich auch künftig im Außenbild stärker widerspiegeln.
Frage: Der FDP-Bundesvize Holger Zastrow aus Sachsen hat erklärt, er habe Vorbehalte gegen Sie, er habe Ihren Rücktritt als FDP-Generalsekretär 2011 nicht vergessen.
LINDNER: Ich habe damals den Kurs meiner Partei nicht mehr als Generalsekretär vertreten wollen, das stimmt. Meine jetzige Kandidatur ist das Angebot, die Partei zu erneuern und wieder in den Deutschen Bundestag zu führen. Als Liberaler fürchte ich den Wettbewerb aber nicht.
LINDNER-Interview für „Spiegel Online“
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Spiegel Online“ (Donnerstag) das folgende Interview. Die Fragen stellte SEVERIN WEILAND:
Frage: Herr Lindner, 1971 hat Ihr Vorbild Karl-Hermann Flach [1], einst FDP-Generalsekretär, ein Buch mit dem Titel "Dem Liberalismus noch eine Chance" geschrieben. Mit ihm gesprochen - hat die FDP noch eine Chance?
LINDNER: Ich bin davon überzeugt, dass es eine Chance für eine liberale Partei gibt, wenn sie sich in der Mitte der Gesellschaft wieder Respekt erarbeitet. Für eine Partei, die für einen fair geordneten Markt steht, der die Fleißigen und nicht die Rücksichtslosen belohnt. Für eine Partei, die für eine vielfältige Gesellschaft eintritt und für einen Staat, der den Menschen Lebensentwürfe nicht diktiert, sondern Chancen eröffnet. Für eine Partei, die darauf achtet, dass der Staat die Bürger weder finanziell schröpft noch ausspioniert. Dieses klassische liberale Profil ist verschüttet - das müssen wir wieder freilegen.
Frage: Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik ist die FDP nicht mehr im Bundestag. Was sind die Gründe?
LINDNER: Es gibt viele, aber klar ist - wir haben zu viel von dem, was wir 2009 angekündigt haben, nicht umsetzen können. Im Koalitionsvertrag mit der Union haben wir uns zu oft mit Prüfaufträgen zufrieden gegeben - Papier ist aber geduldig. Außerdem war es zu kurzsichtig, angesichts der Staatsschuldenkrise in Europa auf Steuersenkungen zu bestehen. Wir wollten ja unbedingt Wort halten, das hat aber in der finanziellen Lage inkompetent und uneinsichtig gewirkt.
Frage: Welche Fehler hat die FDP-Führung um Philipp Rösler [2] gemacht?
LINDNER: Ich bin für eine Aufarbeitung mit unserer Basis, aber gegen eine persönliche Abrechnung. Unsere Mitglieder haben viel aushalten müssen. Gerade deshalb muss eine neue Parteiführung ihnen jetzt zuhören, denn sie sind das Fundament für einen Neuanfang.
Frage: Zeitweise war die FDP nur mit sich selbst beschäftigt.
LINDNER: Die Personaldebatten haben uns geschadet. Selten ist uns ein kollegiales Miteinander gelungen. Das gilt auch für das Verhältnis zum Koalitionspartner.
Frage: In der letzten Woche vor dem 22. September haben Rösler und der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle mit "Jetzt geht's ums Ganze" um Zweitstimmen geradezu gebettelt. Ein Fehler?
LINDNER: Alle Parteien werben um Zweitstimmen. Eine Einladung zum Spott war bei uns aber der Eindruck, wir würden nur noch für Frau Merkel antreten. Das war unwürdig.
Frage: Sie haben in Nordrhein-Westfalen nur 5,2 Prozent [3] bekommen, obwohl Sie im Bundestagswahlkampf mit ihrem NRW-Spitzenkandidaten Guido Westerwelle zusätzliche Einsätze gemacht haben. Ist Ihre Ausgangsbasis in NRW also auch schmal?
LINDNER: Dass wir in NRW über fünf Prozent liegen, ist nur ein schwacher Trost. Nirgendwo konnte sich die FDP dem Trend entziehen.
Frage: Welche Reaktionen bekommen Sie?
