FDP|
15.08.2013 - 02:00LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER-Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Bundesjustizministerin SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER schrieb für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Donnerstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Druck auch gegenüber Freunden
Prism, Tempora und die Vorratsdatenspeicherung fußen auf einem totalen Kontrollgedanken. Es darf aber nicht jeder Bürger als möglicher Terrorist oder Straftäter behandelt werden. Wohin diese Logik führt, ist oft genug beschrieben worden - dieser Schrecken, der im Kinosessel fasziniert, bedeutet in der Realität das Ende der individuellen Freiheit: Eine Gesellschaft ist umso unfreier, je mehr sie überwacht wird.
Deswegen ist die Debatte nicht beendet. Eine ehrliche Antwort auf die Frage, wie weit wir mit der Aufklärung sind, kann nur lauten: mittendrin. Die von den Amerikanern angekündigte Deklassifizierung dauert genauso an wie die Arbeit einer eigens eingerichteten Expertengruppe zwischen der EU und den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig hat in den Vereinigten Staaten eine Debatte begonnen, die erstmals die Arbeit der NSA hinterfragt.
Es sei richtig, Überwachung zu hinterfragen, sagte Präsident Obama kürzlich. Mit diesen Worten kündigte er eine Transparenzoffensive an, in der auch Experten die bisherige amerikanische Praxis der elektronischen Überwachung überprüfen werden. Kern der gesetzlichen Reformen soll sogar eine Überarbeitung des umstrittenen Patriot Acts sein, der die rechtlichen Grundlagen für die Abhörmaßnahmen der NSA legt.
Der Ansatz der Bundesregierung, mit einem bi- und multilateralen Ansatz den Schutz der Privatsphäre in der digitalen Welt wiederherzustellen, ist richtig. Daneben muss in Deutschland eine Kraftanstrengung gelingen, damit auch die deutschen Dienste härter und umfassender kontrolliert werden. Die Kontrolle muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, zum Beispiel durch einen Geheimdienstbeauftragten beim Parlamentarischen Kontrollgremium. Er soll sehr genau überprüfen können, was die Dienste machen und wie weit das auch mit den Rechtsgrundlagen vereinbar ist.
Aber dieser Ansatz hilft nur bedingt, wenn es den Europäern nicht gelingt, ihre eigenen Interessen hart und mit Nachdruck gegenüber den Vereinigten Staaten zu vertreten. Das ist auch unter Freunden und Verbündeten nichts Ungewöhnliches. Immerhin deutet die Selbstkritik von Teilen der Republikaner darauf hin, dass die Sicherheitsgesetzgebung nach dem 11. September 2001 jenseits der politischen Lager überprüft werden kann. Aber nur harter Druck wird helfen, die zaghaften Bewegungen der Obama-Administration zu beschleunigen.
Das gilt vor allem für das sogenannte Safe-Harbour-Abkommen. Der "sichere Hafen", so die Annahme, sei gewährleistet, wenn europäische Unternehmen personenbezogene Daten an die Vereinigten Staaten übermitteln. Die EU hatte mit diesem System einen Mechanismus geschaffen, der von einem ausreichenden Schutz bei der Übermittlung personenbezogener Daten ausgeht. Dass das der Fall ist, bezweifelt nicht nur die EU-Kommission. Deswegen hat Justizkommissarin Reding angekündigt, das Verfahren zu überprüfen. Dabei geht es nicht um bloße Technik oder juristischen Feinschliff. Die Vereinigten Staaten müssen trotz ihrer anderen Datenschutzpraxis zusichern, dass bei den Datentransfers in die Vereinigten Staaten sichergestellt ist, was dort mit den europäischen Daten passiert.
Und selbstverständlich ist es in jeder Demokratie notwendig, das notwendige Maß an Transparenz über die Arbeit der Geheimdienste zu schaffen, ohne ihre Arbeit zu gefährden. Jenseits des Wahlkampfes sollte darüber diskutiert werden, welche Schritte mit welcher Perspektive und auf welcher Handlungsebene notwendig sind.
