FDP|
24.08.2013 - 02:00LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER-Gastbeitrag für die "Frankfurter Rundschau"
Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Bundesjustizministerin SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER schrieb für die "Frankfurter Rundschau" (Samstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Im Zeichen von Prism und Tempora
Das Grundrecht auf Freiheit als Abwehrrecht gegenüber den Sicherheitsinteressen des Staates
Das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit wird angesichts der Abhörskandale rund um Prism und Tempora derzeit intensiv diskutiert wie seit Jahren nicht mehr. Neu sind die Auseinandersetzungen über das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit nicht.
Die Antwort auf die Frage, nach welchem Prinzip der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit ausgetragen und gelöst wird, prägt den Charakter staatlichen Handelns. Im liberalen Rechtsstaat hat das Prinzip der Freiheit unter bestimmten Voraussetzungen Vorrang vor dem der Sicherheit. Staat und Gesellschaft sind aus der liberalen Sicht eben nicht eine verschmolzene Einheit; der Staat handelt für die Gesellschaft, weil sie sich nicht selbst regieren und verwalten kann. Und dieses stellvertretende Handeln für die Bürgerschaft wird durch die Grundrechte beschränkt. Die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger sind zuerst Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie garantieren die Rechte und Freiheiten, die in der Verfassung festgeschrieben sind.
Das Prinzip der Freiheit ist besonders seit den fürchterlichen Terroranschlägen auf die USA 2001 weltweit - und gerade auch in Deutschland - immer stärker in den Hintergrund gedrängt worden.
Letztes Bollwerk der Freiheit in dieser Entwicklung war lange Zeit das Bundesverfassungsgericht, das etwa mit seinen Entscheidungen zum Lauschangriff, zum Luftsicherheitsgesetz, zur Online-Durchsuchung und zur Vorratsdatenspeicherung dem überbordenden Eifer der Sicherheitspolitiker nur allzu häufig Einhalt gebieten musste.
Dennoch setzten sich zunehmend kriminalpolitische Konzepte durch, in denen die Beobachtungs-, Überwachungs- und Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden immer weiter in das Vorfeld tatsächlich strafbarer Handlungen verlagert wurde. Konzepte also, die zunehmend vom konkreten Verdacht als rechtsstaatliche Voraussetzung für staatliches Eingriffshandeln Abstand nehmen und die Grenzen zwischen justizieller, polizeilicher und geheimdienstlicher Tätigkeit immer weiter verwischen.
So hat das BKA mit dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus im Jahr 2009 erstmalig präventivpolizeiliche Befugnisse erhalten, und zwar auf höchstem Niveau staatlicher Eingriffsbefugnisse, z.B. bei der stark umstrittenen Online-Durchsuchung.
Die theoretische Grundlage dafür lieferte unter anderem der Staatsrechtler Josef Isensee, indem er die Behauptung aufstellte, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sei - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch implizit - ein Grundrecht auf Sicherheit verankert.
In der Rechtswissenschaft blieb diese seltsame Interpretation des Grundgesetzes nahezu folgenlos. In der Politik waren die Folgen unübersehbar, von Innenpolitikern wie Otto Schily wurde diese Logik dankbar aufgegriffen und mündeten in den berühmt-berüchtigen Schily-Kataloge, die in Rekordtempo durch den Bundestag gebracht wurden.
Da es ein Grundrecht auf Sicherheit gebe, so die Begründung Schilys, hätten die Bürgerinnen und Bürger ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht, vom Staat Sicherheit zu verlangen.
Diese Sicherheit aber "lässt sich nur ins Werk setzen, wenn der Staat exakt das Gegenteil dessen tut, was das überkommene Verständnis der Grundrechte wollte, wenn er nämlich die Freiheitsrechte beschränkt" (W. Hassemer).
Für die schleichende Verschiebung hin zu einem Vorrang der Sicherheit gegenüber der Freiheit steht besonders exemplarisch die umfassende flächendeckende, anlasslose Vorratsdatenspeicherung. In der Logik der Vorratsdatenspeicherung ist jeder Bürger und jede Bürgerin potentiell verdächtig. Deshalb sollen alle digitalen und sonstigen Kommunikationsspuren ohne Anlass und ohne Verdacht gespeichert werden.
Das deutsche Umsetzungsgesetz der EU-Richtlinie wurde bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonders schwerer Eingriff in die Grundrechte der Bürger mit einer Streubreite, wie sie die deutsche Rechtsordnung bis dahin nicht kannte. Mittlerweile wird die Richtlinie vor dem EuGH auf ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht überprüft.
Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung haben diese grundsätzlichen Bedenken immer mit Verweis auf den sicherheitspolitischen Mehrwert Beiseite gewischt. Nur: Die Nachfrage nach "Sicherheit" ist potentiell unbegrenzt, zumal die Größe der jeweils behaupteten, empfundenen und abzuwehrenden Gefahr nicht objektiv gemessen werden kann und jeweils auf subjektive Annahmen, Erwartungen und Absichten beruht.