LINDNER: Ich habe seit Montag inzwischen Hunderte Mails und Briefe erhalten. Selbst FDP-Mitglieder haben mir geschrieben, sie hätten uns diesmal aus Notwehr nicht gewählt, um einen Neuanfang ihrer Partei zu erzwingen. Kaum je habe ich so erschütternde Zuschriften erhalten. Zugleich haben wir auch viele Eintrittserklärungen bekommen. Das bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass neues Vertrauen wachsen kann und die Menschen uns nicht aufgegeben haben.
Frage: Wäre eine Hoffnung der FDP auf eine Rückkehr in den Bundestag nicht baldige Neuwahlen?
LINDNER: Darüber spekuliere ich nicht. Ich nehme stattdessen wahr, welche Angebote die Union der SPD bei Steuererhöhungen machen will, obwohl noch nicht einmal förmlich Koalitionsverhandlungen aufgenommen wurden. Vier Tage sind seit der Wahl vergangen und die CDU wechselt bereits den Kurs. Die Bürger werden diese Wende einordnen können.
Frage: Es gibt ein Image der FDP [1] in der Öffentlichkeit - Partei der Hoteliers, der Immobilienmakler, der Pharmabranche, der Zahnärzte, der Glückspielbetreiber. Wie wollen Sie davon weg kommen?
LINDNER: Die kommunikativ völlig verunglückte Hotel-Steuer, die im Prinzip alle Parteien im Programm hatten, war der Urgrund dieses Vorwurfs. Am Ende waren wir nahezu machtlos, diese Vorhaltungen auszuräumen. Dabei hat die FDP beispielsweise größte Einsparungen bei der Pharmabranche durchgesetzt, während die SPD-Gesundheitsministerin in dieser Frage zuvor zahnlos war. Die FDP ist von ihrer Mitgliedschaft und Wählerschaft her immer eine Partei gewesen, die in der Mitte der Gesellschaft zu Hause ist. Das muss wieder stärker zum Tragen kommen.
Frage: Wie?
LINDNER: Wir hätten zum Beispiel vernehmbarer erklären müssen, dass wir uns für kleine und mittlere Betriebe einsetzen, weil dort die Arbeits- und Ausbildungsplätze sind. Und nicht, weil wir die Interessenvertreter allein der Unternehmer sein wollten. Eine kluge Arbeitnehmerpolitik in Deutschland ist Mittelstandspolitik. Denn hier geht es um die Vielen, nicht um die Wenigen.
Frage: Bei den Europawahlen im Mai 2014 hat die FDP mit der AfD eine starke Konkurrenz, allein 440.000 FDP-Wähler haben bei der Bundestagswahl die Anti-Euro-Partei gewählt. Wollen Sie die zurückholen?
LINDNER: Wir sind eine Europa-Partei, wir wenden uns an 62 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland. Wir machen unsere Vorschläge - aber wir rennen keiner Partei hinterher, die sich außenpolitisch ernsthaft noch auf Bismarck beruft. Die FDP will, dass Europa eine Stabilitätsunion wird. Das heißt, Strukturprobleme können nicht mit deutschem Geld zugeschüttet werden, Europa braucht Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Nach dem Regierungswechsel ist nun aber zu befürchten, dass dieser Kurs abgeschwächt wird.
Frage:: Als möglicher neuer FDP-Chef müssen Sie die Partei personell neu aufstellen. Wolfgang Kubicki [4] will Parteivize werden, ein Mann deutlicher Worte. Wie wollen Sie und der Feuerkopf aus dem Norden zusammenarbeiten?
LINDNER: Machen Sie sich keine Sorgen. Die FDP ist eine vielfältige Partei mit unterschiedlichen Temperamenten, das muss sich auch künftig im Außenbild stärker widerspiegeln.
Frage: Der FDP-Bundesvize Holger Zastrow aus Sachsen hat erklärt, er habe Vorbehalte gegen Sie, er habe Ihren Rücktritt als FDP-Generalsekretär 2011 nicht vergessen.
LINDNER: Ich habe damals den Kurs meiner Partei nicht mehr als Generalsekretär vertreten wollen, das stimmt. Meine jetzige Kandidatur ist das Angebot, die Partei zu erneuern und wieder in den Deutschen Bundestag zu führen. Als Liberaler fürchte ich den Wettbewerb aber nicht.