Europäisch muss die Datenschutzverordnung noch vor der nächsten Wahl des Europäischen Parlamentes Realität werden. Außerdem muss die Datenweitergabe in der Datenschutzgrundverordnung beschränkt werden. Es muss künftig für Kunden klar sein, wie die Grundlagen einer Datenübermittlung in Nicht-EU-Staaten aussehen. International brauchen wir langfristig Regelungen innerhalb der UN, die für alle gelten.
In Wirklichkeit findet derzeit eine Zeitenwende statt. Zum ersten Mal seit den fürchterlichen Terroranschlägen auf die Vereinigten Staaten 2001 findet weltweit ein gesellschaftliches, politisches und wirtschaftliches Umdenken statt. So steigt das Bewusstsein für Datenschutz und Datensicherheit bei Nutzern und Wirtschaftsakteuren. Die gute Initiative der deutschen IT-Unternehmen zeigt, dass hier der Wettbewerb zwischen der EU und Amerika anfängt.
Auf der anderen Seite zeigt die - traurige - selbstgewählte Abschaltung eines amerikanischen E-Mail-Anbieters, der seine E-Mails verschlüsselte: Bereits jetzt gibt es Verschlüsselungsmethoden, die allein aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten Datenpakete schnüren, an denen sich jeder Geheimdienst die Zähne ausbeißt. Umso wichtiger ist es, dass E-Mail-Anbieter genauso wie private User einfache Verschlüsselungstechniken angeboten bekommen.
Die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung dokumentiert die politische Zeitenwende. Indes: Die Ausspäh-Affäre gehört nicht in den Mikrokosmos des deutschen Wahlkampfs. Wir müssen gemeinsam über die falschen Weichenstellungen einer überbordenden Sicherheitspolitik seit dem 11. September diskutieren. Die von dieser Koalition eingesetzte Regierungskommission wird noch Ende des Monats dazu Vorschläge vorlege
LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER-Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Bundesjustizministerin SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER schrieb für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Donnerstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Druck auch gegenüber Freunden
Prism, Tempora und die Vorratsdatenspeicherung fußen auf einem totalen Kontrollgedanken. Es darf aber nicht jeder Bürger als möglicher Terrorist oder Straftäter behandelt werden. Wohin diese Logik führt, ist oft genug beschrieben worden - dieser Schrecken, der im Kinosessel fasziniert, bedeutet in der Realität das Ende der individuellen Freiheit: Eine Gesellschaft ist umso unfreier, je mehr sie überwacht wird.
Deswegen ist die Debatte nicht beendet. Eine ehrliche Antwort auf die Frage, wie weit wir mit der Aufklärung sind, kann nur lauten: mittendrin. Die von den Amerikanern angekündigte Deklassifizierung dauert genauso an wie die Arbeit einer eigens eingerichteten Expertengruppe zwischen der EU und den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig hat in den Vereinigten Staaten eine Debatte begonnen, die erstmals die Arbeit der NSA hinterfragt.
Es sei richtig, Überwachung zu hinterfragen, sagte Präsident Obama kürzlich. Mit diesen Worten kündigte er eine Transparenzoffensive an, in der auch Experten die bisherige amerikanische Praxis der elektronischen Überwachung überprüfen werden. Kern der gesetzlichen Reformen soll sogar eine Überarbeitung des umstrittenen Patriot Acts sein, der die rechtlichen Grundlagen für die Abhörmaßnahmen der NSA legt.
Der Ansatz der Bundesregierung, mit einem bi- und multilateralen Ansatz den Schutz der Privatsphäre in der digitalen Welt wiederherzustellen, ist richtig. Daneben muss in Deutschland eine Kraftanstrengung gelingen, damit auch die deutschen Dienste härter und umfassender kontrolliert werden. Die Kontrolle muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, zum Beispiel durch einen Geheimdienstbeauftragten beim Parlamentarischen Kontrollgremium. Er soll sehr genau überprüfen können, was die Dienste machen und wie weit das auch mit den Rechtsgrundlagen vereinbar ist.