Umso wichtiger ist, dass es mit der schwarz-gelben Koalition kein "Weiter so!" gab. Mit dem Regierungswechsel im Jahre 2009 wurde das Stakkato immer neuer und immer schärferer Sicherheitsgesetze beendet. Die Freiheit erhielt - wenn auch gegen starke Widerstände - wieder einen höheren Stellenwert.
Durch die Enthüllungen von Edward Snowden lebte sogar eine jahrzehntelang verschüttete Debatte wieder auf, die besonders die Gefährdungen der Freiheit in den Blick nimmt. Nicht die Kritiker der Vorratsdatenspeicherung müssen sich jetzt erklären, sondern die Befürworter einer umfassenden Totalüberwachung.
Das mag auch erklären, warum die Liberalen nicht mehr beschuldigt werden, an einem Bild des Staates aus dem 19. Jahrhundert festzuhalten. Plötzlich wird klar, dass es eben nur Gerede ist, wenn behauptet wird, die heutigen Bedrohungen der Freiheit gingen nicht mehr vom staatlichen Handeln aus. Angesichts von Prism und Tempora lohnt sich der Blick ins Archiv der großen Ideen von Locke, Montesquieu und Kant, die die Ideen für unser heutiges Zusammenleben entwickelt haben.
Das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit darf nicht radikal zu Gunsten einer vermeintlichen Sicherheit, das heißt, radikal zu Lasten der Freiheit aufgelöst werden. Vor allem gilt: Die Entscheidung darüber, wie viel Freiheit wir zu Gunsten der Sicherheit aufgeben wollen, darf nicht dem demokratisch-politischen Willensbildungsprozess entzogen werden.
Das wäre nicht mehr der Staat des Grundgesetzes. Es wäre der mit absoluter und durch keine Verfassung eingeschränkte Macht versehene Staat des Thomas Hobbes: der Leviathan. Es wäre der Staat, dem die Bürgerinnen und Bürger bedingungslos zum Gehorsam verpflichtet sind.
Im liberalen Rechtsstaat geht es auch darum, staatliche Maßnahmen zur Herstellung von Sicherheit einzugrenzen: In den Worten Wilhelm von Humboldts: "Um Sicherheit zu erhalten, kann das nicht notwendig sein, was gerade die Freiheit und damit auch die Sicherheit aufhebt."
Deswegen darf die umfassende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger nicht Alltag werden. Dazu gehört aktuell, alle auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene verfügbaren Instrumente und Spielräume ausnutzen, um die mit Programmen wie Prism, Tempora aber auch mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Eingriffe in die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger abzuwehren.
LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER-Gastbeitrag für die "Frankfurter Rundschau"
Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Bundesjustizministerin SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER schrieb für die "Frankfurter Rundschau" (Samstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Im Zeichen von Prism und Tempora
Das Grundrecht auf Freiheit als Abwehrrecht gegenüber den Sicherheitsinteressen des Staates
Das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit wird angesichts der Abhörskandale rund um Prism und Tempora derzeit intensiv diskutiert wie seit Jahren nicht mehr. Neu sind die Auseinandersetzungen über das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit nicht.
Die Antwort auf die Frage, nach welchem Prinzip der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit ausgetragen und gelöst wird, prägt den Charakter staatlichen Handelns. Im liberalen Rechtsstaat hat das Prinzip der Freiheit unter bestimmten Voraussetzungen Vorrang vor dem der Sicherheit. Staat und Gesellschaft sind aus der liberalen Sicht eben nicht eine verschmolzene Einheit; der Staat handelt für die Gesellschaft, weil sie sich nicht selbst regieren und verwalten kann. Und dieses stellvertretende Handeln für die Bürgerschaft wird durch die Grundrechte beschränkt. Die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger sind zuerst Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie garantieren die Rechte und Freiheiten, die in der Verfassung festgeschrieben sind.
Das Prinzip der Freiheit ist besonders seit den fürchterlichen Terroranschlägen auf die USA 2001 weltweit - und gerade auch in Deutschland - immer stärker in den Hintergrund gedrängt worden.
Letztes Bollwerk der Freiheit in dieser Entwicklung war lange Zeit das Bundesverfassungsgericht, das etwa mit seinen Entscheidungen zum Lauschangriff, zum Luftsicherheitsgesetz, zur Online-Durchsuchung und zur Vorratsdatenspeicherung dem überbordenden Eifer der Sicherheitspolitiker nur allzu häufig Einhalt gebieten musste.
Dennoch setzten sich zunehmend kriminalpolitische Konzepte durch, in denen die Beobachtungs-, Überwachungs- und Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden immer weiter in das Vorfeld tatsächlich strafbarer Handlungen verlagert wurde. Konzepte also, die zunehmend vom konkreten Verdacht als rechtsstaatliche Voraussetzung für staatliches Eingriffshandeln Abstand nehmen und die Grenzen zwischen justizieller, polizeilicher und geheimdienstlicher Tätigkeit immer weiter verwischen.