Aber dieser Ansatz hilft nur bedingt, wenn es den Europäern nicht gelingt, ihre eigenen Interessen hart und mit Nachdruck gegenüber den Vereinigten Staaten zu vertreten. Das ist auch unter Freunden und Verbündeten nichts Ungewöhnliches. Immerhin deutet die Selbstkritik von Teilen der Republikaner darauf hin, dass die Sicherheitsgesetzgebung nach dem 11. September 2001 jenseits der politischen Lager überprüft werden kann. Aber nur harter Druck wird helfen, die zaghaften Bewegungen der Obama-Administration zu beschleunigen.
Das gilt vor allem für das sogenannte Safe-Harbour-Abkommen. Der "sichere Hafen", so die Annahme, sei gewährleistet, wenn europäische Unternehmen personenbezogene Daten an die Vereinigten Staaten übermitteln. Die EU hatte mit diesem System einen Mechanismus geschaffen, der von einem ausreichenden Schutz bei der Übermittlung personenbezogener Daten ausgeht. Dass das der Fall ist, bezweifelt nicht nur die EU-Kommission. Deswegen hat Justizkommissarin Reding angekündigt, das Verfahren zu überprüfen. Dabei geht es nicht um bloße Technik oder juristischen Feinschliff. Die Vereinigten Staaten müssen trotz ihrer anderen Datenschutzpraxis zusichern, dass bei den Datentransfers in die Vereinigten Staaten sichergestellt ist, was dort mit den europäischen Daten passiert.
Und selbstverständlich ist es in jeder Demokratie notwendig, das notwendige Maß an Transparenz über die Arbeit der Geheimdienste zu schaffen, ohne ihre Arbeit zu gefährden. Jenseits des Wahlkampfes sollte darüber diskutiert werden, welche Schritte mit welcher Perspektive und auf welcher Handlungsebene notwendig sind.
Europäisch muss die Datenschutzverordnung noch vor der nächsten Wahl des Europäischen Parlamentes Realität werden. Außerdem muss die Datenweitergabe in der Datenschutzgrundverordnung beschränkt werden. Es muss künftig für Kunden klar sein, wie die Grundlagen einer Datenübermittlung in Nicht-EU-Staaten aussehen. International brauchen wir langfristig Regelungen innerhalb der UN, die für alle gelten.
In Wirklichkeit findet derzeit eine Zeitenwende statt. Zum ersten Mal seit den fürchterlichen Terroranschlägen auf die Vereinigten Staaten 2001 findet weltweit ein gesellschaftliches, politisches und wirtschaftliches Umdenken statt. So steigt das Bewusstsein für Datenschutz und Datensicherheit bei Nutzern und Wirtschaftsakteuren. Die gute Initiative der deutschen IT-Unternehmen zeigt, dass hier der Wettbewerb zwischen der EU und Amerika anfängt.
Auf der anderen Seite zeigt die - traurige - selbstgewählte Abschaltung eines amerikanischen E-Mail-Anbieters, der seine E-Mails verschlüsselte: Bereits jetzt gibt es Verschlüsselungsmethoden, die allein aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten Datenpakete schnüren, an denen sich jeder Geheimdienst die Zähne ausbeißt. Umso wichtiger ist es, dass E-Mail-Anbieter genauso wie private User einfache Verschlüsselungstechniken angeboten bekommen.
Die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung dokumentiert die politische Zeitenwende. Indes: Die Ausspäh-Affäre gehört nicht in den Mikrokosmos des deutschen Wahlkampfs. Wir müssen gemeinsam über die falschen Weichenstellungen einer überbordenden Sicherheitspolitik seit dem 11. September diskutieren. Die von dieser Koalition eingesetzte Regierungskommission wird noch Ende des Monats dazu Vorschläge vorlege