So hat das BKA mit dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus im Jahr 2009 erstmalig präventivpolizeiliche Befugnisse erhalten, und zwar auf höchstem Niveau staatlicher Eingriffsbefugnisse, z.B. bei der stark umstrittenen Online-Durchsuchung.
Die theoretische Grundlage dafür lieferte unter anderem der Staatsrechtler Josef Isensee, indem er die Behauptung aufstellte, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sei - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch implizit - ein Grundrecht auf Sicherheit verankert.
In der Rechtswissenschaft blieb diese seltsame Interpretation des Grundgesetzes nahezu folgenlos. In der Politik waren die Folgen unübersehbar, von Innenpolitikern wie Otto Schily wurde diese Logik dankbar aufgegriffen und mündeten in den berühmt-berüchtigen Schily-Kataloge, die in Rekordtempo durch den Bundestag gebracht wurden.
Da es ein Grundrecht auf Sicherheit gebe, so die Begründung Schilys, hätten die Bürgerinnen und Bürger ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht, vom Staat Sicherheit zu verlangen.
Diese Sicherheit aber "lässt sich nur ins Werk setzen, wenn der Staat exakt das Gegenteil dessen tut, was das überkommene Verständnis der Grundrechte wollte, wenn er nämlich die Freiheitsrechte beschränkt" (W. Hassemer).
Für die schleichende Verschiebung hin zu einem Vorrang der Sicherheit gegenüber der Freiheit steht besonders exemplarisch die umfassende flächendeckende, anlasslose Vorratsdatenspeicherung. In der Logik der Vorratsdatenspeicherung ist jeder Bürger und jede Bürgerin potentiell verdächtig. Deshalb sollen alle digitalen und sonstigen Kommunikationsspuren ohne Anlass und ohne Verdacht gespeichert werden.
Das deutsche Umsetzungsgesetz der EU-Richtlinie wurde bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonders schwerer Eingriff in die Grundrechte der Bürger mit einer Streubreite, wie sie die deutsche Rechtsordnung bis dahin nicht kannte. Mittlerweile wird die Richtlinie vor dem EuGH auf ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht überprüft.
Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung haben diese grundsätzlichen Bedenken immer mit Verweis auf den sicherheitspolitischen Mehrwert Beiseite gewischt. Nur: Die Nachfrage nach "Sicherheit" ist potentiell unbegrenzt, zumal die Größe der jeweils behaupteten, empfundenen und abzuwehrenden Gefahr nicht objektiv gemessen werden kann und jeweils auf subjektive Annahmen, Erwartungen und Absichten beruht.
Umso wichtiger ist, dass es mit der schwarz-gelben Koalition kein "Weiter so!" gab. Mit dem Regierungswechsel im Jahre 2009 wurde das Stakkato immer neuer und immer schärferer Sicherheitsgesetze beendet. Die Freiheit erhielt - wenn auch gegen starke Widerstände - wieder einen höheren Stellenwert.
Durch die Enthüllungen von Edward Snowden lebte sogar eine jahrzehntelang verschüttete Debatte wieder auf, die besonders die Gefährdungen der Freiheit in den Blick nimmt. Nicht die Kritiker der Vorratsdatenspeicherung müssen sich jetzt erklären, sondern die Befürworter einer umfassenden Totalüberwachung.
Das mag auch erklären, warum die Liberalen nicht mehr beschuldigt werden, an einem Bild des Staates aus dem 19. Jahrhundert festzuhalten. Plötzlich wird klar, dass es eben nur Gerede ist, wenn behauptet wird, die heutigen Bedrohungen der Freiheit gingen nicht mehr vom staatlichen Handeln aus. Angesichts von Prism und Tempora lohnt sich der Blick ins Archiv der großen Ideen von Locke, Montesquieu und Kant, die die Ideen für unser heutiges Zusammenleben entwickelt haben.
Das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit darf nicht radikal zu Gunsten einer vermeintlichen Sicherheit, das heißt, radikal zu Lasten der Freiheit aufgelöst werden. Vor allem gilt: Die Entscheidung darüber, wie viel Freiheit wir zu Gunsten der Sicherheit aufgeben wollen, darf nicht dem demokratisch-politischen Willensbildungsprozess entzogen werden.
Das wäre nicht mehr der Staat des Grundgesetzes. Es wäre der mit absoluter und durch keine Verfassung eingeschränkte Macht versehene Staat des Thomas Hobbes: der Leviathan. Es wäre der Staat, dem die Bürgerinnen und Bürger bedingungslos zum Gehorsam verpflichtet sind.
Im liberalen Rechtsstaat geht es auch darum, staatliche Maßnahmen zur Herstellung von Sicherheit einzugrenzen: In den Worten Wilhelm von Humboldts: "Um Sicherheit zu erhalten, kann das nicht notwendig sein, was gerade die Freiheit und damit auch die Sicherheit aufhebt."
Deswegen darf die umfassende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger nicht Alltag werden. Dazu gehört aktuell, alle auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene verfügbaren Instrumente und Spielräume ausnutzen, um die mit Programmen wie Prism, Tempora aber auch mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Eingriffe in die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger abzuwehren.